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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Herz der Nazi-Finsternis: Jonathan Littells „Les Bienveillants“ als immer noch grässliche, aber überzeugende Oper in Antwerpen

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Ein weißer Raum. Hell neonerleuchtet. Hinten, in halbhohen Wänden, neun Türen. Ein Stuhl, ein Tisch, ein Mann. Ein etwas stilisierte „Tatort“-Verhörsituation, installativ, ausgestellt. Hier wird aber kein normaler Sonntagskrimifall verhandelt, hier legt einer Zeugnis ab über eine der wiederwärtigsten Existenzen, die die Literaturgeschichte kennt: die des schwulen SS-Offiziers Max Aue, der Mutter und Stiefvater ermordet, seiner Schwester inzestuös verbunden sowie für die Ermordung unzähliger Juden in der Sowjetunion und später in Auschwitz verantwortlich. Der entkommt, der nichts bereut, der sich an den Qualen seiner Opfer weiter weidet, sie kultiviert und in fast abstrakter, dann wieder sehr gewöhnlicher Sprache reflektiert. Und der jetzt doch davon berichtet, als alter Mann und Geschäftsführer in der Spitzenfabrikation. Ausgerechnet. Ein Herr mit sehr weißer, dabei sehr dreckiger Weste. Deshalb wird auch bald kack- wie nazibraune Brühe die Bühne von Rebeca Ringst fluten, die Anwesenden werden besudelt, wälzen sich darin, und auch die Wände werden dreckig. Bis sie ausgerechnet von Aues Zwillingskindern mit blauen Blümchen der Hoffnung bemalt werden, während vorne so abstrakt wie möglich von Auschwitz gesungen wird und oben zwei Frauen aus kleinen Maschinen Theatergasnebel verdampfen. Man kann das kitschig finden, theaterhilflos, aber irgendwie kann man sich dem nicht entziehen. Auch weil dazu eine Musik stampft, wütet, klagt, leer fleht, zart barmt, einfach nur ruhig begleitet – und am Anfang wie Ende einfach stumm schweigt.

Fotos: Annemie Augustijns

Als 2006 das 1400 Seiten dicke Romanpamphlet „Les Bienveillants“ des damals weitgehend unbekannten Amerikaners Jonathan Littell auf Französisch erschien und gleich mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, da machte das Furore und Skandal zugleich. Immerhin 16 Mal wurde „Die Wohlgesinnten“, das meint die wieder befriedigten Rachegöttinnen, die Erinnyen im dritten Teil der „Orestie“ des Aischylos, seither für die Bühne dramatisiert. Jetzt, auch Littell war erstmals dabei, aber kam das Buch auf die Opernbühne – an der Opera Vlaanderen in Antwerpen, mit seinem starken, deutlich sichtbaren jüdischen Bevölkerungsanteil. Deren nach Genf abwandernder Intendant Aviel Cahn setzt damit einen markanten, auch durch einen vier Kilo schweren Buchklotz markierten Schlusspunkt unter seine zehnjährige Ära – und beauftragte das musiktheatererfahrene Team Hèctor Parra und Händl Klaus mit dieser eigentlich unmöglichen, natürlich provokativ gemeinten Uraufführung. Verstörend ist am Ende freilich, wenn der monströse, aber eben leider stets menschliche Täter sich auszieht und sich Schmutz wie Schande vom Körper duscht, das nach wie vor grässliche Thema, und die etwas überzogene Länge – eine halbe Stunde weniger täte not und gut. Ansonsten war es sehr – wohlmeinend.

Ian Borstridge und Kurt Streit wollten die fast schon heldenhaft anmutende Tenorrolle des Max Aue erst gar nicht singen, Rainer Trost musste sie als zu schwer abgeben; auch die als Mutterhexe anvisierte Nadja Michael kam der Produktion abhanden. Machte aber nichts, der Ersatz war sehr gut. Der Amerikaner Peter Tantsits arbeitet sich mit Stehvermögen und Leuchtkraft durch eine der wohl längsten Tenorpartien, geht durch die Abgründe des Charakters wie der Noten. Rachel Hanisch mit ihrem intensiven Sopran ist die schwer greifbare, ambivalente und dann doch anrührende Schwester Una. Natscha Petrinsky schreit das Muttermonster ähnlich grell und famos wie Claudio Otelli diverse Nazis bellt und brüllt. Günter Papendell gibt fast sanft den Freund, der dann die fatale Frage stellt: „Max, hast du Lust auf ein Sonderkommando?“. Händl Klaus hat diesmal, unter Beibehaltung der „in sieben Bewegungen“ eingeteilten Barocksuitenfolge des Romans (Max liebt Bach), ein sehr gutes Libretto erstellt, deutsch und französisch (Max ist beides), delikat und ordinär, poetisch und gossig.

Und der Katalane Hèctor Parra hat eine moderne, sparsam Elektronik einsetzende Partitur verfertigt, die eben nicht austauschbar ist, die direkt auf die Szene reagiert, auch einen Pissstrahl in Musik umsetzt, sie dann eben doch abstrahiert, manchmal auch negiert. Mit hat gemeißelten Akkorden, dann wieder polyphon verästelt. Das Symphonisch Orchest Opera Vlaanderen unter dem souveränen Peter Rundel setzt solches großartig in beißende, schneidende, schartige, überlaute, dann wieder leise, durchscheinenden, sich verlierende Klänge, ebenso engagiert der vor allem auch darstellerisch geforderte Chor.

Den hat hier einmal mehr Calixto Beito inszeniert, und er macht ihn – ähnlich wie gerade in Wien in Mendelssohns Oratorium „Elias“ zu einem Haupthandelnden. Man könnte es fast das schwarze, schließlich gnädig von Schnee aufgehellte Gegenstück zu diesem Weg eines christlich suchenden Propheten sehen. Denn Max Aue findet –  nichts, so sehr er auch in seine eigene schwarze Seele blickt, und Befriedigung bekommt er nur, wenn das Wälsungenblut zwischen ihm und Una blüht. Doch ist hier von Babyn Jar oder anderen Kriegsgreuel zu hören, gibt es keine SS-Uniformen und keinen Naturalismus, exekutiert wird mit dem gezogenen Zeigefinger, die ferne Gewehrschüsse werden durch auf die Kleidung geklopfte Handschuhe erzeugt. Eine nackte Frau und ein nackter Mann stehen als eben nicht mehr paradiesisches Paar stellvertretend für alle Opfer. Bieito und Parra brauchen keinen Realismus, um klar zu machen, was hier gerade verhandelt wird. Freilich bleibt das in seiner, man muss es sagen: geschmackvollen Reduktion selbst beim Scheißen, Kotzen, Ficken hinter dem oft so ekelhaft sadistisch redseligen Buch in seiner grellen Schärfe zurück.

Die Musik, das Opernhafte verklärt – wieder einmal – und besänftigt, auch wenn sie noch zu aggressiv kreischt. Immer wieder kommt das Passionshafte, das Parra mit seinen Holzbläsern aufscheinen lässt, die Nähe zu Bach, zum eben nicht naturalistischen Oratorium durch, die auf Distanz hält, den Zuhörer meist objektiven Beobachter bleiben lässt. Eine Chronik der Schrecken, aber als kontrapunktisches Kunstwerk inszeniert, bei dem sich bisweilen sogar ein Flügel samt kultivierter Spielerin über Leichen und Morast herabsenkt. Und das als bewusst gesetztes Gegenstück zu den hochabstrakten Klangbildern und -szenen, mit denen hier vor zwei Jahren Chaya Czernowin in „Infinite now“ das Inferno des Ersten Weltkrieges in der Spiegelung durch Erich Maria Remarque an der Opera Vlaanderen in Gent Musiktheater werden ließ. Man nennt das auch eine gelungene Dramaturgie. Als nächstes zu sehen beim Koproduktionspartner – Nürnberg.

Der Beitrag Herz der Nazi-Finsternis: Jonathan Littells „Les Bienveillants“ als immer noch grässliche, aber überzeugende Oper in Antwerpen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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