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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Gluck aus dem Geist des Tanzes: Sidi Larbi Cherkaoui und Antonello Manacorda vitalisieren in München „Alceste“

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Hier wird viel getrauert. Und viel getanzt. Das ist schon im Original so. Weil Christoph Willibald Gluck die ewige Ariensingerei der Opera Seria à la Händel, an der sich inzwischen auch das Publikum übergessen hatte, Leid war, und weil er – wieder mal – zurück zu den Tragödienursprüngen der Griechen rückwärts wollte. Die man fälschlicherweise mit Musiktheater verwechselte. Ein schöner Irrtum. In Glucks Reformopern wurden jedenfalls die Arien kürzer und weniger virtuos, dafür die Chöre mehr und die Tänze erst Recht. Das konnte er sich von der französischen Hofoper abschauen. Er hatte zudem choreografische Kollaborateure sowie in Marie-Antoinette von Frankreich eine Königin, die er noch als Erzherzogin Maria Antonia am Wiener Hof unterrichtet hatte und die ihn später nach Paris einlud. Dort reformierte er nochmals einige seine Reformwerke, so auch neun Jahre später die 1767 erstmals in Wien gegebene „Alcestis“, welche vom Schicksal der thessalischen Königin erzählt, die sich anstelle ihres sterbenskranken Mannes in die Unterwelt begibt. Bei Gluck wurden zwar große Szenenkomplexe daraus, aber die sind oft ein wenig statisch. Und die besondere Gabe zündender Melodien war ihm auch nur selten gegeben. So hat es Gluck – „Orfeo ed Euridice“ mal beiseite gelassen – heute schwer auf der Bühne. Er gilt als spröde und öde, im besten Fall als vorweggenommene Eurhythmie. Das aber muss es nicht sein, wie jetzt bei der „Alceste“-Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper zu erleben: Er vermag durchaus musikalisch mitzureißen. Strahlend, schmeichelnd, tröstend, sanftmütig und auffahrend, unterschwellig erotisiert. Gluck als erster universeller und europäisch stilbildender Komponist, der der barocken Oper das der Sängereitelkeit geschuldete Koloraturfeuerwerk nahm, stattdessen edle Einfalt und stille Größe als Zurück zu den Ursprüngen verordnete. Seine tönenden Dramen sind so modern, weil sie ganz psycholgisch für die gleichen Gefühle immer wieder neue Nuancen des Ausdrucks finden. Die man zeigen muss.

Fotos: Wilfried Hösl

An diesem Abend kommt, auch wenn es traurig ist, aus dem hochgefahrenen Graben Freunde und Spaß. Da fahren die Tänze auf, rauschen die Unisoni im Crescendo wie Raketen los, schlängeln Oboen ihre Schleifen, setzten Flöten zum Höhenflug an, gluckern unten die Naturhörner und schallen oben die Trompeten. Kraftvoll beweglich klingen dazwischen die Arien, breit, doch flexibel wallen die Chöre. Mit gezackten Lautstärkeschüben und wohlgestaffelten Akzenten wird besonders der jeweilige Ab- und Aufgang in die und aus der Unterwelt behandelt. Antonello Manacorda steht in seiner ersten Premiere mit genau ausgezirkelter Gestik am Pult, Tanzmeister und Dirigent, bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Er versucht eine Gratwanderung: einen historisch informierten Gluck auf weitgehend neuzeitlichen Instrumenten für ein großes Haus, mit variantenreichen Tempi, hell, tänzerisch, ohne den biestig keifenden Furor so mancher Alter-Musik-Spezialisten.

Und weil auch auf der Bühne strikte Moderne herrscht, sind manche Tänze etwas langsamer als sonst, es fehlten die krassen Dynamikunterschiede. Getanzt wird freilich vom ersten Ouvertürentakt an, denn man hat die Regie konsequenterweise einem Choreografen übertragen, noch dazu einem der besonders innovativen, vielfältig beschäftigten unserer Tage: Sidi Larbi Cherkaoui. Der ist in München kein Unbekannter, hat er doch schon Rameaus „Les Indes galantes“ visualisiert, freilich politisch zugespitzt und inhaltlich verengt als religiös determinierte Asylantengeschichte.

So viel Konzept gibt es bei „Alceste“ nicht. Alles ist reduziert auf den Grundkonflikt: Lässt der Mann zu, dass seinen Frau sich für ihn opfert? Das geht einher mit vielen Leidensmelodien für den Partner, das gemeinsame Schicksal, die Grausamkeit der Götter. Die freilich kommen als Dei ex machina. Erst räumt der tumbe Herkules in der Unterwelt auf, dann gewährt Apollo den Gatten Gnade. Im Grunde weiß man das von Anfang an, also inszeniert Cherkaoui eine meist helle, kinetische Versuchsanordnung. Getanzt wird kraftvoll, energetisch und doch leicht, mit vielen kleinen Sprüngen, Drehungen, Verschlingungen. Die Arme schießen in starke Dynamik hoch und quer. Das mischt sich immer wieder gut mit den engagierten Chören, meidet die Starrheit, hat bisweilen auch das Dekorative einer hippen Modenschau, und viele flattrige, locker die Körper umfließende Kleidermodelle von Jan-Jan van Essche defilieren über den imaginären Catwalk.

Auch das dienende Bühnenbild von Henrik Ahr ist nur ein Rahmen für die Arrangements, die bewusst immer wieder ausgestellten Tableaux: ein paar helle Stufen, jeweils drei schwenk- und in sich drehbare Paneele, die ein wenig schraffiert sind und für die Unterwelt Käfige offenbaren. Im Hintergrund fährt ein Tor rauf und runter, das Personen einsaugt und ausspuckt.

Vieles ist da Ritual und Zelebration, aber locker aufgelöst, nicht immer symmetrisch. Konfetti fliegen, Bewegung wird Musik, auch wenn Alcestes’ Traueroden mit Tüchern umfangen und verschlungen werden, die Königin auf Stoffbahnen gedreht und gezogen, von den Tänzern erhoben, wie beim Stage Diving im Popkonzert über den Köpfen getragen wird. So geschieht es auch Admète, ihrem Mann, kommt der vom Krankenlager wieder. Er in Schwarz, sie in folkloristisch Gelb, auch Herkules trägt einfach nur einen gescheckten Hirtenmantel. Dieses Griechenland liegt in Multikultien.

Cherkaoui versucht diese im Ungefähren, Design-Schicken zu verorten, Beziehungen der Ehepartner durch Bewegung zu vergrößern und zu verlängern. Und schießt bisweilen über das Klassenziel hinaus. Die lange, intensive Zweierszene im zweiten Akt hätte man gern ganz konzentriert ohne Tänzerbeilagen gesehen, ebenso sind die Protagonisten oftmals singend an die Wände gedrückt, weil Chor und die fabelhaft diversifizierte Eastman Company ihren Platztribut fordern. Nur die Geschöpfe der Unterwelt, nebelumwallte Stelzevierfüßler in Schwarz ergeben groteske Arrangements.

Selbst vokal wollte man diesmal einen heute fast schon mutigen Mittelweg zwischen den stilistischen Meinungslagern gehen. Früher wurde die Alceste gerne mit einer dramatischen Heroine besetzt, reine Barockstimmen wirken bei der Partie gern zu dünn und verhungert. Dorothea Röschmann hat Alte-Musik-Erfahrung, aber jetzt ist sie eine reife, lebenserfahrene Sopranistin mit immer noch lyrischem Ansatz, aber dickerer Mittellage und fülligen, selten gespreizten Tönen. Natürlich ist das Jungmädchenhafte dahin, aber ihre Intensität füllt die Bühne als Monument des Leidens. Auch Charles Castronovo ist sonst meist latin lover im italienisch lyrischen Fach, hier Ersatz für einen französischen Haute-Contre; was er mit metallischeren, auch mal gepressten, durchaus lauten, aber schön timbrierten Tönen wettmacht.

Michael Nagy wirkt als orakelnder Priester und verschmitzter Hercule etwas verhärtet. Aus den sorgfältig besetzten kleineren Rollen fällt wieder einmal die selbst kopfüber zauberhaft sopranrein singende Anna El-Khashem beglückend positiv auf. insgesamt ein Gluck, der sich selbst genug ist, auf den Grundkonflikt konzentriert, minimalistisch der Musik huldigend. Die viel bunter, vitaler, mitreißender klingt als wohlmöglich gedacht!

Am 1. Juni live und kostenlos auf staatsoper.tv, dann 30 Tage in der Mediathek von br-klassik.de/concert

Der Beitrag Gluck aus dem Geist des Tanzes: Sidi Larbi Cherkaoui und Antonello Manacorda vitalisieren in München „Alceste“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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