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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Ein seltsam dämmriges Strauss-Glück: Christof Loy hält am Teatro Real in Madrid „Capriccio“ ganz wundersam in einer Zeitschleife gefangen

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Eine taubengraue, leicht gekrümmte Wandfläche. Nur gegliedert durch eine Lambris. Oben abgeschlossen mit sanft glimmender Milichglasdecke. Ein marmorgrauer Kamin, halb von einem Leintuch verdeckt, ein kerzenloser Bronzeleuchter auf dem Sims, dahinter ein hoher, angelaufener Spiegel in schnörkellosem Goldrahmen. Ein paar Sitzmöbel, ebenfalls unter Schutzdecken, locker im Raum verteilt, ein umgefallener Stuhl. Und eine Tapetentür nach draußen. Das ist es, was sich Raimund Orfeo Voigt als minimalistisches, meist in diffuses, oft sogar trübes Licht eines Vilhelm-Hammershøi- Bildes getauchtes Einheitsdekor für das „Capriccio“ von Richard Strauss erdacht hat. Und doch ist dieses jüngste Madrider Beispiel wieder eines dieser weltverlorenen, realitätsfernen, ganz im psychologischen Zwischenreich der Oper spielenden Christof-Loy-Settings zwischen Traum und Wirklichkeit geworden. Sehr bedeutungsvoll, oft kaum zu entschlüsseln, gerade aber in seinem nur angedeuteten Moment des Unsagbaren interessant.

Fotos: Javier de Real

Erst zweimal ist dieses spröde, schöne, diskursschwere, parlandoleichte, aber eben auch intrikate Spätwerk des letzten Großkomponisten des 19. Jahrhunderts in Spanien gespielt worden. Und am Teatro Real scheint es noch auf Reste einer gut konservierten, durchaus ihre Statussymbole zur Schau stellenden Ständegesellschaft zu stoßen. Deren südländischer Lebensfreude freilich dieser theoriesatte Wort-Florettfechterei über die Vorherrschaft der Musik über den Text oder umgekehrt gänzlich fremd ist. Und trotzdem folgte das Publikum einigermaßen aufmerksam, es gab langen Beifall, Loy hat es also gebannt und in in seine melancholisch wehe Zeitreise hineingezogen.

Hier bleibt alles in der Schwebe, wir sind nämlich sicher nicht in in der Kulisse der in den kurzzeitig verwendeten Kostümen angedeuteten Rokoko-Epoche, in welcher die eigentlich, knappe „Capriccio“-Handlung spielt: als frivole Liebesversuchsanordnung zwischen der verwitweten Gräfin Madeleine und der sie umbuhlenden Rivalen, dem Dichter Olivier und dem Komponisten Flamand, in dem sich natürlich Strauss porträtierte. Die sollen sich erst in einem Sonett, dann in einer Oper künstlerisch um die Zuneigung der Adeligen messen. Und dann ist da noch deren Bruder, der sich zu der Schauspielerin Clairon hingezogen fühlt, während der Theaterdirektor La Roche Sein und Schein inszeniert und arrangiert.

Dem wiederum ist Regisseur Loy übergeordnet. Und er tut es auf sehr subtile. eigentlich alles in der Schwebe lassende Art. Da sind, wie gesagt, die Rokokoreste im Raum, Diener in ebensolchen Livreen, eine jugendlich gealterte Ballerina, die geisterhaft weiß übers Parkett zu trippeln scheinen. Und da ist eine Dame im Reisemantel, die grauen Haare zum Knoten geschlungen, die sich graziös mit einem Begleiter durch die Szene bewegt. Möbel werde aufgestellt, Hussen entfernt, zwei weitere Herren, offenbar Olivier und Flamand, kommen mit Stift und Blatt, möge das Spiel beginnen!

Die Dame ist wieder verschwunden, statt dessen tritt ein weitere, jüngere, ihr Ähnliche auf: die Gräfin Madeleine im Diskurs mit ihrem Bruder. Und Malin Byström wird, auch wenn sie Bühne bisweilen verlässt, stetig präsent sein. Sie ist der gleißend schöne, auch ein wenig kühle Soprankristall, in dem sich – „morgen mittag um elf!“ – bis zur gustiös ausgekosteten Schlussszene das Geschehen bündelt und bricht. Sie ist Dreh- und Angelpunkt dieses gedanklichen, gespielten und gesungenen Konstrukts, das sich – als Überlagerung mehrere Zeitebenen – möglicherweise in ihrem Kopf abspielt. Denn im Verlauf der folgenden zweieinhalb Stunden zeigt sich, die ältere Dame und die junge Ballerina, das Lustmädchen des gänzlich #MeToo-unangekränkelten Theaterdirektors, die er zum Plaisir der Müßiggängergesellschaft im Salon antreten lassen wird – sie sind ein und dieselbe Person. Wenn sie im Finale in fast identisch weißer Organzablütenrobe (zauberhafte Kostüme: Klaus Bruns) alle drei abwechselnd dahingleiten, dann wird das endlich klar.

So deutet Christof Loy auf intelligente Weise an, lässt den elfenbeinturmgeschmäcklerischen Metadiskurs des alten Strauss mit seinem Librettisten-Dingenten Clemens Krauss in Kriegs- und Nazizeiten 1942 ablaufen, und unterlegt ihm noch weitere Bedeutungsebenen. Ist die alte Dame, die Gräfin, wohlmöglich Jüdin, die nach erfolgreicher Flucht in ihr bewahrtes Schloss zurückkehrt? Oder ist das nur eine „Kathedrale der Erinnerung“, so wie in Korngolds „Die tote Stadt“? Für wen auch immer? Die Kleider sind meist zeitlos, alle Personen sind oftmals auf der Szene, auch wenn sie das gar nicht müssen; selbst die bisweilen oftmals sich unbotmäßig flegelnden Diener. Es ergeben sich ganz neue Konstellationen der Charaktere, diese agieren schärfer, konkreter als im Stück vorgesehen, auch in ihrem Bewegungshabitus moderner, als es die stetig – als Theaterkostüm? – auftauchenden Bauschröcke und Kniebundhosen meinen.

Die Szene der italienischen Sänger (sehr rollendeckend: Leonor Bonilla und Juan José de Leon) wird wirklich als Opernspiel mit wechselnden Requisiten inszeniert uns scheint doch einem neorealistischen Film entsprungen. Wer aber ist hier eigentlich der Regisseur? La Roche nicht wirklich. Immerhin, seine Apologie auf die Bühne führt zu einem vokal wunderbar durcheinanderkreuzenden Wortscharmützel aller an der Rampe. Olivier hat immer noch ein Auge auf die Clairon, einem vergangenen Flirt, die Gräfin oszilliert zwischen allen. Ruckelt plötzlich als greisenhaft gewordene Ballerina dazwischen. Und geht am Ende mit dem Majordomus (Torben Jürgens) weg, jetzt mit Schnurrbart als ihr gealterter Begleiter des Anfangs identifizierbar.

Christof Loy, der dieses präzise, komplexe, wie in den letzten Regietheaterjahren (Carsen, Gürbaca, Fassbaender) aber auch sichtbar sehr tiefenscharfe Stück, ganz offenbar liebt, hält die Aufmerksamkeit wach und lässt vieles offen. Weil es so gerade nicht zueinanderpasst, aber doch irgendwie Sinn macht. Das schärft die Aufmerksamkeit auch über die berüchtigt trockenen „Capriccio“-Stellen hinweg.

Und getragen wird das, von Asher Fish robust dirigiert, aber geläufig, nie zu langsam werdend, im Sextett und der Mondscheinmusik freilich mehr Zartheit und farbenschillernde Durchsicht brauchend, von einem erstklassigen Ensemble von lauter Debütanten. Die Byström überstrahlt mit ihrem Glanz von Künstlichkeit alle und füllt diese facettenreich undurchsichtige Figur vollkommen aus. Wie eine schaumgeborene Venus segelt auf den sämigen Schlagobers-Wellen dieser Musik dahin, beinahe gemäß der „Rosenkavalier“-Marschallin „ein halb Mal lustig, ein halb Mal traurig“ formt sie ihre kaum greifbaren, im Vagen so wohlig schönengeistige Silhouette.

Zehn Personen machen – wild durcheinander singend – bei diesem „Konversationsstück für Musik“ den schönsten Lärm der Welt. Sie streiten über die Vorherrschaft des Wortes oder des Gesangs in der Oper. Nicht wirklich prickelnd, möchte man meinen. Aber allerfeinst vorgetragen. Bis es in herrlicher Dur-Schwebe und schönster, delikatester Strauss-Geigenapotheose endet. Der junge, nachdrücklich artikulierende Bariton Josef Wagner ist ein unreifer, ungestümer, aber sympathischer Graf, der ständig an der flapsige Actrice Clairon im Hosenanzug (mit ungestümem Hosenrollenmezzo: Theresa Kronthaler) hängt. Norman Reinhardt mit hellem, bisweilen flachem Tenor (Flamand) und der baritonbissfeste, fesche André Schuen (Olivier) sind auf leidenschaftliche, ja sinnliche Art in ihre Liebes- wie Kunsthändel verstrickt und geben ihnen plastisch moderne Kontur. Der basssaftige Christof Fischesser als wirkliche Menschen in den Kulissen suchenden Theaterdirektor La Roche wird hier nicht nur zum Thesenträger. Und den schläfrigen, vergessenen Souffleur-Grottenolm Monsieur Taube, er ebenfalls am Anfang wie ein Überbleibsel im Sessel vergessen saß, adelt John Graham-Hall zur zwielichtigen Figur. Ja, selbst die acht Diener, hier sehr viel länger als sonst auf der Bühne, gewinnen vokales Eigenleben.

Und schließlich sitzt da wieder die Tänzerin in jung und spielt mit einer bereits am Anfang achtlos liegengelassenen Marionette. Und Madeleine lässt das Sonett, um das sich alles dreht, auf den Boden fallen. Gliederpuppen ihrer Autoren, den Regisseur eingeschlossen, sie alle. Man hat am Teatro Real (in Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich) also viel übrig für das von Strauss geforderte „Verstandestheater, Kopfgrütze, trockenen Witz!“. Aber man hat noch mehr: Trauer, Wachheit, heiter-schwarzumflorte Gelassenheit.

Der Beitrag Ein seltsam dämmriges Strauss-Glück: Christof Loy hält am Teatro Real in Madrid „Capriccio“ ganz wundersam in einer Zeitschleife gefangen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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