Wäre es so schlimm, wenn ein Regisseur Spanien und einen alten Mann auf die Bühne bringen würde, wenn in dem Stück Spanien und ein alter Mann die Hauptrollen spielen? Oder hat selbst ein von der Oper Unbeleckter wie der schwedisch-dänische Mime, Pantomine und Zauberkünstler Jakop Ahlbom offenbar Angst, dass ihm die der gewöhnliche deutsche Opernintendant die Hand abhacken würde, wenn er nicht wenigsten ein paar Regietheater-Klischees bedient? Da mag also hier in seinem Alterswerk „Don Quichotte“ der reizvoll das Komponierenkönnen seines Jahrhunderts in französischem Klangparfüm aufgehen lassende Jules Massenet noch so sehr mit den Kastagnetten klappern, mit den Füße stampfen, Gitarren imitieren und iberisches Temperament evozieren, in der Deutschen Oper Berlin wird das negiert. Total. Da ist – hatten wir das nicht gerade in der Uraufführung „Oceane“? – der Grundton wieder grau, und statt auf einem temperamentsplatzenden Dorfplatz in der Mancha befinden wir uns auf einer öden Betriebsfeier in einer Kantine, die offenbar, so zeigen es die Panoramafenster, im verschneiten Schwarzwald liegt. Hierhinein, wo fehlende Choraktivität durch viel Statisten- und Tänzerdollerei wettgemacht werden muss, verirren sich also Don Quichotte und sein Diener Sancho Pansa.
Der Ritter von der in der Manifestation Alex Espositos gar nicht dürrtraurigen, eher gedrungen durchtrainierten Gestalt, war einst eine Traumaltersrolle von Fjodor Schaljapin. Das Publikum im mondänen Monte Carlo sollte sich 1910, im Spätherbst der Belle Epoque, mit nicht zu viel ranziger Literatur à la Cervantes aufhalten. Massenet griff lieber auf das seichte Schauspiel von Jacques Le Lorraine zurück, das die ausufernde Handlung der Ritterschwarte in nicht einmal zwei Stunden und fünf Akten auf ein paar charakteristische Szenen eindampft und reduziert. Er hat dafür aber eine elegante, ja ergreifende Musik mit Solocello, wehmütigen Spanienerinnerungen, einer abblätternden, gerne vom Englischhorn intonierten Liebe und einer wunderbaren Buddy-Beziehung zwischen zwei sehr schrägen Typen verfertigt. Und selbst die nur als Phantasmagorie vorhandene Dulcinea verbreitet ihren vokalen Liebreiz.
Theoretisch zumindest. Und bei Götz Friedrich, der das Stück Anfang der Siebzigerjahre an der Komischen Oper und später noch einmal in Hamburg in seinem Ambiente beließ und es trotzdem als politisch begriff, war solches auch zu sehen. Nicht so an der Deutschen Oper. Da reitet also ein kleiner, fescher Mann in Trekkie-Uniform und Silberstiefeletten herein, der auf einem als Pferd Verkleideten sitzt. Dieser, die Rosinante vorgebende Sancho Pansa, voluminös dunkel intoniert von Seth Carico, der einen besseren Don abgeben hätte, muss zum Singen immer erst seinen Tierschädel abnehme., Alex Esposito, zu jung und zu hell timbriert hat hingegen als Quichotte so gar nichts Weltabschiedsbewegends, gar Verwirrtes.
Also müssen ein paar surreale Requisiten her. Ein von Händen flankierter Riesenkopf, aus dem später eine Monsterzunge quillt, auf der Käfer krabbeln, ein seltsames Trio ohne Beine, ohne Kopf und zwergwüchsig, das einfach nur dumm rumsteht, und eine graugrünstichmäusige Kellnerin, die in eine rotbenachthemdete Dulcinea verzaubertrickst wird. Dabei behält die hübsch orgelnde und trotzdem seltsam neutral als Transe rüberkommende Clémentine Margaine die ganze Zeit ihre spektakulär hässlich plastikbehaarte Dagmar-Koller-Perücke auf und spielt mit tumbem Edith-Schröder-Charme wie sonst nur der Berliner Prolldamenimitator Ades Zabel. Für die Windmühlen hat es gerade mal zu einer Tischdekoration gelangt, und gestorben wird bei Festbeleuchtung denkbar gefühlsarm. Immerhin weiß Emmanuel Villaume viel französischen Charme aus dem geneigten Orchester der Deutschen Oper zu kitzeln. So leuchtet wenigstens eine feinsinnige Partitur ohne Sopran und Tenor angemessen, wenn der schon jede szenische Strahlkraft dumpfbackig verweigert wird.
Besser unterhält man sich als Hauptstädter doch doch wieder in der Komischen Oper, wo diesmal im Rahmen des Operetten-Zyklus von Paul-Abraham-Werken mit „Roxy und ihr Wunderteam“ glamourös weitergekickt wird. Handelt es sich doch dabei um die welteinzige Fußballoperette, ein angesichts der gruseligen Zeitumstände 1936 in Budapest uraufgeführtes Exilwerk von äußerst frivoler Bauart. Vom Freistoß über die Handarbeit bis zum Grätschen als Lebensphilosophie und andere Gymnastik wird hier alles sehr eindeutig serviert, aber köstlich komisch, weil eine durchgebrannte Braut mit einem Fussballmannschaft am Plattensee auf eine Mädchenpensionats-Equipe trifft. Am Ende hat jeder Libero sein Ballmädchen, auch die älteren Semester.
Obwohl nicht wirklich inhaltlich oder inszenatorisch klar wird, warum als ältliche Lilian Harvey Christoph Marti seinen Damenmann Roxy steht, er macht das mit viel Girlie-Geraspel und Selbstironie, erobert sich so immer mehr das von ihm und nur für seine Ursli-Pfister-Figur geschaffene Fach der wasserwellengelockten Gender-Schabracke. Und wie schon bei „Clivia“, wo die Operetta Queen from Outer Space etwas mehr rockte, sind auch die beiden andere Geschwister Pfister am Unterhaltungsort. Andreja Schneider wuchtet brummend ihre Pensionsleiterin mit Pünktchenschwäche auf die Entertainment-Bretter. Toni Pfister alias ein verschlankter Tobias Bonn ist einmal mehr der seine Roxy (und seinen echten Ehemann) küssen dürfenden Libero mit mürbem Filmbeau-Grinsen. Während als männliche Diva Torwart Jörn-Felix Alt die Latte für den Nachwuchs aufpflanzt. Der kann bühnenfüllend singen, spielen, tanzen, grinsen und charmieren, dass es eine Operettenfreude ist.
Dribbelnd inszeniert hat den schon in Dortmund und in einer schwulen Variante in Augsburg bewährten Mittelstürmer-Spaß mit viel Glimmer und Hüftgewackel als paprikaschmackiges Moulin Rouge samt Badenixen am Balaton bewährt glatt ablaufend Stefan Huber. Die Nebenrollenplayer (allen voran Uwe Schönbecks schottengeiziger Onkel) sind alle super, und Danny Costello lässt die Boys & Girls chorografisch flutschend von der Leine- Stephan Prattes lässt zwischen Edelholzfurnier einen halbrunden Fußballglobus auf dem Turnhallenboden rotieren, der ein ganzes ungarisch aufgerüschtes Stadion beherbergt – oder wahlweise das Pensionat als blümchenumrankte Kitschpostkartenansicht. Und auch der zudem als Akkordeonspieler und Bearbeiter geforderte Kai Tietje am Pult lässt die Truppe tanzen, freudvoll animiert im Graben und auf der Bühne. Da knallt der Kukuruz- und schmeichelt der Jazz, Magyar und USA sind musikalisch friedlich vereint.
Die Komische Oper lässt also Operette Operette sein, mit Tempo, Witz und Augenzwinkern. Warum aber muss an der Deutschen Oper selbst das Leichte mit Trauerrand erdenschwer und teutonisch dröge sein?
Der Beitrag Bedeutungsgrätschend durchs Musiktheater-Dasein: Jules Massenet und Paul Abraham an Berliner Opernbühnen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.