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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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„Göttliche Stimmen“: Cecilia Bartoli feiert bei den Salzburger Pfingstfestspielen mit Rarem und Virtuosem einmal mehr das Zeitalter der Kastraten

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#MeToo bei den Salzburger Pfingstfestspielen? Falscher Alarm. Cecilia Bartoli arbeitet nur einen historischen Fall auf – und das nicht zum ersten Mal: die (musikalisch) so erfreuliche und (menschlich) so betrübliche Geschichte des Kastratentums als Irrweg der Barockzeit; der aber vor allen in der Oper hochvirtuose Ergebnisse befördert hat. Schon auf einer ihrer Themen-CDs hatte sie sich den klanglichen Auswirkungen des Messerchens gewidmet, mit dem so mancher Knabe grundlos verstümmelt wurde, einige wenige aber auch zu vergötterten Stars aufstiegen. Diesen glanzvollen Sängern und ihren „Himmlischen Stimmen“ hat sie die gegenwärtige Ausgabe der von ihr geleiteten Pfingstfestspiele gewidmet. Es sind ihre achten, am 4. Juni hat die die längst als Zürcherin naturalisierte Römerin ihren 53. Geburtstag gefeiert, am 7. stand sie sie hier als Händels Alcina auf der Bühne (worauf noch zurückzukommen sein wird) und anschließend wurde ihre Vertragsverlängerung (gegenwärtig bis 2021) um weitere fünf Jahre bis 2026 bekanntgegeben. So lange wie auch der neue Kontrakt von Markus Hinterhäuser als oberster Kunstboss des Salzburger Sommers geht. Und deshalb wurde das aktuelle Festival natürlich auch zu seinem inoffiziellen Countertenor-Gipfel. Doch weil sich die Chefin und ihre mezzosingenden Kolleginnen von dem in den letzten Jahrzehnten mit der Barockopern-Renaissance glanzvoll neuerblühten Stimmfach nicht ganz die Virtuosenbutter vom Barockbrot nehmen lassen wollen, ist deren Zahl zwar überschaubar, dafür sind aber – Bartoli setzt die Maßstäbe – beinahe fast alle Besten ihres Faches da; nur Valer Sabadus, der schon fast emeritierte Andreas Scholl und der junge Nebenerwerbs-Breakdancer Jakub Jozef Orlinski fehlten. Dafür ließ sich Jochen Kowalski zumindest in einer Podiumsdiskussion vernehmen. Und gleich am Tag nach der Opernpremiere gab es ein weiteres, als halbszenisch angekündigtes, aber dann doch vollgültig visualisiertes Bühnenwerk zu erleben: den von Händels Londoner Konkurrenten und Farinelli-Lehrer Nicola Porpora 1735 ebendort herausgebrachte „Polifemo“. Als opera seria in drei Akten wurde er in der Felsenreitschule, als Produzent, Regisseur und Protagonist einmal mehr in harmonischer Dreieinigkeit wirkend, von Max Emanuel Cencic in nur 10-tägiger Probezeit sehr effektvoll und imaginativ vor das historische Arkadienhalbrund gestellt. Eine „wüste Insel“ aus Sand und ein paar Steinen plus zwei Skelette (wohlmöglich Farinelli und Alfred Deller?) konzentriert geschickt die weite Spielfläche. Dort donnern und gischten erst Wellen, die Schiffbrüchige an Land werfen, mit dem von George Petrou bestens animierten Barockkollektiv Armonia Atenea um die Wette, dann säuselt dezent ruhige See. Die Sonnen geht auf und unter, der Mond scheint über Liebe und Hass auf dem Eiland. Das wohlmöglich Cencic später einmal für sein Zerbinetta-Debüt als Naxos-Ersatz recyceln wird?

Fotos: Marco Borelli

Jetzt jedenfalls stranden dort Odysseus, aber eben auch Arcis, die beide bald was haben werden mit den Nymphen Galatea und Calypso; als dritte göttliche Grazie ist ähnlich maskiert, bleich geschminkt und in hautfarbenes Flattergewand gehüllt, Nerera (die bissfeste Dylara Idrisova) vor Ort. Die wieder mal fantastisch tirilierende und jubilierende, aber auch an vokalem wie darstellerischen Ernst zugelegt habende Julia Lezhneva (Galatea) und die herrbschön klingende Sonja Runje (Calypso) vereinen sich gleich zu einem zarten Duett. Und ähnlich harmonisch geht es mit ihnen weiter, auch wenn zwischendurch der augenklappenbewehrte Zyklop Polifemo (mit nicht ganz so starker Bassstimme, aber impressivem Harnstrahl: Pavel Kudnikov) das Idyll stört. Lieben die beiden Damen doch schnell Aci, dem Yuriy Mynenko seinen zart lassierten Counter leiht, und Ulisse – für Max Emanuel Cencic als eine Art Countertenor-Jack-Sparrow Gelegenheit, sowohl komisch wie amourös und kriegerisch zu brillieren.

Die Oper erweist sich als erbauliches Konventionswerk mit freilich immer wieder schmeichelnd schönen, virtuos verzierten und elegisch sinnlichen Arien. Porpora komponiert weit besser als sein Ruf, und Regisseur Cencic lässt in dem meist vergnüglichen, selten tragischen emotionalen Ringelreihen seinen Singpüppchen tanzen, pfählt dezent den bösen Polifemo und lässt auch den erschlagenen Aci nicht nur als Quelle, sondern ganz real wiederauferstehen: Damit der noch seine lyrische Prunknummer „Alto Iove“ fein und göttlich lang ausspinnen kann. Dann schwemmen die Wellen den ganzen genialen Barockopernspuk wieder weg.

Dreienhalb Stunden hat das gedauert, und nur mit wenig Verschnaufpause geht es in die „Farinelli & Friends“-Gala, die es auf fast vier Stunden mit 10 Vokalisten und 22 Nummern inklusive zwei Beiträgen des Salzburger Bachchores (samt den darin einstimmenden Stars) bringt. Unnötig längend war hier nur der obsolete Moderationsbeitrag eines Möchtegern Latino-Gottschalks, der statt inhaltlicher Schärfung des bunten Arienstraußes nur Gemeinplätze hinzuzufügen wusste. So musste man sich die geistige Führung im Halbdunkel im einigermaßen konsistenten englischen Programmheftartikel zusammensuchen. Das wäre, die Galas hier sind bisweilen sachlich etwas konfus, durchaus bis 2026 verbesserungswürdig.

Mit Musik aus den Jahren 1705-63 war jedoch viel Unterhaltsames und Beschauliches aufgeboten, und weil der launische Farinelli doch meist seine Gunst in den Dienst der minderen Rivalen gestellt hatte, durfte natürlich der Stern Händels einsam glänzen; aber auch von Nicola Porpora, Tomaso Albinoni, Leonardo Leo, Ricardo Broschi, Johann Adolf Hasse, Jean-Philippe Rameau und Giuseppe Maria Orlandini war Schönes und Unbekanntes zu hören. Cecilia Bartolis neu gegründete barocke Haus-Banda Les Musiciens du Prince-Monaco unter dem versatil-unermüdlichen Gianluca Capuano machte viel Klangfreude.

Die Damen wechselten zum Teil die Roben und Stimmungen. Julie Fuchs ist eine Sopran-Virtuosa, aber vom Timbre her etwas austauschbar. Patricia Petibon begeistert immer noch als Händel—Cleopatra, Sandrine Piau ebenfalls. Gewohnt verhuscht: Nuria Real. Von den Mezzos zeigte die Bartoli ihre Klangpracht bei Händel und Duettinnigkeit mit dem (schnauztragenden!) Philippe Jaroussky. Lea Desandre ist technisch versiert, aber noch persönlichkeitsschwach. Vivica Genaux räumt immer noch mit stuppender Technik und blendendem Aussehen ab. Ann Hallenberg ist die warme Mezzoruhe selbst. Und als nur zweiter Counter hielt der fabulöse Christophe Dumaux die Stimmfachehre hoch. Am Ende waren alle notenvoll und ein wenig barockmüde, aber was für ein Brillantfeuerwerk der Stimmen uod melodischen Farben! Und natürlich lässt sich es La Ceci nicht nehmen, auf offener Bühne noch alle zum Selfie zu versammeln.

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