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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Countergipfel im Ceciland: „Alcina“, Engelssang und ein biblischer Brudermord – Cecilia Bartolis Salzburger Pfingstfestival 

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Kastraten, vulgo: Verschnittene also. Ist das in Salzburg sonst ein Thema? Hier promenieren zwar Inderinnen in XXL-Dirndl, Chinesen fallen beim Festungsfotografieren fast vom Makartsteg und als Parkgaragenpförtner fungiert ein Sikh. Aber um Gendertoiletten wird hier wohl noch nicht diskutiert. Umso mehr geht es darum aber in der Barockoper, und längst haben Cecilia Bartoli wie auch die Countertenöre als Kastratennachfolger ihr Publikum bei den Pfingstfestspielen. Alles, aber auch wirklich alles ausverkauft! Wer hätte das noch vor einigen Jahren gedacht. Und dass sich vorwiegend konservative Besucher auf solche Geschlechterverwirrungen in beinah all diesen Stücken ganz problemlos einlassen! Wie zum Beispiel in Händels „Alcina“ von 1735, immerhin bald 300 Jahre alt und immer noch bestürzend modern. Darin ist die Prinzipalin ganz allein mit dem französischen Counterstar Philippe Jaroussky. Denn Damiano Michielettos ein wenig schwachbrüstige, klischeeverhaftete Inszenierung verlagert sich schnell aus einer Empfangshalle in die düstere Psyche der Titelheldin, überlässt sie der Kraft ihrer Persönlichkeit. Richtig so. Die ist eine Zauberin, durch einen Spiegel steigt sie ins Spiel ein, die nicht einmal mehr die eigene Schönheit festhalten kann, geschweige denn den von ihr verhexten Lover. Händels modernstes Psychodrama gerät im Haus für Mozart zur einzigartig atemraubenden Entblößung einer Diva. Kämpft Cecilia Bartoli im realen Leben um jede Fotoshop-Falte, auf der Bühne ist sie ganz wahrhaftig und sie selbst. Jede einzelne Note scheint dabei sorgfältig gesetzt, jeder Atemzug offenbart Technik – und doch wird das ein ehrlicher Zweikampf zwischen zwei Künstlercharakteren, denen der schöne Ton egal ist, wenn er nur berührt. Jarousskys andrgyn knäbischer Ruggiero wird mal schrill, sie keift bisweilen, egal, dass hier zwei hohe Stimmen einen Liebeskampf um Mann und Frau führen: die Künstlichkeit der Oper lässt dies total real erscheinen. Und am Ende haben alle nur verloren.  

Fotos: SF/Mattthias Horn

Ebenbürtig ist den beiden, um sich, die Liebe und die Welt ringenden Hauptkontrahenten nur die Morgana, Alcinas vernachlässigte Schwester. Der gibt Sandrine Piau als resolute Empfangsschefin in diesem Hotel zur gar nicht schönen Aussicht handgreifliche Erotik und zupackende Soprankraft. Auch ihr bleibt nur noch wenig Zeit, ihre Sexträume zu verwirklichen Aber ob der flachstimmige Oronte, hier der Hotelpage, von Christoph Strehl der richtige ist? Wohl kaum. So wie auch der Melisso von Alastair Miles sehr angegraut klingt. Passt aber diesmal als Bradamantes müder Begleiter sehr gut zu der eigentlichen Braut Ruggieros, die ihn sich zurückerobert. Denn Kristina Hammarströms Mezzo tönt flau und uninteressant, hier gewinnt die Konvention, während Alcina, haarlos, grau, und erloschen wie tot am Boden liegt. Auch ihr Spiegle ist längst zerscherbt. Und dazu passt, dass nach und nach die Rüstungen und Wämser dieser Rittergeschichte nach Ariost wieder anekdotisch nach Bedeutung heischend zum Einsatz kommen, wo das Zentralgeschehen doch völlig zeitlos erzählt wird. Ach ja, und der Wiener Sängerknabensopran Sheen Park als Oberto wusste zudem zu begeistern.

In dieser Herberge zur 7. Händel-Glückseligkeit steht eine transparente Wand in der Bühnenhälfte. Die dreht sich, dahinter lauert das Unbewusste genauso wie die halbnackten Gefangenen Alcinas. Vereiste Äste senken sich herab, Videos zeigen Scherben, Wassertropfen, amorphe Köpfe, Fantasiegebilde. Alcina spiegelt sich als junges Mädchen und alte Frau. An sich braucht es all diese Spielereien nicht, weil sich sehr schnell alles darauf konzentriert, ob die Zauberin noch zaubern kann, oder ob ihre Zeit abgelaufen ist. Grausam und deutlich wird das Schwinden ihrer Macht vorgeführt, Cecilia Bartoli erspart sich nichts, den Schmerz, die Verzweiflung, die letzte Hoffnung, das finale Aufbäumen, die Laute einer gequälten Seele, die hier ich zu sechs mustergültig vielfältigen Arien zusammengefasst sind.

Und faszinierend folgt diesem Abstieg ins Schwarze Bartolis Haus-Banda Les Musiciens du Prince-Monaco, die sich extrem optimiert haben, mit den besten Alte-Musik-Ensembles mithalten können. Denn Gianluca Capuano entlockte ihnen immer neue Nuancen und Zwischentöne. Das ist so extrem mutig wie intonationssicher, spielt wirklich oft am Rande des Verstummens mit größter Präzision und Spannkraft. So wird diese alte Oper zum psychologisch grandiose Zweikampf zwischen Mann und Frau. 

Dem zwei geistliche Konzerte am Morgen im Mozarteum beigesellt sind, so hat das in Salzburg Tradition. Christophe Dumaux, mit Vollbart und shabby look ein wenig der Countertenor-Nerd, berührte als ausdrucksstark bereuender, von einer Posaune arienbegleiteter Kain in dem für Farinelli (in der Abel-Rolle) 1732 komponierten Caldara-Oratorium „La Morte d’Abel“, während Adam und Eva soviel Kanonikerwissen über die Erbsünde kundtuen, dass man sich wundert, wie dann überhaupt der Unfall mit dem Apfel passieren konnte. Doch das zurückhaltende Werk des Wiener Vizehofkapellmeisters, erstmals auf einen später noch oft verwendeten Text Metastatios vertont, begeistert durch seine stille Intensität des Leidens, besonders im zweiten Teil nach dem Mord an Abel, der hinter der Szene passiert. Lea Desandre (Abel) und Julie Fuchs (Eva) klingen in dem kompakteren Saal viel fülliger und individueller im Timbre. Nuria Real singt mit hellem Sopran den Engel und trägt ein seltsames rosa Umhängegewand, das wohlmöglich schon der jugendlichen Montserrat Caballé bei einem Kinderkrippenspiel gute Stoffdienste geleistet haben könnte. Nahuel di Pierro ist ein basssatter Adam, der Bachchor fügt zwei feine Vokalsätze dazu, und der offenbar über Bärenkräfte verfügende Gianluca Capuana steht diesmal beschwingt am Pult einer Formation namens Il canto di Orfeo.

Gastgeberin Cecilia Bartoli vermählt sich zum guten Festivalschluss noch – nach einem Vorspiel mit vitalem Vivaldi à la Cappella und Andrés Gabetta – kirchenmusikalisch mit einer weiteren Counterdiva: Auf das Schönste verschmilzt ihre Stimme mit der von Franco Fagioli in Pergolesis Stabat mater. Der Argentinier scheint vom Timbre und Virbratoeinsatz her wirklich eine männliche Bartoli E vero: Nur Engel singen schöner! Ob nach diesem himmlischen Vokalgenuss sich nicht vielleicht doch der eine oder andere in der falschen Salzburger Toilette wiederfand?  Das kann zumindest bei den nächsten Pfingsfestspielen nicht passieren. da geht es eindeutig um eine Frau: Pauline Viardot-Garcia hat es Cecila Bartoli angetan. Und ihr zu Ehren wird sie als Donizettis Norina debütieren.

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