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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Großartige Grube des Grauens: Mit „Macbeth“ beenden in Antwerpen Michael Thalheimer seine Verdi-Trilogie und Aviel Cahn seine Intendanz

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Macbeth, die Morde und der Müll. Es ist in der Regel durchaus vorhersehbar, wie man Giuseppe Verdis Shakespeare-Geniestreich aus seiner „Galeerenjahre“-Periode bebildert. Meist geht es nur noch darum, wie aktuell politisch oder schottisch mittelalterlich ferngerückt man diese blutige Diktatorengeschichte deutet. An der Opera Vlaanderen in Antwerpen, wo Michael Thalheimer seine dritten Verdi-Inszenierung herausgebracht hat, entschied sich der deutsche Theaterradikalreduzierer für die ihm gemäße, überzeitlich minimalistische Bühnenwelt. Henrik Ahr hat sie gebaut, Michaela Barth kostümiert und Stefan Bolliger ausgeleuchtet – hart, düster, ausweglos. In einer nach vorne hin aufgeschnittenen, bis auf ein Drittel der Prozeniumshöhe reichenden Wanne sammeln sich Schmutz, Schund und Unrat an, dinglicher und menschlicher – bis am Ende selbst die beiden ineinander verschlungenen Protagonisten dazwischen liegen. Darüber dräuen andrazithglänzende Wände, die einen Spalt zum Durchschlüpfen freigeben. Dahinter zuckt und blitzt es, Nebel wallt herein. Alle müssen sie in die Grube, Hexen, Könige, Soldaten, Hungernde. Oder sie lauern oben am Rand, wartend, aufgereiht, gleich wird es dann passieren.

Fotos: Annemie Augustijins

Geschickt hält Thalheimer in diesem, im Vergleich zu seiner Berliner-Ensemble-Theaterversion reichhaltigeren, vielschichtigeren „Macbeth“-Variante die Spannung und die Balance zwischen Ekel und Faszination gegenüber dem total Bösen. Ein grandioser, wie in Zeitlupe choreografierter Totentanz. Alle tragen dunklen Schottenrock, Westen und Leibchen auf nackter Brust, meist sind die Arme allzu schnell blutverschmiert. Eine barbarische Gesellschaft, bärtig, grob, langhaarverfiltzt, total unsympathisch. Und als Primadonna des Schreckens pflanzt sich, überschlank auf Plateausohlen, in großer Plisseerobe mit langem Aschblondhaar, als dark lady Marina Prudenskaya auf. Die legt ein tolles Rollendebüt hin, schneidend scharf, am Anfang noch vorsichtig in der Höhe, koloraturgewandt, durchschlagkräftig. The bitch is back! Als stets auf der Lauer liegendes Alien-Muttertier. Und endlich hören wir mal wieder die dunkle Mezzo-Tinta, die Verdi für dieses einzigartige Rolle vorschwebte. Ein Opernmonster der Spitzenklasse.

Viel schöne, schwarze Tinte versprüht auch Paolo Carignani am Pult des Symfonisch Orkest Opera Vlaanderen. Das tönt angemessen grell, ist spritzig bisweilen auch lauernd rhythmisiert. Ein beweglich, sehniger Verdi-Sound, der wie ein Fallbeil hernieder sausen kann, der aber nie knallig oder billig wirkt. Plötzlich steht da vibrant ein Fortissimo im Raum, Carignani kann den erzählerisch reichen Gegensatz zwischen gespannt flitzenden Tanztempi und abgründigen Bassschlägen. Auch die bärbeißige Komik, den Sarkasmus und die glühend nihilistische Leidenschaft dieser Musik macht er feinsäuberlich hörbar.

Craig Colclought ist ein etwas ungeschlachter, sehr authentischer Macbeth. Kein Jammerlappen, einer der mit seiner Lady tätlich kämpft, zwischen sexuellem Verfallensein und Horror alsbald sich selbst abhanden kommt. Eine ambige Gestalt, die als fieses Kampfschwein endet, auch vokal glaubhaft. Stark tönt der ruhige, seinem Schicksal entgegentretende Banco von Tareq Nazmi, der seinen schlanken Bass aber ganz schön auffahren, schrundig färben kann. Eher Typ eitler Tenorplärrer ist der eindimensionale Macduff von Najmiddin Mavlyanov, aber das rollendeckend; der Malcom von Michael J. Scott vokalisiert ebenfalls auf der dünnen Seite.

Am Ende rangeln er und Macduff um die Königskrone, die kaum an den Kleidern der Toten vom im Kampf um sie vergossenen Blut gereinigt wurde. Die wahre royale Regalie setzt sich dann aber ein Blut spuckendes Kind auf. Armes Schottland, patria oppressa! So hat es vorher der sehnige Chor gesungen. Wie wird das weitergehen? Nihilistisch, so wie man Michael Thalheimers Theaterweltsicht kennt. Und die vorwiegend geilen Hexen in weißblonden Donatella-Versace-Perücken, eine davon als ostentative Begleiterin der Intriganten, die weiden auch schon mal eine Leiche aus, dass die Därme fliegen. Das zwischen blutigen Luftschlangen und Karnevalkanonenkonfetti, mit denen vorher (die Koproduktion geht nach Düsseldorf!) wüst in der Half Pipe gefeiert wurde.

So beenden – szenisch wie musikalisch auf der Höhe, wenngleich nicht ganz so einzigartig surreal wie vor drei Jahren im Zürcher „Macbeth“ von Barrie Kosky und Teodor Currentzis  – Thalheimer nach „Otello“ und „Forza“ in Antwerpen eine eindrückliche Verdi-Trilogie und Aviel Cahn seine zehnjährige Intendanz. Möge die Opernmacht auch weiterhin mit ihnen sein.  

Der Beitrag Großartige Grube des Grauens: Mit „Macbeth“ beenden in Antwerpen Michael Thalheimer seine Verdi-Trilogie und Aviel Cahn seine Intendanz erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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