Die Dresdner Semperoper unter ihrem neuen Intendanten Peter Theiler hat kurz vor dem Ende von dessen erster Spielzeit noch einmal große aufgefahren: Unter vier Stunden kommt man aus der Premiere von Giacomo Meyerbeers Grand Opéra „Die Hugenotten“ nicht heraus. Und dafür setzte sich nach 20 Jahren sogar Altprovokateur Peter Konwitschny wieder an dortige Regiepult. Ende 1999 hatte es mit dem damaligen Intendanten Christoph Albrecht Zoff um die in die Schützengräben des ersten Weltkriegs verlegte, gar nicht mehr so operettige „Csardasfürstin“ gegeben, kopflos herumrennende Soldaten inklusive. Der Urheberrechtstreit endete vor Gericht. Danach wollte der damalige Regiegroßmeister nichts mehr mit der Dresdner Semperoper zu tun haben. Obwohl er dort vorher viele Erfolge gefeiert hatte. Die er später in Hamburg mit Ingo Metzmacher weiterführte. Dem Schweizer Peter Theiler gelang es jetzt mit diplomatischem Intendantengeschick, den 74-Jährigen, der inzwischen auch deutlich kleinere Inszenierungsbrötchen bäckt, an die Elbe zurückzuholen.Eigentlich sollten die 1836 als nie dagewesene Sensation gefeierten „Hugenotten“ mit der Pariser Oper koproduziert werden. Opulenz und Blutdurst, Glaubenskampf und Liebesleidenschaft, alles vor dem Hintergrund der roten Hochzeit der Operngeschichte, dem Massenmord an den französischen Protestanten in der Bartholomäusnacht vom 23. auf den 24. August 1572. Königin Katharina von Medici hatte das Massaker anlässlich der politischen Verheiratung ihre Tochter Margarethe mit dem Protestanten Heinrich von Navarra vermutlich selbst befohlen, dessen in Paris feiernde Glaubensgenossen wurden anschließend von den Katholiken niedergemetztelt. Darunter ist auch ein fiktives Liebespaar, der Protestant Raoul und die Katholikin Valentine, die beide von der Königin protegiert werden. Die Pariser Oper war freilich längst wieder ausgestiegen, zu groß waren den Verantwortlichen die Kürzungen und Umstellungen, die Peter Konwitschny an dem Vierstünder vornahm, aus dem jetzt mindestens 60, nicht immer subtil geschnittene Minuten fehlen. Das holpert zum Teil sehr in der farbenreichen Partitur, die Stefan Soltesz, auch damals beim Kálmán Konvitschnys Partner in Operetta Crime, am Pult der ordentlich spielenden Staatkapelle routiniert pinselt.
Vor allem der fünfte Akt, der nun im einsamen Solo eines auf der Bühne zwischen Leichenbergen stehenden Bassklarinettisten vertröpfelt, ist kaum mehr zu erkennen. Auch Katharina von Medici, die im AfD-blauen Hütchen als einzige zeitgenössisch gekleidete Figur die Schwerter für den Mord weiht, kam bisher eigentlich gar nicht vor. Angeblich soll es sich aber um eine Originalszene von Meyerbeer handeln, aus Zensurgründen seien die Königinmutter-Worte Valentines unversöhnlichem, ebenfalls erfundenen Vater St. Bris in den Mund gelegt worden. Darüber war bisher freilich in der Meyerbeer-Forschung nichts zu hören. Also doch eine der bekannten Konwitschny-Eigenwiligkeiten?
Drei lange, bisweilen französisch frivole Akte braucht der Regisseur, bis er langsam auf Betriebstemperatur kommt. Johannes Leiacker hat ihm dafür den perspektivisch sich verengenden Raum von Leonardo da Vincis „Abendmahl“ kopiert, der immer dunkler und abstrakter, schließlich zur nur noch feuerrot flackernden Todeszelle wird. Das Teilen des Brotes als Akt der christlichen Menschenliebe wird dreimal an einer Tafel nachgestellt, dann regiert nur noch Gewalt und Mord. Kostbar wallen dazu kontrastiv Samt und Seide in Renaissanceschnitten bei den blutrot gekleideten Katholiken, streng schwarz verhüllt sind die Protestanten.
Schwarzweiß ist auch Konwitschnys Personenführung, überraschend, sehr politisch oder gar aktuell wird er dabei nicht – trotz seines immer wieder aufblitzenden handwerklichen Könnens in einem weitgehend historistisch gehandhabten Stück um Engstirnigkeit, Fanatismus, unversöhnliche religiöse und politische Fraktionen. Gerade in Dresden hätte man da mehr Kante erwartet. Dafür erfreuen die niveauvoll zusammengestellten Gesangssolisten – allen voran John Osborns höhenstarker Raoul de Nangis, der freilich um seine letzte Arie gebracht wurde. John Relyea ist dessen bassgewandter Diener. Jennifer Rowley steigert sich mit leuchtendem Spintosopran als Valentine im großen Duett des vierten Aktes. Venera Gimadieva ist eine koloraturgiggelnde Königin von Navarra. Weniger als sonst zu singen hat leider auch der superbe Mezzo Stepanka Pucalkova als mit Lufballos flirtender Page Urbain. Sonderlob auch dem Männerchor. Einige Buhs bekam der für frühere Regiezuchtmeister-Verhältnisse ziemlich brave Peter Konwitschny am Ende dann aber doch ab.
Denn insgesamt war das wirklich Kontroverse an dieser Produktion nur das Plakat, das schon vorher für Diskurs sorgte: Starfotograf Andreas Mühe hatte die Ultras von Dynamo Dresden als gelbschwarze Fanatiker im Zuschauerraum der Semperoper spektakulär in Szene gesetzt. Diese ambivalente Sprengkraftraft freilich haben nun die szenischen „Hugenotten“ nicht. Schade, noch in seiner Genter „Jüdin“ hat Konwitschny mehr Pranke gezeigt. Und die nächste Grand Opéra samt Volksaufstand naht schon nächste Spielzeit: „Die Stumme von Portici“ in Dortmund.
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