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Die Gesellschaft ist aus den Operettenfugen: Laurent Pellys präzis-komischer „Barbe-Bleue“ in Lyon adelt das Offenbach-Jahr

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Es zahlt sich eben doch aus, wenn man Offenbach-Erfahrung hat. So wie jetzt an der Opéra National de Lyon, wo Komödien-Spezialist Laurent Pelly mit dem „Barbe-Bleue“ seine mindestens elfte Inszenierung seit 1997 im Namen dieses Komponisten vorgelegt hat. Hier offeriert nicht nur der gern auch ernste Noch-Intendant Serge Dorny alljährlich ein Herz für das Leichte, intelligent Unterhaltende, hier haben auch das Orchester und der Chor längst ihren Offenbach-Stil gefunden: spritzig, pikant, wortdeutlich, sehr beweglich, aber eben ohne Übertreibungen gleichsam trocken, wie nebenbei – das krasse Gegenteil zum knatternden Outrieren und dem albernen Dialoggeschrei kürzlich in „Madame Favart“ an der Pariser Opéra-Comique. Und Pelly bringt das Kunststück fertig, gleichzeitig witzig und leicht, aber eben auch ernsthaft und düster zu sein. Schließlich ist die in Frankreich durch den Märchensammler Charles Perrault besonders populäre Mär vom Ritter Blaubart, der immer sehr schnell seien Ehefrauen entsorgt und bereits bei Nummer sechs angelangt ist, ein durchaus ambivalentes Vergnügen. Depperte Dörfler, eine aufstiegssüchtige Kuhmagd, die mit ihren Reizen nicht geizt, intriganten Hofschranzen, ein seniler König und ein mörderischer Landjunker  – willkommen in der verrotteten Welt des zweiten Kaiserreichs, der der Köln Jakob Offenbach wie kein zweiter klangfeixend auf die Finger haute.

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Fotos: Opéra de Lyon/Stofleth

Bunt, frivol und unwiderstehlich moussiert bereits die Ouvertüre, der der junge, souveräne Michele Spotti den rasch wechselnden Takt vorgibt. Genießerisch schwelgt der in den Rubati und lässt die Rhythmen rotieren. Vor allem aber kann er wunderbare Steigerungen. Es öffnet sich, bis hin zum Misthaufen, ein tristes, graustichiges Dorf, links ramponierte Scheune, recht eine schiefe Wohnhütte, in der Mitte eine Bushaltestelle, an der nichts hält, um in die große, weite Welt zu entkommen. Bühnenbildnerin Chantal Thomas bricht das freilich, weil hinten Lokalzeitungswände stehen, die vorher genau von diesem Dorf  berichteten, indem bereits einige Jungfrauen abgängig sind. Sein dunkles Geheimnis hat auch einen Namen: Ritter Blaubart.   

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Der kommt ein wenig später, in der schwarzen Gangsterluxuslimousine, ein Typ wie der Clanchef einer Libanesenfamilie. Yann Beuron, früher der jugendliche Offenbach-Liebhaber, gibt ihn grimmig und kantig, sein einst lieblicher Tenor hat inzwischen einige Charakterecken. In der so rustikalen wie üppigen Boulotte („C’est un Rubens“) hat er schnell seine Meisterin – und Gattin Nummer Sechs gefunden. Héloïse Mas singt sie kratzbürstig wie sinnlich mit quickem Mezzo, zieht dabei nochlant die ganze Zuschaueraufmerksamkeit auf sich. Und Graf Oscar, der Minister des Königs (köstliche Knallcharge: Thibault de Damas) hat inzwischen in der landwirtschaftlichen Angestellten Fleurette (sopranfein: Jennifer Courcier) seine verlorengeglaubte Prinzessin gefunden, die freilich gleich noch den täppischen Verlobten Saphir (verkräht: Carl Ghazarossian) mitbringt.

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So spult sich das präzise zwischen Naturalismus und Stilisierung ab, Offenbachs feingewirkte Partitur gibt genau die Stimmung vor zwischen sentimental und irrwitzig komisch. Und so geht es schnell weiter ins Schloss, in seinem steifen Klassizismus französischen Regierungssitzen nicht unähnlich. König Bobeche (eine fiese Karikatur mit rotem Trump-Schlips: Christophe Mortagne) muss hier von allen, an erster Stelle von der pompösen Gattin (Aline Martin) in Schach gehalten werden, damit er nicht zu viel politischen Unsinn stiftet. Es hat sich im Laufe der Jahrhunderte wenig geändert. Und alle stolpern und plumpsen sie über den kreischbunten Teppich, von rechts bedroht von Klatschmagazinen als Seitenkulissen aus den bereits die Paparazzi-Kamerablitzlichter zucken.

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Und dann gibt es noch, immer die steile Treppe runter, die gruselige Anatomie des Alchemisten Popolani (ein hinterhältig-bedauernswertes Helfershelferwürstchen: Christophe Gay), wo unter funzeligem Laborlicht jeweils die Frauen entsorgt wurden. Nicht ganz: Popolani hatte sie nur betäubt, jetzt schlafen sie im Separée hinter den Leichenkammern und machen ihm Kummer, weil ihm ihre Liebesbezeugungen langsam zu viel werden: Auch ein Mörder ist eben nur ein Mensch! Das muss selbst die vom Ableben bedrohte, weiterhin nymphomane Boulotte feststellen.

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Das gesamte Ensemble treibt diesen Irrsinn, bei dem sich Blaubart noch dazwischenschieben will, um sich auch noch die Prinzessin zu schnappen,  gekonnt auf die Singspitze, das Orchester befeuert solches. Und Pelly behält zwischen grimmigen Momente und losgelassenem Operettenspaß immer alle Fäden in der Hand. Bis endlich Blaubart doch Boulotte bekommt und aushalten muss. Die fünf anderen, nach Streicheleinheiten dürstenden Ex-Gattinnen dürfte sich mit den vom König beiseite geschafften Galanen der König trösten. Genial. In Deutschland hat diese ziemlich aktuelle Mittelaltermär nie so Fuß fassen können wie Offenbachs Antike-Parodien. Zu scher wog wohl das Walter Felsenstein-Vorbild, dessen Musterinszenierung samt übertriebenen Ritterdekor sich vier Jahrzehnte an der Komischen Oper hielt, zuletzt haben sich in Cottbus Steffen Piontek in Cottbus und neuerlich an der Komischen Oper Stefan Herheim (schnell wieder abgesetzt!) daran abgearbeitet.

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In Lyon aber wird das  alles sängerisch luxuriös ausgebreitet und herrlich musiziert. Die Kollektive steigern ich gegenseitig zu surrealer Anarchie wie Fast-Aushebelung aller gesellschaftlichen Schichten. Und das Publikum geht voll ab. Heller Jubel. So kommt das Jubiläumsjahr zum 200. Offenbach-Geburtstag in der ersten Spielzeithälfte zu einem schönen Saisonfinale. Und in Salzburg wartet schon Barrie Kosky mit dem „Orpheus“. Für die München-Übernahme von Serge Dorny kann man allerdings nur hoffen, dass er sich sein großes Herz für musikalische Späße auch dort bewahrt. Und so wohlmöglich neue Staatsopernakzente setzt?

Der Beitrag Die Gesellschaft ist aus den Operettenfugen: Laurent Pellys präzis-komischer „Barbe-Bleue“ in Lyon adelt das Offenbach-Jahr erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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