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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Tosca auf dem Sunset Boulevard: Puccinis Primadonnen-Reißer in Aix als feuchter Traum der Opera Queen

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Das hätte sich selbst die größte Operntunte nicht in ihrer feuchtesten Träumen erdacht: gleich zwei Toscas auf einer Musiktheaterbühne! Und dazu die Kostüme der Callas, die Tebaldi und die Price im Programmheft, Kabaiwanska und Crespin im Video. Und Catherine Malfitano, immer wieder! Als die bedeutende Floria, die sie war, aber eben auch als heute ältere, von ihren Erinnerungen zehrende Dame und als anonyme Primadonna, die hier während eine Dokumentation über ihre Karriere eine ikonographische Rolle rekreiert, vitalisiert, immer mehr in und hinter ihr verschwindet. Zudem Erinnerungen an zwei klassische, ebenfalls längst super-campe Hollywood-Dekonstruktionen, Bette Davis als alternde Schauspielerin in „All About Eve“ und Gloria Swanson als gewesener Stummfilmstar Norma (!) Desmond in „Sunset Boulevard“, die spielen natürlich auch mit. Ist dieser erste Puccini im 71. Festival d’Aix-en-Provence-Jahr als Eröffnung der Ära Pierre Audi also programmatisch? Hoffentlich! Denn seit 1998 Stéphane Lissner dort das Zepter übernahm, hat sich unter ihm und seinem Nachfolger Bernard Foccroulle dieses französisch charmante Midi-Musikfest von seinen Anfängen weit entfernt. Wurde hier einst nur Mozart, Barock, Belcanto und ein wenig Moderne gespielt, immer eher mittelgroß, mit Stars und der honigfarbenen Sandsteinwand des Palais d’Archevêché als rahmender Kulisse, so ist auch hier der große Koproduktionszirkus mit den oft gleichen Regienahmen eingezogen. Audi, über 30 Jahre Chef der Dutch National Opera (wo auch die Malfitano Tosca sang) steht dafür, hat diese ebenfalls mit-gemacht, aber er sucht daneben andere Repertoirewege. Wie zum Beispiel dieser Versuch eines „Tosca“-Neuansatzes aus dem Geist ihres nostalgisch-sentimentalen Spielplanstellenwerts, erdacht vom vorwiegend als Filmregisseur arbeitenden Christophe Honoré: La Diva is ready for her Close Up!

Fotos: Jean Louis Fernandez

Eine Kathedrale der Erinnerung. In dem der Star von Gestern jetzt einem Comeback  entgegenhechelt. Alban Ho Van hat ein Appartement als Melomanen-Memorabilia-Schrein gebaut. Alles für die im Seventies-Sessel thronende Prima Donna. Hinten ist freilich – Zitate zuhauf – der originale Aix-Erzbischofsbrunnen als Patio-Versatzstück im New Yorker Appartement zu sehen. La Malfitano ziert sich noch, alles hat ihrem Willen zu gehorchen, auch wenn jetzt ihr junger Butler (Jean-Gabriel Saint Martin) die Meute hereinlässt, um sie für die Filmaufnahmen noch einmal der gierigen Welt zum Fraß vorzuwerfen. Sie will es ja auch! Es gibt verwirrend viele Gleichzeitigkeiten, Stück und Metaebene kommen samt Chorkindern und Nebenrollensängern in Shorts, die duch diese Opernprobe/Master Class wuseln, noch nicht wirklich in Einklang. Selbst bei dem schleppenden Daniele Rustioni und dem Orchestre de l’Opéra de Lyon (wohin die Produktion weiterwandert) ruckelt es vernehmlich.

Genüsslich spielt sich die Diva bei der Demonstration für die Kameras in den Vordergrund, mag auch nach ihrem „Mario! Mario!“-Auftritt das Feld nicht der eigentlichen Interpretin überlassen. Und die, Angel Blue in Jeans und Hoodie (Kostüme: Olivier Bériot) hat es natürlich doppelt schwer, gegen die immer noch charismatische, ihren Platz einfordernde Malfitano und gegen die Galerie übermächtiger Vorgängerinnen, die hier raum- und seelenfüllend beschworen werden.  Doch ausgerechnet im „Vissi d’arte“ schafft sie das dann doch sehr berührend.

Denn jetzt ist sie wirklich Opfer eines MeToo-Übergriffs geworden, nicht nur durch Scarpia im Stück, sondern auch durch die sich langweilenden Männer in der Bühnenkitchinette, die freilich inzwischen am Majordomus ihre unerfüllten Lüste auslassen. Der freilich wird später auch zum bezahlten Call Boy der sich nach menschlicher Nähe verzehrenden Diva. So wie sie vorher schon den Tenor im Bett hatte, ohne dass etwas passiert, weil sich der, Joseph Calleja spielt ihn erstaunlich engagiert und singt nach rauem Beginn mit fester Attacke und weichem Passagio, in Alpträumen an seine Folter erinnert, die nur im Kopf stattfindet.

Zwei Bühnenrealitäten verwischen sich hier, dazu kommen die gefakten Dokumentarfilmer und die echten Fernsehkameras, realer Regen, der die Vorstellung anfangs etwas verspätet und die Provence-Sterne, die im dritten Akt wolkenlos leuchten, wenn neben einem Engelsburg-Modell mit Kerzen, so wie sie am Ende des zweiten Aktes die Prima Donna nicht traditionell um den toten Scarpia, sondern um sich selbst inszeniert, die Malfitano auch noch den Hirtenknaben spielt und singt. Die interessant gebrochene Stimme besitzt plötzlich höchste Wahrheit.

So wie Angel Blue in ihrem „Tosca“-Tune. Das der Schönheit geweihte Leben der apolitischen Diva, nun ist es auch ein Offenbarungs- und Befreiungsmoment der Sängerin, die als Bühnenfigur auf einer weitere Bedeutungsebene gedemütigt wurde. Sie liegt heulend und gekrümmt am Boden, auf den geschlossenen Seitenteilen des Wohnzimmerns flimmern stumm die Callas und die Kabaivanska als Wiedergängerinnen. Doch Angel Blue singt beherzt und mit sich aufschwingendem Ton gegen die Legenden an. Kreiert ihre ganz eigene Tosca, auch wenn sie verschwindet und im Zeffirelli-Kostüm der Callas wiederauftritt. Solche Kleiderfetische, Salome mit Jochanaan-Kopf, Butterflys Selbstmord-Kimono samt Perücke, das blutige „Lucia di Lammermoor“-Hochzeitskleid, breitet der ebenfalls emotional aufgewühlte Assistent auf der Couch aus. „Poussières d’Amour“ hätte der schwule Opernverrückte Werner Schroeter diese Nostalgie-Fetische genannt.

Doch im dritten Akt driftet dieses Nachdenken über „Tosca“ noch weiter ab. Jetzt sitzt als Hauptperson das Orchester auf der Bühne, Rustioni hat längst eine weichen, satten, samtigen Puccini-Sound gefunden. Angel Blue im goldenen Starsopranistinnenkleid und Joseph Calleja im Smoking machen jetzt Opernkonzert, distanziert und doch berührt. Alexey Markov hat hier stückimmanent nichts mehr zu melden, leider wurde der markante russische Bassbariton als eigentliches Regieopfer Scarpia vorher unter Vokalwert verkauft.  Und die Malfitano? Die stakst erst in einer weiteren Verwandlung/Häutung, als Klytämnesta am Stock durchs Publikum auf die Szene, und schneidet sich mordmäßig wie selfiegeil nach Aufmerksamkeit gierend in einem letzten Akt der Selbstdarstellung – „Quest è il bacio di Tosca“ – auf der Galerie der orangenen Kulissenrückwände, die immer noch nach Papstkastell aussehen, die Pulsadern auf. Vorher war sie noch als Salzburger „Mahagonny“-Jenny (das Stück steht aktuell auf dem Aix-Spielplan) über die Leinwände gegeistert.

So viele Querverweise! Doch nun ist die doppelte und dreifache Diven-Apotheose zu Ende, kaum eine halbe Stunde später spaziert die reale Malfitano über die Place de la Mairie, die Wirklichkeit ist zurück. Und die „Tosca“-Mythologie, sie wurde bereichert um eine nicht ganz aufgehende, Anlaufzeit brauchende, aber dann unterhaltende, auch camp-vergnügliche Monstre-Sacré-Facette.

Der Beitrag Tosca auf dem Sunset Boulevard: Puccinis Primadonnen-Reißer in Aix als feuchter Traum der Opera Queen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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