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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Die Drag Queen beim Wagner-Sängerkrieg: In Tobias Kratzers neuem „Tannhäuser“ setzen die Bayreuther Festspiele einmal mehr ihre Hügel-Selbstbespiegelung fort

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Das Bayreuther Festspielhaus ist ein prima Kino, das wussten schon die amerikanischen Besatzer, die hier nach dem Zweiten Weltkrieg für einige Zeit ihre Truppenlichtspiele einrichteten. Zudem eignet sich Richard Wagner hervorragend als Filmkomponist, wie er in der über 100-jährigen Geschichte des belichteten Zelluloids bewiesen hat. Und so fliegt es sich zur Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele 2019 gleich beim „Tannhäuser“-Beginn ganz wunderleicht per Operndrohne über den Sehnsuchtsort Wartburg. In all ihrer touristischen Schönheit liegt sie da, und von Valery Gergiev luxusklangbegleitet geht es erst langsam choralgemessen, dann fanfarenkeck und rhythmisch bewegt weiter durch Thüringens Haine und Flure – bis Manuel Brauns entfesselte Kamera einen altmodischen Kleinlaster-Töff (nein, kein Wartburg!) ins Visier nimmt.

In dem hat es sich, freudig erregt und wohlig in die Kurven gehend, ein sehr seltsames Kleeblatt wohnlich bequem gemacht. Von einem Beuys/Schlingensief-Hasen auf dem Dach bewacht sitzt da Frau Venus im rückenfreien Pailletteneinteiler am Steuer des Liebeslasters – Elena Zhidkova, macht das mezzoschlankschrill, aber mit vollem Körpereinsatz als sehr konkrete Person. Neben ihr hat ein ziemlich trauriger Zauselclown Platz genommen – Tannhäuser, liebeskrank und heimwehsatt. Hinten sitzen noch zwei Gefährten, denen es ebenfalls im dauersexualisierten Venusberg fad geworden ist: Oskar Matzerath, der Grassche Blechtrommler (Manni Laudenbach) und Le Gateau Chocolat, eine schwarze Drag Queen, die schon mal ihrer Garderobe für Kommendes sortiert.

Fotos: Enrico Nawrath

Ein Quartett der Außenseiter steht also im Mittelpunkt dieses „Tannhäuser“, wie ihn sich der Regisseur Tobias Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier erdacht haben. Die Liebesgöttin mit zweifelhafter bis gar keiner Moral. Der abgeirrte Minnesänger, der zum verlachten Spaßmacher herabgesunken ist. Ein Zwerg. Und ein farbiges Transgender-Wesen. So ist Bayreuth, mit zudem einer Frau wieder mal an seiner Leitungsspitze, mittenmang im gesellschaftskritischen Dialog.

Von der echten Wartburg, die ja freilich nur eine falsche, weil historisierend im 19. Jahrhundert wiederaufgebaute Fiktion ist, wollen diese Sinn- und Seelensucher gar nichts wissen. Ihr Gralstempel der anderen Art offenbar sich erst später: Wagners Festspielhaus, auch auf einem grünen Hügel über einer einstmals grünen Aue gelegen. Den Weg weist vom Fahrrad aus die quellklarfrisch singende Katharina Konradi als hirtenknäbliches Bayreuther Einlassmädel in Blau. Und auf der Straße samt Sicherheitsabsperrung ziehen die fein gekleideten Festspielbesuchter, von Eberhard Friedrich bewährt angeleitet, den Pilgerchor singend zu ihrem Opernmanna.

Das alles vermischt sich ganz vorzüglich mit den Filmeinspielungen. Und mit der Jagdgesellschaft des Landgrafen (mächtig bassbärbeißig: Stephen Milling), offenbar den Sängern aus dem Festspielhaus, in freilich altväterlichem Kostüm. Auch Elisabeth schaut kurz vorbei – erst im Bademantel, später als blonde Mittelaltermaid, wie auf den Sammelbildchen von Liebichs Fleischextrakt, so lugt sie zwischen den Park bevölkernden Ottmar Hörlschen Plastigwagnerwichteln hervor.  

Vorher freilich sang sich Tannhäuser noch ausführlich seinen Frust aus dem nimmermüden Tenorhals von Stephen Gould. Toll macht er das – immer noch, debütierte er doch 2004 in dieser Rolle auf dem Hügel. Will er modern oder altmodisch sein als freier Künstler, der sinnlich schrankenlosen Liebe der Venus folgen oder den eher keuschen Sympathiebekundungen der heiligen Elisabeth? Auf jeden Fall will er ein anderer sein, als im letzten, trübselig gehassten Bayreuther „Tannhäuser“ von Sebastian Baumgarten. Als das Gefährt an einem mit viel Lachern bedachten Straßenschild „Zur Biogasanlage“ vorbeikommt, klebt da einer gerade den „mangels Nachfrage geschlossen“-Sticker drauf, so wie eben jenes befremdliche Deko-Element von Joep van Lieshout längst geschreddert ist.

Aus dem Venusberg ist er draußen, wenn auch nicht endgültig, in der Festspielhaus-Wartburg ist er noch nicht wieder angekommen, also überfallen Tannhäuser & Co einen Burger King (es gibt Tote!), gegessen wird dann in einem abgeranzten Märchenpark neben Frau Holles Hütte. Chocolat kommt als notgeiles Schneewittchen wieder und gemeinsam pflastern sie alles mit ihren Flugblättern und Plakaten, die die Venus fabriziert hat: „„Frei im Wollen! Frei im Thun! Frei im Genießen!“, so handeln sie gemäß der sozialrevolutionären Parole vom Meister selbst. Später wird die Banderole am Königsbalkon hängen.

Sie schmückte auch bereits vor acht Jahren, damals überfiel man eine Bank, jetzt die Wartburg/Festspielhaus, die erste Tobias-Kratzer-„Tannhäuser“-Inszenierung in Bremen. Und diese Reverenz ist nicht die einzige, denn auch die neue Produktion reiht sich ein in die inzwischen recht lange Reihe Bayreuther Bühnenselbstreflektionen, wie sie immer dichter und auch immer schwieriger zu entschlüsseln sein werden. In der ersten Pause wird von der Venusgang der Teich vor dem Festspielhaus mit Discosongs beschallt, der eben noch als Fake auf der Bühne schimmerte.

Und wenn Le Gateau Chocolat in bibo-gelber Puschelrobe später durch den Bayreuther Dirigentengang gen Bühne stöckelt und vor Christian Thielemanns Bild sich in Pose wirft (so wie der kleine Oskar, vor dem tief gesunkenen James Levine Halt macht), dann meint das natürlich auch die „Schwarze Venus“ Grace Bumbry, die 1961 hier mit dem „Tannhäuser“ ihre Weltkarriere begann. Und am Ende des zweiten Aktes, in der größten Verwirrnis, wenn hinter der Bühne die Inspizientin alias Katharina Wagner die Polizei gerufen hat, diese den Hügel hochjagen und als Statisten die Bühne stürmen, dann wirft die flamboyante Drag Queen die Regenbogenflagge über die Harfe – hier gilt es wirklich und ganz absolut der Kunst – in jeder Ausprägung.

Davor aber galt es eher dem Festhalten, einer wie auch immer sich legitimierenden Tradition. Die zweigeteilte Bühne zeigt unten einen altfränkischen Wartburgsängersaal aus den Opernfifties, oben aber die live flimmernden, virtuos gehandhabten Backstage-Videos von heute. Und wir sehen, dass auch die offenbar selbstmordgefährdete Elisabeth keine Heilige ist, wohl schon vor Tannhäuser was mit Wolfram hatte – Lise Davidsen singt trotzdem bereits die Hallenarie mit der glockenmächtigen Siegesaura eines künftigen hochdramatischen Sopranstars inmitten des ganz normalen Wahnsinns eines langsam aus dem Ruder laufenden Opernaufführung. Die Venus hat sich nämlich unter die Knappen gemischt, und mischt, „Fanget an!“, den gar nicht mehr manierlichen Song Contest auf. Tannhäuser jetzt wieder ganz brav, möchte da mittun, sich am Ende sein Foto abholen. Am Schluss freilich ist Chaos. Aber auch der Höhepunkt der Pointen überschritten.

Kratzer weiß nämlich nicht nur zu gestalten, sondern auch mit seinen Mitteln hauszuhalten. So wie das auch, noch etwas ruckelig in den Tempi und mit Wacklern in den Ensembles, aber oft auch lyrisch fein fließenden, bunt kolorierend, und ohne jede Feierlichkeit dahinschmetternd, Valery Gergiev mit dieser noch juvenil draufgängernden Partitur tut. Die nämlich klingt immer noch nach großer, romantischer Oper. Auch wenn ein wenig der individuelle, der souveräne Zugang fehlt.

Romantisch, aber eher melancholisch, ja sogar beckettgrau mutet dann der still verdämmernde dritte „Tannhäuser“-Akt an. Die Bühne ist jetzt ein Schrottplatz zwischen dürren Bäumen. Tannhäuser kommt hier wieder wie später dann der wissende, aber desillusionierte Parsifal. Vorher aber singt der echt fertige Wolfram (Markus Eiche ist trotzdem mit seinem Labsalbariton schön als Bayreuther Eigenvokalgewächs herangereift) einen Abendstern der besonderen Art an: Ein Werbeplakat von Gateau Chocolat und seinem Uhren-Franchise; der nämlich hat die Kunst verlassen und ist in den Kommerz gegangen. Wolfram im Clownskostüm und die in ihrem Gebet die Zeit sopranstillstehen lassende Elisabeth hausen hingegen in dem verwahrlosten Lieferwagen, schieben einen letzten Quickie. Dann bringt sie sich doch noch um.

So endet eigentlich tief verzweifelt, was frohgemut begann. Tannhäuser, der sich einmal zwischen beiden Welten entscheiden konnte, weiß nicht mehr, wo er hingehört. Ihm bleibt nur noch die Partitur, die er stets mitgeschleppt hat und die er jetzt verbrennt. Elisabeth liegt tot in seinem Schoß, die Revoluzzer-Venus wurde Feme, und auf der Leinwand geht es in den letzten Sonnenuntergang einer falschen Utopie. Jeder Diskurs um die Kunst, aber auch um Fleisch und Seele, Venus und Maria, er erübrigt sich. Bravi und Buh – wie immer in Bayreuth.

Der Beitrag Die Drag Queen beim Wagner-Sängerkrieg: In Tobias Kratzers neuem „Tannhäuser“ setzen die Bayreuther Festspiele einmal mehr ihre Hügel-Selbstbespiegelung fort erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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