Ein Fazit gleich vorweg. Bei einer Diskussion mit einigen der beim vierten Rosendal Chamber Music Festival auftretenden, von Leif Ove Andsnes eingeladenen Künstlern wurde schnell deutlich: Obwohl kammermusikfestivalgestählt, fanden die meisten die sommerliche Spiel- und Musizierausbeute ganz besonders. Gerade weil Dmitri Schostakowitschs Musik so janusköpfig ist, zwischen Schmerz und Groteske pendelt, aber immer erkennbar bleibt, sei die Fülle von 18 Stücken in vier Tagen plus die Auseinandersetzung mit Zeitgenossen, Vorläufern und Nachfolgern so außerordentlich spannend gewesen. Man ist tief befriedigt und freudig erfüllt, auch wenn man traurige Musik gespielt hat. Ein sehr intensives Erlebnis, darin sind sich alle einig.
Und während sich draußen das Wetter etwas eingetrübt hat, tiefhänge Wolkenschleier dem Tal am Fjord und dem Schlösschen samt Gärten eine ganz neue, verwunschene Poesie geben, biegt das Festival mit noch einmal zwei sehr dichten Konzerten in der Scheune in eine fantastische Schlusskurve. Vormittags werden die Beziehungen Schostakowitschs, auch der sowjetischen Musik als solches, zu jüdischen Klängen untersucht. Dazu steht die klezmer-verbrämte Ouvertüre nach hebräischen Themen von Prokofiew in einer Fassung für Klarinette, Streichquartett und Klavier am Anfang.
Klar, dass hier wieder Anthony McGill mit seinem immer wieder neuen Farbenspektrum gefordert ist, das Quatuor Danel und Marianna Shirinyan sind die nimmermüden Mitspieler. Ähnliche Motivik findet sich auch im vierten Schostakowitsch-Streichquartett, nochmals eine lohnende Aufgabe für die Danels, die wiederum mit dem Klarinettensolisten auch „Zwei Skizzen über Hebräische Themen“ von Alexander Krein (1883-1951) bestreiten. Schostakowitschs Liedzyklus „Aus der hebräischen Volkspoesie“ muss man sich dazu denken, er wird nicht aufgeführt. Dafür mündet das Konzert schließlich in dem noch einmal neue Stimmungen ausbreitenden und verarbeitenden zweiten Klaviertrio, für das sich Veriko Tchumburizde mit ihrem glasklaren Geigenton, Clemens Hagen am vollgriffig ausgepielten Cello und Leif Ove Andsnes als dezenter, aber auch zupackender Pianist auf dem Podium zusammengefunden haben.
Denn nachmittäglichen Schlussakkord für dieses Jahr setzen dann noch einmal eine originelle Kombination von Werken. Anthony McGill startet solistisch mit den virtuos verblendeten Drei Stücken für Soloklarinette von Igor Strawinsky, ein Klassiker, der nun auch diesen zeitlebendigen Rivalen im Geiste Schostakowitsch noch zur letzten Session ins Rosendal-Spiel bringt. Dem antwortet der so störrische, wie individuelle, klangüberraschende und während dieser vier Tage liebgewonnene Alexander Vustin (der sich zudem ein letztes Mal in seiner bescheiden-linkischen Art verbeugt) mit seiner „Widmung“ für Cello, Marimba und Klavier, der sich Amelia Stalheim, Kristoffer Almas und Andsnes sorgfältigst annehmen.
Andsnes sitzt auch zunächst links, später recht an einem der beiden Flügel, als er zum virtuosen Pausenbeginn hin mit Marc-André Hamelin erst das witzig-verspielt Strawinsky-Concerto für zwei Klaviere hintastet und -rast, dann das Allegro aus Schostakowitschs 10. Sinfonie und als Zugabe Strawinskys elefantöse Zirkuspolka.
Als echtes Finale gibt es die von Viktor Derevianko sehr schrägt für Klaviertrio und 13 Perkussionsinstrumente arrangierte 15. und letzte Schostakowitsch-Sinfonie als dessen orchestrale Fazit zu hören. So entbeint und reduziert überrascht einmal mehr das Spiel mit dem Material wie den Formen. Man wird mit Schostakowitsch einfach nicht fertig. Kann es ein besseres Festival-Resümee geben? Zumal auch dieses finale Opus von den PERCelleh-Boys, Christian Krogvold, Sonoko Miriam Welde und Clemens Hagen mit wildem Temperament und feinstem instrumentalen Können aufgeführt wird.
Doch Rosendal als wirklich besonderes Musiktreffen unter Freunden hat noch eine allerletzte Spezialität zu bieten: das gemeinsame Abschluss-Dinner im Blauen Salon der Baronie. Unter Kerzenlüstern und Meißner Porzellan wähnt man sich wie im Bergman-Film „Fanny und Alexander“. Die beiden französischen Chefs fahren noch einmal auf, Champagner perlt, Wein fließt, letztes Toasts und Dankesreden werden gesprochen.
Und dann sind in Norwegen die Ferien aus, und das Rosendal Chamber Music Festival ist vorerst wieder Geschichte. Doch den 6. bis 9. August 2020 kann man bereits im Kalender reservieren. Und auch wenn die Themenwahl nicht so besonders anmutet, zum 250. Geburtstag natürlich Kammermusikgigant Ludwig van Beethoven gedacht werden muss, die Programm- und Künstlerfreundauswahl von Leif Ove Andses wird sicher wieder so mache Überraschung auf Lager haben.
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