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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Stalinschnautz und Baumwollbauch: Karin Beier inszeniert in Hamburg „Die Nase“ als expressiven Sowjet-Ulk, Kent Nagano härtet Schostakowitsch

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Bodyshaming!! Lauter hässliche, fette, faltenreiche, schlaffärschige und zudem nackte Leute auf der Bühne der Staatsoper Hamburg! Zum Glück für den Kritiker aber alle nur im kampagnenneutralen Fatsuit. Das ist die, bisweilen mit Kittelschürzen, Koppeln und Schirmmützen veredelte Standardkostümierung, in der der wieder einmal seltsam flau verhuschte, sich nicht richtig trauende Chor unter Eberhard Friedrich (der in Bayreuth so viel hehrere Wunder tut) als meist kleiderlose Hundertschaft paradiert. Mit dem sozialsatirischen St. Petersburg der Novellenvorlage Nikolai Gogols vom aufgeblasenen Major Kowaljow, dessen Nase abhandenkommt (gemeint ist natürlich auch ein unterhalb der Gürtellinie situiertes Körperteil) und der seine gesellschaftliche Stellung verliert, während der jetzt autarke Riechkolben zum Staatsrat aufsteigt, hat diese Neuinszenierung wenig zu tun. Und auch nicht mit den futuristisch-kommunistischen Operndiskussionen, denen der vom Meyerhold-Virus infizierte Dmitri Schostakowitsch 1930 als 22-Jähriger „Die Nase“ höchst umstritten, aber erfolgreich ins Gesicht schoss. Obwohl sich die Ausstattung von Stéphane Laimé (Bühne, auch für den riesenhaften Riecher an der Fassade zuständig) und Eva Dessecker (Kostüme) etwas fantasiearm genau auf dieses Klischee einschießt.

Fotos: Arno Declair

Kommunistisch roter Lackvorhang, Fahnen, kyrillische Schlagwörter, Drehbühne, Zerrspiegel, Filmscreens, Treppen, ein Turmgerüst, ein Teigfladen abkackender Monsterofen, da werden wieder einmal die schrillen Twenties beschworen, ohne dass ihr Geist wirklich erfüllt wird. Und gerade bei diesem Stück ist es allzu naheliegend. Der Hundertminüter besteht eigentlich nur aus filmschnittigen Szenen, dahinwalzenden Zwischenspielen, schrägen Parodien, wilden Perkussionsorgien, radikal raffinierten Rhythmen, fiesen Fugen und als lustvolles Chaos arrangiertem knalligem Krach.

Dem gilt es eine Form zu geben, optisch wie akustisch. So wie dies Kent Nagano gelingt, unerbittlich disparate Disharmonien teilend, sich in periphere Polyphonie verästelnd. Der Lärm aus Trillerpfeifen, kreischigem Blech, und Streicherostinati wird nicht zu mutwillig, die leisen Stellen bekommen Kontur und Tiefe. Die Hamburger Philharmoniker meistern das, nach anfänglichen Ruckeleien, als sei’s ein Kindermusikspiel. Auch das vielfach geforderte, in unbequemste Lagen getriebene Vokalensemble mit dem einmal mehr exzellent in eine modernen Rolle den Abend vokal wie darstellerisch an sich reißenden Bo Skovhus (Kowaljow), dem näselnden Gideon Poppe (Diener Iwan), dem scharf quakenden Andreas Conrad (Wachtmeister), Levente Páll (Barbier) und Bernhard Bechthold (Nase) singt und schreit solches scheinbar mühelos.

Nein, wir wollen jetzt nicht ins Detail gehen. Es gibt sie ja zuhauf, die schmutzigen Witze, die davon handeln, wie sich angeblich der männliche Gesichtserker zu anderen, weiter unten platzierten Körperteilen verhält. Auch Karin Beier, Directrice am Hamburger Schauspielhaus und heute im nahen Opernhaus jenseits der Binnenalster nach langer Zeit mal wieder metierfremdgehend tätig, kennt sie alle. Und das mitlachende, am Ende höfflichen, mit einem Bühchen durchsetzten Applaus spendende Publikum kennt sie offenbar auch. Schließlich hat sich Baier doch zum furzige Finale noch eine solchen erlaubt: Kowaljow, der seine Nase endlich wieder hat, sieht etwas Penisähnliches durch die Gegend getragen werden und schaut gleich in seiner Hose nach, ob noch alles da ist. Man kann ja nie wissen! Entwarnung. Blackout.

Das schrille, zwischen Balalaika und Bumbum oszillierende, 77 Rollen auffahrende Werk über Paranoia und Kastrationsangst soll auch seine Revuenummern haben. Die hier überwiegend als Nackedei-Reigen der allgegenwärtigen Schutzpolizei mit Stalinschnauz abschnurren. Da bleibt einem dann doch das Schmunzeln im Halse stecken. Darf man über den so harmlos ausstaffiert lachen? Baier hangelt sich durch Zitate einigermaßen ästhetisch abgesichert an einem Konzept entlang, füllt es mit Routine, ohne aus dem bewusst flach gehaltenen Stoff inhaltlich etwas Neues zu destillieren. Das Schostakowitsch-Karussell rotiert, die Klangwalze rollt, die Entertainment-Message funktioniert. Und wenn das satte Dutzend Schlagwerker auf der Bühne losschmettert, dann gibt es sogar Szenenapplaus. Da wird dann auch kaum registriert, dass sie per Videofahrt durch Hamburg wenigstens momenteweise Zeitbezug herstellen will, die diktatorische Überwachungsgesellschaft auch auf heute bezieht.

Als einziger naturhaft gebliebener Mensch zwischen Popanzen, die die Hand zum deutschen Gruß recken,  wird so der tolle, zwischen Charakterbariton und traurig im Stimmungsdunkel schwankende Bo Skovhus zum Wahrhaftigkeitssymbol unter all den Knallchargen (besonders parodiespaßig: Hellen Kwon, die die abhanden gekommene Nase im Brotteig findet). Es singt rührend naiv auf Deutsch (in der Übersetzung der Komischen Oper von Ulrich Lenz), möchte seine Integrität bewahren und ist doch zum Schluss, die Nase ist wieder dran, auch nur eine ausgestopfte Marionette wie die anderen. Der Preis ist allzu hoch. Kowaljow, dem die Nase abgeht, trägt erst eine Art abgebissenen Schweinerüssel, dann ein schwarzes Loch als Stigma im Gesicht. Ja, es geht auch, so absurd es abläuft, um Ausgegrenztsein.

Skovus gibt dem Opus eine ehrliche Direktheit. Er macht aber auch deutlich, dass dem juvenilen, nach der Uraufführung erst einmal für 45 Jahre in Russland verbotenen Formalismusschwelgen des frechen Spund Schostakowitsch nicht selten die Puste ausgeht und dass sich die Erzählstränge lockern. Karin Beier aber sieht das nur in Maßen kritisch, die nostalgischen Unterhaltungswirbel toben weiter. Das eigentlich brav nacherzählte Anarcho-Radaustück, Nagano brilliert darin wie schon 202 an der Berliner Staastoper, bleibt dabei weitgehend, wie es ist. Die Regie spitzt die wild und mutwillig gegen alle Kunstkonventionen verstoßende Satire höchstens comichaft zu, verfällt freilich wieder der süßen Honigfalle der üblichen Konstruktivismusoptik expressionistischer Sowjetbauart.

Schade, man möchte doch so gerne mal eine Inszenierung sehen, die diesem virtuosen Revolte-Opus  auch ein bös-gehaltvollen Bedeutungsunterbau gibt, statt sich immer nur in virtuoser Bühnenbespaßung zu genügen. Immerhin die aber gelingt Karin Beier ganz vortrefflich.

Der Beitrag Stalinschnautz und Baumwollbauch: Karin Beier inszeniert in Hamburg „Die Nase“ als expressiven Sowjet-Ulk, Kent Nagano härtet Schostakowitsch erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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