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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Karlsruhe I: Auch Arminios schöne Reste können uns entzücken

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CenciSind noch 25 oder gar 30 Prozent übrig? Nein, hier geht es um keine archäologische Zahnbürstenspurensuche, sondern nur um die beaux restes, der vielgeloben „Arminio“-Inszenierung des regieführenden Countertenor Max Emanuel Cencic bei den Karlsruher Händelfestspielen. Am Sonntag hatte es einen schweren Bühnenunfall gegeben, deshalb ging die letzte Vorstellung für dieses Saison (nächstes Jahr folgt die Wiederaufnahme!) ohne Drehbühne, Statisten und auch sonst mit viel Nichtmehr über die jäh zum Stillstand gekommene Szene.

So war’s bis auf die urkonische Fast-Kastrationsszene eines ursprünglichen Kastraten (!) kurz vor dem guten, aber natürlich historisch nicht ganz korrekten Opernschluss mehr Konzert im (prächtigen) Kostüm. Was Gelegenheit bot, den eben in weitgehend identischer Besetzung auch bei Decca erschienen „Arminio“ einmal entspannt akustisch unter die Lupe zu nehmen. Und man wunderte sich: Wie kann es sein, ausgerechnet in Deutschland, wo doch der Germane Hermann hier so gut wegkommt, dass diese Meisterwerk aus Händels inspirierter späten Opernzeit, bisher so sträflich vernachlässig wurde? Da finden sich drei sehr schöne Duette, kraftvoll-melodiöse Arien, ein überschaubares und einigermaßen logisch agierendes Personal und viele Instumentalgelegenheiten für das abwechslungsreich klingende Orchester!

George Petrou und seine Period Players von Armonia Atenea setzten das wie gewohnt mit präziser Lockerheit und entspannt ausbalancierten Tempi um. In der heroischen Tenorarie des Varo „Mira il ciel“ kommen dann im dritten Akt auch noch zwei Hörner hinzu, und Juan Sancho durfte mit konzentrierter Energie und einem Quentchen Selbstironie den Hunk geben, der er eigentlich gar nicht ist. Wie überhaupt mit weitgehend ausgeschalteter optischer Ablenkung die wirklich gut zusammengestellte Besetzung den weiter geöffneten Ohren schmeichelte. Pavel Kudinov (auf der CD: Petros Magulas) war als Segeste ein verlässlicher Verräter und Prachtexemplar eines fiesen Schwiegervaters, Owen Willetts (im Studio: Xavier Sabata) sang mit geläufiger Altus-Gurgel seine nicht nur nebensächlichen Begleiterarien als Hauptmann Tullio.

Arminio

Foto: Falk von Traubenberg/Staatstheater Karlsruhe

Doch vor allem das Protagonistenquartett war ein sehr besonderes, so wie Anno 1737, als Händel im aussichtslosen Londoner Verdrängungskampf mit der „Opera of the Nobility“ (dem schließlich beide Konkurrenten zum Opfer fielen) nochmals einige Vokalasse aus dem Spitzenärmel gezogen hatte. Der dem Soprankastrat Gioachino Conti, nach seinem Lehrer Gizzi Il Gizziello genannt, zugedachte Segeste-Sohn Sigismondo war bei Vince Li in den besten Händen. Der exzellierte nicht nur mit dem hohen C in seiner besonders bravourösen Schlussarie „Bella fiamma“ samt sanft ihn umspielender Solooboe, der erweist sich immer mehr als ein feinsinnig und gaggewandter Countertenor-Komiker. Zumal ihn Cencics Regie selbstironisch als wunderbar liebenswerte, weil gutherzige Rokoko-Puderquaste führt und ausstaffiert. Ein wenig schlampös spielte und sang auch Ruxandra Donose mit lebenserfahrenem Mezzo dessen spätes Mädchen Ramise, gleichzeitig Schwester Arminios.

Layla Claire lässt ihren schwerlosen, dennoch körperhaft strahlenden Sopran längst auch an der Metropolitan Opera und bald auch in Salzburg erklingen. In Karlsruhe war sie jetzt eine wunderfeine, selbst in der Verzweiflung edel aussehende Arminio-Gattin Tusnelda. Kein Tusschen – eine Primadonna. Der die einst für die ausdrucksgewandte Anna Strada de Pò komponierten Lamenti besonders gut in der Kehle schmeichelten. Dominanter Herr der Opernlage war selbst in der nur grollend akzeptierten temporären Fastnulllösung Max Emanuel Cencic in der Titelrolle. Ein drahtiger Gewinner der Teutoburger Schlachten wie Notenrouladen. Eine männliche Victoria im Brokatornat wie im vom Schatten der Guillotine befleckten Gefangenenhemdchen, zickig, schnippisch, aber stets mit großer Klangallüre wie anrührenden Pianissimo-Nuancen glänzend. Dieser Arminio müsste ab jetzt wirklich endlich seinen nachhaltigen Siegeszug über die Barockopernbühne antreten.

Händel: Arminio (Decca)

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