Eigentlich wollten wir das gar nicht weiter erwähnen. Aber jetzt hat die Geschichte sogar ihren Weg ganz groß in die sonst so seriöse „New York TiBrugs Klassikermes“ gefunden, da muss es wenigstens kommentieren werden. Vor kurzem trug der inzwischen in New York lebende österreichische Neutöner Georg Friedrich Haas dem Internet-Magazin „VAN“ ein sehr besondere Story an: Bisher außer durch seine Kompositionen nicht sonderlich verhaltensauffällig geworden, um seine drei gescheiterten Ehe wussten wohl nur Eingeweihte, präsentierte er sich in Wort und Bild im grauen Strickpulli neben einer voluminösen schwarzen Nackten mit kurzgeschorenen, blondgefärbten Haaren und gepiercten Brüsten. Wer das kryptische Stück genau las, dem dämmerte schließlich, worauf der 62-jährige Staatspreisträger hinaus wollte: Er sei Sadist und könne mit seiner neuen Frau Mollena Williams-Haas endlich seine Fetischfantasien ausleben, denn sie sei Masochistin. Und mehr noch, die Autorin und Bondage-Spezialistin führt selbst den Blog „The Pervert Negress“, wo sie davon schwärmt, wie toll es sei, sich als Schwarze einem Weißen als ihrem „Herrn Meister“ total unterwerfen zu dürfen.
Soll sie doch. Und mag das tolerante Paar privat machen, was es will, aber muss das wirklich die Öffentlichkeit in so penetranter Form mitgeteilt bekommen? Coming Out als Fremdschämen? Allein am Output von Haas, der sich angeblich seit seiner sehr besonderen Triebentspannung verdoppelt hat, kann man es noch nicht nachprüfen. Zwar hat er als guter Österreicher, der sich mit dem Treiben in Klöstern und Kellern offenbar gut auskennt, bereits Oper über sexuellen Missbrauch („Bluthaus“) und das ein wenig zu voyeuristische Sterben eines Schwulen („Thomas“) komponiert, auch sein frühes Stück „…aus freier Lust…verbunden“ hört man nun vielleicht mit anderen Ohren. In seiner letzten großen Uraufführung, der melancholiesatten Oper „Morgen und Abend“ nach Jon Fosses Stück über Geburt und Sterben, die an der Covent Garden Opera herauskam und ab 29. April an der Deutschen Oper Berlin nachgespielt wird, überraschte der für seine insistenten Obertöne berühmt-berüchtigte Professor an der Columbia University höchstens mit einem sehr viel leiseren, gelassen friedlichen Klangbild.
Für den 17. und 18. März ist freilich in München und Berlin mit dem Münchener Kammerorchester und dem Rias-Kammerchor unter Alexander Liebreich die Uraufführung der Chorwerke „3 Stücke für Mollena“ angekündigt. „Ich habe mir für dieses Stück so ziemlich das Schwerste vorgenommen, was man als Komponist Neuer Musik machen kann“, lässt Haas dazu mittteilen. „Nämlich glückliche Musik zu schreiben. In vielen Jahrzehnten habe ich ein ausgiebiges Repertoire der Dunkelheit erarbeitet und wollte jetzt aus gegebenem Anlass genau das Gegenteil machen.“ Aha. Eine Hommage an die Gattin. Kinky und zufrieden. Schön für ihn. Aber wir hätten diese Musik vielleicht lieber ohne diese Assoziationen auf uns wirken lassen.
So wie an einem zeitgenössischen Publikum Mozarts zumindest verbale Vorliebe für Fäkalien und Flatulenzen vorbeigegangen sein dürfte. Schon die Madrigale des Gesualdo di Venosa haben daran gelitten, dass wir dabei immer dessen Doppelmord, begangen inflagranti an Ehefrau und deren Liebhaber, mithören müssen. Jean-Baptiste Lully hat König Ludwigs Pagen begrabscht, Tschaikowsky für seinen Neffen geschmachtet, Benjamin Britten kleine Jungs wohl nur platonisch begeht. Das wussten, wenn überhaupt, nur die engsten Kreise. Ihre Musik wurde trotzdem schon zu Lebzeiten beliebt und berühmt.
Wie herum Schubert war, ist bis heute strittig, ähnlich ist es beim Haas-Namensvetter Georg Friedirch Händel. Schumann war trotz acht Kindern möglicherweise bisexuell, jedenfalls syphiliskrank; zudem hatte der junge Brahms möglicherweise was mit Clara. Richard Wagner soll lila Seidenunterwäsche getragen haben, klingt deshalb „Parsifal“ anders? Puccini hat sein Dienstmädchen geschwängert, Alma Mahler hat ihren Mann betrogen, Maurice Ravel hatte wohl nie Sex. Soll vorkommen. Doch selbst Richard Strauss, der sein Eheleben in der Oper „Intermezzo“ und in der Sinfonia domestica sehr öffentlich gemacht hat, ließ nie hinter die Schlafzimmertüre von Pauline blicken. Man hat schließlich das unangenehme Gefühl, die Musik des schwulen Kanadiers Claude Vivier findet zumindest auch deshalb Beachtung, weil er von einem Stricher ermordet wurde.
Keine Sexten ohne Sex, schon klar. Was aber bekommen wir, wo Donaueschingen offenbar nun einen Unterleib hat und diesen befreite, als Nächstes aus der Triebabteilung des Seriellen, Spektralen und Mikrotonalen zu hören? Dass Matthias Pintscher gern peitscht, Wolfgang Rihm Windeln liebt, Olga Neuwirth auf Fesselspiele steht, Jörg Widmann nicht nur seine Klarinette sondern auch ein Schaf herzt, Enno Poppe es nur in Gruppe und Manfred Trojahn only in Gummi kann? Bitte nicht!!!
Mögen diese letzten Geheimnisse der Produktionsprozesse Neuer Musik uns erspart und zumindest bis zu ersten Post-Mortem-Biografie verborgen bleiben. Oder möchte Georg Friedrich Haas, dass wir uns jetzt bei seinem Konzert für vier Alphörner wirklich nur noch über Phallus- und Potenzfantasien Gedanken machen?
Der Beitrag Georg Friedrich Haas: Kinky und glücklich. So what? erschien zuerst auf Brugs Klassiker.