Es war an der Zeit: An allen großen deutschen Opernhäusern hat man Otto Nicolais wunderhübsche Spieloper „Die lustigen Weiber von Windsor“ seit Dekaden nicht mehr gesehen. Aus purer Ignoranz, oder man weiß halt mit dem Genre nicht mehr umzugehen. Selbst am Uraufführungsort von 1849, an der Berliner Staatsoper, war man seit 30 Jahren premierenfrei. Verdis „Falstaff“ gab’s seither mehrere Male. Nun aber orchesterkochte der Generalmusikdirektor höchstselbst. Und Daniel Barenboims Ouvertürensuppe war durchaus gelungen, sonst aber ereignet sich so manche Wagner-Schwerfälligkeit, und im Finale klappert der Chor deutlich hinterher. An der Wortverständlichkeit mangelt es ebenso. Man merkte selbst bei den hochmögenden Sängern: die sind so viel „Witz, heitre Laune, die tollsten Schwänke, List und Übermut“ gar nicht mehr gewöhnt, wissen nicht wirklich, wie das zu präsentieren ist. Aber sie geben sich echte Mühe.
So wie Mandy Fredrich als berlinernde Spielmacherin Frau Fluth, auch im echten Sopranistinnenleben schwanger, die hier Gürckchen futtern darf und nach dem Morgenübelkeitseimer rennt. Am Ende gibts dann eine Sturzgeburt. Ihr heller Sopran könnte aber noch etwas mehr glitzern oder keckern wie das die Staatskapellen-Holzbläser tun. Deren Nachbarin Frau Reich, die erstmal den Franzmann-Schwiegersohn in Spe, Doktor Cajus (schön blöd: David Oštrek), zum Frühstück vernascht, fränkelt in der pastos orgelnden Gestalt der hornhautrubbelnden Michaela Schuster. Herr Fluth, mit Golfschlägern und viel Wut bewaffnet, gibt Michael Volle wotanschnaubend als schwäbelnd explodierendes HB-Männchen. Gatte Reich wird von Wilhelm Schwinghammer am Wurstgrill bayerisch verhackstückt.
Dann sind da noch die Youngsters, angepunkte Grufties, die süße Anna (Prohaska) tschilpt auf dem Dach neben der Wäschespinne, wo sie aus „Romeo and Juliet“ als Shakespeare-Restsüße deklamiert; hinter der Satellitenschüssel schmachtet mit ebenfalls süßem Tenorton Dauerkavalier Pavol Breslik sie an. Linard Vrielink radelt auf dem Faltvelo krähend den Junker Spährlich. Und als bühnenfüllender, dabei ein wenig dröger Falstaff schiebt René Pape höchstselbst die unterm knappen T-Shirt rausflutschende, arg naturalistische Fatsuit-Wampe in den Hinterhof-Pool, gibt sich dabei stimmlich bisweilen sehr vornehm. Dafür macht er dann mal weinerlich den Grönemeyer.
Dabei ist doch alles ein wenig schäbig hier. Wir sind an einer West-Berliner Peripherie, Achtzigerjahre. Mit Hundeknochen-Portabeltelefon, Vorstadtweibern, die Prosecco und Härteres trinken. Die Büsche sind beschnitten, die Bungalows in Reihe angegammelt. Bei seiner ersten Berliner Operninszenierung wollte Komödienspezialist David Bösch samt Ausstattungsteam (Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold) in Jugenderinnerungen schwelgen. Also sind die detailpusselig, aber auch arg trashy ausgebreitet. Vor allem der dicke Ritter ist – riecht der? – zu pennerhaft geraten. Warum soll sich den selbst die Reineckendorfer Hausschlampe von so einem erotisch aufräumen lassen? Trotzdem veranstaltet auf der Terrasse Herr Fluth regelmäßig sein Spandau Chainsaw Masscre.
So freut man sich an der gelungenen, vitalen, charmanten Musik, die man lange nicht mehr gehört hat. Und bedauert bei aller durchaus gelungenen Komödienlustigkeit, dass man für die offenbar mangels Übung kaum noch den rechten Ton finden. Immerhin, der Schluss vor einem schmutziggrauen Monstermond mit Betttuchfeen, einem Männerelfenpaar und Kitkat-Lederfaunen, der hatte was. Und besser als die ähnlich angelegte, aber viel langweiligere „Falstaff“-Produktion der Staatsoper sind diese „Lustigen Weiber“ allemal. Dürfen wir wohlmöglich nun wieder auf Lortzing und Flotow hoffen? Oder heißt es nach wie vor: „Martha, Martha, du entschwandest“?
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