In Karlsruhe gibt es die relativ unzerstörte Südstadt. Durch die führt die Wilhelmstraße. Hier kommt man in rascher Folge und in gar friedlicher Koexistenz an Afro Hair und Aloha Tattoo vorbei, aber auch an der Pizzeria Gigi, einem Döner-Kiosk, dem King Seng Chinahimmel sowie dem Pfälzer Weinhäusel. Am Ende der Straße aber, im Staatstheater, da ereignet sich gegenwärtig das Allerexotischste im badischen Winkel überhaupt, die Händelfestspiele, die dritten in Deutschland, zum nunmehr 39. Mal, wie stets um den Händel-Geburtstag am 23. Februar herum.
Denn dann ist plötzlich Countertenorgipfel in der Provinz. Drei der allerbesten (neben vier anderen) sind dieses Jahr sogar mit dabei: der versatile Charakterdarsteller Max Emanuel Cencic als Regisseur und Titelrollenspieler in „Arminio“, der Vokalpyromane Franco Fagioli in zwei Konzerten und der lyrische Elegiker Valer Sabadus mit einem Lautenabend (kommt noch!) und der Wiederaufnahme des „Teseo“ mit ihm als leading man.
Und man bemerkt wieder mal befriedigt: (Fast) nichts Schöneres gibt es, als wenigstens zwei von 42 Händel-Opern hintereinander. Denn da wiederholt sich nichts, da werden Unterschiede evident, überraschen Variationen, klingt es eben kaum gleich und wie von der Arien-Stange. Schon gar nicht, wenn neben der späten Seria „Arminio“ der frühe, 1713 uraufgeführte „Teseo“ steht, der noch ganz nach seinem französischen Lully-Vorbild einen eben gar nicht italienischen Geist offenbart; auch wenn selbstredend in diesem Idiom gesungen wird.
Spannend zu hören, was der junge, experimentierfreudige Komponist diesem adaptierten Stilmix für klangliche und gestalterische Lösungen entlockte. Mit kürzeren Arien, einer ganz anderen Dramaturgie (die Hauptperson taucht erst im zweiten Akt auf), mit tänzelnden Furien und anderen Überraschungen. Da die Vorjahresinszenierung von Daniel Pfluger mit ihren Holztreppen, der Schwebewand, den lieben 3D-Videos und den esoterischen Kostümen zwischen Veggie-Yedi-Ritter und tanzendem Derwischkönig mit Drahtkrone sich so komisch nach Montessori-Schule ansieht, aber nicht weiter ablenkt, hat man viel Zeit, über solches nachzusinnen.
Zudem hört man sehr gelassen, den wieder fein zusammengestellten Stimmen zu: dem an Testosteron gewinnenden, aber immer noch von einer ephebenhaften Zartheit durchpulsten Valer Sabadus samt seinem weiblichen Contra-, nicht Counterpart, der bissfest artikulierenden, mit wie gestochenen Koloraturen aufwartenden Yetzabel Arias Fernández als Geliebter Agilea; deren eigentlich klar konturierter Sopran eine apart dunkle Färbung aufweist. Von dem sich wiederum der rubinrote, kostbar erdig sämige, dabei freibewegliche Mezzo Roberta Invernizzis als Medea mit blonder Widderhornperücke (ja, ja, das goldenen Vlies!) wirkungsvoll abhebt.
Ein bei Händel ungewöhnlich witziges niedrige, aber durchaus mit einer amourösen Biografie versehenes Paar sind der Counter Terry Wey als Vasall Arcane mit knappiger Topffrisur und die gewitzt-sopransilbrige Larissa Wäspy als seine Freundin Clizia. Und der dritte Countertenor, Flavio Ferri-Benedetti macht mit leicht schriller Tongebung als schnell hysterischer König Egeo bella-Händel-figura. Sogar die anfangs etwas schlapp spielenden Deutschen Händel-Solisten unter Michael Form ließen sich mitreißen.
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