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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Es sprudelt aus der Händel-Pipeline: Bejun Mehta wird an der Mailänder Scala als eroberungslustiger Julius Cäsar bejubelt

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Er möchte gern bei seinem Rollendebüt als Händels Giulio Cesare dasselbe Alter haben wie der echte Imperator, hat Bejun Metha immer gesagt. Nun hat der Countertenorstar es erreicht – fast. Cesar war 52 Jahre alt, als Cleopatra samt Nase ihm die Sinne verdrehte.  Mehta ist 51, fährt mit dem Jeep vor und lässt jetzt mit stolzgeschwellter Erobererbrust und harmonisch gerundeter Stimme seine erste Arie „Presti ormai l’egizia terra“ souverän im Logenrund der Mailänder Scala erschallen. Er tut dies in moderner Kampfuniform, hinter ihm lässt Gideon Daveys aufgeklappte Wüstenfototapete keinen Zweifel daran, dass man es hier mit einer Kulisse zu tun hat. Auch Robert Carsens Regie bleibt im Folgenden schnörkellos direkt und ohne Pop-Zitate. Sie erzählt geradlinig, aber mit einem wachen Augen für Ironie und Entertainment eine in vielen herrlichen Barockarien sich entfaltenden Geschichte von Krieg, Politik, Geschäft und Liebe. Denn ersten Lacher gibt es schnell, wenn ausgerechnet in Anwesenheit von dessen Frau Cornelia und Sohn Sextus der Kopf von Cesars Rivalen Pompeius in einem blutigen Pappkarton gebracht wird – der Überbringer ist nämlich ein samt Limousine vorfahrender Araber: also so einer wie der beabsichtige Saudi-Sponsorenprinz, der Noch-Intendant Alexander Pereira im Austausch von Aufsichtsposten gegen Bakschisch letztlich seinen Kopf gekostet hat. Und ein weiterer Schädel samt Singapparat und daran hängender Dame ging hier verloren: Denn eigentlich sollte diese erst sechste Händel-Premiere an der Scala der Auftakt für ein dreiteiliges Barockprojekt für Cecilia Bartoli werden, mit dem sie ihr italienisches Comeback feiern wollte. Doch wegen der Querelen um die Vertragsverlängerung ihres Förderers Pereira stieg der Mezzostar aus und wurde vertragsbrüchig. Statt einer uralten Carsen-„Semele“ als Vehikel für ihre nicht mehr knusperfrischen Vokalmöglichkeiten gibt es nun im Herbst 2020 dessen Wiener „Agrippina“-Inszenierung. Aber ob dann 2021 noch die geplante Loy-„Ariodante“ aus Salzburg folgt, das weiß nur Pereira-Nachfolger Dominique Meyer.

Fotos: Brescia Amisano

Egal, der hier ungewohnte Händel aus dessen bester Opernzeit 1724 gefiel auf ganzer Linie, hielt das barockungeübte, mit Szenenbeifall nicht geizende Publikum geschickt bei der Aufmerksamkeitsstange. Ist es doch erst die zweite „Cesare“-Inszenierung nach der nur viermal gegebenen Erstaufführung 1956 von Margherita Wallmann; mit Gianandrea Gavazzeni am Pult und Nicola Rossi Lemini (als basssingender Cäsar), Virginia Zeani (Cleopatra), Franco Corelli (Sextus!) und Giulietta Simmionato (Cornelia), beinfrei und in schrägen Teppichfransenroben.

Heute freilich erzählt Robert Carsen fast nachrichtlich kühl in klaren, einfachen, schnell wechselnden Bildern ein Machtspiel und Liebesdrama, Arienrevue und Politsatire. Er braucht keinen exzentrischen Ägypterprunk und keine campschrille Dekadenz. Die Handlung von Händel und Nicola Francesco Heym fesselt auch so. In schnellem Wechsel gibt es fotorealistische Sandhügel mit Stacheldraht und Feldlager samt Gym oder fast karge  Ägypter-Gemächer im modernen Pharaonenstil mit Laptop und Hausbar auf pseudoantikem Mobiliar sowie Beton-Hieroglyphenreliefs, wo die Götterfiguren Maschinenpistolen tragen. Man kämpft zeitgenössisch, aber kleidet sich wieder arabisch orthodox.

Sehr witzig, wie Carsen beim offiziellen Treffen Cäsars mit dem intriganten Verlierer Ptolemäus dieses als Clash of Culture inszeniert, der sich im diplomatischen Kleideraustausch aus Fendi-Türen und Berberteppichen manifestiert. Apropos Teppich: Cleopatra rollt librettogerecht als Sklavin Lidia verkleidet aus einem solchen; am Ende wird ihr von Sextus erschossener Bruder in einem weiteren Webwerk entsorgt. Carsen gibt sich einfach, agiert aber beziehungsvoll.

So wie er auch die Bartoli vergessen machende Danielle de Niese subtil immer glamouröser aufleuchten lässt. Erscheint die anfangs ebenfalls als Mann in Kämpfernatur, hüllt sie sich dann in einfache Tracht. Die fantasmagorische Parnassusszene inszeniert sie für Cesar im Samtsessel als Heimkinotraum, wo sie selbst die Stummfilm-Cleopatra neben Claudette Colbert, Vivian Leigh und Liz Taylor gibt und des Kaisers Licht als im Loïe-Fuller-Stil tücherschwenkende Art-Deko-Motte umflattert. Später räkelt sie sich cocktailschlürfend im Lotterbett. Schließlich badet sie sexy im Goldzuber in der notorischen Stutenmilch; um final als Geschäftsfrau im rosa Businesskostüm emanzipiert aus der Tracht zu schlüpfen und den lukrativen Pipeline-Deal mit den Römern abzuschließen.

Das Rohr wird aufgedreht. War die Liebe zuvor wohlmöglich nur eine Vorlage zum Zwecke, ausgefochten mit den wahren Waffen einer Frau? Zumindest hat Danielle de Nisse, auch wenn die Stimme an sich kaum Besonderes hören lässt, die Höhe nie wirklich blüht, die Verzierungen oft nur angedeutet sind, ein gutes Paket vokaler wie visueller Arsenale zu bieten. 14 Jahre nach ihrem Cleopatra-Sensationserfolg als Bollywood-hüftwackelnde Dancing Danny in Glyndebourne erweist sie sich also immer noch als glänzende Garantin dieser, ihrer Schicksalspartie.

Auch Georg Friedrich Händels zwischen feinen Scherzen und echtem Gefühl schillernde Arienabfolge würde einen historischen Wirtschaftsdeal zwischen Vernunft und Gefühl naheliegen. Giovanni Antonini am Pult des längst auch Alte-Musik-erfahrenen Scala-Orchesters dirigiert entsprechend mit sensiblem Sentiment und langgezogenen Tempi. Die Musikser füllen den großen Raum, in der Continuo-Gruppe finden sich können wie Soloharfenistin Margret Köll. Er kann aber auch anziehen, die Puppen schnurren und tanzen lassen. Auf geschickt verknappte drei Stunden und 45 Minuten kommt der Dreiakter mit einer Pause; in Bartolis und Antoninis Salzburger Produktion dauerte es ungestrichene fünf Stunden.

So wird es nie langweilig, selbst wenn sich Cornelia und Sextus in ihren getragenen Verzweiflungs- und üppigen Traurigkeitssoli samt himmlischem Duett als Finale-Erster-Akt ergießen. Sara Mingardo tut das mit nach wie vor dunkelwarm und legatoschwingend sich entfaltender, dabei schlanker Mezzostimme. Der Arme ringende Philippe Jaroussky kommt inzwischen in den hektischen Koloraturarien an leicht meckrige Countertenorgrenzen, aber hat immer noch die Spannkraft und den lyrischen Reichtum für die reich ausziselierten kontemplativen Soli.

Wie schon Jaroussky 2012 neben der Salzburger Cleopatra der Bartoli, ist im Countertenor-Quartett auch wieder Christophe Dumaux als Ptolemäus mit von der Mailänder Partie. Sein Intrigant ist noch wuchtiger, strahlkräftiger, mächtiger geworden, ein echter Cesar-Gegner auf Augen- wie Stimmhöhe, keine schwächelnde Inzest-Kreatur. Herrlich geraten so die Vokalduelle zwischen ihm und Bejun Mehta. Der klingt voll und konzentriert, setzt wirkungsvoll sein Spitzen und weiß sehr geschickt mit den noch immer üppigen Ressourcen umzugehen. Als Figur lässt er sich nicht wirklich in die Gefühlskarten schauen, als Künstler überzeugt er einmal mehr durch seine Präsenz, Intelligenz und Musikalität. Im selten  hörbaren Abendschein einer extrem langen Karriere eine fulminante Leistung. Und er wird als letzter traurig gewesen sein, dass ihm die Bartoli mit ihrem gezielt gesetzten Charme und bühnenfüllendem Charisma jetzt nicht gefährlich wurde.

Es könnte also durchaus sein, dass die Mailänder auf den nächsten „Giulio Cesare in Egito“ nicht nochmal 63 Jahre lang warten müssen…

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