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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Mit „Tosca“ ging die Zärtlichkeit: In Hannover verrennt sich die Regiebegabung Vasily Barkhatov in einem Prälaten Scarpia als Missbrauchsopfer

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Viele Wege führen nach Rom. Aber nicht ganz so viele sinnmachende zu dort angesiedelten „Tosca“. Schrecklich realistisches Quälodram! Jede Puccini-Note steht für Action. Nicht ist dem Regiezufall überlassen, alles vorgegeben. 17. Juni 1800, mit Datum, Uhrzeit, historischen Ereignissen. Der heutige, selbstbewusste Inszenator muss sich da auf das Prokustesbett des Realismus festschnallen lassen – plus Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Nicht schön. Und dabei hieß es doch immer: Mit „Tosca kam die Zärtlichkeit“. So wie einst für diese heute als Oma-Duft für die Frau ab fünfzig belächelte Duftkreation aus dem Hause 4711 geworben wurde (auch Montserrat Caballé hielt den Flakon einmal auf Anzeigen hoch), mit einem Hauch von großer Opernwelt, der doch nur provinziell roch, mit vorgeblicher Allüre und Passion, so betont altmodisch macht das heute kaum einer mehr. Natürlich auch nicht Vasily Barkhatov, einer der hierzulande geypten russischen Jungregisseure, Jahrgang 1983.  Der hatte Laura Berman als Operndirektorin in Basel einige Erfolge beschert. Klar, dass der jetzt auch bei ihrem Hannoveraner Intendantinnen-Start mit dabei ist. Und weil die Amerikanerin mutig mit Raritäten loslegt – nach der hervorragend gelungenen „La Juive“ folgt bald als erste Operette das gerade wieder entdeckte Paul-Abraham-Bijoux „Märchen im Grand-Hotel“ – muss es dazwischen was Populäres sein. Deshalb halt „Tosca“. Aber bitte nicht populistisch!

Fotos: Karl und Monika Forster

Barkhatov hat viel Gehirnschmalz eingebracht, das praktisch-knappe „Tosca“-Libretto umzumodeln. Und zwei Akte, wenn auch mit Verbiegungen, funktioniert das. Seine Lesart, nennen wir sie heutig modisch Narrativ: In einem nicht festgelegten Schurkenstaat, wo man aber immer noch italienisch heißt, ist Scarpia ein machtvoller Prälat, der mit der Polizei paktiert und alles darf. Sein Problem, oder seine zwei: Er wurde als Kind von einem Priester missbraucht und lässt das hier vom Messner mit einem blonden Kapellenknaben zumindest andeuten. Und dann liebt er Tosca als seinen Fetisch. Die aber ihn nicht. Also benutzt er wiederum sie, Cavaradossi und Angelotti (wovon Tosca aber nichts weiß), um sich von ihr bei einer versuchten Vergewaltigung abstechen zu lassen. Er selbst ist zwar brutal, erkennt aber seine Schuld, kann die freilich selbst nicht rächen. Tosca wird also zum Mörderinnenwerkzeug.

Das ist natürlich noch mehr Kitsch und Kolportage, als sie schon Giacosa & Ilica aufgeboten haben. Sei es drum, handwerklich bekommt Barkhatov mit seinen willigen Mitspielern das durchaus in den Griff. Auch weil ihm Zinovy Margolin eine praktikabel vielseitige Einheitsbühne gebaut hat. Die zeigt zunächst, es gibt ein stummes Vorspiel mit Videosprechblasen zum besseren Verständnis, Scarpias heutig eingerichtetes, zweigeteiltes  Arbeitszimmer, wo auf dem Flachbildschirm Wahlprognosen laufen – statt des Kriegs gegen die Franzosen. Gerade gewinnt Partei Napoleon. Das aber ist sekundär, denn vorne bedroht Scarpia mit Spolettas Hilfe Angelotti und seine (Statisten-)Schwester, als Gegenleistung für ihr Leben bei dem Komplott mitzutun.

Bald aber fährt der flache Raum hoch, und offenbart dahinter eine Art Kreuzgang in nüchternem Grau – Ersatz für San’Andrea della Valle –, in dem der zum Herrgottsschnitzer mutierte Maler Cavaradossi  an einer großen Krippe werkelt, während hinten auf einer Tribüne die Vorbereitungen zu einem Weihnachtssingen (dem späteren Te Deum) laufen. „Merry Christmas“, steht da, was eher in eine zeitgeistig aufgepimpte „Bohème“ passen würde. Zum ersten Finale kommt das Zimmer wieder halb runter, und wir sehen Scarpia von dort oben singend in Nebengelass wollüstig in Tosca-Fanartikeln wühlen.

Der zweite Akt läuft weitgehend so ab wie immer. Tosca gibt ihr Konzert unten im Krippenarrangement, Angelotti und Cavaradossi werden oben nochmals auf ihre Rollen eingeschworen, schreien muss der Schnitzer im Nebenzimmer. Kurz bevor Scarpia sich Tosca krallt, zieht er ihr seine Soutane an – er nimmt also eigentlich seinen ehemaligen Peiniger von hinten. Dann aber wird es krude. In seinem ehemaligen Schulranzen hat der Böse vorher Tosca eine DVD gepackt, die wirft sie jetzt in den Player und sieht zum Vorspiel vom römischen Morgen mit Herdenglocken bimmelndem Hirtenjungen die Beichte Scarpias, und der kleine Sänger muss dessen frühkindlichen Missbrauch nochmals rekapitulieren. Auf eine Engelsburg geht es nie, Tosca, immer noch in Scarpias Rock, halluziniert sich alles nur in Vor- und Rückblenden. Zwischendurch ist Scarpia wieder lebendig, singt den Schließer, während die Theaterdiva mit ihrem Lover quasi die Rolle durchgeht.

Da wird umständlich viel Licht an- wie ausgemacht, und man versteht gar nix mehr. Am Ende jedenfalls liegt da statt des toten Cavaradossi der tote Scarpia und die umnachtete Tosca („O Scarpia, avanti a Dio!“), die das Arbeitszimmer nie verlassen hat, umarmt ihn vor den herannahenden Spirren. Die anderen haben überlebt, Cavaradossi, der seine Existenz über die Liebe gestellt hat, hat sie verraten und präsentiert nun seine Krippe.

Naja. Das kommt nur deshalb einigermaßen ins Ziel, weil alle Beteiligten sehr überzeugend mittun. Vor allem der hier vielfach geforderte Scarpia von Seth Carico. Auch diesmal hat sich Laura Berman aus dem Ensemble der Deutschen Oper Berlin bedient. Doch hätte man von dem zu blonden Bestie aufgehellten Bassbariton im Muskelshirt mehr Volumen und dunklere Farben erwartet. Er ist ein erste Annäherung, andere Rollen legen ihm besser. Ohne Fehl und Tenortadel: der schlanke, schmucke, sich schön in die Höhe schraubende Cavaradossi von Rodrigo Porras Garulo. Liene Kinca singt die Tosca ebenfalls putzsauber, ihr fehlt aber vor allem vokal Beteiligtsein, innere Erregung, echte Leidenschaft. Und das gerade in dieser schrägen Inszenierung.

Die auch nicht dadurch gewinnt, dass Kevin John Edusei zwar ohrschmeichelnde Töne dirigiert, vieles feinausziseliert, aber den billigen Kintopp und die Moritatengrellheit der Partitur unterschlägt, weil mit einem Art dirigentischen Bleifuß behaftet oft viel zu langsam bleibt. Und so geht nicht nur die Dramatik flöten, weil man gar nicht mehr weiß, wie Vasiliy Barkhatov aus seinem Gedankenkonstrukt herauskommen will. Da hätte man gern mehr  Attacke, Vollfettes, kreischige Farben erlebt. Einen Saftschinken eben statt Pâté.

Sonst zieht sich für die Tosca die Scarpia-Schraube tödlich zu, diesmal verrennt sich der Regisseur. Ist zwar leidlich spannend, war aber eben nur am Ende wenig sinnfälliges Theater. Und womöglich den Versuch wert. Nur um zu sehen, das Puccini das schon ziemlich gut gemeistert hat. Und wir warten mal, was Vasily Barkhatov im nächsten Mai einfallen wird, wenn er mit und für seine Frau Asmik Grigorian am Theater an der Wien „Norma“ inszeniert.

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