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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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CSO goes New York II: Mit Riccardo Muti nach Hadestown und Hudson Yards, Met und MoMa – und natürlich auf die Via Appia in der Carnegie Hall

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Herrlich. New York empfängt mit Sonne und angenehm herbstlichen Temperaturen. Und mit Riccardo Muti, der brav im selben Flieger wie sein Orchester sitzt und das Chicago Symphony am Newark Airport spaßeshalber als Ein-Mann-Empfangs-Komitee mit einem CSO-Schild am Gate weiterleitet. Manche Musiker sind freilich schon früher angekommen, denn auch im Big Apple sind die Koryphäen aus der Windy City als Lehrer gefragt. Im Central Park schlägt hingegen wieder die Stunde der Hunde-Sitter. So viele neurotische Vierbeiner sieht man selten auf einem verstrahlt bellenden Haufen. New York, das ist immer auch Musical-Zeit. Denn der Abend ist frei und die uralter Met-„Bohème“ nicht wirklich lockend. Eine gute Wahl war „Hadestown“, der diesjährige Tony-Abräumer mit acht Preisen, darunter für bestes Stück, Partitur und Regie. Eigentlich ein kleines, durchaus zeitgeistiges Ding, das wunderbar in das intime Walter Kerr Theatre passt. Anaïs Mitchell hat das Buch, die Verse und die Musik geschrieben: Eine moderne Version des Orpheus-Mythos, angesiedelt während der großen Depression, düster, brechtisch, in einem Einheitskneipenset, das sich in eine Fabrik verwandeln kann – eben in die unterirdische Industriezone Hadestown. Hier herrscht Hades, seine Frau Proserpina bringt immerhin ab und an Blümchen nach oben. Die sechs Musiker, die eigenartig-anziehende Popfolkklänge produzieren, sitzen mitten im Bühnenbild.

Eurydice ist eine ortlose Göre, Orpheus ein Gelegenheitsarbeiter mit Musikambition. Hermes, ein Typ wie Sporting Life, erzählt das Geschehen. Unterstützt wird er von drei sexy Nornen, den three Fates. Dann hat das großartige multiethnische Ensemble lediglich noch fünf Chortänzer. Was jetzt leicht, witzig und schräg wirkt, die ungewöhnlich jungen Besucher sofort packt, hat freilich die leider längst Broadway-üblich komplexe Vorgeschichte. Uraufgeführt 2008 in Vermont, wurde daraus 2010 ein Concept Album. 2012 stieß die jetzige Regisseurin Rachel Chavkin dazu, die „Natasha, Pierre & the Great Comet of 1812“ inszeniert hatte, die ebenfalls schräge, halb im Zuschauraum als Nachtclub angesiedelte Adaption von Tolstois „Krieg und Frieden“. 2016 gab es einen kurzen Off-Broadway-Lauf, danach Inszenierungen in Kanada und London, bevor „Hadestown“ im März endlich in New York startete. Und inzwischen ihr Investorengeld eingespielt hat. Denn es ist originell, talentvoll und musikalisch glorios, „a love song /f or anyone who tries“, wie es darin heißt.

Am nächsten Morgen ist Generalprobe in der Carnegie Hall, alle spielen auf der Stuhlkante, denn dieses so schön tönende Podium, der wunderbar luftig helle Raum, ist eben immer noch ein ganz besonderer Auftrittsort. Bei der Bläsertruppe, der Soloposaunist ist 80 Jahre alt, man spielt auf den Instrumenten der Vorgänger, alle Hörner kaufen ihre Instrumente bei der gleichen Manufaktur in Chicago, kommt der Corpsgeist durch, aber auf wunderbar souveräne, gelassen selbstbewusste Art. Aufmerkam registrieren sie, wie Muti mit dem neuen, ausdrucksstarken Soloferntrompeter Esteban Batallán im Katakomben-Teil der „Pini di Roma“ ein wenig herum experimentiert.

Auch lässt er die gern etwas amerikanisch emotional übertreibende Joyce DiDonato noch nicht wirklich aussingen. Alle sind wach, aber schonen sich, die Maschine läuft sich warm, aber noch nicht auf vollen Touren. Erstaunlich, wie viele Leute schon als Proben-Spiecker im Saal sind. Und eine Enttäuschung: Weil die „Pini“ selbst so eine gewaltige Marsch-Apotheose haben, gibt es keine Zugabe. Dabei hätte man so gern das von Muti veredelte „Fedora“-Intermezzo aus dem Giordano-Schluchzer gehört.

Die einen ruhen sich anschließend aus, die anderen erkunden die Neuerungen in der Nähe: das vergrößerte Museum of Modern Art, das jetzt mit seiner Überfülle an Inkunabeln noch mehr einschüchtert, auch noch mehr ernüchtert durch seine allzu neutralen, verwinkelten  Räume. Diversity ist die neue Parole, die thematische Hängung interessant, mit vielen Künstlerinnen, die aus ihrem Depotdasein erlöst wurden. Ein wenig nerven die diversen, meist ziemlich banalen Performances, die die Kuratoren als immersives Must in den Parcours geschoben haben. Immer noch einen Wucht sind die Ausblicke (für Schwindelfreie) von en Glasbrücken in die mehrstöckige Agora und nach draußen, in den Skulpturengarten, hinter dem sich alle Baustile des 20. und 21. Jahrhunderts zu klumpen scheinen.      

Gemischte Gefühle auch beim neuen Touristen-Hotspot Hudson Yards über dem ehemaligen Güterbahnhof hinter der Pennsylvania-Station an der 35th Street, nur zwei Subway-Stationen downtown. Noch mehr glitzernde Investorentürme, die Manhattan von seinen normalen Bewohnen entvölkern. Ein austauschbares Shopping Center mit überteuerten Coffee Shops. Hinter dessen Panoramascheibe als weiteres Selfie-Lockmittel The Vessel lockt, eine hässliche, als Skulptur getarnte Treppe im Wabenlook.

Für die man Zeittickets ziehen und eine Stunde warten soll. „That’s the policy“ erklärt das unterbezahlte Personal. „Not mine“, antworte ich und schaue mir die Reflektionen des zugegeben intensivroten Sonnenuntergangs über den Hudson auf der Spiegelstruktur auch so und ohne weiteren Aufenthalt an.

Nebenan wartet The Shed, das neue, poshe Kulturzentrum mit dem fahrbaren Konzertsaal samt schlechter Akustik. Ein Loch ist der Eingang, kein Plakat, keine Flyer locken. Das Personal sieht abweisend aus. Keiner geht hinein. Und dahinter zieht sich die High Line bis zum Meat Packing District. Eine populäre im Sommer von Touristen überrannte Stadtverschönerungsmaßnahme, die leider nur die Gentrifizierung brutalst vorangedrückt hat. Dann lieber wieder zurück auf einen Kaffee in die Penn Station. Da herrscht das wahre, jetzt sehr geschäftige New Yorker Pendlerleben. Laut, aber ehrlich, hektisch, aber echt.

Abends endlich Konzert. Die Carnegie Hall brummt. Und ist dann mehrheitlich sehr erstaunt über die Kraft, die Schön und Sensibilität, mit der der junge George Bizet in seiner „Roma“-Sinfonie Stadtendrücke schlüssig in die vier Sätze einer musikalischen Großform gegossen hat. Riccardo Muti ist in seinem Element, präzise, gespannt, aber auch das Orchester, etwa das einleitende auf einem Atem fast Unisono spielenden Hornensemble, ruhig atmend von der Leine zu lassen. Ein feines Einspielstück, das fast niemand im Saal je gehört hatte.

CSO-Gründer Theodore Thomas hat es 1894 in Chicago erstmals gespielt, in der Carnegie Hall erklang es zum ersten Mal 1911 unter Gustav Mahler. Die Stimmung ist gut. Auch bei den zwei anderen, für New York neuen Ersten Solisten William Welter (Oboe) und David Cooper (Horn). Letzter spielte vorher freilich im Met Orchester.

Nach der Pause wird die Stimmung noch besser mit Joyce DiDonato, einer in New York natürlich populären Amerikanerin. Ihr Auftritt mit „La Mort de Cléopâtre“ ist der Beginn ihres Perspektives-Serie in der Halle, ein paar Tage später ist sie mit Yannick Nézet-Séguin und seinem kanadischen Hausorchester samt Mozart-Arien wieder da; damit zieht sie weiter nach Chicago. Und Anfang des Jahres kommt sie als Händels Agrippina wieder an die Met. Sehr klug terminiert das – und schon bei ihren europäischen Konzert-Auftritten in der Händel-Oper (nach denen die CD eingespielt wurde, szenisch hat sie Dame dann in London im Herbst erprobt) trug sie sie gleiche, wohlmöglich selbstgebatikte Robe – ihr Kaiserinnenkleid, egal ob Alexandria oder Rom. Sie singt die Szene mit dramatischer Allüre und Grandezza, Muti folgt mit Temperament, harschen Akkorden, holt emotional alles raus aus diesen dicht aufgeladenen Tragödinnenminuten bis hin zum finalen Schlagenbiss. Die Chicago-Musiker, inzwischen durch jährliche konzertante Aufführungen wieder opernerfahren, reagieren schnell und kraftvoll.

Sein effektvolles Finale erlebt das mit für New York langen, ehrlich begeisterten Beifallssalven aufgenommene Konzert mit Respighis immer funktionierender Trilogie. Doch Muti ist bei den „Pini di Roma“ jedes Detail der vorzüglichen Orchestrierung wichtig, die zart lasierte, ineinander verfließende Stimmungsmalerei, insbesondere die butterzarte Klarinette des jungen Stephen Williamson, die das Nachtigallen-Tschilpen antizipiert, genauso wie die martialischen Akkorde des Finales. Die Solisten brillieren in warmen Glanz, die Tutti wölben sich, aber explodieren nicht. Da hat einer Spaß an der Feinmalerei und am großen Alfresco-Geschehen. Und er beherrscht vor allem souverän beide Spielarten. Das Nehmen und Geben in diesen äußert gesunden Orchesterorganismus ist mit den Händen zu greifen, mit den Ohren zu genießen sowieso.

Schade, dass ich den drauf sicher glorios aufbauenden, jetzt mit einer besonders motivierten Truppe zu absolvierenden All-Prokofiew-Folgeabend nicht hören kann. Abgesehen von den orchestralen Herausforderungen eine kluge Zusammenstellung zweier Bühnenwerke in Konzertform, der auf dem „Feurigen Engel“ beruhenden 3. Sinfonie und der selbst zusammengestellten „Romeo und Julia“-Musik. Dafür gibt es, auch New York wurde kälte, aber sonniger, noch zwei Akte „Le Nozze di Figaro“-Wiederaufnahme am frühen Nachmittag in der Met. Antonello Manacorda gibt ein frisches, sprühendes Hausdebüt, gut platziert zwischen altmeisterlichem Schwelgen, so wie es das Orchester kennt, und vorantreibender, historisch informierten, plastisch akzentuierter Spielpraxis. Das klingt schön, ein jugendliches Ensemble hat seinen Spaß; aus dem die ebenfalls erstmals hier zu hörende Gaëlle Arquez als erotisch vibranter Cherubino herausragt.

Zur Pause aber steht das Taxi nach Newark bereit. New York, CSO, es ist wieder mal schön gewesen. Möge die Europa-Tournee Anfang Januar nur kommen!  

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