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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Maria und ihr blutendes Herz: Spontinis „La Vestale“ erweist am Theater an der Wien ihre vitale Zweitklassigkeit – dank einer perfekten Besetzung und einer unterhaltsamen Regie

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Schon mit dem ersten Ton, klar, viril, in feinstem Französisch gesungen, tut Michael Spyres im Theater an der Wien souverän und szenebeherrschend kund: Diese Oper soll nicht nur auf ewig ein Callas-Vehikel bleiben. Sie ist, zumindest wenn dieser Ausnahmetenor singt, der höhensichere Expansionsfähigkeit, Koloratur und ein angenehm klingendes Baritonfundament in einer Stimme vereint, auch die Oper des Leading Man. Licinius heißt er, römischer Soldat ist er. Der hier Unerhörtes vollbringt, nicht nur vokal. Maria Callas war es freilich, die 1954 als Julia gemeinsam mit Luchino Visconti in dessen erster Opernregie Gaspare Spontinis „La Vestale“ an der Mailänder Scala wieder ins Rampenlicht rückte. Zwischen Glucks Reformbemühen und den effektvollen Standbildern der späteren Grand Opéra ist diese von Kaiserin Joséphine geförderte und 1807 in Paris uraufgeführte Hochfeier des Klassizismus das tönende Bindeglied, in dem der napoleonische Hof seiner als Empire-Stil wiedererstandenen Sehnsucht nach einem neuen Römertum frönen konnte. Harmonische Grandeur und große Chorszenen verblenden sich mit italienisch schmeichelnden Melodien und anrührender Charakterzeichnung. Beethovens Freiheitpathos ist zumindest zu ahnen – obwohl sich diese Musik in herzhafter, aber hörenswerter Zweitklassigkeit nie dessen olympischen Höhen nähert.

Fotos: Werner Kmetisch

Aber sogar Richard Wagner liebte – später deutlich hörbar – die schlichte Beispielhaftigkeit der vom Soldaten, Politiker und Librettisten Étienne de Jouy auf drei Akte gestreckten Geschichte einer Vesta-Priesterin, die während eines Rendezvous mit ihrem geliebten General Licinius das heilige Feuer ausgehen lässt, später allerdings von der Göttin selbst vor dem dafür drohenden Todesurteil gerettet wird. Als schwächelnde „Norma“ mit gutem Ausgang gilt das Stück deshalb heute in der Opernwelt.

Vor allem lobte für das Kunstwerk der Zukunft kämpfende Wagner die hier am Ende vorgeführte Trennung von Kirche und Staat, die im nachrevolutionären Frankreich besonders propagiert wurde. In seiner Funktion als Sächsischer Generalmusikdirektor lud Wagner übrigens 1844 den damaligen Preußischen Generalmusikdirektor Spontini zu seiner eigenen „Vestalin“-Premiere nach Dresden ein. Dieser orchestrierte einiges eigens neu und zeigte sich zudem hocherfreut von Wagners Lieblingssängerin Wilhelmine Schröder-Devrient in der Titelrolle.

In Wien muss jetzt Elza van den Heever diese sehr großen Vorgängerinnen-Sandalen tragen. Sie macht das mehr als nur sopranordentlich, mit einer von der satten Tiefe bis zu den kraftvoll attackierten Höhen gut durchgebildeten Stimme, sie hat Persönlichkeit und Charakterbiss, diese an sich eindimensionale Figur aufzuwerten. Was ebenso für den außerordentlichen Michael Spyres als Licinius gilt, der mit der lyrisch-kraftvollen Zwischenfachlage der Partie ganz wunderbar zurechtkommt.

Die Partitur, so simpel wie schön sie orchestriert ist, sich stellenweise auf die Faszination weniger (bitte gut gespielter!) Solonistrumente verlässt, sie hat Längen, gefährliche Längen. Was fast nicht auffällt, wenn ein liebevoller Könner und aufmerksamer Stilist wie Bertrand de Billy am Dirigierpult wirkt. Der animiert die gut aufgelegten, aufmerksam intonierenden Wiener Symphoniker zu einer beweglichen, abwechslungsreichen Kontrastdramaturgie.

Die vielen Tänze atmen sprühende Beweglichkeit, ganz lassen sich zeremoniale Steifheit und simple Harmoniewechsel nicht aus den Noten blasen, aber hier wird oftmals veredelt und verstärkt, was eine interessante Musik des Übergangs darstellt. De Billy hält die Musiker immer wieder mit kraftvoller Direktheit zu kompakter, Pathos herauskitzelnder Kraftentladung an. So scheint sinnfällig auf, was Wagner an diesem Werk einst jubeln ließ.

Das Vokale bleibt hier das Opernmaß aller Dinge – das gilt auch für die „zweiten“ Rollen, hier drei an der Zahl, sowie die ausladende Chorpartie, die Erwin Ortners Arnold Schoenberg-Truppe mit Verve und unmittelbarem Berührtsein souverän und voluminös meistert. Gleich Zu Anfang, sein Lebenszweck ist der Turnsaal und die körperliche Fitness mehr als die emotionale Durchdringung des Geschehens, kann der französische hohe Tenor Sébastian Guèze, als Freund Cinna des Feldherren punkten, wie auch am Turnpferd und beim Liegestütz. Claudia Mahnke ist eine aufbegehrende, eifersüchtige Obervestalin, der diesmal als mieser Manipulator aus seiner Vaterfiguren-Komfortzone gelockte Franz-Josef Selig gibt basssatt als grabschender Hohepriester den Hüter des Kultes.

Wobei hier Inszenator Johannes Erath der doch sehr eindimensional-blässlichen Handlung mit gepflegtem Trash und durchaus platten, aber unterhaltsamen Psychologsimen vehement regietheaternd entgegensteuert. Erath hat ein Faible für Tingeltangel und Entertainment, dem frönt er neuerlich. So setzt er auf eine zweiten, einrahmenden Handlungsebene die Kleruskaste und Julia zur Familienaufstellung an einen rosa Tisch und auf altmodische Plüschsessel, die einen als Eltern, die andere als rebellische Tochter im Trainingsschlabberlook. Aus diesem, meist am Rand der Drehbühne platzierten Unterschicht-TV-Ambiente switchen sie dann immer wieder in die Haupthandlung. Nur  Licinius und Cinna bleiben, wo sie sind. Die keuschen Vestalinnen, die in der Unterbühne barmen, häuten sich hingegen zum von Jorge Jara staffierten, pailettenglitzernden Partyvolk unter der Discokugel.

Den Vesta-Kult transferiert Johannes Erath nämlich in eine schon hysterische, südländisch weltliche Marienverehrung, die mit der Kleinstatue auf dem Teenager-Schminktisch beginnt und bei der Monstermadonna unter zuckenden Lichterketten endet, die im zweiten Teil statt eines weißen Kubus’ die jetzt wassergeflutete Bühne von Katrin Connan füllt. Da auch noch einige tierische Metaphern in Gestalt von Raubvögeln durch die Szene geistern, werden die Ebenen nicht immer trennungsklar und konsequent geschieden. Am Ende hat Maria jedenfalls ihr Vesta-Feuer in Gestalt eines rotglühenden Herzens wieder – und alle sind glücklich. Fast: Denn die Spießerhölle, aus der sich Mama final zumindest mit einem symbolischen Vatermord befreien wollte, nehmen nun die glücklich vereinten Jungen ein.

Der Beitrag Maria und ihr blutendes Herz: Spontinis „La Vestale“ erweist am Theater an der Wien ihre vitale Zweitklassigkeit – dank einer perfekten Besetzung und einer unterhaltsamen Regie erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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