Es kommt einem bekannt vor, akustisch wie optisch. Denn auch eine Cecilia Bartoli kann sich eben nicht unaufhörlich verändern, häuten, neuerfinden. Seit 34 Jahren singt sie nun öffentlich, doch mit 53 ist die Stimme natürlich nicht mehr frisch. Reife der Empfindung ist hinzugekommen, aber man hört auch mehr Technik, das Gluckern und Japsen in besonders langen Koloraturketten vor allem; das schon der längst selbst zu Countertenorehren gekommenen Kangmin Justin Kim als Kimtchilla Bartoli so köstlich per Youtube parodierte. Seit 1999 bringt die Bartoli zudem etwa alle zwei Jahre ein Decca-Konzeptalbum heraus. Und so wie „Vivaldi II“ eine Ergänzung zu ihrem ersten Erfolgsseller war, mit dem sie sogar die Vivaldi-Opernwelle lostrat, so kommt jetzt mit „Farinelli“ eine neuerliche Kastraten-Auseinandersetzung auf den Markt. Nichts Verwerfliches, aber von La Ceci würde man eben mehr und Originelleres erwarten. Es ist – nach „Sacrifcium“ und „Mission“ ihre dritte Sammlung, auf der sie mit einer Männerrolle spielt, diesmal ist das wenig originelle Cover Make-Up-mäßig an den Salzburger „Ariodante“-Gendertrip vor zwei Jahren angelehnt. Und mit ihrer Hommage an den eigentlich Carlo Maria Michelangelo Nicola Broschi (1705-82) geheißenen barocken Opernsuperstar reiht sie sich jetzt nur in einer längere Folge von Countertenören, die ihrem Urvater ebenfalls Respekt zollten. Wenig überraschend gibt es Arien von dessen Lehrer Porpora, seinem ihm in die vor allem für ihre langsamen Bravournummern berühmte Kehle komponierenden Bruder Riccardo Broschi, von Hasse (in dessen „Marc’Antonio e Cleopatra“ sang Farinelli die weibliche Titelrolle), Caldara, Giacomelli. Bewährt begleitet Giovanni Antonini mit seinem Giardino Armonico. Einige Weltpremieren wurden noch ausgegraben. Am frischsten klingt aber der schon vor zwei Jahren eingespielte „Alto Giove“. Nichts Neues also unter der Bartoli-Sonne – in ihrem Abendschein.
Viel spannender geraten ist da freilich eine andere Farinellaria: die schwedische Mezzowuchtbrumme Ann Hallenberg, die mit dem Starkastraten auch schon mindestens ein CD-Flirt verbindet, hat nun jene berühmte Ariensammlung eingespielt, die 1753 Farinelli höchstselbst als Auswahl der von ihm am spanischen Hof gesungenen Gustostücke in einem besonders prachtvoll gestalteten Manuskript an Kaiserin Maria Theresia nach Wien geschickt hat. Heute wird diese Melomanen-Inkunabel in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt. Nach heutigen Zuschreibungen stammen die acht Werke aus der Feder von in Madrid tätigen Musikern: Niccolo Conforto, Giovanni Battista Mele und Farinelli selbst. Auch Stücke bedeutender italienischer Komponisten dieser Zeit wie Gaetano Latilla und Geminiano Giacomelli sind darunter. Diese spezifischen Glanznummern ermöglichen uns vor allem durch die von Farinelli selbst ausgeschriebenen Verzierungen der Dacapo-Teile, einen Eindruck von seiner legendären Gesangskunst zu gewinnen. Die teilweise halsbrecherischen Koloraturläufe singt Ann Hallenberg in fast leicht anmutendem Kraxelschritt, ihr sinnlich-männliches Timbre passt besser als die Bartoli-Manierismen. Begleitet wird sie von dem italienischen Ensemble Stile Galante unter der Leitung von Stefano Aresi. Da geht die alte Fürstin Ceci, wird es hingegen wohl bald in Monaco heißen, wo sie jetzt immerhin als Intendantin an der Opernschmuckschachtel von Monte-Carlo ab 2026 als Intendantin angedockt und für die Rente ausgesorgt hat.
Farinelli. Cecilia Bartoli, Il Giardino Armonico, Les Musiciens du Prince-Monaco, Giovanni Antonini, Gianluca Capuano (Decca); The Farinelli Manuscript. Ann Hallenberg, Stile Galante, Stefano Aresi (Glossa)
Der Beitrag Brugs Beste 2019 – ein CD-Adventskalender: XII. Mit Bartoli auf eher schwerfälligen Flügeln, mit Ann Hallberg auf auch musikwissenschaftlich spannenden Höhen des Farinelli-Gesangs erschien zuerst auf Brugs Klassiker.