Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

„Pénélope“ in Frankfurt, „Rusalka“ in Antwerpen: Wo mit Joana Mallwitz und Giedrė Šlekytė die Frauen zumindest im Graben den Takt angeben

$
0
0

Nein, Odysseus-Gattin Penelope und Wassernixe Rusalka machen nicht wirklich gute Frauenfigur. Beide verzehren sich nach ihren Männern, das Fischwesen sogar nach einem mit Menschenbeinen. Penelope immerhin ist verheiratet, wartet treu auf ihre erst mit dem Trojanischen Krieg, dann mit diversen Irrfahrten beschäftigten Gatten – zwanzig Jahre lang. Rusalka wird zwar selbst aktiv, um ihrer Kerl zu kriegen, opfert aber dafür ihre feuchte Identität, wird mit Hexenhilfe eine trockene, noch dazu stumme Landflechte. Und steht so zwischen den Welten, ausgestoßen vom Teichgrund, nicht angekommen und anerkannt bei den Menschen. Penelope erhält ihren Mann wieder, der aber muss erst ein Gemetzel unter den auf sie, ihre Krone und ihr Reich lauernden Freiern veranstalten. Sie hingegen ist in der Einsamkeit vergilbt, die Liebe längst erloschen. Rusalka aber küsst ihren grausamen Prinzen zu Tode, alle Schmerzen und Leiden haben nichts genützt. An der Oper Frankfurt inszeniert die einzige Oper des zwar mit Schauspielmusiken erfahrenen, aber spät musiktheaterberufenen Gabriel Fauré auch eine Frau, Corinna Tetzel, das aber analytisch böse und mitleidlos, an der Opera Vlaanderen Antwerpen debütiert der stark wie stimmig den Tanz miteinbeziehende Choreograf Alan Lucien Øynen als Opernregisseur und gibt Antonín Dvořáks gerade an Weihnachten immer beliebterem, herrlich spätromantisch waldwebendem, dabei rabenschwarzem Kunstmärchen einen atmosphärisch zeitlosen Anstrich. Und in beiden Produktionen stehen sehr gestaltungswillige Frauen am Pult, erobern den Abend jeweils immer mehr klanglich-konsequent für sich – Joana Mallwitz am Main und Giedrė Šlekytė an der Schelde.

Fotos: Barbara Aumüller

Großen Spaß macht es, beide präzise konzipierte Aufführungen zu erleben, fast mehr noch den Fauré, statisch und klanglich feinverästelt, sein typisches, stark holzbläsergetragenes Idiom ist auch hier zu hören. Erst 2002 war die 1913 in Monte-Carlo uraufgeführte „Pénélope“ in Chemnitz erstmals in Deutschland zu sehen, zuletzt gab es sie 2015 in Straßburg. Dabei gelingt hier, handlungsmäßig reduziert, sogar Sohn Telemach wird unterschlagen, ein weiteres einfühlsames Fin-du-Siècle-Frauenporträt. Obwohl die zurückgelassene, pflichtschuldige Gattin kein Symbolwesen ist, sondern beständig erklärt, rechtfertig und von ihren Gefühlen erzählt.

Nicht nur die anfängliche Mägde-Szene erinnert an die Straussche „Elektra“, auch hier muss eine warten, und erkennt das Objekt ihres Ausharrens zunächst nicht. Zu viel Zeit ist vergangen, Gefühle haben sich verändert, bei beiden Partnern. Der da jetzt da ist, scheint nicht mehr der, auf den Penelope gewartet hat. Insofern ist der der zurückhaltend-sensitive Fauré sehr modern, weil hier am Ende eben kein Beethoven-Hohelied der Gattenliebe steht.

Corinna Tetzel geht freilich noch weiter, und lässt Penelope wie traumatisiert, einer erstarrten Giorgio-de-Chirico-Figur gleich, metaphysisch entrückt und abgewandt auf einem Mäuerchen sitzend erstarren während Odysseus in einem sich auftuenden Mauerspalt verschwindet. Diese Ehe ist, obwohl wiedervereint, ganz offenbar am bitteren Ende. Und für diese Penelope, für deren banges Warten, aber fast schon ergebenes Resignieren, passt der ein wenig unruhige Mezzo von Paula Murrihy sehr gut. Zudem muss er sich immer ein wenig größenmäßig nach der Decke des eben doch spätromantisch aufrauschenden Orchester strecken. Obwohl das von Joana Mallwitz bestens, dabei fein sich verästelnd in Zucht und Zaum gehalten wird.

Der straffe Zugriff erlaubt freilich kitschfreies Parfüm, beherzt gleitet die Partitur fluide voran, besonders schön spinnen sich die bukolischen Holzbläser-Melismen des Vorspiels zum zweiten Akt. Die Dirigentin ist freilich immer sehr da und präsent, selbst wenn der sogar mit Leitmotiven spielende Komponist sich klein macht. So haben diese zwei Stunden Spielzeiten einen starke Präsenz, einen schönen Flow, auch weil die nüchterne Inszenierung überraschungsfrei bleibt. Die findet auf einer natursteinverkleideten Dachterrasse von Rifail Ajdarpasic statt. Ithaka ist nach wie vor ein lieblicher, aber – siehe rostige Satellitenschüssel – verwahrlosender Ort. Hinten stehen immergrüne Bäume, nur der seltsame Ausguck nach draußen ins Nichts des weißen Rauschens verweist auf eine schwarze Gruft, in der das alles angesiedelt sein könnte. Das nach oben entschwebende Dach erinnert fast an das der neuen griechischen Nationaloper. Auf ein paar Schleiern gemahnen Videostills von Penelope und Odysseus an das hier Abgehandelte. Nur langsam setzt sich das Licht der Erkenntnis durch Erkennen durch.

Eine heutige Partygesellschaft in schwarzen Anzug geben die verbliebenen fünf namentlich bekannten Freier, die immer mehr die modernistische Einrichtung verwüsten. Schick gelb sind die Dienerinnen, schwarz und verhärmt, ebenfalls im Anzug Penelope und ihr Gefolge, darunter die pastose Joanna Matulewicz als Amme Euryclée; grauhaarig und -kleidrig schließlich schlurfen die aschig erloschenen Männer heran, der vertraute Hirte Eumée (Bozidar Smiljanic) wie Odysseus, ein Opfer des Krieges und Moderns auch er. Dem freilich Eric Laporte kräftig tenorale, dabei schlanke Durchschlagkraft verleiht. Am Ende ist das Morden in ein tieferes Geschoss verlegt, dafür gab es zum Anfang des zweiten Aktes noch ein Hoffnung machendes Intermezzo mit dem jugendlichen Hirten als rächendem Amor, der bereitgestellte Flaschen mit Pfeilen oder Blumen zu füllen waren. Die Blumen überwogen, am Ende aber die Pfeile.

Frische, Elan und Leidenschaft verbreitet sich auch im Graben der Vlaaamse Opera in Antwerpen, wo die erst 30-jährige Litauerin Giedrė Šlekytė eine fantastisch farbenreiche, temperamentvolle und spannungssatte „Rusalka“ hinlegt. Das leuchtet und wogt, das hat Knall und Klasse, da wird jede Facette dieser überreich üppigen, aber auch traumverlorenen Dvořák-Partitur ausgeleuchtet. Ein enormes Dirigiertalent!

Fotos: Filip Van Roe

Auf der Bühne versucht sich mit Lust und Liebe erstmals der norwegische Choreograf Alan Lucien Øyen an einer Operninszenierung. Die Geschichte lässt er unangetastet, er verlegt sie aber in eine naturhaft schillernde Zeitlosigkeit, intensiviert sie durch den Tanz. Die prachtvoll singenden drei Nymphen und der wuchtig bassstark wie -stolze Wassermann des düsteren Goderdzi Janelidze  werden von einem weiblichen wie männlichen Trio verstärkt, in ihren Emotionen wie fluiden Bewegungen vergrößert. Rusalka, Wassermann und Prinz haben zudem Doubles, die ihr Tun spiegeln, aber oft auch mit dem Original interagieren, mehr aber noch mit den anderen Gegenübern.

So entsteht ein immer mehr sich verdichtendes Netz von Beziehungen, von Richtungen und Gefühlen. Weil sich zudem das geniale Einheitsset von Åsmund Færavaag im grandios minimalistisch-atmosphärischen Licht von Martin Flack auf zwei gegeneinander verfahrbare, geschwungene und organisch weich verformte Lamellenwände reduziert, stehen hier stets  die Figuren, ihr Interagieren als Abstoßen und sich Anziehen im Mittelpunkt. Die zwei negativen weiblichen Gegenfiguren, die Hexe Jezibaba (mit Lust am Bösen: Maria Riccarda Wesseling) und die auftrumpfend sopranstrake fremde Prinzessin von Karen Vermeiren verstärken das. Gelungen in der Farbauswahl auch die einfachen, gut charakterisierenden Kostümen von Stine Sjøgren.

Waldteich und Palast mit nur zwei weiteren Tanzpaaren, Hexenhöhle und Naturödnis, alles wird auf dieser einfachen Bühne sinnhaft und sinnlich, so wie auch die vergebliche Liebe der schwer greifbaren Rusalka und ihres eigentlich unsympathischen, glatten Prinzen packt. Øyen braucht keinen geschändete Natur, keinen #MeToo-Wassermann, auch nicht die komplexen Lokalbezüge, mit denen Stefan Herheim in Brüssel seine „Rusalka“ aufpeppte, er kann sich auf diese Parabel der Vergeblichkeit einen packenden Opernabend lang verlassen. Der szenisch wie musikalisch die Schönheit, die Kraft, die Vielschichtigkeit der „Rusalka“ leuchten lässt. Was hier überstrahlt wird durch den sehrend temperamentvollen Gesang von  

Pumeza Matshikizas Rusalka im sehnsuchtsvollen Mondlied wie in der mollschweren Verlorenheit des dritten Aktes. Als aufmerksam agierender Prinz mit großem, metallischen, aber nie stählernem Tenor überragt an ihre Seite Kyungho Kim viel anderen Sänger dieses ungeliebt schweren Rolle.

Und obwohl Penelope wie Rusalka am jeweiligen Opernende nicht zu helfen ist, haben wir gern und enthusiastisch mit ihnen gelitten!

Der Beitrag „Pénélope“ in Frankfurt, „Rusalka“ in Antwerpen: Wo mit Joana Mallwitz und Giedrė Šlekytė die Frauen zumindest im Graben den Takt angeben erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826