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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Dieser Drache ist ein dolles Drama: Weimar und Erfurt haben mit Peter Konwitschnys Regiehilfe Paul Dessaus und Heiner Müllers böse Politoper „Lanzelot“ revitalisiert

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Draußen werden die Dioskuren auf Kufen umflitzt, drinnen stehen sie verzweifelt Schlange. Denn während bei Weimar on Ice vor dem Nationaltheater die Kids vor dem Goethe/Schiller-Denkmal kurven, sind dahinter Opernkarten wieder mal Bückware. Zu viele wollen die Ausgrabung „Lanzelot“ sehen. Dabei handelt es sich um Paul Dessaus dritte Oper in 15 Bildern nach Motiven von Jewgeni Schwarz und Hans Christian Andersen auf einen satirisch-bösen Text von Heiner Müller. Seit der Steinzeit wird das Land von einem Drachen bedroht, dem jedes Jahr eine Jungfrau geopfert werden muss. Als dann freilich Ritter Lanzelot als Retter auftaucht, will außer der als nächste auserkorenen Elsa, kaum einer so richtig was von ihm wissen. Die Gesellschaft, die Nomenklatura ganz besonders hat sich eigentlich ganz gut mit dem Übel eingerichtet…1969 hatte das schräge, treffsichere Stück an der Deutschen Staatsoper in Berlin Premiere, in der Regie von Dessau-Gattin Ruth Berghaus natürlich. Die offizielle DDR dachte zunächst, mit dem Drachen sei der Westen gemeint und jubelte über diese „sozialistische Revolutionsoper von der Selbstbefreiung der Menschheit“. Dann aber sah man doch klarer, nach nur zweimaligem Nachspielen (Dresden und 1971, erstaunlich, in München) verschwand das farcenhafte Märchenspiel sehr nachhaltig in der Versenkung. Erstaunlich, dass es nicht einmal der Trüffelsucher Udo Zimmermann in seiner Leipziger Intendantenzeit anfasste. Womöglich, weil die Noten- und Materiallage höchst bescheiden war. Nur der gestrenge, aber eben auch kluge Peter Konwitschny wollte die Oper immer mal machen. Jetzt war es soweit: In einer glücklichen Anstrengung des DNT Weimar und des Theater Erfurt wurde das personenintensive, vor allem chor- und instrumentalistenreiche Werk auf die Bühne gebracht. Und es ist ein rauschender Überraschungserfolg! Nur noch eine Vorstellung steht – vorläufig – am 19. Januar in Weimar an; ab 16. Mai grunzt das Opernungeheuer dann in Erfurt.

Fotos: Candy Weltz

Ganz stark involviert: der junge Dirigent Dominik Beykirch, der die Massen supersouverän zusammenhält, die Bühnenmusik (allein acht Perkussionisten als personifizierte Drachen-Krachmacher in zwei roten, lichtleinumranken Käfigen auf der Szene) koordiniert, bei den viele Zuspielungen und Soundeffekten dranbleibt und nie den Klangfaden verliert. Paul Dessau tönt hier seht buntscheckig, das volle Orchester knall bruitistisch, die Chöre parodieren staatstragende Hymen. Manchmal will er sich einen Jux machen, es gleitet ab ins Happening und in die Schauspiel-wie Filmmusik. Das alles höchst effektvoll, dann wieder fein konzentriert, wenn etwa der desillusionierte, halbtote Sieger Lanzelot eine ganze melancholisch-intime Szene lang nur mit einem Cello dialogisiert. Und im Finale sehr müde mit Kind und Frau zum verlogenen Happy End dasteht.

Dessau pflegt hier, im raren Beispiel einer gelungenen, überzeitlich gültigen Politoper, und darin etwa Jacques Offenbach und einem eben wiederentdeckten „Bakouf“ nicht unähnlich,  einen ganz freien, frechen Stilpluralismus, immer dramatisch, stets nah dran am Bühnengeschehen. Das barockisiert und tanzmusikt – und hat doch immer eine sehr spezifische, von der Staatskapelle Weimar so wuchtig wie furios ausgespielte Klangnote.

Die Elsa der koloratursprühenden Emily Hindrichs gibt dauernd exaltierte Noten von sich. Maté Sólyom-Nagys Lanzelot, einst als die Arbeiterklasse befreiender „Genosse der Thälmann-Kolonne“ missdeutet, ist ein echter Heldenbariton, der doch immer gebrochener klingt. Oleksandr Pushniak hat es sich als baritonbrummelnder Drache zunächst im grauen Anzug im bürgerlichen Wohnzimmer vermenschlicht bequem gemacht, bevor er wieder sein Angstmach-Szenarium aus Grollen und Scheinwerferbatterien auffahren muss. „Der Drache spukt in wechselnden Gestalten“, weiß Heiner Müller, schreit mit Hitlers heißerer „Heil“-Stimme und gleicht am Ende gespenstisch Lanzelot. Elsas Papa Charlemagne (Juri Batukov) ist ein schwacher Kriecher, die Funktionäre wie der Bürgermeister (Wolfgang Schwaninger) und Heinrich (Uwe Stickert) sind wetterwendische Typen, die sich den Kopf noch aus jeder Schlinge befreien.

Peter Konwitschny inszeniert das ganz episch und nüchtern, auf fast leerer Bühne von Helmut Brade, der auch die zweckmäßigen Kostüme entworfen hat. Schon in der Steinzeit wird das konsumgeile Fellvolk mit Tauchsiedern als Drachenersatz ruhig gestellt, mit denen man Cholerakeim abkochen und –töten kann. Ein paar zusammengenagelte Wände sind mal die gute Spießerstube, mal die Shoppingwand aus dem Comicbuch. Und selbst der Kater (Daniela Gerstenmeyer) bekommt einen gestrickten Pussy Hat. Es gibt Filmeinspielungen und Texteinblendungen. Diese bittere Puppenstubenwelt, wo der Drache im Anzug mal schnell mafiagleich drei Musiker mit der Wumme wegpustet, die dann als Engelein filmisch entschweben, ist freilich gar nicht so weit weg von der nach rechts driftenden Realität, wo das Trio der fiesen Elsa-Freundinnen vom BDM wie von der FDJ sein könnten.

Vor allem die spielfreudigen Chöre beider Kooperationspartner tragen diesen Abend als klatschfreudige, zustimmungswütige, dann wieder aufmüpfige, nicht lange fackelnde Masse, die nur schwer im Zaum zu halten ist. Jens Petereit und Andreas Ketelhut schaffen das zumindest chorleitermäßig.

Am Ende, wenn wir bei den Bootsflüchtlingen und Fridays for Future angekommen sind (Kinderchor gibt es auch noch), werden alle vom Politbüro per Kalschnikow niedergemäht. Und stehen dann doch wieder auf. „Der Rest ist Freude, Freude der Rest“ lässt Müller alle skandieren. Naja. Und Trotzdem: Ein großes wichtiges, zeithistorisches, doch auch zeitgemäßes Gesamtkunstwerk. Schlagkräftig, witzig, unterhaltend, auch nachdenklich und aufrüttelnd. Von starker Aussage, brillant und überzeugend wiedergegeben. Ein eminente Ausgrabung! Und das zum 50. Stückgeburtstag.

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