Abraham ist aktuell. Das lässt sich ganz einfach mit Aufführungszahlen belegen. Seit die Komische Oper als Durchlauferhitzer und Kernschmelzer einer sehr besonderen Berliner Operetten-Renaissance fungiert, vermehren sich die Vorstellungen. Und auch die Stücke werden variiert. Plötzlich ist der Anfang der Dreißigerjahre besonders in Berlin so gefeierte ungarische Komponist eben nicht nur mit „Die Blume von Hawaii“ und „Victoria und ihr Husar“ präsent. Barrie Kosky hatte schon 2013 mit dem „Ball im Savoy“ seine Berliner Recherche begonnen, der inzwischen auch wieder anderswo nachgespielt wird. Der Fußball-Jux „Roxy und ihr Wunderteam“, vorher schon in Dortmund und Augsburg neuerlich ausgegraben, folgte – leider ist die erst im Sommer herausgekommene Produktion mit den Geschwistern Pfister schon wieder abgesetzt. Gerüchte besagen gleichwohl, es gäbe bald noch eine szenische „Blume“. Und im Rahmen der weihnachtlich konzertanten Kurzpräsentationen gab es zuletzt „Märchen im Grand Hotel“, inzwischen auch szenisch in Mainz, Luzern, Hannover und bald Meiningen zu besichtigen, „Victoria“ sowie zum Abschluss der Reihe jetzt das exotische „Dschainah, das Mädchen aus dem Tanzhaus“, 1935 im Wiener Exil uraufgeführt und seither nie mehr gespielt. Warum, das versteht kein Mensch. Denn zwar ist dieser zwischen Paris und Saigon pendelnde Dreiakter politisch gar nicht korrekt, rassische Stereotypen werden weidlich ausgeschlachtet. Das aber auf überaus unterhaltsame Weise.
Die bewährten Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda zimmerten eine Art vietnamesische „Madama Butterfly“ mit gutem Ende zusammen. Und erfanden eine weitere asiatische Geisha-Variante, eben die Dschainah, das Saigon-Sing-Song-Girl aus dem Tanzhaus. Die heißt Lylo und wird im zweiten Akt von einem schneidigen französischen Marineoffizier aus den Fängen eines Mädchenhändlers freigekauft. Dumm nur, dass der in Paris eine Verlobte sitzen hat. Die reist ihm samt Mutter und französisch-ponischem Buffopaar nach, um die Dinge wieder ins Liebeslot zu bringen. Was – Operette! – gelingt. Alle treffen sich später in Paris wieder, denn auch Lylo hat sich inzwischen mit einem indischen Maharadscha getröstet.
Sonderlich sympathisch ist keiner vom Personal, aber unterhaltsam und mit wundersamen Klängen ausgestattet. Abraham bietet Puszta-Zauber auf, Walzer, Jazz und viel schwüles Orientgeklingel mit in Pentatonik schwelgender Celesta und Harfe. Und Lylos getragenes Abschiedslied „Ohne Liebe kann ein Herz nicht glücklich sein, ein Herz braucht Sonnensein“, hat absolute, sofort nachträllerbare Hitqualität.
Der die Berliner Aufführung absolut Appetit machend gerecht wurde. Ein altes Problem ist wieder nur die mangelnde Koordination mit dem zu weit hinten platzierten, textunverständlichen Chor. Als schnoddriger Erzähler, der im Schnellgalopp durch die gerafften 100 Singminuten führt, fungiert ordentlich amüsant der Schauspieler Klaus Christian Schreiber. Der Offizier, der auch Romane schreibt, heißt Pierre Claudel, der in diesem Format der Komischen Oper über Jahre tenorbewährte Johannes Dunz hat die genau richtige und wichtige leichte Höhe sowie die fesche Frack- wie (weiße) Uniformfigur.
Seine Braut Ivonne gibt soprankompakt im blauen Glitzerdress Mirka Wagner. Ihre Mutter, Madame Hortense Cliqot, natürlich champagnersprudelnde Witwe, spielt mit wenig Tönen und reduzierter Gestik Zazie de Paris. Die sollte zwar ursprünglich auch als Conférenciere fungieren, sieht sich aber selbst als grüner Glamour-Weihnachtsbaum mit Boa und rotem Haarfeuer furios an; dazu wackelt sie mit ihrem Dritten-Akt-Couplet von der männlichen „Dancing Doll“ ganz allerliebst mit den transsexuellen Hüften.
„Bei 40 Grad im Schatten schmilzt die Treue“, lautet hier das Motto, dem folgt auch das lockere Buffopaaar Musotte (in brombeerfarbener Robe: Talya Lieberman) und der vokal wie körperlich bewegliche Dániel Foki als baritonsamtiger Baron Bogumil Barczewsky. Als Überraschungsstar entpuppt sich freilich die mit dem Fächer wie ihrem cremig-opaken Sopran gleichgut umgehende Koreanerin Hera Hyesang Park als Dschainah. Die war – Kuriosum der Operettengeschichte – einst eine auf die japanische Sängerin Michiko Tanaka zugeschnittene Auftragsrolle. Bezahlt hatte dafür ihr 40 Jahre älterer Gatte, der Wiener Kaffee-König Julius Meinl II. Der wollte mit dieser Operette seiner Frau das Theater an der Wien zu Füßen legen.
Michiko Tanaka muss eine ungewöhnliche Person gewesen sein. Nach einem Techtelmechtel mit einem verheirateten Cellisten sahen sich ihre Eltern zunächst genötigt, die 19-Jährige von Tokio nach Wien zu schicken. Wo sie sich noch während ihres Gesangstudiums bei Maria Ivogün den nächsten Erben angelte. Und der Herr Meinl bezahlte vor Abraham bereits Richard Tauber als karrierefördernden Partner für einen Spielfilm! Trotzdem ließ sie sich 1941 nach wenigen Ehejahren scheiden. Nach Affären mit dem Dramatiker Carl Zuckmayer und dem Schauspieler Sessue Hayakawa heiratete sie Viktor de Kowa, Julius Meinl war Trauzeuge. Später brachte sie noch Seiji Ozawa mit Herbert von Karajan zusammen. 1988 ist sie in München gestorben, begraben liegt sie auf dem Berliner Friedhof Heerstraße.
Doch zurück zur wiedererstandenen „Dschainah“: Unter der beswingt-sanftmütigen Leitung des Esten Hendrik Vestmann der das Orchester auch als Tanzkapelle animiert, kann man nur dem Chor zustimmen: „Hier ist was los“ – und die Komische Oper hat einen weiteren Paul-Abraham-Hit gelandet.
Wieviel stärker noch freilich eine szenische Version gegenüber den bisweilen auch chorlosen semikonzertanten Lustmachern der Komischen Opern wirkt, das ist gerade an der Staatsoper Hannover im „Märchen im Grand Hotel“ zu erleben. Dort spielt man die zuvor bereits in Luzern in die Innerschweizer Hotellerie verlegte „Lustspieloperette“ im Outfit eines frühen Filmmusicals mit viel Step und Foxtrott. Erstaunlich, wie nah diese 1934 ebenfalls in Wien von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda ersonnene Chose musikalisch den klassischen Astaire/Rodgers-Titeln ist. Zudem wird ganz aktuell mit echten, aber verarmten europäischen Aristokraten „gedreht“, die nach die diversen Liebesscharmützeln mit viel Geld nach Hollywood gelockt werden.
Stefan Huber inszeniert das so routiniert beweglich wie glamourös, indem er einfach die Zeitachse aus den Reality-TV-Shows von heute in die eskapistische Zelluloid-Unterhaltung der Dreißiger zurückdreht. Es kreiselt zudem die Bühne, die ein ganzes Hotel offeriert, wie schon zuvor das Mackintosh-Filmstudio, in dem Sänger, Tänzer und Choristen höchst professionell durcheinanderwirbeln. So wie auch Carlos Vázquez dies prickelnde Abraham-Mischung aus Walzer, Tango, Schlager, Charleston und Jazz schön moussieren lässt.
Valentina Inzko Fink ist Flapper-frech und fußflink Marylou Mackintosh, die sich am Ende eher unfreiwillig mit dem k.u.k-Prinzen Andreas (Philipp Kapeller) tröstet. Der als Kellner inkognito durch Papis Riviera-Luxusschuppen in Cannes wieselig wuselnde Hotelerbe Albert ist bei Alexander von Hugo mit leichtem Tenor bestens aufgehoben. Und natürlich bekommt er zum Finale seine klamme Exil-Königin, die strahlend-schmissige Mercedes Arcuri, die auch wehmutsvolle Sehnsucht kann. Auch wenn hier der typische Abraham-Ohrwurm fehlt, das Ganze macht sehr viel Laune!
Der Beitrag Paul Abraham boomt swingend wie sentimental weiter: Aktuell mit „Märchen im Grand Hotel“ in Hannover und „Dschainah“ an der Komischen Oper Berlin erschien zuerst auf Brugs Klassiker.