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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Auf der Suche nach der neuen Menschin: In Monte-Carlo hat Ballettchef Jean-Christophe Maillot eindrücklich „Coppél-I.A.“ ins Androidenzeitalter gepusht

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Eigentlich ist es doch ganz einfach. Klar, man kann, die 1870 an der Pariser Opéra uraufgeführte  „Coppélia“ von  Arthur Saint-Léon als eine alberne, kaum abendfüllende romantische Geschichte abtun. So wie beispielsweise in Berlin geschieht, wo eines der wenigen, kontinuierlich gespielten Ballette der romantischen Ära trotz der hinreißend populären Léo-Delibes-Musik seit mehr als 30 Jahren ignoriert wird; dafür gab es dort in dieser Zeit mindestens fünf, meistenteils schlechte, aber immer teure „Dornröschen“-Produktionen. Man kann die in ihrem Kern auf E.T.A. Hoffmann zurückgehende Geschichte von der mechanischen Puppe des geheimnisvollen Doktor Coppélius, die in einem galizischen Dorf (Folklore! Pittoresk!) für echt gehalten wird, bis die kesse Swanilda, deren Verlobtem Frantz das Ding auch den Kopf verdreht, hinter das Geheimnis dieses quasi prähistorischen Roboters kommt, natürlich auch einfach mal wieder in eine historischen Produktion ansetzten. Aber dann kommen auch schnell die Flauheiten des Librettos heraus, von der Choreografie sind sowieso nur Teil überliefert. Das hat etwa das Bayerische Staatsballett mit der allzu knappen, flach-flauen und ziemlich verstaubten Fassung von Roland Petit aus den Siebzigern übernommen. Oder man schafft die „Coppélia“ (so heißt übrigens auch eine Eisdielenkette auf Kuba mit einer schrillen Fifties-Beton-Hauptfiliale in Havanna) einfach konsequent neu. Ist gar nicht so schwer, denn im Kern ist die Geschichte von der seelenlosen Frau ja durchaus futuristisch. Das hat er jetzt mit aufgepeppten, modernisierten alten Handlungsballetten sehr versierte Jean-Christophe Maillot jetzt in Monaco mit seinen Les Ballets des Monte-Carlo unternommen: Das Ergebnis ist so stimmig wie radikal schick. Und wird schon im zugespitzten Titel deutlich „Coppél-I.A. Ja Maillot, der dieses Jahr sechzig wird und seit 1993 höchst erfolgreich unter der wohlwollenden Schirmherrschaft von Princesse Caroline de Hanovre, das seit den seligen Ballets russes-Winterquartierzeiten als neuer Diaghilev die Tradition der Tanzkunst an diesem legendären Riviera-Ort wiederzubeleben wusste, er hat seine Version dabei auch sehr hintergründig lokal angelegt.

Fotos: Sebastien Botella

Den gerade zum Jahreswechsel präsentiert sich dieser superkünstliche Hot Spot mit falschen Winterlandschaften zwischen Palmen, Lichterorgien und Projektionskunstwerken vor dem historischen Casino/Opernbau, dem brutal neureich aufgemöbelten Hotel de Paris samt neuen Appartementaufsätzen, neuen Wohnblocks und High-End-Luxusgeschäften noch absurder als sonst. Hier flanieren fies rücksichtslose Russinnen und botoxaufgepumpte Italienerinnen. Auf den öffentlichen Strand freilich können sie nicht schauen, da wird geraden drei Jahre lang schon wieder eine neue Halbinsel aufgeschüttet, auf dass die superreichen Brexit-Flüchtlinge eine neue Appartement-Bleibe finden werden. Allein drei Milliarden Euro investiert das Grimaldi-Fürstentum nur in die Grundierung.

Zwischen Eisbären, Rentieren und Kunstschnee geht es auch hinunter, sieben Stockwerke unter dem Mittelmeer, in die Salle des Princes im Forum Grimaldi, das ebenfalls erweitert werden soll. Keine Überraschung, dass die super glossy Bühne der Ausstatterin Aimée Moreni auch aus weißen, coolen konzentrischen Ringen besteht. Das ist so abstrakt wie aseptisch, erinnert an ein Auge, an Star Wars oder James Bond-Welt. Die Werkstatt des Coppélius ist dann schwarz und atmet spooky gothic. Und auch die Kostüme in Weiß, Grau, und Creme haben etwas exterrestrisches. Natürlich hat Coppél-I.A., die künstliche Intelligenz in Replikantenform, die Katrin Schrader ganz wunderbar fischfluid, knochenlos, aber trotzdem berührend tanzt, dank ihre silbrig fluoriszierenden Metallbänder auch etwas von der klassischen Maschinenfrau Brigitte Helms in „Metropolis“. Science Fiction, riviera-glamourös eben.

Der frosty look wird verstärkt durch die vom Band ertönende Klangcollage von Maillots Bruder Bertrand, der die Mitsing-Melodien von Delibes durch den Computer gejagt und mt Glasharmonika und Synthesizer virtuell angenehm verfremdet hat. So könnte es auch in einem Kühlschrank klingen, würde der Musik spielen.

Jean-Christoph Maillot hat zwar nur die störrische, willensstarke Coppé-l.A. die verführen kann, aber erst bei Frantz so etwas wie echte Leidenschaft empfindet, als Avatar ausgepreist, aber auch das andere Personal kann eine starke Künstlichkeit nicht verleugnen. Frantz (kraftvoll: Francesco Mariottini) Swanilda (edle Linien: Alessandra Tognolini) kämpfen um ihre Beziehung, hinterfragen ihrer humanen Gefühle. Was für eine Art Macher ist dabei Coppélius? Der vielschichtige Jaeyon An lässt das in der Schwebe, er könnte, mit seiner Roboter-Amanda auch ein Choreograf sein? Geht es uns nicht allen um Selbstoptimierung, Perfektion? Was macht in solchen Machtspielen noch den menschlichen Faktor aus?

Fragestellungen, die alle subkutan durch Jean-Christophe Maillots starke, moderne „Coppél-I.A.“ als einem Gesamtkunstwerk aus Bildern, Bewegungen und Tönen schwingen. Die Choreografie beantwortet sie weniger klassisch, oft pantomimisch, als Revue sich entfaltend, technoider als sonst, auch bewusst kühl, aber doch soghaft faszinierend. Maillot kann Tableaux auffächern, sich dann aber auf einzelne konzentrieren. Auch die neue Musik hilft da viel mit. Die alte „Coppélia“ als wiedergeborene, zunächst staksige Frankenstein-Kreatur im Laboratorium des neuen Menschen.

Zum Finale drückt das künstliche, human berührte Wesen den ihr verfallenen Coppélius zurück und auf die Knie. Sein Stecker ist gezogen, die Energie entladen, sie läuft in eine unbekannte Zukunft. Die sich wiedergefunden habenden,  lebend Liebenden sind ebenfalls in ihrer Welt zurück. Vorerst. Aber ist das wirklich das Ende der Geschichte?

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