Keine Politplakate mehr am Flughafen, nur müde vor schweinchenrosa Abendrot flatternde Palmwedel. Davor karibische Geschäftigkeit. Vor sechs Jahren war ich zuletzt auf Kuba, die Insel hat sich natürlich schon wieder verändert. Aber immer noch ist da diese sehr spezielle Mischung aus sozialistischer Rückständigkeit, Farben, Oldtimern, einem ungewissen Aufbruch, Mojitos und groovenden Salsahüften. Weniger Touristen sieht man in Havanna seit die großen amerikanischen Kreuzschiffe nicht mehr anlegen dürfen. Die Renovierung im Weltkulturerbe Habana vieja ist weiter fortgeschritten, auch wenn manche Straßen immer noch trübe vergammelt aussehen, Balkone bröckeln, ganze Fassaden abgestützt werden. Das ehrwürdige Kloster St. Franziskus von Assisi, heute ein prächtig sanierter Konzertsaal, präsentiert in seinen zwei mächtigen Innenhöfen spanische Goldmonstranzen und silberne Marienbilder. Ein Steinwurf weg, hin zur Plaza vieja mit ihren immer spielenden Musikkapellen, liegt das kleine Kloster der schleierkrönchentragenden Brigittinnen, die auch Zimmer vermieten. Einfach, aber sauber, mit blaugestrichenen Innenhöfen, wo man zwischen dem immer noch blinkenden Weihnachtsschmuck, diversen Krippen (hier sehr beliebt, vor der Kathedrale steht sogar eine lebensgroße) und Papstbildern schön in Schaukelstühlen relaxen kann. Sogar Internet gibt es inzwischen, mit Rubbelkarten, eine Stunde zwei CUC der Touristenwährung. Kein Vergleich, als man früher selbst im ehemaligen Mafia-Hotel Nacional in einen Raum im obersten Stock musste, mit altersschwach schnarrenden Terminal und dauernd zusammenbrechender, trotzdem teurer Verbindung. Ich bin freilich nicht als Tourist da, Kuba fasziniert nach wie vor Musiker, ganz besonders die der Klassik. Claudio Abbado, Simon Rattle, das Mahler Chamber Orchestra, das Mahler Jugendorchester, das Lucerne Festival, sie alle waren hier. Man hat unterrichtet, Geld gespendet, Instrumente mitgebracht, aber irgendwie sind alle Good Will-Mühen versickert. Und immer wieder hat man das Label Cuba und alle sich damit verbindenden Assoziationen für Crossover Projekte genutzt. „Parsifal goes la Habana“, „Mozart meets Cuba“, das hat meist nichtklassische Musiker involviert. „Mozart in Havanna“ war hingegen 2016 eine reine Klavierkonzert-CD der nicht so tollen amerikanischen Pianistin Simone Dinnerstein. Das stellte freilich das Orquesta del Lyceum de la Habana und seinen Dirigenten José Antonio Mèndez Padrón, den alle nur Pepito nennen, in den Mittelpunkt. Sogar auf US-Tour waren sie. Und mit denen will jetzt die Hornistin Sarah Willis von den Berliner Philharmonikern aufnehmen. In Kuba. Mozart y Mambo. Jawohl. Lasset das Abenteuer beginnen.
Keiner wartet auf mich, die Klostertür geht erst nach langem Läuten auf. Alle sind fort oder beschäftigt. Doch dann steht Sarah in der Lobby, Mohnblumenkleid zwischen den künstlichen Weihnachtssternen und lacht ganz entspannt. „Vor ein paar Tagen war ich noch verzweifelt. Aber alles fügt sich. Weil man mich hier inzwischen kennt. Dann geht auf Kuba das Meiste, irgendwie.“ Im Sessel sitzt schon ihre Maskenbildnerin, eine erfahrene TV-Frau weiß, was nötig ist. Auch Top-Fotografin Monika Rittershaus taucht mit ihrer Tochter auf. Sie ist seit Silvester da, davor hat sie noch beim Jahresendkonzert der Berliner Philharmoniker gearbeitet. Eigentlich ist kein Geld da, aber Chefin Sarah wollte trotzdem das Beste, das lohnt sich hinterher auch.
Sarah Willis ist am 26. Dezember geflogen, „ich musste mich vor Ort um alles kümmern, die Flüge für die Crew garantieren, denn die Visa kamen erst in letzter Sekunde“. Doch, eine Zitterpartie. Viel privates Geld, eine Menge Arbeit, noch mehr Enthusiasmus sind dabei, aber jetzt beginnt „Mozart y Mambo“ langsam zu rocken. Es muss, denn es ist ein vielsaitiges Projekt – auf mehreren Ebenen.
„Ich bin gern Tutti-Schwein“, gluckst Sarah Willis. „Ich mag die Soli gar nicht so gern, das überlasse ich anderen. Aber trotzdem hat die in den USA geborene Engländerin, die am Londoner Royal College wie an der Guildhall School studierte und sich in Berlin bei Philharmoniker Fergus McWilliam den letzten Instrumentalschliff holte, sich danach distinguierte Posten ausgesucht: als erste Westlerin stieß sie 1991 zu Daniel Barenboims Staatskapelle, spielte 2. Horn; das tut sie – als erste Frau in der Gruppe – seit 2001 auch bei den Berliner Philharmonikern.
Sie hat gastiert, das Übliche, aber dann ein weitere Berufung entdeckt: ihr Kommunikationstalent, ob sie nun unterrichtet, Kollegen, Gastdirigenten und –solisten für die Digital Concert Hall interviewt, diverse Fernsehprojekt sowie ihr wöchentliches Klassikmagazin „Sarah’s Music“ bei der Deutschen Welle dirigiert. Das kommt nicht immer bei allen gut an, der Klassikteich ist eigentlich ein Haifischbecken, besonders wenn sich eine Orchestermusikerin ungewöhnlich exponiert, aber Sarah Willis hat das noch nie gestört. Ok, natürlich ist das alles auch eine Sarah Show, ein bisschen Geltungsdrang, Mitteilungsbedürfnis sollte man auf einem Podium schon haben. Aber die 50-Jährige macht eben was, sucht Perspektiven und Projekte, bläst nicht nur ihre Dienststunden herunter. Und sie engagiert sich – so wie jetzt auf Kuba.
Wir müssen los. Nach einem schön scharfen Essen samt sehr buntem Cocktail im fruchtverzierten XXX-Monsterglas auf der Plaza vieja geht es ein paar Mal um die Ecke, in der Ferne glitzert märchenhaft Havannas Capitolkuppel, zum in der Dunkelheit weißleuchtenden Oratorio San Felippe Neri. Der Orden hat an seiner Versammlungsstätte in Rom einer neuen Musikform den Namen gegeben: dem Oratorium. Also passt die Location super. Auch sie ist längst ein Konzertsaal, der dem darüberliegenden Lyceum Mozart gehört.
Durch die Glastür sieht man bereits die Musiker sich warmspielen. Ab heute gilt es. Nun wird aufgenommen, „Mozart y Mambo“ geht vom Stapel. Mit dem Schwersten: Mozarts 3. Hornkonzert. Das ist der rein klassische Teil. Sarah ist nervös. So viel Vorbereitung. Und jetzt muss sie als Solistin ran. Sie will es hinter sich haben: „Das Stück ist ein Trauma, denn es war natürlich auch mein Probespielstück, Kadenz, danke, der nächste. Das steckt auf ewig in einem.“ Und wenn das jetzt flutscht, wird der Rest leichter.
Es ist 10 Uhr nachts, die Kirche ist natürlich kein Studio, man hört jedes Geräusch von der Straße. Aufnehmen kann man erst, wenn Havanna einigermaßen zur Ruhe kommt, sich schlaffertig macht. Was seltsamerweise doch lange vor Mitternacht der Fall ist, wenn alle Bars schließen.
Konzentriert geht es durch den ersten Satz. Dirigent José Antonio Mèndez Padrón, der ein wenig aussieht wie ein sehr spilleriger Fidel Castro, ist die Ruhe selbst. Als Tonmeister ist Christoph Franke dabei, der sonst ebenfalls bei den Berliner Philharmonikern die Digital Concert Hall fährt und die eigenen Aufnahmen betreut. Er sitzt in einem marmorstarrenden, aber kakerlakenbelebten Kabuff hinter der Apsis. Meist hört man nur seine Stimme als die des Herren aus dem Lautsprecher. Der dann spielverderbend säuselt: „Das war fast schon gut, aber..“ Und wenn es gut war, dann hat draußen punkgenau wieder ein Oldtimer eine Fehlzündung.
Die Geigen müssen sich erst warmstreichen, es wird stetig synchroner. Das Orchester ist motiviert, die jungen Musiker spielen mit Körper und Seele. Jede Bemerkung saugen sie wie die Schwämme auf, setzten sie sofort um und irgendwie hört man da Akzente, ein Spiel mit dem ganzen Körper, das eben doch anders ist als bei europäischen, amerikanischen oder asiatischen Musikern. Sarah läuft der Schweiß in den Mund, Hornspielen ist nicht nur eine ästhetische Angelegenheit. Doch die Klimaanlage wäre zu laut.
Nach etwas über einer Stunde ist der erste Satz inklusive Kadenz im Kasten. Gleichzeit wird aber auch fotografiert und von bis zu vier Kameramännern gedreht. „Mozart y Mambo“ wird von Alpha Classics aufgenommen und von der Deutschen Welle als Konzertfilm mit dazwischen geschnittenen Kuba-Bildern gesendet werden. Alle strömen in den kleinen, räudigen Innenhof, Handy leuchten in der Nacht. Es gibt Birnensaft (Alkohol erst nach den Aufnahmen) und Kekse, Sarah verziert einen mitgebrachten Lebkuchenmann mit Smarties. Das warme Essen dauert noch. Also fangen sie lieber schon mal mit dem Adagio an. Und ich geh ins Bett. Das Jetleg fordert seinen Tribut.
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