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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Mozart y Mambo II: Hornistin Sarah Willis kommt auf Touren und Töne – aufgenommen

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Projekt. Früher hatten die Kubaner ein Projekt. Was aber machen Sie heute? Im Post-Fidel-Zeitalter, mit Trump vor der Tür. Darüber unterhalten wir uns, Sarah Willis schläft noch, es wurde sehr spät für sie, lebhaft am Frühstückstisch bei den Brigittinnen. Da ist es bescheiden, aber ausreichend gedeckt (Tuchmotiv: Weihnachtssterne). Sonst regiert oft wirklicher Schmalhans. Die Fleischereien sind leer, Gemüse gibt es wenig, letzten Monat blieb mal wieder das Benzin aus. Die Touristen merken das kaum, die Einheimischen sitzen (noch) freundlich vor ihren pittoresken, aber eigentlich abgeranzt ruinösen Häusern mit den besseren Wohnlöchern im unrenovierten Teil von Habana veija. Wobei das hier scharf aufeinanderstößt. Selbst in der Flaniermeile Obisbo gibt es schöne Schnörkelbauten ohne Fenster und komplette, verrammelt leerstehende Hochhäuser. Wie lange wird das noch gut gehen? Wo ist die Frustration? Später werden die Musiker vom Orquesta del Lyceum de la Habana erzählen, dass sie zum Teil nachts, nach Ende der ersten Aufnahmesession, noch bis zu 90 Minuten im Sammeltaxi nach Hause gefahren sind. Manche leben immer noch bei ihren Eltern. Und die, die enttäuschte Generation, die Großeltern, die noch in der Revolution aktiv waren, die Eltern, Akademiker, die sich nichts leisten können, sie raten ihren zur Individualität, zum Weggehen. Aber diese Musiker, Postgraduierte der Kunstuniversität ISA, zu der auch die Musikfakultät gehört, die das Lyceum Mozart seit 2009 mitbetreibt, sie wollen bleiben. Sie haben sich eingerichtet, mit mehreren Jobs. Manche gehen regelmäßig auf Auslandstourneen, wie der wildgelockte Saxophonist Yuniet Lombida, ein kleiner Star, der bei der Tourshow „Carmen Cubana“ auch in Deutschland schon aufgetreten ist, wo es ihm sehr gefallen hat – „aber es ist eben nicht Kuba“. Andere, wie Jenny Peña Campo von den zweiten Geigen, spielen in mehreren Ensembles, und sind auch ab und an projektweise in Europa unterwegs.

Möglich machen das die Salzburger Stiftung Mozarteum, die sich auch an ihrem kubanischen Namensableger nachhaltig engagiert. Vor allem aber die Balthasar-Neumann-Stiftung des Balthasar Neumann-Ensembles, zu dem Jenny, zusammen mit zwei anderen, immer wieder eingeladen wird. Das ist eine Herzensangelegenheit von Thomas Hengelbrock, der mehrere Mal da war, und der wirklich hilft – durch Kontinuität.

Das möchte auch Sarah Willis. Viermal hat sie für ihre Fernsehsendung „Sarah’s Music“ hier schon gedreht, einmal auch über das 2016 gegründete Lyceumsorchester, das sie sogleich gepackt und fasziniert hat. „Ich wollte ihn helfen, das sind so wunderbar ehrliche und enthusiastische Musiker, die bessere Instrumente und Aufträge brauchen. Darüber finanzieren sie sich nämlich.“ Aber man kommt in Kuba nur weiter, wenn man bekannt ist, sich Vertrauen erobert hat. Das hat Sarah schnell kapiert. Und ist einfach nach einer Masterclass beim New World Symphony von Miami nach Havanna weitergeflogen: „Das ist ganz billig, nur dauert es auch dieser Richtung Stunden bei der Immigration“.

Vor Ort ist sie mit offenen Armen empfangen worden. Nur was wie machen? Also hat sie auch erstmal Masterclasses gegeben: „The Girl with the French Horn from Berlin. Wer da wohl kommen würde?“ Sie kamen zahlreich aus der ganzen Insel, die Community ist dank What’s Up inzwischen auch hier gut vernetzt. Profis wie Studenten. Und schwupps, waren die Havana Horns gegründet. Klar, dass sie auch auf der CD dabei sein werden.

CD, ja das wurde dann das Kuba-Projekt von Sarah Willis – für sich wie für die Insel. Von einem Teil den Platteneinkünfte für das Orchester sollen Instrumente gekauft werden Die Outhere Music Foundation wird Streichersaiten spenden. Im Sommer, parallel zur Veröffentlichung geht es auf Europatournee nach Amsterdam, zum Schleswig Holstein und zum Rheingau Musikfestival, zu Young Euro Classics nach Berlin.  Sie hat das alles organisiert, die Unterkunft gefunden, Fotografin becirct, sehr gute Technik ausgewählt, Tourneeveranstalter, Platten und Fernsehproduzenten sowie TV-Sender überredet. Und sogar noch für den letzten Rest Finanzierung hat sich eine kleine Stiftung in Gestalt des ebenfalls hornspielnden, jetzt sich hier freuenden Roland Goeder gefunden. Mozart y Mambo, seriös klassisch aber mit Cuba Touch. Es darf in Hüften wackeln, und gesungen wird auch.

Zum Beispiel heute Abend, den es gibt zu den CD-Aufnahmen diverse Nebenaktivitäten, zum Beispiel ein öffentliches, mitgefilmtes Konzert, einen Flashmopp und eine 30-Minuten-Dokumentation. Alles mit und über Sarah. Und weil sie das als Frontfrau auch zum Teil selbst vorfinanziert, ins hohe Risiko geht, ist es erstaunlich, wie sehr sie es doch auch trotz der deutlich spürbaren Anspannung genießen kann. Sie ist Star, Vehikel, aber auch Anschieberin. Erstaunlich viel klappt und fügt sich, alle sind gut gelaunt, und der launische Solotrompeter, der kurzfristig abgesagt hat, der wird einfach durch den aus dem Orchester ersetzt. Der hat zwar Muffensausen, macht es dann aber ganz prima. Seine Freundin ist mächtig stolz.

Zunächst aber schwirrt Sarah Willis mit Monika Rittershaus durch die Stadt, Fotos für das Booklet machen. Ich gewöhne mich hingegen entspannt an den karibischen Rhythmus, lese und döse. Die Nonnen haben dafür verschiedene Patios, später stelle ich mir einen Stuhl aufs Dach. Da gibt es einen kleinen, liebes- und schleckbedürften Hund, der schwanzwedelnd aus dem Klosterkräutergärtchen herbeitrippelt.

Nachmittags gehe ich ein wenig durch die Altstadt, wo sich Verfall und Touristenlack abwechseln, urige Privatkneipen sich gegenseitig mit ihrer Musikbeschallung duellieren, Cafés einen letzten Rest von Grandezza bewahren, das koloniale wie revolutionäre Erbe gepflegt wird. In manchen Straßen flattern bedruckte Betttücher wie ein Mobile über den Fußgängern, in anderen schweben Schirme: alles fantasievolle Deko von Restaurants, die auf sich aufmerksam machen wollen.

Und um acht Uhr brummt dann das Oratorio, auch Kinder gluckern, es wird viel fotografiert. Beim Mozart-Konzert ist der Applaus noch verhalten, auch die Musiker kommen allzu vorsichtig noch nicht aus der Reserve. Dann folgen die adaptierten und arrangierten Teile, zunächst eine Rondo alla Mambo, das auf dem letzten Satz des 3. Hornkonzerts basiert und zwischen Deutschland, Kuba und Australien seine kreative Geburt erlebte. Jetzt ist das Eis gebrochen, das Publikum geht mit, die lächelnd mitschwingenden Musiker haben sich freigespielt.

Nach der Pause gibt es die Sarahnade Mambo für Horn, Saxophon und kubanisches Krachmachensemble. Furios legen da schon die Kongas los, statt eines kaum aufzutreibenden ständig verstimmten Klaviers swingt ein Keyboard. Jetzt ist Stimmung in der Kirchenbude. Sarah tanzt und singt und spielt, die Erleichterung, dass es so gut aufgeht, ist ihr ins Gesicht geschrieben. Es gibt zwei hübsch arrangierte Lieder, bei denen alle mitsummen.

Dann erheben sich als Zugabe die 14 Hornisten samt Instrumenten aus dem Publikum und spielen im Halbkreis auf dem Podium. eine salsapfeffrige Sahrabanda. Zum Finale trötet dann, deutlich erkennbar, die kleine Mambomusik. Alles wird professionell von Sarah wegmoderiert und noch nonchalanter gespielt. Ihre dritte CD wird das werden, und natürlich die bisher verrückteste und persönlichste.

Doch noch ist es nicht vorbei. Das Konzert schon, das immer wieder zu Erinnerungsfotos innehaltende Publikum lässt sich nur schwer zum Gehen bewegen. Trotzdem wird Muskel- und Nervennahrung im Hof serviert, Audio- und Videoabteilung verständigen sich währenddessen, was wann und wie noch einmal gemacht werden muss.

Und schon geht es weiter, Korrektur- und Neuaufnahmen wechseln sich ab. Zuviel Musik. Mit einem Teil der Crew klingt der zweite Abend in einer nahen Bar bei frittierten Kochbananen mit Salsa und Mango-Daiquiris in milchflaschengroßen Gläsern aus – denn daran herrscht auf Kuba nie Mangel!

Der Beitrag Mozart y Mambo II: Hornistin Sarah Willis kommt auf Touren und Töne – aufgenommen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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