Und schon wieder steht der Tanz in Berlin – und auch die damit betraute Kulturpolitik in Berlin – vor einem Scherbenhaufen, es ist der erste nicht: Die beiden Intendanten Johannes Öhman und Sasha Waltz schmeißen ihre Posten beim Staatsballett zum Ende 2020 hin und treten damit vor allem ihre Tänzer mit den Füßen. Überraschend kommt das kaum. Das teure Doppelduo war überflüssig und fehl besetzt. Vor allem mit der der längst kreativ nachlassenden, sich von ihren Fans gern als Pina-Bausch-Nachfolgerin feiern lassenden Sasha Waltz. Die in Berlin auf kaum glaubliche Weise gepäppelte Künstlerin ist einfach zu ballettfern, um hier am richtigen Platz zu sein. Anderseits suchte man für sie offenbar einen Versorgungsposten, weil die Kulturpolitik es nie geschafft hatte, für die in den Neunziger- und Nullerjahren für die Stadt mit ihrer Truppe Sasha Waltz & Friends weltweit Ruhm einfahrende Künstlerin eine stabile Arbeitssituation zu schaffen. Anderseits wollte Waltz auch lieber autonom bleiben, trat schon nach vier Jahren Kointendanz mit Thomas Ostermeier an der Berliner Schaubühne im Streit dort wieder ab. Mit ihrem Mann und gewiefte Kulturnetworker Jochen Sanding okkupierte sie stattdessen ein altes Industriedenkmal am Spreeufer und ließ es sich als Radialsystem schön herrichten.
Nachdem die ebenfalls von Anfang an schlecht laufende Intendanz des ausgebrannten Extänzers und Choreografen Nacho Duato am Staatsballett 2018 vorfristig endete, zog die Politik als lokale Lösung Sasha Waltz aus der Namenskiste. Die freilich konnte nicht sofort anfangen und holte sich als Ballettfachmann den ihr gewogenen, nicht sonderlich bekannten Schweden Johanes Öhman mit ins Boot, der in Göteborg und Stockholm mit leidlichem Erfolg die Ballettkompanien geführt (und gern auch Waltz eingeladen) hatte.
Öhman begann relativ rasch im verunsicherten Staatsballett, wo man zunächst mit spektakulären Demos einiger Ballettschulenmütter und Petitionen in den eigenen Tänzerreihen den Aufstand geprobt hatte, in einer absurden, Zeitgenossenschaft versus Tradition auszuspielen vergiftete Atmosphäre. Die toxischen Wolken klärten sich rasch, sein Notspielplan griff. Die Truppe fing sich wieder, mit Alexei Ratmanskys „Bajadere“-Rekonstruktion und einer ebenfalls historistischen „La Sylphide“ wurden die wunden Klassikgemüter besänftigt, und auch die Moderne-Fans bekamen moderat Futter.
Zum Sommer 2019 stieß dann La Waltz verantwortlich dazu. Kurz darauf wurde freilich bekannt, dass die einzige geplante Klassikproduktion dieser Spielzeit, Marcia Haydees altes Stuttgarter „Dornröschen“, auf 2020/21 verschoben werden musste, da man sich offensichtlich beim Ausstattungsetat verhoben hatte. Sasha Waltz hingegen hat sich beste Bedingungen ausgemacht, um zu einer Auftragspartitur von Georg Friedrich Haas eine neue, spektakuläre Uraufführung zu stemmen. Mit Staatballettmitteln, aber nicht zu dessen Konditionen, war zu hören.
Während Öhman in dem einen Jahr Alleinintendanz einigermaßen angekommen war, funkte nun die Walz dazwischen, nicht eben als Teamplayerin bekannt. Von Auseinandersetzungen mit den Tänzern, Gruppen in der Gruppe, war zu hören, und auch von Friktionen mit Öhman, den sie eifersüchtig beäugt haben soll. Derweil lief es im Spielplan nicht richtig rund. Eine Uraufführung des bereits am Berliner HAU eingeführten Jefta van Dither musste wegen Terminproblemen durch ein altes, sehr performatives Stück ersetzt werden. Eine Dreierabend wurde auf zwei Premieren gestreckt, die beiden Uraufführungen von Sharon Eyal und Alexander Ekman blieben weit unter deren sonstigem Niveau. Ein extra engagierter klassischer Startänzer wie Daniil Simkin hat bis heute keine einzige Premiere getanzt.
Trotzdem wurde das alles schön geredet, mit viel Geklüngel und nur vier Stimmen wurde man gar von der Fachzeitschrift „tanz“ zur „Kompanie des Jahres“ hochgejodelt. Während hinter den Kulissen offenbar bereits alles auseinanderbracht. Was natürlich auch eine Flucht nach vorn ist, kann Johannes Öhman nun als Gewinn verbuchen: Er hat seine Berliner Zeit offenbar auch mit Jobsuche verbracht und verbessert sich jetzt – zumindest für einen Schweden. Er wird mit Beginn des kommenden Jahres das Dansens Hus in Stockholm als neuer Geschäftsführer und zugleich künstlerischer Leiter führen. Das ist so etwas wie skandinavischer Tanzpapst. Schön für ihn.
Und weil Sasha Waltz ohne ihn kaum Rückhalt hat und nicht in der Lage ist, den Laden allein zu schmeißen, wirft sie eben auch hin. Verantwortung eines Intendanten? Egal! Die eigene Karriere geht vor, es leben das Job-Hopping. Die Leidtragenden? Die Tänzer natürlich, die jetzt kopflos in der Luft zappeln. Mal wieder.
Es ist so traurig: In Zürich reüssiert der choreografisch gar nicht so tolle, aber offenbar als Direktor sehr gute Christian Spuck. Der deutschsprachige Starchoreograf Martin Schläpfer, der durchaus an Berlin interessiert war, hat sich inzwischen auf einen Himmelfahrtskommandoposten an die Wiener Staatsoper engagieren lassen, wo er zudem noch für die von #MeToo-Skandalen erschütterte Ballettschule verantwortlich ist. Das verwaiste Düsseldorf hat sich Demis Volpi geangelt, die Dramaturgin BettinaWagner-Bergelt hat Wuppertal übernommen (auch wenn dort die Skandalsauce um die unrechtmäßige Entlassung von Adolphe Binder weiter köchelt); selbst der schwierige Marco Goecke scheint in Hannover gut angekommen.
Und was ist jetzt in Berlin? Neuerlich eine Zeit der sehr kleinen Tanzsprünge. Und wer soll ab Januar den in den Dreck gefahrenen Staatsballett-Karren übernehmen? Man weiß es nicht!!
Wahrscheinlich muss jetzt wieder die graue, unkündbare Eminenz Christiane Theobald ran, die schon den ukrainischen Starballerino Vladimir Malakhov als Kodirektorin schlecht coachte und für das Duato-Debakel verantwortlich ist. Der Morgen des Tanzes scheint also weiterhin anderswo gedacht zu werden als in Berlin.
Der Beitrag Ausgetanzt: Johannes Öhman und Sasha Waltz flüchten bereits Ende 2020 vom Staatsballett Berlin erschien zuerst auf Brugs Klassiker.