Erst Emmerich Kálmán. Dann Paul Abraham. Jetzt Jaromir Weinberger. Dazwischen jiddische Lieder. Und der Broadway-Kurt-Weill. „Anatevka“ sowieso. Bald „Ich wollt’, ich wär ein Huhn“ mit dem zur Diseuse mutierten Mezzoaltstar Anne Sofie von Otter. Unter der Intendanz von Barry Kosky ist die Komische Oper, dieses dritte, irgendwie andere Musiktheater Berlins, auch zu einem Refugium der Weimarer Zeit und ihrer späteren Exilkomponisten geworden. Der jüdischen im Besonderen. Doch die brutalen Zeitumstände, Flucht, Vertreibung „Ausmerzung“ einer blühenden, frechen, frivolen, auch sentimentalen und eben oft jüdischen Unterhaltungskultur, das hat sich, bis auf wenige, melancholisch eingetrübte Momente, niemals als didaktischer Mehltau auf die Inszenierungen und semikonzertanten Aufführungen des Haus gelegt. Hier wurde und wird vor allem geglänzt und geglimmert, Frohsinn wie Schwachsinn arios verfertigt, gesteppt und frivol mit der Hüfte gewackelt auf Kosky-komm-raus. Auch und ganz besonders bei einem so außergewöhnlich geschichtsträchtigen Unternehmen, das jetzt – sinnig gequetscht zwischen die dritte Serienstaffel „Babylon Berlin“ und den 75. Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz – im Haus an der Behrenstraße seine umjubelte Premiere feierte: die Rekonstruktion der letzten jüdischen Operette der Weimarer Republik.
„Frühlingsstürme“ kam am 20. Januar 1933 im als eines der wenigen, später den Krieg überlebt habenden Vergnügungsetablissements und heute noch bespielten Admiralspalast heraus. So wie am gleichen Abend ein neuer „Faust II“ mit Werner Krauß und Gustaf Gründgens im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Im Großen Schauspielhaus, später der Friedrichstadtpalast der DDR, begeisterte seit Weihnachten 1932 Paul Abrahams jazziger „Ball im Savoy“. Und an der Staatsoper hatte, die Ehrungen zum 50. Todestag Richard Wagner standen an, dessen Jugendwerk „Das Liebesverbot“. Premiere. Marcel Wittrisch sang, Erich Kleiber dirigierte. Das war Berlin!
Während im Admiralspalst in der damals so angesagt exotischen Operetten-Mandschurei, wo unter Russen, Japanern und Chinesen jeder jeden ausspioniert, sich „Jasmin“ auf „Mandarin“ reimt und im Duett „Nimm mich nach China mit“ gefordert wurde, marschierten zehn Tage später draußen die Nazis mit Fackeln durchs Brandenburger Tor, um ihrem neuen Reichskanzler Adolf Hitler zu huldigen. Und am 27. Februar, auch da war Vorstellung, brannte der Reichstag. Am 12 März wurde das Erfolgsstück schließlich rüde abgesetzt. Und es war Schluss mit lustig. Eine Nachkriegsaufführung der „Frühlingstürme“ im mährischen Ostrava ist nachgewiesen, doch die Partitur musste jetzt von Norbert Biermann aus den Orchesterstimmen neugeschrieben werden. Ein paar zusätzliche Tanzjuxnummer inklusive.
Komponiert hat dieses routiniert-animierte, keineswegs Gattungsgrenzen sprengende, ja auch nicht mal antastende Unterhaltungsopus Jaromir Weinberger. Ihn, 1896 in Prag geboren, 1967 vergessen in Florida durch Suizid aus dem Leben geschieden. kennt man heute noch vor allem als Komponist der zündenden Volksoper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ (1927), die dann gleich als nächstes an der Komischen Oper folgt. Und an die „Frühlingsstürme“ erinnern sich Vokal-Nostalgiker gern, weil ihre berühmtesten Nummern sofort nicht nur in Tango- und anderen Instrumentalversionen mit dem aus dem Hotel Esplanade bekannten Salonorchester des Barnabás von Géczy auf Schelllackplatten eingespielt worden waren, sondern auf konkurrierenden Firmen vor allem von den beiden damals gefeierten Stars in den Hauptrollen: Richard Tauber und Jarmila Novotná.
Solche Sterne der Oper gibt es in der Komischen nicht zu hören. Aber der fein flötende Tansel Akzeybek (Offizier Ito) und die divenhaft gespreizte, soprancremige Vera-Lotte Boecker (Lydia Pavlovska) machen ihre Singsache in dem immer wieder Ernst werdenden Verkleidungsulk auch sehr patent. Er ist eigentlich ein Männchen, das trotzdem die Primadonna betört – und sich am Ende mit einer anderen getröstet hat. Dieses Konstellation wird dann nicht mehr aufgebrochen; Verzicht regiert. Das so zart ins Falsett gezogene „Du wärst für mich die Frau gewesen“, das sonst für gewöhnlich den zweiten Akt schmückende Tauber-Zauber-Lied als der große, gern wiederholte Tenorhit, es folgt hier erst als Fünf-Vor-Zwölf-Nummer. Und steht im Konjunktiv.
Es sollte ja keinen weiteren Tauber-Erfolg in Deutschland mehr geben. Als ob die Beteiligten es geahnt hätten. Und wohl deshalb lassen Barrie Kosky und sein Bühnenbildner Klaus Grünberg alles in einer großen und kleinen Kiste spielen. Immer abreisebereit, mit kleinem Ausstattungsgepäck, so wie sich das Original-Ensemble, der Zeitumstände wegen, bald zerstreut hatte. Das klappt auf und um, dreht wie wendet sich. Ein Vorhang mit Bambusmotiven, ein paar rote Laternen und Sitzpuffs müssen als fernöstliches Lokalkolorit reichen.
Aus der kleinen Kiste steigt sogar das China Doll Ballett. Sparsam, aber effektvoll über die drei chorlosen Spielstunden verteilt sind die Tanznummern; nur mit Damen; mal kreischig im Mantel; mal madamig wie die kommende braune Ufa-Unterhaltung; mal als neckische Fächernummer auf der Revuetreppe. Ein paar Kirschblütenblätter fallen als Gipfel der Extravaganz: Otto Pichlers clevere Choreografie versagt sich diesmal sogar ihr Markenzeichen, die Männerknackhintern. Dafür gibt es als Zwischenaktknalleffekt sogar ein grandioses Indoor Feuerwerk.
Schließlich sind diese „Frühlingstürme“ auch – ganz wider dem damaligen erotisierend foxtrottenden Zeitgeist – eine sich opernhaft plusternde Operette im semitragischen Lehár-Stil. Für die pfiffige Komik aber sorgen als rustikal röhrende Soubrette die kerlige Alma Sadé, die ihren General-Papsi Katschalow dauernd auf Zornstufe Rot einpendelt. Den wiederum gibt der Schauspieler Stefan Kurt mit aasiger, gar nicht ungefährlicher Trottelhaftigkeit. Während sich Dominik Köninger als kleidermäßig versatiler, deutscher Kriegsberichterstatter Roderich in irrwitzige Baritonbuffonik treiben lässt.
Kalaschnikow und Champagner sind hier keine Gegensätze, und Jordan de Souza treibt das Orchester mit flotter Thermik durch die „Frühlingsstürme“, mal sentimental, mal flott. Bis am Ende die Drehtür im San-Remo-Hotel swingt und der Verkleidungsulk selbst hinter der Zimmeragave noch seine Fortsetzung findet. Doch am stärksten bleiben die Mollnoten hängen. So schafft dieser grandios ausbalancierte Abend den Tanz auf dem Operettenseil als Tauber-Schwips von Klangopium zwischen Angerührtsein und Ablachen. Das macht gegenwärtig Barrie Kosky kaum einer nach.
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