Das war sicherlich das kurioseste „Rollendebüt“ seit Jahren. Anna Netrebko, sonst eigentlich – bei aller Last-Minute-Lernfaulheit –mit einem gesunden Opernappetit auf Neues gesegnet, singt ausgerechnet eine der kürzesten Titelpartien des ganzen Repertoires in vier Etappen erstmals. Zuerst war da 2016 ihr Album „Veriosmo“, auf dem sie als ziemlich zerrupfte Turandot titelposierte. Abgesehen davon, dass Puccinis pentatonischer Schwanengesang das nun gerade nicht ist, eben Verismo, sondern eher was mit Schönberg gemein hat: Auf der CD offerierte sie, als sei sie sich selbst noch nicht ganz sicher, sowohl die Solostellen der Liù wie der eisumgürteten Prinzessin. Es folgten dann diverse Liveauftritte mit „In questa reggia“, der schrägste sicherlich 2017 bei ihrem sommerlichen Berliner Waldbühnenkonzert, blondiert in fuchsiafarbener Fantasierobe und Silbercape die große Treppe im Publikum herabschreitend. In der Silvestergala 2019 der New Yorker Metropolitan Opera gab es schließlich den zweiten Akt (im ersten Akt hat das böse Biest ja nur einen stummen Auftritt bei der Hinrichtung des persischen Prinzen) in der ollen Zeffirelli-Blingbling-Inszenierung. In München folgte jetzt (samt Aufzeichnung) das „offizielle“ Debüt, auch wenn sie hier nur zehn Halbsätze dazulernen musste. Denn die acht Jahre alte, albern ausstaffierte, mit längst läppischen 3D-Raschelbrillen-Effekten aufwartende La-Fura-dels-Baus-Nichtinszenierung der von Puccini nicht fertig komponierten Oper endet, wie einst von Toscanini in der Uraufführung verfügt, nach dem Tod der Liù. Im ersten Akt wird Turandot zudem nur gedoubelt. Und das Schlussduett, das wird dann erst bei den kompletten Met-Aufführungen in der nächsten Spielzeit nachgeliefert.
Spitzenpreise bis zu 340 Euro waren trotzdem für die drei Münchner Aufführungen zu zahlen. Für noch nicht einmal zwanzig Minuten Netrebko-Vokalarbeit. War es das wert? Auffällig war das stark abfallende, eigentlich so nicht Bayerische-Staatsoper-würdige Umfeld. Sicher, da gab es drei ordentliche Minister, den herausragenden Alexander Tsymbaluk (hier immer noch in Erinnerung als sinistrer Boris Godunow) als bassbalsamischen, aber wenig wichtigen Timur. Und die fast am meisten Applaus einheimsende Ensemblesopranistin Selene Zanetti in der stets dankbaren Partie als zerbrechlich anrührende Liù; die mit 31 Jahren aber freilich schon ein anschwellendes Vibrato hören ließ.
Aber der junge Italienische Dirigent Giacomo Sagripanti, in Pesaro durchaus als animierender Rossini-Administrator aufgefallen, quirrlte eine träge suppende, undifferenziert laute, schwülstige und schwerfällige Puccini-Sauce, die einem solchen Haus einfach nicht ansteht. Der erschlug die Sänger mit Knalleffekten, ließ es knirschen und krachen, von der modern-expressive Struktur des kalt glitzernden Werkes bliebt nur ein fettlebiges, eigentlich ungenießbares Blubbern, in dem jeder Vokalwohlklang ertrank.
Und dann war da natürlich noch der unvermeidliche Anna-Gatte Yusif Eyvazov, des Spiels wie der Differenzierung unfähig. Der blökte vor allem seine Spitzentöne am Ende der Rätselszene mit tumber Kraft als eitle Audioausstellung; dabei wurde das sowieso hässlich flache Timbre gleich noch platter und vulgärer. Sein „Nessun dorma“ sang er auf höchst provinziellem Niveau. Da haben die Jahre des penetranten Mitgeschleifwerdens durch die Ehefrau nichts optimiert – und dafür bedankte er sich dann noch mit läppisch eitlen Triumphalgesten. Der Applaus für ihn war sehr endenwollend.
Und die Anna? Die ist eine glaubhafte, in der gleißenden Geisha-Maske mit dem stacheligen Russkratzer-Kopfputz ungewöhnlich lyrische Turandot. Schade, dass sie hier um eine figürliche Entwicklung gebracht wird, da der nachkomponierte Alfano-Schluss fehlt. „In questa regia“ singt sie anfangs noch etwas blechern bemüht, doch die Stimme ist schnell im Fokus, das dunkle Timbre und ihr Metall helfen dem Spinto-Volumen, gut durchzukommen. So wirkt die eindimensionale Parabel-Figur schnell menschlich, in der Rätselszene leistet sie sich wirklich selten so fein in den Piani zu hörende Momente. Aber wie gesagt: im Akt drei sind da nur noch ein paar maue Einwürfe und viel Herumstehen. So bleibt der Eindruck einer „Turandot“ interrupta. Irgendwie fühlt man sich ums Komplettvergnügen gebracht. Und musste drumherum den Netrebko-Kollateralschaden ertragen. Da freuen wir uns doch schon auf Mai und die Dresdner Verdi-Elisabetta. Die hat wenigstens viel und schön zu singen. Auch wenn da wieder bereits Yusif-Carlo in der Kulisse lauert…
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