Ein Kindergesicht. Löckchen. Ein weicher Mund. Man könnte meinen, Liam Scarlett, der Wonderboy des britischen Ballett, sei mit 33 Jahren immer noch so jungenhaft verwundert, wie wohl mit 23 Jahren, als er emporschoss wie in diesem Metier dort seit langem kein anderen. „Der neue Kenneth MacMillan“, so hat man ihn gern genannt, und ihm natürlich damit auch einen Mühlstein um den zarten Hals gehängt. Er durfte als jüngster Choreograf des Royal Ballett dort einen Abendfüller wuppen („Frankenstein“, 2016). Schon 2012 wurde er zum ersten Artist in Residence ernannt, ein Posten, den Ballettdirektor Kevin O’Hare extra für ihn geschaffen hat. 2018 dann der Ritterschlag: Man bestellte bei ihm eine Neuinterpretation des sakrosankten „Schwanensee“, der vom Royal Ballet aus via der Sergeyev-Aufzeichnungen den westeuropäischen Tanzboden eroberte. Und jetzt das: Die Zeitungen spekulieren bereits darüber, ob das Federvieh à la Scarlett ab März wieder auf die Zuschauer losgelassen werden darf. Denn eben wurde bekannt: Liam Scarlett ist bereits seit August beim Royal Ballet suspendiert. Er soll sich ungebührlich verhalten haben. Und während sich die diskrete Institution noch prüde zurückhält, sickern dreckige Detail über den Boulevard nach draußen.
Liam Scarlett, der bisher zu allem schweigt, soll, obwohl er dort kein Lehrer ist, männliche Schüler der Royal Ballet School dazu aufgefordert haben, ihm Nacktfotos zu senden. Er soll kaum 18-Jährige unangemessen berührt haben sowie während des Umziehens in ihre Garderoben spaziert zu sein. Außerdem habe er sich mit ihnen per Telefon sexuell ausgetauscht und habe gemeinsam mit ihnen Kokain konsumiert, berichtete die „Times“ Eine interne Untersuchung dauere derzeit noch an. Das unangemessene Verhalten, dazu kämen Zornausbrüche, die einige Solisten davon abgehalten hätten, weiter mit ihm zu arbeiten, soll angeblich schon seit zehn Jahren andauern. „Er mochte, es wenn man Angst vor ihm hatte“, wird ein Tänzer zitiert.
Scarlett galt in Großbritanniens Ballettszene als ausgemachter Star, als Gans, die goldene Eier legte und die Zuschauer zum Kartenkaufen verführte. Er kam 2006 als Tänzer zum Royal Ballet, ab 2012 konzentrierte er sich auf Choreografie. In England wurde gegen ihn freilich offiziell noch nichts unternommen. Als Reaktion auf die Vorwürfe sagte hingegen das australische Queensland Ballet, wo man ihn auch mit einem Titel ausgestattet hat, eine Gastspielserie seiner jüngsten Tanzadaption von. Deren passender Titel? „Dangerous Liaisons“. Und auch das San Francisco Ballet hat von geplanten „Frankenstein“-Aufführungen Abstand genommen. Beim Texas Ballet wurden alle Planungen für einen neuen „Sommernachtstraum“ mit ihm gestoppt.
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