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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Im toten Opernmuseum: André Hellers lieber, aber lebloser „Rosenkavalier“ wird vom langatmigen Zubin Mehta erstickt

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Irrlicht, Taugenichts, freier Hundling, Schattenboxer, Glücksmatrose, Kapriolendandy. So nennt sich André Heller, der Schluri, das Sparifankerl, auf seiner neuesten CD, der ersten, schönen, tiefsinnigen, textgustiösen seit über 30 Jahren. Ein Amateur, ein Dilettant, ein Liebender, zwischen „Luna-Luna“, Flic-Flac“, „Afrika, Afrika“ traumtänzelnd und zündend, Weltmeisterschaften, Gärten und Fata Morganas ausrichtend, im Daseinsspagat zwischen Wien und Marokko. Und jetzt, nach drei musiktheatralischen special events für seine schwarze Göttin Jessye Norman, auch Opernregisseur – mit 73 Jahren. Nur ein einziges Opus  kam dafür in Betracht, „Der Rosenkavalier“, vor allem wegen der Devotion für seinen Hausheiligen aus Internatskindheitstagen, Hugo von Hofmannsthal, beerdigt nicht weit weg vom Lyzeum auf dem Friedhof in Rodaun. Danach soll, muss nix mehr sein. Dafür hat sich André Heller nun – neben diversen Assistenten – zweier besonderer Mitarbeiter versichert: Xenia Hausner, längst realistische Menschenmalerin, hat er nach über 30 Jahren aus der Bühnenbild-Retraite geholt und den Wiener Modemacher Arthur Arbesser für die Kostüme engagiert. Seine Stückzeit, 1917, mitten im Krieg, aber nichts davon zeigend, dafür statt ahistorischem Walzer-Rokoko Jugendstil Wiener Werkstätte, Reformkleider in exotischer Verkleidung. Tout Opern-Wien inklusive Salzburger Wurmfortsatz samt Journaille ist dafür ins stürmisch-mürrische Berlin gekommen, wo man sich an der Barenboim-Glanzoper mit DDR-Rokoko und großen Namen schmückt. Vorher gab es, quasi als Lever, eine Hausner-Vernissage im nahen PalaisPopulaire. Zum sternflammenden Finale, nach fast fünf Stunden, waren dann aber alle erschöpft, so mancher Minister verschwunden, die Reihen schütter, der mit Buhs gewürzte Applaus endenwollend.

Fotos: Ruth Waltz

Vielleicht hätte André Heller mit diesem geschmäcklerisch-klugen „Rosenkavalier“ besser den staubig-verschlissenen Otto-Schenk-Inszenierungsrest an der Wiener Staatsoper ersetzen sollen. So akribisch und detailfreudig ist das. In Berlin, wo er eine steife Nicolas-Brieger-Inszenierung aus den Neunzigern ersetzt, kommt sein nostalgischer Reigen im Geist des „Schwierigen“ nicht wirklich an. Man hat hier die strenge, mit den Zeiten spielende Homoki-Variante an der Komischen Oper zu bieten. Zudem, falls sie überhaupt noch angesetzt wird, die in der Harms-Zeit nochmals kulissentechnisch aufgemöbelte, intelligente Spiegel-Version Götz Friedrichs von 1993. Die war, nach ihrer Stuttgarter Urfassung, einer der ersten Versuche, aus der ewigen Rokoko-Modellinszenierung Reinhardts mit der Alfred-Roller-Ausstattung auszubrechen.

André Heller versucht das ebenfalls: in einem japonistischen Loos-Salon als Schlafgemach der Marschallin, mit einem rotblau schillernden Reispapierparavanthalbrund; blau, mit goldenen Fensteraugen klappen auch Wände in den Zuschauersaal auf. Der neureiche Herr Faninal residiert in der Wiener Secession samt Klimtschem Beethoven-Fries; der Künstler im Kittel stapft auch – Emilie Flöge im Gefolge – als Statist herum; geht aber, wie die vielen anderen Herumsteher, einfach nicht mehr ab. Statt zum gemeinen Beisl, dem Mariandl wohlbekannt, wird dieses im dritten Akt vom Ochs ins Palmenhaus samt marokkanischem Zelt gebeten, aber arg klamm verführt.

Doch es kommt nirgends wirklich Atmosphäre auf. Ob Lever samt Papierartisten, Clown-Vogelhändler, weiblichem Friseur und rotsamtenem Varietésänger (tenorwacker: Atalla Ayan) oder wimmelbildwuselige Rosenüberreichung – alles wirkt steif gestellt, leblos. Wie aus dem Museum. Heller hat sich feine Details ausgedacht, der Taschentuchschluss des sehr erwachsen, wissenden, genießenden Mohamed (Bruno Sandow) zum Beispiel. Aber die Figuren wirken wie cleane Kleiderpuppen zwischen musealen Accessoires. Im dritten, wohl nicht fertig gewordenen Akt kommt gar keine Bewegung auf, selten standen Kinder und Intriganten so hölzern herum, wenn der endlich haarlose Ochs mit den Schatten von Spinnen und Nosferatu gefoppt wird. Man bewegt sich in einen totgesagten Opernpark, wo nichts mehr atmet, über die lange Spielzeit nur wie in der Vitrine ausgestellt wirkt.

Mit schuld dran hat freilich auch der greise Zubin Mehta. Fast der ganze erste Akt bleibt ohne Zwischentönen und Nuancen, breitgepinselt, streif und öde. Nur in der letzten Viertelstunde wird es dichter, morbider, zärtlicher, so wie in alle Aktfinali die klangprächtige Staatskapelle triumphiert. Dem zweiten mangelt es an Glanz und Delikatesse, dem dritten an aggressive Rumpelei und Walzerdelirium.

Solches legt sich wie Mehltau über die Sängerleistungen. Auf ganzer Linie siegt hier einmal mehr der fleischig-fiese, diesmal auch fletschige Ochs des zupackenden Günther Groissböck. Ein mieser #MeToo-Grabscher, dann aber wieder rührend in der Rüpelhaftigkeit des Ignoranten. Der legt sich seine bewährte Rolleninterpretation noch einmal tiefenschärfend zurecht, in jedem Taktmoment bei Bewusstsein wie Stimme. Das ist Stritzi-Weltklasse, auch wenn er bei Harry Kupfer noch faunhafter und gleichzeitig verletzlicher rüberkam.

Camilla Nylund ist ein nordisch-matronenhafte Frau-Direktoren-Marschallin mit strenger, sonorer Diktion, im ersten Akt schwarzweiße Augarten-Porzellantasse im Josef-Hoffmann-Look, die die verrinnende Resi-Zeit dann doch weichmacht. Schließlich als herablassende Elisabeth-Schwarzkopf-Kopie samt Hutschiffchen im Haar, die sicher ihren Octavian bald wieder im Bett hat. Der kanadische Mezzo Michèle Losier, Ersatz für Marianne Crebassa, spielt den Vetter Taferl etwas steifleinern; für das fade Kleidchen im dritten At kann sie nichts. Ihr geradliniges Timbre erinnert an Frederica von Stade; die aber hatte mehr opak warmen Höhenglanz, bei Losier tönt es allzu neutral. Sehr amerikanisch schnippisch die Sophie der am Hause viel beschäftigten Nadine Sierra, mit piepsigen Spitzen und müde im Terzett.       

Sehr ordentlich die wendige Annina von Katherina Kammerloher, noch Octavian im Vorgänger „Rosenkavalier“. Auch auf den Notar von Jaka Mihelac hört man, weniger auf die Stimmreste Roman Trekels (Faninal) und Florian Hoffmanns (Marschallin-Haushofmeister), den schlechten Faninal-Kollegen, den dürftige Polizeikommissar, die schartige Leitmetzerin (Anna Samuil) und den neutralen Valzcchi (Karl-Michael Ebner).

Rausch und Schönheit wollte ein enthusiasmierter André Heller. Er hat allerdings nur flaue Routine und sich schnell genügende, konfekttaugliche Bilder gefunden. Schade.

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