Es muss nicht immer „Cavalleria Rusticana“ sein! Es gibt doch noch 15 weitere Opern von Pietro Mascagni, die freilich alle in Berlin wie auch im übrigen Deutschland ziemlich vernachlässigt werden. Zum Beispiel das wunderliche, aber herrlich sonniglich aufrauschende „Melodramma“ in drei Akten „Iris“, welches 1898 im römischen Teatro Costanzi uraufgeführt wurde. Jetzt hat sich die höchst verdienstvolle Berliner Operngruppe unter Felix Krieger dieser Rarität im Berliner Konzerthaus angenommen. 2007 konnte man sie bereits szenisch in Chemnitz genießen (der damalige Regisseur Jakob Peters-Messer war anwesend), 2016 gab es eine verkleinerte, umgedeutete Fassung an der Neuköllner Oper. So ist dieses begeistert aufgenommene semiszenische Vorstellung jetzt als Berliner Erstaufführung zu verbuchen.
Viel Schönes gab es da vor allem zu hören: Angefangen vom Sonnenchor samt singenden Blumen, die dieses experimentell-symbolistische, schon sechs Jahre vor Puccinis „Madama Butterfly“ in einem freilich ganz anderen, mystischen Japan angesiedelte Werk bereithält, Obwohl auch Pentatonik erklingt, wird hier tonal in einem exotisch härteren Ambiente gearbeitet.
Das naive Mädchen Iris wird vom bösen Tenor-Osaka samt Bariton-Bordellbetreiber Kyoto erspäht und mittels eines Puppenspiels von seinem Vater entführt. In der Stadt verweigert sie sich, Osaka lässt sie fallen, Kyoto nützt sie als Lockvogel. Ihr Vater kommt und verflucht sie. Iris wirft sich aus dem Fenster auf eine Müllkippe. Im dritten Akt stirbt sie, während die Menschen sie weiter unbarmherzig fleddern und die Sonne verklärend Klangtrost spendet.
Ein herrlicher Kitsch, anderseits aber auch um Themen wie Kindsverführung, Menschenhandel, Herzlosigkeit und ein Sterben im Elend sehr deutlich kreiselnd. Das ist knapp und parabelhaft erzählt, Mascagnis so üppig wie pikant schillernde Musik bekommt viel Raum, und zu deren Glanzunterstützung gehen dann bei den Sonnengesängen immer auch noch im Saal die Kronleuchter an. Früher war eben doch mehr Klanglametta!
Dieses so seltsame wie sinnliche Rarität hat jetzt Felix Krieger mit seinem Projektorchester und –Chor (unter Steffen Schubert) sehr feinsinnig aufpoliert. Eine enormer Qualitätssprung für diese wackere, immer um Ausgefallenes bemühte Truppe, die sich so ein würdiges Geschenk zum 10. Geburtstag bereitet hat. Was als treue Sponsoren wieder maßgeblich von Nikolaus von Oppenheim wie Bertelsmann finanziert wurde; letztere haben ja in ihrem vorbildlich gepflegten und der Öffentlichkeit zugänglichen historischen Ricordi-Archiv in Mailand alle wesentlichen „Iris“-Dokumente liegen – inklusive der jugendstilig-japanischen Originalausstattung-Entwürfe Adolph Hohensteins. Und noch 3000 weitere, kaum gespielte Opern liegen hier zum Studium bereit….
Ganz entscheidend für den Berliner Erfolg war freilich auch die Besetzung der dominanten Titelrolle mit der wunderbar gezielt auf geschmackvoll veristische Effekte zielenden Karine Babajanyan. Die wechselte nicht nur divenhaft zweimal die Garderobe und machte auch im Kimono bella figura. Statt hier nie einlösbarer Kindlichkeit war eine reife, gekonnt mit ihrem Vibrato als Stilmittel spielende Sopranistin zu hören, die die raffinierte Charakterisierungskunst dieser Partie sehr schön und üppig umsetzte, mit aufblühender Höhe und üppig-opaker Mittellage. Etwas gepresst gab Samuele Simonici den unsympathischen Osaka, während Ernesto Petti als ebenfalls widerwärtiger Kyoto mit einem virilen, bissfesten, in den Spitzentönen freien Baritontimbre aufwartete. Satt bassdüster David Ostrek als blinder Vater und sopranhell Nina Clausen als lockende Geisha.
Isabel Ostermann hat das bewährt sparsam szenisch eingerichtet, mit Plastikbonsai und Barhockergruppe, Goldfolie und drei stummen Masken mit Blütenlarve, Totenkopf und Vampirgebiss. Durchaus ein Werk also, für das man sich eine zeitgenössische Visualisierung an einem der drei, gerne mit Standarddoubletten glänzenden Berliner Opernhäuser vorstellen könnte…
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