Back with beloved Bambergians. Hört sich auf Englisch einfach besser an. Also, ich war wieder mal mit den auf der Dauerwolke des Hrůša-Glücks schwebenden Bamberger Symphonikern unterwegs. Vier intensive Tage Spanien. Ja, Jakub Hrůša, der immer noch erst 38-jährige tschechische Chefdirigent, schreibt nicht nur durch seine Brünner Herkunft das historische Narrativ des einst als Deutsche Philharmonie Prag berühmten, in den Nachkriegswirren zu großen Teilen im Fränkischen gestrandeten Orchester weiter. Hrůša ist heute schon einer der gefragtesten Taktgeber überhaupt. Eben hat er sein sowieso geplantes Debüt bei den Wiener Philharmonikern absolviert, als Einspringer für Mariss Jansons, der dann noch während der Konzertserie verstarb. Die Wiedereinladung ist längst ausgesprochen, wie auch bei den Berliner Philharmonikern und eigentlich überall, wo sich dieser grundsolide, herrlich musikalische und dabei menschlich überaus nette Profi vorstellte. Mit dem Concertgebouw Orchest spielt er im Sommer erstmals Oper beim Holland Festival in Amsterdam, so wie auch nächste Saison an der Met – mit seinem Leibstück: Dvořáks „Rusalka“; intern heißt das Nixen-Musiktheater nur noch „Hrůšalka“. Bald kehrt er zum Chicago Symphony Orchestra zurück, mit dem Cleveland Orchestra verbindet ihn genauso eine intensive Zusammenarbeit wie mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks oder dem Orchestra dell’Accademia di Santa Cecilia. Und beim Pittsburgh Symphony steht eines seiner letzten wichtigen Debüts an. Zur rechten Zeit für ihn wie für die Bamberger hat er sich freilich für entscheidend formende Jahre der kontinuierlichen Reife für die Bayerische Staatsphilharmonie entschieden. Seine vierte Saison geht jetzt zu Ende, und klugerweise hat man – einmalig bei diesem Orchester – schon vor zwei Jahren den Vertrag bis 2026 verlängert. Es ist also noch nicht einmal Halbzeit an der Regnitz. Wo Hrůša jedes Konzert meist mehrere Male spielen kann – und nicht selten damit auch noch nationale und internationale Präsenz hat. Jetzt war man auch an spanischen Flüssen: dem Ebro, dem umgeleiteten Turia und dem Manzanares, will sagen in Saragossa, Valencia und Madrid.
Dem waren freilich schon vier Konzerte in Nürnberg, Bamberg und Regensburg vorausgegangen. Ich stoße in Saragossa dazu. Unter dem Flieger bereitet sich die kaum besiedelte aragonische Mondhügellandschaft aus, schon von oben sind die beiden wichtigsten Sehenswürdigkeiten der knapp 700.000 Einwohnerstadt zu sehen: die noch von den Mauren als Moschee begonnene Kathedrale de la Seo mit ihren fünf Schiffen in schönstem gotischen Maßwerk und dem einen Barockturm.
Vor allem aber das Monsterwerk des größten spanischen Barockbaus, Wallfahrtskirche für die Nationalheilige Madonna del Pilar: Die steht als kleine, angeblich dem Apostel Jakobus erschienene Skulptur auf einer wundertätigen Säule, die man von hinter dem freistehenden Altar küssen und berühren darf. Drumherum aber türmt sich bombastisch katholische Glaubenshegemonie, nicht wirklich schön, aber monumental, so wie auch der Platz vor der Kirche.
Weiter weg, fast mitten in der Neustadt, neben dem Stadium von Real Saragossa, aber liegt das Auditorio. Seit 25 Jahren schon, ein halb versenkter Bau aus Ziegel und Beton, im hochfliegenden Foyer mit Moscheeanklängen, innen nüchtern hellhölzern und vieleckig. Durchaus an die Philharmonie erinnernd, mit eine transparenten, hellstimmigen Akustik, die als die beste der neuen Konzertsäle Spaniens gilt.
Vor zehn Jahren waren die Bamberger zuletzt da, insgesamt ist das ihre 18. Spanientour. Mitgebucht sind zwei Solistinnen, Sol Gabetta und Julia Fischer, die erst später wieder dazustößt. Zunächst beginnt das mit einer leichten, schnittigen, nie titanisch sich aufplusternden „Egmont“-Ouvertüre mit schlanker Schlusssteigerung. Beethoven als sehnigen Klassiker gedeutet.
Dann spielt die Argentinierin mit Schweizer Wohnsitz, die in Europa zunächst in Spanien andockte, dort zwar populär ist, sich aber immer ein wenig komisch fühlt, weil sie eigentlich mehr mit den Italienern gemein hat, das erste Cellokonzert von Camille Saint-Saëns: konzentriert, fokussiert, mit nicht zu großem, aber sehr hellem Ton. Kurz, aber intensiv ist dieser Trip in einem, aber dreigeteilten Satz. Angriffslustig tauschen sich Solistin und Orchester aus, Jakub Hrůša ist immer mehr als nur Begleiter, der Klangkörper ernstgenommener Partner; vor allem im zart konturierten Menuett-Mittelteil. Und auch die hier so passende Zugabe, Pablo Casals „Gesang der Vögel“ spielt Sol Gabetta in der zumindest noch sechs weitere Cellokollegen involvierenden Bearbeitung.
Dann folgt als orchestrales Hauptwerk die 1. Sinfonie von Johannes Brahms. Wieder einmal fällt auf, wie musikalisch und intelligent Jakub Hrůša das oft gespielte Riesenwerk gliedert, wie er durchaus neue, farbschimmernde Details entdeckt, ohne mutwillig den instrumentalen Fluss zu stören, zum Stocken zu bringen oder gar allzu eigenwillig umzulenken. Da wirkt einer als souveräner Anwalt der Musik und der Komponisten, sein Handwerk beherrschend, durchaus mit einer Vision, mit Eigensinn und individueller Klangvorstellung.
Schon das von der Pauke vorgegebene Tempo hält Hrůša atmend in Bewegung, ohne Monotonie, alles fächert sich aus den Mittelstimmen heraus nach außen. Herrlich blühen Oboe und Flöte auf, organischer eingebunden sind besonders die Hörner. Und immer ist da dieser warme, durchaus tschechisch jubelnde, sonore Sound der Celli und Kontrabässe. Mit schöner, nie verhetzter Schlussapotheose geht es ins Finale.
Große Begeisterung beim bunt durchmischten Publikum, das den 2000-Plätze-Saal auch an einem Montag fast füllt. Als Zugabe gibt es deshalb auch beide vorbreitete Sätze aus der Tschechischen Suite von Antonín Dvořák, die Romanze und den Furiant.
Geschichtsträchtig gibt sich ebenfalls das, wie stets in Spanien, mit Süßigkeiten an der Rezeption aufwartende, sonst modern-kühle Hotel. Es heißt nach der Königin Peronila, die um die erste Jahrtausendwende durch ihrer Vereinigung von Aragon und Katalonien den Grundstein für die spätere Macht der beiden christlichen Könige legte, die schließlich die Personalunion vollzogen.
Am nächsten Morgen geht es mit drei Bussen weiter nach Valencia. Die Bamberger sind stoisch tourneeerprobt, schalten automatisch in Stand-By-Modus. Dreieinhalb Stunden Fahrt durch eine weiterhin sehr leere, durchaus poetische Landschaft im Morgennebel, der im Süden satter Sonne weicht. 18 Grad hat es im modernistisch-geschäftigen Valencia, auch hier sieht man keine Altstadt, die Kulturbauten liegen neben und im Flussbett des nach einer Überschwemmung in den Sechzigern umgeleiteten Turia.
Da im Palau dela Musica die Decke des Kammermusiksaales infolge von Baupfusch wieder herunterkam, wird dort gerade komplett renoviert. Deshalb treten die Bamberger Symphoniker erstmals im großmäuligen Palau des les Arts Reina Sofia auf. Das 15 Jahre alte Angebergebäude des heimischen Wow-Architekten Santiago Calatrava präsentiert sich inzwischen nicht nur ohne die abzufallen drohenden Kacheln auf der Außenhaut. Auch sonst ist der Protzputz ziemlich perdu, die teuren Zeiten von Maazel, Mehta und Chailly sind längst Vergangenheit.
Und so spektakulär sich das alles präsentiert, es ist immer noch unpraktisch. Das beginnt mit dem nur schwer zu erreichenden Eingang und dem Stau vor den Liften für den 8. Stock, wo über dem Opernsaal das Konzertauditorium für ebenso 1400 Zuhörer liegt. Der ist breit, hat ein impressives Spantendach, und ein Möchtegern-Matisse-Mosaik auf der Rückwand. Obwohl das Podium akustisch gut hinterfangen scheint, klingt es dumpf, hohl, ohne jede Spannkraft.
Da kann es selbst ein jede Art von Saal gewöhntes Orchester wie die Bamberger nur bedingt richten. Der Beethoven wird etwas knalliger und stählern genommen. Sol Gabetta schaltet ebenfalls eine Stufe hoch, da bleiben aber Nuancen auf der Strecke. In die Zugabe klatscht das anfangs noch unruhige Publikum schon wieder herein, so wie es auch einen Besserwisser-Bravo-Schreier gibt, der den Brahmsschluss ruiniert. Dafür ist der auch anwesende Opernchef Jesus Iglesias Noriega ehrlich begeistert; vorher Casting-Chef an der Dutch National Opera, wo er die Hrůša-„Rusalka“ noch miteingetütet hat, hat er hier keinen leichten Job. Nach wie vor gibt sich diese Verwaltungsmetropole dem Besucher eher abweisend.
Mit einem der wirklich rapiden spanischen Schnellzüge reisen wir am nächsten Morgen von Valencia in knapp zwei Stunden nach Madrid weiter. Die allmächtige Agentur Ibermusica, die auch diese Tournee organisiert hat, präsentiert die durchaus stolzen Bamberger in gleich zwei Konzerten im Rahmen ihrer 50. Jubiläumssaison im Auditorio Nacional de Música. Beide Abende sind ausverkauft, es gibt lange, dankbare Ovationen. Zwar hat sich das Konzertleben in Spanien nach der großen Finanzkrise wieder einigermaßen normalisiert, aber das deutsche Orchester ist fast der einzige internationale Klangkörper, der hier im Februar gastiert. Und man muss bis zu 157 Euro bezahlen, während das Orchestra Nacional de España höchstens 38 (subventionierte) Euro verlangt.
Das Auditorio ist ebenfalls ein nüchterner Ziegelbau an der Peripherie der nebelig sonnenlosen, hier auch grauen Stadt. So konzentriert sich alles aufs Arbeiten, auch weil es direkt vom Atocha-Bahnhof mit dem Bus in die Halle geht. Draußen steht schon eine Schlange treuer Abonnenten, die als Jubiläums-Goodie in die Probe darf. Der Brahms wird nur kurz angeteasert, ein paar Übergänge sind zu optimieren. Man spielt sich eigentlich nur warm, um mit Julia Fischer im Dvořák-Violinkonzert zu brillieren. Deutlich vertraut und fast wortlos ist die Übereinstimmung zwischen Solistin und Jakub Hrůša; da finden sich zwei verwandte Geister im klugen Musikmachen. Und wo sie zu kopfig sachlich bleibt, da lockt er sie als Musikant aus der Temperamentsreserve.
Das merkt man gleich beim abendlichen Konzerternstfall. Immer ist Julia Fischer auf der Lauer, schließlich ist das gar nicht so oft gespielte Dvořák-Konzert ein wirklich harter Brocken, aber es klickt, läuft wunderbar und steigert sich gewaltig. Diese Geigerin hat die Nerven, die Energie und auch die Attacke bis zum verflixten Finale. Hier gibt es kein Pardon, niemand schenkt dem Partner etwas, doch dabei geht es nie um die Demonstration von Überlegenheit, sondern stets um herzliche Verbundenheit: Alle wollen sich von ihrer besten Seite zeigen, alle kämpfen für Dvořák, jeder mit seinen Mitteln. Und dem jubelnden Publikum wird noch ein Ysaÿe-Solosatz beigegeben.
Wie immer setzt sich Jakub Hrůša dazu in eine hintere Reihe, nicht nur aus Höflichkeit, sondern aus ehrlichem Interesse. So wie Julia Fischer, das macht sie regelmäßig, bei den zweiten Geigen die Brahms-Sinfonie mitspielt. Runterkommen, verbunden sein, Musik erleben und genießen, spontan und echt, so wichtig, gerade damit keine ungute Tournee-Routine aufkommt.
Und dieser Brahms, es ist die sechste und letzte Aufführung, wird dann wirklich zur generös sich steigernden Sternstunde. Jakub Hrůša spricht selbst am nächsten Tag noch begeistert davon. Alle wissen, wo sie noch nachlegen, noch plastischer werden müssen. Rund fließt es, die Zäsuren sind schön eingebunden, jeder Instrumentengruppe ist richtig ausbalanciert, und doch heben sich die Soli sorgenfrei und klangelegant ab. Dynamik und Rhythmik haben sich verschwistert, der Dirigent ist kaum spürbar, kann es laufen lassen und formt doch nachhaltig. Ein Orchester und sein Chef in seligem Einssein. Heute nur Furiant-Zugabe. So ist dieser Brahms jetzt bestens präpariert für die abschließende CD-Einspielung, jeweils mit Dvořák-Sinfonien kombiniert, von denen schon zwei Folgen unter großem Kritikerapplaus erschienen sind.
Und Jakub Hrůša hat für den nächsten Tag, der geht so ausgeruht wie ereignislos vorüber, ein paar Musiker büchsen ins Zentrum von Madrid aus, obwohl sich das trübe Winterwetter auch heute nicht lichtet, schon die nächste Herausforderung bereit. Nach Beethoven und Saint-Saëns (Sol Gabetta spielt diesmal „Gramata Cellam“ ein mitzusingendes Peteris-Vasks-Solo als Zugabe) steht nach einer Woche, mit nur ein paar Minuten Anspielzeit, Dvořáks 7. Sinfonie wieder auf dem Programm, kleinteilig, intrikat, komplex und wendig. Doch die Bamberger Symphoniker meistern das mit links. Zu vertraut ist ihnen dieses böhmische Idiom, ganz genau wissen sie, was ihr Chefdirigent will. Und so geht auch diese Tournee hochgestimmt zu Ende.
Fast 30 CDs weist inzwischen übrigens auch die stattliche Veröffentlichungsliste von Jakub Hrůša auf; für die jüngste Veröffentlichung mit den Bambergern, das flott swingende Dvořák-Klavierkonzert plus das 4. von Boheslav Martinu mit dem so stimmungsstarken wie fingerfertige Ivo Kahánek bei Supraphon, kann man noch beim BBC Music Magazine abstimmen. Und mit dem BR-Symphonieorchester kommt bald bei dessen Hauslabel Suks Asrael-Sinfonie heraus. So lässt sich wunderbar die Zeit bis zum nächsten Hrůša-Auftritt überbrücken. Und wir wundern uns auch nicht mehr, dass im Abba-Tourhotel noch nicht mal bei der Abreise „Thank you for the music“ gespielt wird….
Der Beitrag Jakub Hrůša beflügelt die Bamberger: mit Brahms und Dvořák, Julia Fischer und Sol Gabetta in Spanien unterwegs erschien zuerst auf Brugs Klassiker.