Nicht schlecht für einen Achtziger! Eben dirigierte der Wahl-Pariser Christoph Eschenbach in Athen ein Benefizkonzert. Seinen Geburtstag am 20. Februar verbrachte er spielend mit den Wiener Philharmonikern und seiner einstigen Entdeckung Midori spielend im Musikverein. Am Montag stand er vor seinem Orchestre de Paris, das er ebenfalls heute und morgen in Berlin mit Lang Lang und Ray Chen als Solisten leitet. Dann folgt wieder seine neueste Errungenschaft, das Konzerthausorchester, diesmal mit einem anderen alten Musizierfreund, Tzimon Barto. Und über den sowie Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ parliert er dann montags in einer Folge der Gesprächs-Reihe „Christoph Eschenbachs Schlüsselwerke“. Und gestern fand im Kleinen Saal des Konzerthauses das Berliner Geburtstagsfest für Christoph Eschenbach statt. Natürlich als Kammerkonzert unter Freunden.
Eine weitere Möglichkeit, seine zurückhaltende, doch fordernde Persönlichkeit, den Kosmos Eschenbach kennenzulernen war das. Und eine sehr persönliche Hommage. „Mit Menschen, die ich mitentdeckt habe“, wie Christoph Eschenbach selbst stolz sagt. Nach einem Sektempfang ging es los. Zunächst begrüßte Intendant Sebastian Nordmann, einst Eschenbachs Fahrer beim Schleswig Holstein Musik Festival, wo er sich seit langem des Festivalorchesters annimmt. Caroline Bestehorn vom Vorstand des Konzerthausorchesters fand richtige und warme Worte, da scheint schon in wenigen Wochen etwas gewachsen zu sein. Das Blechbläserensemble samt Schlagwerkunterstützung intonierte zum Auftakt eine vom Trompeter Stephan Stadtfeld komponierte Fanfare über das Thema Eschenbach (natürlich ohne „n“).
Frei formuliert erzählte SHMF-Chef Christian Kuhnt als launige Festrede en minature von versalzenem Teewasser, viel Lachen und heiligem Ernst gegenüber der Musik. Christopher Park flocht in seine hurtige Haydn-Sonate ein kurzes „Happy Birthday“, und Marisol Montalvo stiegt mit gleich vier Cellisten und Harfe trittsicher in die süße Sopranstratosphäre von Hans Werner Henzes irisierender Rimbaud-Kantate „Being Beauteous“ empor. Cellonachswuchstar Kian Soltani und Harfenistin Ronith Mues verloren sich traumschön im Schubert-Dämmer von „Nacht und Träume“.
Nach der Pause setzten Midori und Nils Mönkemeyer mit Mozarts so selten zu hörendem Duo für Violine und Viola KV 423 einen spielerisch freien Höhepunkt. Samy Moussa, vorher auch als Dirigent dabei, komponierte für Matthias Goerne (Eschenbach-Liedpartner in Crime seit mehr als zwei Jahrzehnten) eine neoromantische Blake-Etüde „The Lilly“, die Teil eines Blumen-Zyklus werden soll; Goerne schickte so generös wie passend mit seinem Piano-Partner Alexander Schmalcz Beethovens „Der Liebende“ beziehungsvoll hinterher.
Auch wenn Renée Fleming keine Zeit hatte, Hanna-Elisabeth Müller ersetzte sie feinsinnig und goldglänzend mit einem schimmernden Bündel von Strauss-Liedern. „Stumm werden wir uns in die Augen schauen, Und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen“ hieß es da am Ende des von Eschenbach so geschätzten „Morgen!“ Und dann gab es Sekt für alle.
Dabei müssen offen zugeben: Am Anfang der jünsgten Causa Eschenbach war da eine gewissen Skepsis. Die Berliner Orchesterlandschaft ist ein üppig blühender Kunstgarten, aber auch ein schnappschnelles Haifischbecken. Hier geht viel, bei vier Sinfonie- und drei Opernorchester, die selbstredend auch ihre Konzertambitionen haben. Hier wird man gehört und wahrgenommen. Hier hat man das Glück, viel Ausgefallenes aufführen zu können, weil es eben nicht immer nur das Kernrepertoire sein muss. Hier ist aber auch die Konkurrenz groß und wach.
Und in diese Gemengelange kam nun, neu seit dieser Spielzeit, beim Konzerthausorchester Christoph Eschenbach an. Ist der der Richtige für diesen 1952 als Berliner Sinfonie-Orchester gegründeten Klangkörper, der sich inzwischen auch namentlich an das Haus gebunden hat, in dem er residiert? Das BSO war einst eine lupenreine DDR-Institution, so wie das 1984 wiedereröffnete, zum Konzertsaal umgewidmete Schauspielhaus Karl Friedrich Schinkels. Drinnen ist alles Imitation, aber die Besucher lieben das Gediegene, und als einziges Berliner Orchester neben den Philharmonikern hat man einen eigenen Konzertsaal, der natürlich prägt und gleichzeitig Identität verleiht.
Und man liebt die älteren Dirigenten, die Souveränen, aber auch die Arbeitssamen, die gern am Klang feilen. So wie es zuletzt seit 2012 Iván Fischer übernommen hat. Und an den sich jetzt Christoph Eschenbach nahtlos anschließt. Mit überraschend schnellem, allgemeinem Erfolg. Gekonnt ist eben gekonnt. Schon mit der 8. Mahler-Sinfonie im Konzertschaufenster des Musikfest gab es eine Ouvertüre wie ein Erdbeben. Von allem Kräften souverän bewältigt.
Geboren am 20. Februar 1940 in Breslau, kam Christoph Eschenbach als traumatisierter Kriegsweise nach schlimmen Irrfahrten 1946 nach Holstein zu einer Cousine seiner Mutter, deren Namen er annahm. Seine Pflegemutter, selbst Pianistin, unterrichtete ihn im Klavierspiel. Nach seinem Studium in Köln und Hamburg (dort auch Dirigieren bei Wilhelm Brückner-Rüggeberg), gewann er 1965 den Concours Clara Haskil in Luzern und begann seine internationale Karriere. Eine nachhaltige Zusammenarbeit verband ihn sowohl mit Herbert von Karajan als auch mit George Szell.
Schon 1972 hatte er als Dirigent in Hamburg debütiert. Seither hat er diese Tätigkeit sehr ernst genommen, sich immer stärker darauf konzentriert: So war Eschenbach 1979-81 Generalmusikdirektor der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und von 1982-85 Chefdirigent des Tonhalle Orchester Zürich. 1988 ging er zum Houston Symphony Orchestra, wo er elf Jahre bliebt. Von 1995 bis 2003 war er Direktor des Ravinia Festivals, der Sommerresidenz des Chicago Symphony Orchestra. Von 1998 bis 2004 hatte er die Leitung des NDR Sinfonieorchesters inne; von 1999 bis 2002 war er zudem Künstlerischer Leiter des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Anschließend übernahm er 2003-08 die Leitung des Philadelphia Orchestra und war zeitgleich von 2000-10 in gleicher Position beim Orchestre de Paris tätig.
Dann kam noch das National Orchestra in Washington, von 2012-17. Anschließend wollte Eschenbach, der nur noch ausgewählt solistisch auftritt, als Sängerbegleiter oder Kammermusikpartner „es so langsam auslaufen lassen“, wie er gut gelaunt erzählt. „Ich hatte vor, mich auf meine Lieblingsorchester zu konzentrieren, etwa die Wiener Philharmoniker und das Gotenborg Symphony sowie meine Ehrenposten in Houston und Bamberg.“ Aber das Konzerthausorchester, auch Intendant Sebastian Nordmann, der nun ebenfalls verlängert hat und den er lange kennt, haben ihn dann doch noch einmal in ein Amt verführt. Zumal er in Paris seinen Lebensmittelpunkt hat, der Weg ist also nicht weit.
Der Weg – er ist ihm auch programmatisch Bekenntnis. Eine Brahms- und einen Schostakowitsch-Zyklus plant er – auch für CD: beides identitätsstiftend, schließlich war der Schostakowitsch-Kenner Kurt Sanderling hier Gründungschefdirigent. Mit einem Sofia-Gubaidulina-Schwerpunkt setzt Christoph Eschenbach seinen deutlichen Zeitgenossen-Stempel. Er geht es entspannt an, „es ist eine sehr schöne Berliner Rückkehr“. Schließlich hat er hier auch viel mit den Philharmonikern, der Staatskapelle wie dem DSO gearbeitet.
Ein Fazit nach wenigen Monaten? „Ich habe mich beim Konzerthausorchester sofort wohl gefühlt, es herrscht hier eine freundliche Atmosphäre. Dieses Orchester ist ein musikantisches, eines das auch etwas riskiert, mit dem Musikmachen nicht zur Routine verkommt. Sie sind sehr offen für Austausch, für wiedergeborene Ideen, agieren kammermusikalisch durchsichtig. Ich will nicht im Klang wühlen, sondern Klang gemeinsam formen. Mir gefiel Berlin, die Herausforderung, die Tradition des Hauses, die Geschichte des Orchesters. All das berührt mich jetzt noch mehr. 2022 werden wir natürlich auch 200 Jahre ,Freischütz’-Uraufführung feiern. Ich bin sehr glücklich. Es für mich wie eine europäische Heimkehr, aber keine deutsche. Das ist mir zu eng.“
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