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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Die Hugenotten in Hollywood: Dieser Genfer Meyerbeer funktioniert nur musikalisch. Das aber dank Marc Minkowski grandios

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Das Filmstudio. Im Setzkasten der Regietheaterklischees haben das langsam an Glanz verlierende Duo Jossi Wieler/Sergio Morabito dieses öde Narrativ noch nicht bedient. Aber jetzt, am Grând Théâtre de Genève, wo der neue Intendant Aviel Cahn ganz richtig erkannt hat, dass in der Stadt Calvins Meyerbeers bombastisches Historienspektakel „Les Huguenots“ seit 1927 nicht mehr gespielt wurde. Dafür nun also – nebst eigens gebrautem Bier! –(mit zwei Pausen) fast fünf Stunden lang in beinahe ungestrichener epischer Grand-Opéra-Breite! Und das muss auch so sein, damit die architektonische Struktur des ganz plakativ auf theatralische Wirkung setzenden Schaustücks wirkt. Zwar saß im Publikum mit Joan-Sutherland-Witwer Richard Bonynge vermutlich der Dirigent im sich in den Pausen immer mehr verlierenden Publikum, der das Werk in der Neuzeit am häufigsten dirigiert hat, aber eben nie so komplett, wie das Marc Minkowski schon 2011 in Brüssel vollbracht hat. Diese Fassung vollführt er (mit wenigen anderen Öffnungen wie Streichungen) jetzt auch meisterlich am Pult des Orchestre de la Suisse Romande.

Fotos: Magali Dougados

Minkowski, der trotz seiner barocken Ursprünge schon lange ein Faible für das französische Repertoire des 19. Jahrhunderts hat, sagt, er liebe Meyerbeer genauso wie „Lawrence von Arabien“, „Ben Hur“ oder vom „Winde verweht“ – als buntglühendes, raffiniert gebautes Unterhaltungsspektakel, das er reuelos genieße. Und so dirigiert er mit Gusto, Intelligenz, Liebe und Finesse. In Brüssel freilich dunkel, dräuend, knallig hart, von der Ouvertüre an, die verspielt wie düster dröhnend den Luther-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ erst in einen Militärmarsch und dann in Schlachtenlärm wandelt. In Genf eher als prachtvoll ausgepinseltes Klanggemälde, plastisch volltönend, aber auch mehr repräsentativ.

Da prallen instrumental wuchtig die Kontraste aufeinander, hier die Männerwelt des Hugenotten Raoul und seines glaubensstarken Dieners Marcel sowie die ausartende Spaßgesellschaft der Katholiken im ersten Akt, da im folgenden Bild die sinnlich süße, erotisch prickelnde Aura der Damenrunde um die Königin Marguerite. Die will in den Glaubenskämpfen schlichten und heiratet deshalb auf Wunsch ihrer Mutter Katharina von Medici den Protestanten Heinrich von Navarra, den späteren Henry IV. Ein paar Tage nach ihrer Vermählung, am 24. August 1572, kommt es dann zu jenem berüchtigten Massaker an den Hugenotten, das als Pariser Bartholomäusnacht blutige Berühmtheit erlangen und Frankreichs Geschichte dramatisch prägen wird.

Die übrigen Figuren, Raoul und die Katholikin Valentine, die nie zueinander zu kommen scheinen, die erst nach vier Stunden und 15 Minuten „Je t’aime“ singen und bereits eine dreiviertel Stunden später gemeinsam sterben, deren fanatische Väter und Freunde, die durchaus flirtbereite Königin, deren frecher Page Urbain – sie alle rühren und berühren, auch weil sie so unkonventionell durch das Stück geführt werden. Nach den ersten, kontrastiv unterhaltenden Bildern explodiert die Musik förmlich im dritten Akt.

Der ist dann Grand Opéra pur, opulentes, abwechslungsreich sich steigerndes Tableau mit Soldatenchören, Nonnengesängen und tanzenden Zigeunerinnen, alles gleichzeitig, mit Verfluchung und Verzückung, Zufall und Zuspitzung. Leider nur musikalisch.

In dem vagen, unsinnlichen Versatzstückraum von Anna Viebrock, graue Wände, zwei in Cinecittà ausgeliehen Transformatorentürme, gotische Säulen aus dem Genfer Dom, Stufen, eine holzgedrechselte Balustrade, kommt nur wenig Atmosphäre auf. Weil Wieler/Morabito ziemlich unlustig zwar ein Hollywood der immer noch goldenen Dreißiger behaupten, aber nur Abstruses herzeigen, Handlung nicht wirklich erzählen, alles im Vagen lassen zwischen großer Oper und aufgebauschtem Kostümdrama. Zudem wollen sie irgendwie dauernd komisch sein. Was Meyerbeer sicher ganz gut tut. Aber auf Dauer als groteske silent movie jokes nur anödet. Vor allem indem sie den Tenor-Lieber Raoul als mickrigen Stummfilm-Komiker im Marx-Brother/Chaplin-Look vorführen, der auch noch einen krakeelenden Sidekick mit Kreissäge hat. Irgendwie muss auch eine Standleitung zur in der Oper gar nicht auftretenden Katharina von Medici existieren, die eine alberne Statistin als dauertelefonierende Matrone im Renaissanceornat vorführt, welche forsch ihre katholischen Verschwörer (hier wohl Filmmogule, die aber in realiter in der Mehrzahl jüdisch waren…) an die Strippe ruft.

Für dieses Personal kommt so gar kein Interesse auf, von Sympathie ganz zu schweigen. Der Comte de Saint-Bris (der füllige Laurent Alvaro), Kurzzeit-Verlobter von Valentine, und deren neuer Bräutigam Comte de Nevers (immer trockener: Alexandre Duhamel) sind eindimensional fiese Bösewichte in Nadelstreifen und Smoking, anfangs auch beim Tennisspiel. Valentine, die erst im dritten Akt singen darf, ist eine blonde Tussi-Sirene, die sich gerne umzieht, aber dank der sopranüppigen Rachel Willis-Sørensen vokal an Statur gewinnt. Raouls alter, aggressiv lutherische Choräle leiernder Diener hat zwar in dem idiomatisch wenig standfesten Michele Pertusi einen optisch zauselig-starken Darsteller im Mantel-und-Degen-Outfit, aber sein Bass ist nur noch ein rauer Rest von früher. Und auch Ana Durlovskis Rolle als Königin Marguerite de Valois bleibt unklar. Mal spielt sie, wie immer stark, mit rötlicher Mähne die Marlene Dietrich hinter der Kamera oder im Spotlight, dann wieder barmt sie in historisierender Gewandung. Und vokal maunzt sich das sehr angreifbar durch die endlosen Koloraturschleifen.

Bleiben als wirklich strahlende Stimmhelden, der spritzige Page Urbain der beide Arien mit Peng und Mezzofinesse singen dürfenden Lea Desandre, die auch das Scripgirl mimt.Und natürlich John Osborn, der topfit höhentrittsichere Raoul schon in Brüssel, als Schauspieler noch stärker, verzierungsperfekt in seinem Auftrittschanson mit Viola d’amore und anrührend grandios in seiner Solo-Tour de force im fünften Akt, bevor das große, allzu schnelle Sterben beginnt.

Das startet hier schon am Anfang, wenn sich ein Bewegungschor als dauerzuckende Zombies erhebt und eigentlich alle Akte als blutbeflecktes Memento mori durchwackelt. Auch Raoul separiert sich mit rotbeschmiertem Hemd von denen. Später wird nie klar, wer Katholik ist, wer Protestant, aus dem Schoß des mal wuselnden, mal starren, sehr guten Chores entspringen sie alle.

Einen wirklich starken Moment freilich gibt es: wenn im vierte Akt der gut gekleidete Chor, die Frauen mit Lippenstift verschmierte Vampiermündern, sich langsam nach vorn um die zur Schwerterweihe versammelten Brutalos gruppiert. Diese mythische Mördernummer, ein ikonographisches Glanzstück der französischen Oper, gewinnt so nochmals an Suspense.

Aber am Ende lautet in Genf, trotz der großartigen musikalischen Regieführung: Klappe zu, Meyerbeer-Opernfilm tot. Darauf noch ein Calvinus!

Der Beitrag Die Hugenotten in Hollywood: Dieser Genfer Meyerbeer funktioniert nur musikalisch. Das aber dank Marc Minkowski grandios erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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