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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Was uns einfach die Musik erzählt: Lorenzo Viottis höchst gelungenes Einspringer-Debüt bei den Berliner Philharmonikern mit Mahlers 3. Sinfonie

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Was sind „persönliche Gründe“? Alles und gar nix. Aus ebendiesen aber sagte letzten Freitag der hochgeschätzte, aber überbeschäftige Yannick Nézet-Séguin bei den Berliner Philharmonikern ab, wo er diese Woche dreimal Mahlers 3. Sinfonie plus das Mammutwerk bei einem Gastkonzert später im April in Baden-Baden dirigieren sollte. Nézet-Séguin hat zum dritten Mal in Berlin gecancelt. Einfach so. Gleichzeit aber dirigierte er noch Mahlers 5. Sinfonie am Tag nach der Absage in Baden-Baden und einen Tag später in Rotterdam Strauss‘ „Frau ohne Schatten“. So wie er das schon davor mit insgesamt viermal Mahler und dreimal „FroSch“ in acht Tagen exerziert hat. Ein bisschen viel? Die Frage stellt sich bei dem umworbenen Kandier schon öfter. Und wenn er überbucht oder überfordert oder wirklich ausgelaugt ist, dann wird eben gekniffen. Er ist so nachgefragt, da kann man offenbar ruhig Verträge brechen; zähneknirschend machten sich selbst die Philharmoniker auf Ersatzsuche. Und fanden die, nach einigen Absagen, im mutigen Debüt des 29-jährigen Lorenzo Viotti. Der kommt aus einer besonders musikalischen Familie: der leider früh verstorbene Vater Marcello war ein ebenfalls hochbeliebter Dirigent, die Mutter Marie-Laure Geigerin, und er hat drei ebenfalls professionell arbeitende Geschwister. Milena ist Hornistin im Bayerischen Staatsorchester, Alessandro spielt das gleiche Instrument an der Opéra de Lyon, Marina ist ein gefragter Mezzosopran.

Und der smarte Lorenzo in seinem bestsitzend dunkellila Frack, der beim gleichen Wiener Schneider arbeiten lässt, wie sein best buddy, Philis-Klarinettenstar Andreas Ottensamer (im Saal, aber nicht auf dem Podium), macht selbst gerade ziemlich rasant Karriere. Studiert hat er Klavier, Gesang und Schlagzeug in Wien und Lyon, sein Dirigierrüstzeug holte er sich in Weimar. 2015 gewann er den Salzburger Festspiel-Dirigierwettbewerb, weitere Preise folgten. Längst hat er seine Debüts beim Concertgebouw Orchest, dem BBC Philharmonic Orchestra, dem Orchestre National de France, den Staatskapellen in Berlin und Dresden sowie beim Leipziger Gewandhausorchester absolviert. Auch die Münchner Philharmoniker, das Cleveland Orchestra und das Orchestre Symphonique de Montréal sind schon abgehakt. Selbst bei den Berlinern stand er sicherlich auf der Short List. Feste Positionen hat Lorenzo Viotti beim Gulbenkian Orchestra in Lissabon und ab 2021/22 als Chef der Dutsch National Opera wie des Netherlands Phiharmonic Orchestra.

Doch ein schick vernähter Frackschoß ist das eine, Lorenzo Viotti gelang aber auch diese monumentale Dritte ausnehmend gut. Natürlich spielt die ein solches Orchester fast wie im Schlaf, doch schon von den ersten, ruhigen, unaufgeregt artikulierten Taktschlägen an, wurden da vom Dirigierpult eigene Akzente gesetzt. Da stand ein Wille zur Form im Raum, dem die Musiker bereits in der schrägen Marschcollage mit ihren harten Aufschwüngen gern nachkamen. Sehr direkt erfolgten die Einsätze, immer wieder holte sich Viotti ganz eigenwillige Klangfarben der Solisten, sei es die Posaune im gemessen dahinschreitenden 1. Satz, oder Albrecht Mayer grelles, doch feines, schalmeienartiges Oboenklagen im 2. Satz.

Angenehm artikuliert auch die Untermalung von Elina Garancas „O Mensch“-Reflexion. Nornengleich in Schwarz, als kunstblonde Überarierin verkündete die Lettin mit mattschimmerndem, fokussierten Mezzo ihre Nietzsche-Worte; zunächst im Sitzen. Und die Lust wollte traumverloren Ewigkeit. Um abgelöst zu werden von bewusst fröhlichem Kinder-Bimbam und Frauen-Singsang, Domchorknaben und der weibliche Rundfunkchor (von Rückkehrer Simon Halsey bestens präpariert) leisteten Vorzügliches.

Spuk-, doch wesenhaft waren vorher das Menuett und das Wunderhorn-tirilierende Scherzando vorübergehuscht, freilich immer mit schönem Klangkörper, sehr souverän modelliert, aufmerksam meisterlich musiziert. Sehr lyrisch und pantheistisch mit innigem Naturlaut erklang das Posthornsolo von Guillaume Jehl. Das steigerte sich herrlich im auf- und abschwellenden Finale. Das wirklich war „Langsam. Ruhevoll. Empfunden. Man hatte das Gefühl einer Wanderung mit einem jungen Bergführer, der alle Klippen kannte, der durchaus die Transzendenz in der Höhe suchte, der sehnig und kraftvoll stieg, aber auch sensibel und emotionsreich auslotete und innehielt. Natürlich sind da, noch mehr Abgründe zu entdecken. Aber das Zerrissensein kann Lorenzo Viotti getrost noch den Älteren überlassen. Ein erstaunlich reifes, hymnisches Geben und Nehmen über 105 Minuten lang gelang ihm auch so.

Und am Ende war eigentlich Yanick Nézet-Séguins Absage vergessen…

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