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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Haare sind ihr Fetisch: Barrie Kosky inszeniert in Frankfurt eine schamlos-schwarze „Salome“ – und geht an der Komischen Oper mit Anne Sofie von Otter auf nostalgischen Broiler-Trip

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Alles auf Los, zurück auf Anfang. Geht das? Barrie Kosky, der Vielinszenierer (mindestens sechs Novitäten pro Jahr), er versucht es immer wieder mal. Will, das Strenge, die Reduktion, die völlig auf sich gerichtete Geschichte. So hat er mit Teodor Currentzis in Zürich einen atemlos rabenschwarzen „Macbeth“ in völligem Verdi-Dunkel herausgebracht, in Berlin Debussys metaphernmystisches „Pelléas et Mélisande“ auf einer kleinen Drehreifenbühne auf eine psychiatrische Fallstudie eingekocht und jetzt an der Oper Frankfurt die Strausssche „Salome“ nicht als verworfen lüsterne Kindsfrau oder als missbrauchtes Girlie auf die Bühne gebracht, sondern einfach als verliebtes Mädel in einen Schweinwerferspot gestellt. Und nicht nur das. Davon und dazwischen hat er in Frankfurt und Dessau in dem Liederabend „Farges mikh nit – »Vergiss mich nicht“ Alma Sadé und Helene Schneiderman am Klavier in ihren jiddischen Operettentiteln begleitet. Und nur fünf Tage nach der Frankfurter Premiere hob sich an Berlins Komischer Oper schon wieder der Vorhang über der nächsten, längst vorgeprobten, aber verschobenen Kosky-Novität. Bei „Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn“ mit Mozzoaltstar Anne Sofie von Otter und „Tatort“-Kommissar Wolfram Koch fungiert der ubiquitäre Regisseur-Irrwisch nur als „Einrichter“. Und dann wurde noch verkündet, dass er ab 2023 am Londoner Royal Opera House nach Essen und Hannover seinen zweieinviertelten „Ring“ inszenieren wird. Wo er doch Wagner gar nicht mag!

Fotos: Monika Rittershaus

Doch zunächst: Wie schön war die Prinzessin Salome? Schön und ungewöhnlich. Denn erst ist nur Vogelflügelschlag im Dunkeln zu hören, der sich ausnimmt wie rotierende Hubschrauberblätter. Dazu posiert Ambur Breid als eine Art verblühte Pusteblume in sandfarbenem Faltenkleid und überdimensionalem Fluffhut, der ihren Kopf wie einen Kokon umhüllt. Stumm steht sie da, herausfordernd wie schutzbedürftig. Salome, ein schönes, elegantes Neutrum, ganz anders als es das Opernklischee in der einen wie anderen Richtung verlangt.

Die Kanadierin singt im Weiteren gleißend und gellend, hat die tiefen Töne, wie die bisweilen schrillen Höhen der Partie durchaus in der Kehle, offeriert eine breite Mittellage, ist kindlich und grausam und spielt zudem faszinierend, fesselnd, den Betrachter ansaugend. Denn sonst ist hier – Dunkel (Nicht-Bühnenbild und Kostüme: Katrin Lea Tag). Nur wo Salome agiert, in wechselnden Roben, silbrig, glitzerschwarz, zyklamherausfordernd, antrazithberuhigend, schwarzdurchsichtig, da ist Licht und Leben.

Der tenorklar attackierende Naraboth (Gerard Schneider) und sein dämmriggutturaler Page (Katharina Magiera) sind immerhin noch als Schwarzuniformierte in diesem harten Mondlichtspot zu sehen. Die fünf Juden wallen in altertümlichen Tüchern, aber mit verhängtem Gesicht vorbei, die Soldaten und Nazarener haben lediglich die soliden Stimmen des für solche bekannten Frankfurter Ensembles. Manchmal sieht man Köpfe, Hände, Silhouetten, oftmals gar nichts.

Denn sie alle haben keine Identität, sind nur Platzhalter, erfüllen vokal ihre von Richard Strauss komponierten Rollen. Herodes (ein spießiger Zweireiher-Träger, stimmlich auftrumpfend: AJ Glueckert) und Herodias (satter Mezzo im schillerndem Chanel-Kostümchen: Claudia Mahnke) scharren sich wie die Eltern-Motten um ihr (Stief-)Kind im Licht. Und dann ist da noch der Prophet Jochaanan. Christopher Maltman lässt mit kompaktem Bariton, Schlabberunterhose und verdrecktem Schwabbelbauch verblühte Sixpack-Sexyness sehen und hören, die Jungfrau Salome aber macht er trotzdem kirre. Er darf ins kalte, grelle Helle, wird begafft, betatscht, belutscht, in die Brustwarzen gezwickt, ein ganz neues Objekt nicht mehr frühkindlicher Begierde. Vor allem sein Haar hat es ihr angetan. Nicht nur textlich: Statt eines Tanzes zieht sich die starr dasitzende und trotzdem immer mehr in Ekstase geratene Salome einen unendlich aschblondenen Jochanaan-Lockenstrom aus der Vagina – wahrlich ein verstörendes, ganz neues Bild eines biblischen Fetischs.

Weil auch Joana Mallwitz am Pult diesen Strauss des Schauens und Starrens nicht zelebriert, sondern mit klangfeinem Krimi-Suspense auflädt, selten laut wird, eigentlich nie spätromantisch schwelgend, orgiastisch exotisch lüstern sülzend, sondern durchaus kompakt, dabei leichtfüßig den Musikstrom vorantreibt, ohne die Exzentrizitäten allzu sehr auszustellendeshalb kann diese „Salome“ in Frankfurt wieder zum Schocker werden. Man hört das wirklich im Dunkel verbleibenden Intermezzo nach der Zisternenschließung wie auch den statischen Tanz viel analytischer, lässt sich weniger tragen. „Salome“ nicht als perverses Kulinarikum, sondern wirklich als spannende Versuchsanordnung ihrer im überwältigenden Reichtum dieser Partitur gefangenen Protagonisten, für die es kein Entrinnen aus ihrer dysfunktionalen Familienaufstellung gibt. Jochanaans Kopf ist da nur der am Schluss an einem Fleischerhaken blutig und krass baumelnde Katalysator.

„Man töte dieses Weib“, nicht einmal mehr dieser Herodes-Befehl ist hier mehr nötig. In Salome ist schon alles tot. Deshalb verharrt sie stumpf starrend, sich das tote Haupt überstülpend, sich mit Jochanaan endgültig vereinend. Bis endlich das Licht verlischt. Ein letztes Mal. Selten folgerichtig und minimalistisch hat Barrie Kosky das inszeniert. Ohne rätselhafte Installation wie Romeo Castellucci in Salzburg, ohne neues Nazi-Narativ wie Krzysztof Warlikowski in München, ohne Puppenspiele wie Nikolaus Habjan in Wien. Einfach nur radikalstmöglich reduziert, nacktschwarz und grausamknapp. Und wie sagt er doch so schön über diese einstmalige Oscar-Wilde-Unmöglichkeit: „Des einen Dekadenz ist des anderen Normalität“.

Dagegen wirkt der Berliner Liederabend nur wie eine sehr flüchtige Fingerübung. Ein weitere von diesen Sänger-auf-dem-Seitensprung-Events mit nostalgischen Liedern vor dem eisernen Vorhang. Ein nettes Füllsel. Das die lange schon mit Weill-, Offenbach-, Elvis-Costello-, Abba-, Barbara-Songs bewährte, Marthaler-erfahrene Anti-Diva Anne Sofie von Otter mit inzwischen raspelig trockener Seniorinnenstimme und in schwarzer Probenkleidung lässig in Beschlag nimmt.

Links die Sieben-Mann-und-eine-Frau (mit singender Säge)-Combo, angeleitet am Klavier vom nimmermüden, stilsicheren, für die Werkwahl zuständigen Songenzyklopädist Adam Benzwi. Rechts Kleiderstange und Requisitentisch, das meiste wird nicht gebraucht, die Boa, kürzlich noch von Zazie de Paris, operettengewürdigt, schon. Und auch die Baskenmütze, das Gummihuhn, der Plastikfisch. Vor allem aber der Otter-Sidekick, Schauspieler und „Tatort“-Star Wolfram Koch.

Koch nämlich emanzipiert sich schnell, hat erstaunlich viel Stimme und spielt die Otter faktisch an die Wand, ganz besonders lispelnd als Otto Reuters „Suschen“. Die Lied-Auswahl dünkt bekannt, oft aber auch überraschend, es wird dankenswerterweise kein Unterschied zwischen Exilanten und Nazi-Mitläufern unter den Autoren gemacht. So bleibt der 90-Minuten-Abend ohne Zeigefinger, aber auch ohne echten Höhepunkt oder irre Überraschung. Die Otter ist kühl auf dem Rücken in Heymanns „Die Kälte“, gurrt Zarah Leander und macht im Frack als gern und verboten die Frauen küssender Lehár-Paganini beste #MeToo-Transgender-Figur. Koch greint wunderbar als Badewannenkapitän und kann sogar einen sprechenden Koffer. Beide glänzen mit Brecht.

Aber irgendwie bleibt dieses fein vergackerte „Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn“ zu untierisch, es hebt nie ab, verlässt die glänzende Routine. Obwohl die Band gar köstlich Gorillas und sündige Liebe beschwört, das ganze Berlin Bestiarium eben. Mit „Musik! Musik! Musik!“ geht es Kreudernd ins Finale und Weill wie Leander gibt es als Zugabe. Kannste nich meckern.    

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