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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Im Opiumrausch des Vergessens: Hans Gáls komisch-schwülstige Oper „Die heilige Ente“ wurde erstmals seit 1933 wieder in Heidelberg gespielt

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Ein tierischer Singspaß. Wir kennen Aubers „Das bronzene Pferd“, Offenbachs neuerdings wieder hündisch bellenden „Barkouf“, den „Gestiefelten Kater“ als Kinderoper von César Cui und Xavier Montsalvatge und „Die Vögel“ von Walter Braunfels, die in einem Chinarestaurant spielende Peter Eötvös-Oper „Der goldene Drache“ und natürlich die bestialisch-menschliche Menagerie in Leos Janaceks „Schlauem Füchslein“. Aber „Die heilige Ente“? 1933 war dieser 20 Mal seit der Düsseldorfer Uraufführung 1923 nachgespielte Sensationserfolg des Wieners Hans Gál letztmalig zu sehen. Jetzt brachte ihn das gern im Raren gründelnden Theater Heidelberg wieder heraus. Immerhin hatte sich sogar Richard Strauss für das tragikomische Libretto von Karl Michael von Levetzow (Nachfahre von Goethes letzte Liebe Ulrike) interessiert, und bei der Weltpremiere stand Gals Studienfreund George Szell am Pult. Gál, der erst 1987 mit 97 Jahren in Edinburgh gestorben ist, war Komponist, Lehrer und Musikschriftsteller. Er studierte bei einem Brahms-Schüler. 1929 wurde er Direktor des Konservatoriums der Stadt Mainz, musste als Jude aber 1933 wieder nach Österreich zurückkehren und emigrierte 1938 nach England. 1965 an der Hochschule in Edinburgh verrentet, schrieb er anschließend viel beachtete Bücher u. a. über Brahms, Wagner, Verdi und Schubert. Seine tonalen, spätromantischen, ohne die Klangexzesse eines Strauss, Korngold oder Schreker auskommenden Werke aber wurden vergessen. Von Hans Gáls vier Opern wurde erstmals 2017 in Osnabrück wieder die in einem mythisch-mittelalterlichen Sizilien spielende „dramatischen Ballade“ mit dem Titel „Das Lied der Nacht“ beifällig aufgeführt und von jpc als CD herausgebracht. Ebenfalls begeisterten Applaus gab es jetzt am Neckar für „Die heilige Ente“.

Fotos: Susanne Reichardt

Das titelgebende Federvieh quakt zwar, aber ist nie zu komplett zu sehen. Denn die junge Regisseurin Sonja Trebes zeigt nur einen verhängten oder leeren Käfig, Federn, zwei schlackernde Schwimmhautfüße in einem Kinderwagen, oder den in der Sommernachtstraum-Verwirrnis des zweiten Aktes als Entenkopf-Mutanten auftretenden Chor. Und ganz am Ende, da gibt es noch ein vom Himmel gefallenes goldenes Entenei. Das nämlich darf der zum Entenbonzen erhoben Kuli Yang als sein Statuszeichen bewachen.

Vorher freilich hat er bei einem unerlaubten Blick auf Li, die Gattin des Mandarins, die zu dessen rituellem Verzehr bestimmten Ente an ein räudiges Paar verloren, er Gaukler, sie Tänzerin. Yang soll dafür geköpft werden, da gehen aber die drei sich langweilenden Götter dazwischen und vertauschen im allgemeinen Opiumrausch des Vergessens die Häupter von Kuli und Mandarin, um etwas Unruhe zu stiften. So rettet sich Yang, kann sogar Li verführen, die ihn vorher zurückgewiesen hatte. Nach einer Nacht voller Seligkeit, ist dann allerdings alles wieder beim Alten, aber die neuen Verhältnisse der Figuren mit ihren ungewöhnlichen Erfahrungen müssen frisch sortiert werden. Wofür eine hier als Katalysator dienende Ente nicht alles gut ist.

In Heidelberg werden freilich auch die in China populären, aus ihrer naturalistischen Statuenhaftigkeit gerissenen drei unsterblichen Götter Fu, Lu und Shou (Björn Beyer, Lars Conrad, Han Kim) erst derangiert, dann in Müllsäcken entsorgt. Nur sparsam freilich ist in Dirk Beckers aufgeräumter Bühne und in Jula Reindells politbürobeigen, maoblaugrauen oder straßenkehrerorangen Kostümen das Reich der Mitte präsent, wie es Anfang der Jahrhundertwende exotisch-erotischen Touch hatte, von Mahlers „Lied von der Erde“ über Puccini bis Lehárs „Land des Lächelns“ und noch 1943 nachklingend in Bert Brechts Politparabel „Der gute Mensch von Sezuan“.

Im grau aufgeschnittenen Einheitsraum baumeln zeitweise rote Laternen, meist steht da aber nur ein bald leeres Denkmalpodest, das auch als Ofen dient. Am Anfang des wie ein Alptraum sich entfaltenden Dämmers der verwandelten Identitäten scheinen alle geschrumpft, tollen, toben und lieben zwischen monströsen Grashalmen und Mohnblüten. Doch immer mehr wird vor allem dem von den Göttern manipulierten Hauptrollen-Trio klar, dass sich jeder nach anderem, Größerem, Schönerem sehnt.

Der plötzlich mit dem gelben Mandarin-Haarkranz aufwachende Yang (voluminös, aber auch vibratostark: Winfrid Mikus) kann sich endlich seiner Liebe zu Li hingeben. Die (Carly Owen singt sie mit durchdringendem, in den schlagkräftigen Höhen klirrendem Sopran) wirkt wie wachgeküsst, lässt sich, im Glauben, ihr Mann verführe sie, endlich gehen, ohne an Stand und Sitte zu denken. Dem zum Kuli abgestiegene Mandarin (baritonrau: Ipca Ramanovic) wird klar, dass seine Stellung seine Gefühle gefesselt hat, dass er emotional amputiert „zwischen goldenen Gitterstäben“ durchs Leben ging.

Aber auch wenn am guten Ende die sozialen Verhältnisse scheinbar wiederhergestellt sind: Yang darf Li nicht weiter begehren, muss sich jetzt selbst mit einem Amt und einer gesellschaftlichen Position trösten. Und ob das hohe Paar durch Erkenntnis zusammenkommt, ob es überhaupt noch liebesfähig ist? Dagegen tröstet sich ganz pragmatisch und doch passend wie Yin und Yang, als polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene duale Kräfte, das niedere Paar – hier Aggro-Rocker James Homann (der zwischenzeitlich auch seinen Kopf an dem zum Polizisten mutierten Bonzen Wilfried Stabler verloren hat) und die schrille Schminkschlampe Hye-Sung Na.

Sonja Trebes‘ muntere Inszenierung entfaltet das aufgeräumt unaufgeregt, eher sachlich, sparsam mit exotischem Kolorit umgehend, gern ein wenig Chaos veranstaltend, aus dem dann der Haushofmeister Joao Terleira unter seiner Kochmütze nach der Ente greint. Und mit offenem Ende, denn die traditionellen Götter sind offenbar nachhaltig gestürzt.

Unter der souveränen Stabführung von Heidelbergs stellvertretendem Generalmusikdirektor Dietger Holm entfaltet sich diese reizvolle Partitur als „Spiel mit Göttern und Menschen“ so poetisch wie farbenprächtig. Gern zwischen Komik und Groteske oszillierend, dabei wohllautend und ohne viel pentatonisches Kolorit. Hans Gál spinnt melodischen Bögen und er flutet mit der reichen Polyphonie seiner Orchestersprache, die Chöre klingen durchaus auch mal nach Bach. In der magischen Sommernacht beflügelt Gál die Liebe sogar zu spätromantisch schwülstigem Duettsingen. Und zur Ente kommt schließlich auch noch ein Papierdrachen.

SWR2 sendet die Aufzeichnung am 24. Mai

Der Beitrag Im Opiumrausch des Vergessens: Hans Gáls komisch-schwülstige Oper „Die heilige Ente“ wurde erstmals seit 1933 wieder in Heidelberg gespielt erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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