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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Smokey gets her Eyes: Eine Amsterdamer Instant-Opernuraufführung über die italienischen Society-Ikone Luisa Casati – per Youtube

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Und auch das ist in diesen Zeiten noch möglich: Eine Opernuraufführung. Wenn auch nur als Retrospektive einer schon am 12. März mitgeschnittenen Generalprobe. Am 13. hätte die Weltpremiere in Amsterdam beim Opera Forward Festival der Dutch National Opera sein sollen. Jetzt kam aber „Ritratto“ – das italienische Wort für „Porträt“, erst am Wochenende als virtuelle Kreation auf dem Youtube-Kanal der DNO heraus. Da ist es in sehr guter Bild- und Tonqualität auch noch zu sehen, ebenso auf deren Webseite. Der neunzigminütige Einakter von Willem Jeths, dem ersten niederländischen Komponisten des Vaderlands, handelte von Luisa Casati, einer der durchgeknalltesten Society- und Kunstgestalten am Anfang des letzten Jahrhunderts. Der Look dieses It-Girls der Kreativen: Smokey Eyes. Die trägt sie auch auf den vielen Gemälden, die von ihr angefertigt wurden, eines davon war für Jeths der Auslöser zur Komposition.

Fotos Ruth Walz

Luisa Casati Stampa di Soncino, Marchesa di Roma (1881-1957) war eine italienische Muse, Kunstmäzen, Modeikone und High Society Lady. Sie war die jüngste Tochter eines wohlhabenden Textilfabrikanten. Ihre Kindheit drehte sich um perfektes Benehmen und die gesellschaftliche Repräsentation, sie galt als frühreif und ausgesprochen intelligent. Der frühe Tod ihrer Eltern machte Luisa und ihre Schwester zu den wohlhabendsten Erbinnen in Italien. 1900 heiratete Luisa Amman den Aristokraten Camillo Casati Stampa di Soncino, Marchese di Roma (1877–1946). 1903 lernte sie den Schriftsteller Gabriele D’Annunzio kennen und hatte eine langjährige Affäre mit ihm. In dieser Zeit reiste sie viel und fand schnell Kontakt zur europäischen Society. Ihre Bankette, Tanzbälle, Gartenparties, Dinners, Fuchsjagden, Tanzabende und Kostümfeste waren berühmt und füllten die Gesellschaftsspalten der Zeitungen. Je extravaganter und skandalöser ihre Lebens- und Liebesgeschichten waren, desto größer wurde die Faszination, die von ihr ausging. 1910 kaufte sie in Venedig den Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande und ließ ihn aufwendig renovieren. Die von Casati dort veranstalteten Feste waren außergewöhnlich und phantasievoll – so wurde die Einweihungsfeier im September 1913 mit einem Kostümball im Stil des 18. Jahrhunderts gefeiert. Heute residiert hier die Peggy Gugenheim Foundation.

In Porträts, Skulpturen und Fotografien zahlreicher Künstler verewigt, wurde Luisa Casati als meistgemalte Frau Italiens berühmt. Mit vielen Künstlern war sie persönlich befreundet, unter anderem mit Giovanni Boldini, Kees van Dongen, Romaine Brooks, Ignacio Zuloaga, Giacomo Balla, Jacob Epstein, Man Ray, Cecil Beaton und Adolphe de Meyer. Ihre Roben und Kostüme wurden von Léon Bakst, Paul Poiret, Mariano Fortuny und Erté entworfen. Wo immer sie war, setzte sie Trends. Doch in den 1930er Jahren musste Casati verarmt nach London fliehen, wo sie, unterstützt von Freunden, bis zu ihrem Tod lebte.

Gabriele D’Annunzio schuf 1910 mit der Figur der Isabella in dem Roman „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ ein dichterisches Denkmal. Tennessee Williams machte sie 1963 zur Protagonistin in „The Milk Train Doesn’t Stop Here Anymore“. Ihr Mythos wurde in Theaterstücken und Kinofilmen thematisiert, gespielt wurde sie dabei von Theda Bara, Vivien Leigh, Tallulah Bankhead, Valentina Cortese und Ingrid Bergman. Ihre Lebensweise und ihr Modestil inspiriert noch heute Designer wie John Galliano, Yves Saint Laurent und Tom Ford.

Über diese gelangweilte wie leidenschaftliche Dame als Kunstfigur wie Inspiration für Künstler hat nun von Willem Jeths seine süffige Oper geschrieben, bei der als Vorbild durchaus „Powder her Face“ durchschimmert, das Musiktheater-Portrait einer skandalösen englischen Adeligen, mit dem 1995 Thoms Adès berühmt wurde. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges hinterfragt Librettist Frank Siera die Bedeutung der Kunst. Bei einem Fest von Casati bringt Siera alle Arten von Künstlern zusammen, vor allem die Futuristen, die mit ihrer Kunst den Weg für den Faschismus ebneten. Casati beschäftigt sich nicht mit weltlichen Problemen und konzentriert sich auf ihre Leidenschaft. In der Oper geht sie noch weiter als im wirklichen Leben; Indem sie nicht sieht, versucht sie, selbst gesehen zu werden. Denn sie wird am Ende selbst zum Bild und Kunstwerk – und opfert für das Artefakt der lesbischen Malerin Romaine Brooks ihr Augenlicht.

Mit vielen Zitaten von Strauss bis Ravel macht Willem Jeths sein Werk in sieben Szenen zu einem sinnlichen Parcours durch die damalige Klanggeschichte, am Ende aber wird er ganz melancholisch und düster. Die Inszenierung von Marcel Sijm ist ein Designfest mit deutlich transgenderndem LGBTQ-Einschlag. Marc Warning lässt Plastikblasen als Perlenketten auf der leeren Szene hängen, die aber füllt Jan Taminiau, der den berühmten blauen Umhang entworfen hat, den Königin Máxima bei der Krönung von Willem-Alexander trug, mit schrillschrägen Kleidermodellen. Man wähnt sich bisweilen zwischen Voguing und Modenschau, nicht das Schlechteste für eine Oper, bevor es wieder kunstphilosophisch ernster wird.

Pose ist hier alles, nur Gutaussehen zählt unter diesen Selbstdarstellern, auch Kees van Dongen, Jacob Epstein, Man Ray, Serge Diaghilev und Filippo Marinetti sind anwesend. Geoffrey Paterson dirigiert mit Verve die Amsterdam Sinfonietta. Und auch für die jungen Sänger des erst seit einem Jahr bestehenden DNO-Opernstudios ist dieses Werk eine wunderbare Gelegenheit. Vor allem Verity Wingate ist eine eindrücklich zwiespältige Luisa.

Polly Leech gibt Romaine Brooks als sonore Dyke. Paride Cataldo ist Gabriele D’Annunzio, erst mit Flitter im Schambeutel, dann als lustiger Flatterflügelpilot. Und Martin Mkhize mimt den gar nicht so stummen Diener Garbi als nubischen Legionär, der eben nicht nur servant ist, sondern observant. Und hoffentlich bald auch wieder einmal in einem richtigen Opernhaus.

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