Da sieht man es wieder mal: Mit der Industrie als Kultursponsor ist nicht wirklich Staat zu machen oder langfristig zu rechen. Man leistet sich hier nur die Dinge, wie sie kommen und wie sie als Behübschung ins Portfolio passen. So wie die Autostadt des Volkswagenwerks in Wolfsburg. Die hatte sich seit 2003 als wichtigen Imagefaktor jenseits der Kernzielgruppe das Internationale Tanzfestival Movimentos ausgedacht. Im Zentrum standen bis 2018 Auftritte weltberühmter Tanzkompanien und Choreografen im rund 1000 Zuschauer fassenden KraftWerk, einem glamurös shabby chicen Veranstaltungsraum im ehemaligen Heizkraftwerk Süd des Volkswagenwerks Wolfsburg. Die Tanzproduktionen wurden durch eine Reihe von Konzerten, Lesungen, Gesprächen und Workshops begleitet, die, wie das Kernprogramm, unter einem übergreifenden Leitthema standen. Es gab Uraufführungen, eine Zeitlang sogar einen Preis. Wie bei keinem anderen Tanzfestival in diesem Land versammelten sich hier die großen, international tourenden Gruppen mit ihren Künstlerischen Köpfen, darunter Grupo Corpo, Dance Theatre of Harlem, Compañía Nacional de Danza, Cloud Gate Dance Theatre, Tokyo Ballett, Companiha de Dança Deborah Colker, Aterballetto, Emanuel Gat Dance, Cullbergbaletten, Batsheva Dance Company, Wayne McGregors Random Dance, Béjart Ballet Lausanne, Göteborg Ballet, Compagnie Marie Chouinard, Hofesh Shechter Company, Nederlands Dans Theatre, Sidi Larbi Cherkaouis Eastman, Les Ballets de Monte-Carlo, Akram Khan Company und Russell Maliphant Company.
Niemand hatte so viel Geld, niemand war aber auch so auf Wirkung bedacht. Erfunden hatten das alles die ambitionierte, schöngeistige „Kreativdirektorin“ der Autostadt, Maria Schneider, zusammen mit dem Geschäftsführer Otto Ferdinand Wachs, mit dem sie auch privat zusammen war. Das inzwischen 75-jährige Kulturfunktionär-Urgestein Bernd Kauffmann lieferte die Künstler, die zusammen mit einem Spitzenhotel, schönen, gern auch fleischlosen Bio-Restaurants und nachhaltiger Gastronomie das umweltfreundliche und kulturaffine Image der Autostadt prägten.
Doch bereits 2016 wurden die Mittel für das Festival in Folge der VW-Abgasaffäre um 20 Prozent reduziert. Maria Schneider, die sich längst schon von Wachs wieder getrennt hatte, entschwebte passgenau und frustriert nach 20 VW-Jahren. Ab dann wurde nur noch gewurschtelt. 2018 wurde für das abgeschmolzene Festival letztmals die Bühne im Heizkraftwerk Süd genutzt, da eine Umstellung des Kraftwerks auf Gasfeuerung anstand. 2019 fanden die Tanzveranstaltungen erstmals im neuerrichteten, 1400 Besucher fassenden, multifunktionalen Veranstaltungszentrum „Hafen 1“ zwischen Kraftwerk und Autostadt statt. Außerdem war das Festival im Juli/August und damit später als zuvor angesetzt, es gab kein Nebenprogramm und kein zentrales Thema. Die Auslastung betrug aber immer noch 93 Prozent.
Doch das war der neuen Konzern- wie Autostadtleitung Wurst. Man wollte Movimentos schon länger sterben lassen. Für dieses Jahr war nur noch der Education-Strang mit der Movimentos Academy geplant. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Autostadt waren zudem im Juni fünf letztmalige Auftritte der Companhia de Dança Deborah Colker vorgesehen, keineswegs aber eine Uraufführung wie jetzt behauptet. Sonst nichts mehr. Und trotzdem gibt es jetzt die krokodilstränenreichen Mitteilung „aufgrund der Gesundheitsrisiken durch das Coronavirus fände das Tanzfestival Movimentos in diesem Jahr nicht statt.“ Dabei war es längst beerdigt. Corona taugt jetzt als prima Sargnagel. Und nächstes Jahr wird man sich neu finden müssen und wirtschaftlich bedingt sowieso kein Geld mehr haben. Traurig das für VW. Traurig für den Tanz in Deutschland. Dem so da wichtigste internationale Podium für Großgruppen verlorengeht. Aber wie gesagt: Traue nie der Industrie…
Der Beitrag Corona Fake News: Wie die Wolfsburger Autostadt ihr internationales Tanzfestival Movimentos mit einem Virus entsorgt erschien zuerst auf Brugs Klassiker.