Dieser Koloss kommt auf schwerem, doch gelenkigem Fuß daher. Jaap van Zweden ist nämlich keiner, der es schlank mag. Er isst gern (das sieht man) und wer kalorienbewusst musikhören möchte, der soll in andere Konzerte gehen. Bei ihm darf kesseln. Aber der niederländische Dirigent, der 2018 zur Überraschung vieler das New York Philharmonic übernehmen wird, ist dennoch keiner, der bei einer sinfonischen Interpretation aus allen Kanonen schießen lässt. Er muss dem Anlass angemessen sein und es soll – bei aller Lautstärke – ein menschlich kultiviertes Maß bewahren. So wie jetzt bei dieser deutlich als Live-Version durch hörbare Atmosphäre und Nebengeräusch ausgewiesenen Neuaufnahme der 3. Sinfonie d-moll von Gustav Mahler.
Es ist seine siebte Veröffentlich auf dem hauseigenen DSO live-Labe des Dallas Symphony Orchestra. Und sie kommt wirklich wie eine klingende Visitenkarte für die New Yorker daher, einst eines der großen Mahler-Orchester und dem Komponisten selbst, unter Leonard Bernstein, Zubin Mehta und Kur Masur. Denn das DSO hat alles, was dem NYP gegenwärtig fehlt: Subtilität, Spielfreunde, ein dynamisches, doch rundwarmes Fortissimo, scharfe Blechbläserattacken, wohlig-seidige Streicher und in der Orchesterklangmitte liebliche, dabei charaktervolle Holzbläser. Die fordert ihr Chef bis zum Äußersten, aber eben nie über Grenzen. Jaap van Zwedens Zugriff ist individuell, aber nicht manieriert. Seine Tempi bewegen sich im Üblichen, doch lässig baut er Spannung auf hält sie, macht Weiterentwicklungen deutlich. Diese Musik wird ausgepackt und geschält, aber nie entbeint und skelettiert.
Es mag es schön, vor allem im „Langsam.Ruhevoll. Empfunden“ genommene Finale, das sich niemals zieht, das stets als lebendiger Klangorganismus pulsiert. Aber Jaap van Zweden, der fein zwischen Kontrolle und Freiheit balanciert, beherrscht auch das Grelle, die bewussten Kontraste; sein Mahler-Universum ist vielfältig und reich an Farben wie Schattierungen. Die Mezzosopranistin Kelly O’Connor und die Frauen des Dallas Symphony Chorus fügen sich da eher unauffällig ins deutlich instrumental gedachte Klangbild.
Heute wird die CD veröffentlich, gestern war er in der neuen Pariser Philharmonie zu erleben, ganz anders, nicht als vorgeblicher Traditionalist, der er nie war. Auf dem Programm des Orchestre de Paris, bei dem Jaap van Zweden ein regelmäßiger Gast ist (was sich unter dem neuen Chef Daniel Harding noch ausweiten soll): die europäische Erstaufführung des in Los Angeles herausgekommenen Double Concerto For Two Pianos von Philip Glass. Obwohl die beiden alterslos schwesterlichen Widmungsträgerinnen Katia und Marielle Labèque das nicht nur in dramatisch knapper Couturekleidung in Schwarz und Weiß behübschen, sondern auch jede nur mögliche Attacke und Anschlagvariante auspacken, es bleibt ein müdes Déjà-Vue an minimalistischen Endlosschleifen. Immerhin, Jaap van Zweden sorgt dafür, dass der orchestrale Hintergrund rhythmisch weich federt und sanft unauffällig bleibt.
Großartig und packend dann vom ersten Takt an die 5. Sinfonie d-moll von Dmitri Schostakowitsch. Das Orchester scheint alles französisch Zarte beiseitegelegt zu haben, prägnant und knusprig ist plötzlich sein Klang, dabei trotzdem stufenlos in der Dynamik verstellbar, mit einem langen Atem in den Bläsern und durchaus stählern gebürstetem Streicherteppich. Das hat vor allem großartigen Schwung, hält trotzdem im Largo kontemplativ inne und weiß mit lakonischen Schlusswendungen zu verzaubern wie zu begeistert. Grandios ist das in seiner Ökonomie und Effizient, dabei intelligent und trotzdem berührend. Das erfreulich jugendliche Publikum im ausverkauften Saal dankt es mit langanhaltenden Ovationen.
Wie sagt es doch der alte Beraterfuchs Didier de Cottignies, gegenwärtig künstlerischer Leiter des Orcheste de Paris: „Jaap wird aus den New Yorkern eine furiose Klangmaschine machen, die die Welt nicht mehr erkennen wird.“ Da sind wir aber gespannt.
Mahler: 3. Sinfonie. Jaap van Zweden, Dallas Symphon Orchestra (DSO live)
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