Wie sag’ ich’s meinem Kinde? Das wollen wir, wie so manches andere im Klassikgeschäft, gar nicht so genau wissen. Aber trotzdem gibt es dieses stets ambivalente, schnell aus der Balance geratende Verhältnis zwischen Oper und Öffentlichkeit, in diesem Fall: der Presse. Das ist als wirkliches, nicht virtuelles Treffen der Protagonisten vielfach auf eine einzige, semi-persönliche Begegnung im Jahr begrenzt – die Vorstellung des neuen Spielplans für die kommende Saison. Fragen gestattet, aber nicht immer erwünscht, und selten werden sie in einem solchen Forum zufriedenstellend beantwortet. Manchmal freilich hilft der Überraschungseffekt; vor einem Plenum mag sich keiner blamieren, lässt sich bisweilen leichter aus der Reserve locken denn im Einzelgespräch.
Doch die Institution der Jahrespressekonferenz, sie scheint im Wandel begriffen. Zunächst einmal haben seit einiger Zeit plötzlich immer mehr Menschen zu dieser eigentlich für Professionelle gedachten Begegnung Zugang: Förderkreise, Abonnenten, Adabeis, Liebhaber, Fans. Die nervten mit unwichtigen Fragen, Wehwehchen und Sympathiebekundungen. Dann fanden immer mehr Journalisten den Weg ins Opernhaus zu mühsam. Meist wird, steht der Intendant oder die Intendantin am Mikrophon, gleichzeitig aufs Webseitenknöpfchen gedrückt und alle News sind sofort auch online. Außerdem: Warum soll man immer als fast einziger freche Fragen stellen? Und der Rest der Journaille schweigt, schreibt die Antwort mit und mampft das mal mehr, mal wenig üppige Büffet leer. Wenig effektiv, so was.
Fanden auch die Theater, die sich groß vorbereiten – und dann fragt keiner, wenn er doch darf. Später steht, wenn überhaupt, in den Blättern vielfach nur das, was schon in der Pressemappe vorformuliert ist. Da kann man seine Zeit besser nutzen. Für, wenn gewünscht, Einzelgespräche zum Beispiel. Schon richtig, aber es kommt immer darauf an, in welchem Umfeld und welcher Stimmungslage man welche Aktion startet. Die Metropolitan Opera in New York zum Beispiel, sie hat seit Jahren schon keine gute Presse, außer in der „New York Times“, wo der Vater von Met-Chef Peter Gelb einst arbeitete und noch immer viele Getreue sitzen. Also hat der Met-Mächtige schon lange folgenden Ritus eingeführt: Die Spielzeitvorschau wird kommentarlos per Mail und Post verschickt, zeitgleich gibt es ein schönes, großes Peter-Gelb-Interview in der „New York Times“. Doch auch dort ändern sich die Zeiten. Die Gelb-Kohorte ist im Schwinden.
Trotzdem verfuhr etwa Nacho Duato, schwacher Chef des kritisch zerzausten Berliner Staatsballetts, unlängst ähnlich und noch radikaler: die News im E-Mail-Fach, basta! Ja kein Erklären, sich rechtfertigen Müssen. Dialog null, gestörte Kommunikation. Geredet wird nur noch mit einer geneigten Lokalzeitung vor Premieren, dafür schickt die dann garantiert Nicht-Fachleute in die Aufführung. Denn anderen Kritikern gefiel das gar nicht, also gab es wieder negative Kommentare. Klassenziel verfehlt.
Die Deutsche Oper Berlin lädt ganz traditionell am 17. März zur Pressekonferenz. Kann jeder nachlesen und kommen. Viel Neues erfährt er dort freilich nicht. Das Haus teilt stets schon Anfang des Jahres seinen Abonnenten die Spielplannovitäten mit, und damit streut es sich schnell in den interessierten Kreisen der Stadt. Schwarzweiß zu lesen gibt es sämtliche Fakten auch bereits seit Anfang März in einer einzelnen, offenbar bevorzugten Opernzeitschrift zu lesen. Warum also durch die ganze Stadt fahren? So schön und unterhaltsam sind die dort wartenden Herren samt zwei Damen nun auch nicht.
Die Komische Oper Berlin versucht dieses Jahr ein Experiment. Eher unauffällig wird da im Pressenewsletter mitgeteilt: „Am 5. (Presse) bzw. 6. April (allgemeine Öffentlichkeit) veröffentlichen wir unser Programm für die Spielzeit 2016/17. Eine Pressekonferenz findet in diesem Jahr nicht statt, wir verschicken das Material am Morgen des 5. Aprils digital. Der interessierten Fachpresse bieten wir vormittags Gelegenheit für Hintergrundgespräche mit der Leitung im kleinen Rahmen. Die Presseeinladung dazu erfolgt demnächst.“
Klingt als Reaktion auf die oben geschilderten Erfahrungen erst mal vernünftig und transparent. Beißende Kommentare gab es trotzdem gleich, schließlich haben schon manche in der Kommunikation mit dem Haus die folgende Erfahrung gemacht: Geht es um Positives oder wollen sie selbst Öffentlichkeit, sind Barrie Kosky & Co für fast alles zu haben, will man wegen etwas wohlmöglich unangenehm nachbohren, sind plötzlich alle nicht erreichbar und auf Tauchstation.
Und noch eine Variante bietet gegenwärtig die Bayerische Staatsoper. Da ließ Intendant Nikolaus Bachler die Katze schon vier Tage vorher per dpa-Gespräch aus dem Intendantensack: Er hört 2021 auf. Was somit bekannt und erledigt wäre. Die eigentliche Spielzeitvorstellung aber wird am morgigen Sonntag im Nationaltheater als Matinee samt Internet-Livestream zelebriert. Das hört sich so an: „Was folgt! Die Bayerische Staatsoper lädt ein zu einem Vormittag voller Neuigkeiten! Staatsintendant Nikolaus Bachler, Generalmusikdirektor Kirill Petrenko und der neue Ballettdirektor Igor Zelensky präsentieren dem Publikum der Bayerischen Staatsoper an diesem Vormittag die Pläne für die kommende Spielzeit.“
Wohlgemerkt: dem Publikum. Immerhin darf die so zur Sonntagsarbeit gezwungene Presse auch wegen kostenloser Karten nachfragen. Nach dem Motto: Wir da oben und die da unten. Dialoge entstehen so nicht, scheinen auch kaum erwünscht. Zum Beispiel präsentiert sich erstmals der neue, nicht unumstrittene Ballettchef von Bachlers Gnaden. Und darf ganz alleine reden. Marketing können sie an diesem Haus. Bei Kritik aber sind sie sehr dünnhäutig. Und so wird diese an selige ZK-Zeiten erinnernde Veranstaltung wohl nicht gerade dazu beitragen, dass der durch seltsame Behandlung und noch seltsamere Briefwechsel mit einigen Kollegen derzeit empfindlich gestörte Umgang mit der Presse sich verbessern wird.
Noch Fragen, bitte? Dann danken wir Ihnen für Zuhören.
Der Beitrag Oper und Öffentlichkeit: Dialog im Wandel erschien zuerst auf Brugs Klassiker.