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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Salzburg und Lyon im Retro-Schick

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1010Lustig: Nikolaus Harnoncourt und Piere Boulez sind tot. Beide haben keine Opern komponiert, aber dirigiert. Boulez hat immerhin die dreiaktige „Lulu“ uraufgeführt und den Strukturalismus, der trotzdem schön klingt, bei Richard Wagner entdeckt. Harnoncourt hat bei Monteverdi begonnen, bei Mozart den Goldpuder weggewedelt, „Aida“ als Kammerspiel verfeinert und er hat bei „Porgy and Bess“ aufgehört. Und ausgerechnet im Jahr nach dem Tod dieser beiden so unterschiedlichen, für die Musik und den Betrieb in der zweiten Hälfte des 20. und dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts so wichtigen Leitfiguren und Leuchttürme, ja Zwillingssterne auf unterschiedlichen Klangplaneten, wird die Oper super-retro!

In Salzburg wird zum 50. Jubiläum der Osterfestspiele 2017 die „Walküre“-Bühne von Günther „Schneisi“ Schneider-Siemssen rekreiert. Mit kosmischem Nebel, Schleierspiralen, viel Pappe und endlosen Rundhorizonten. Es bleibt abzuwarten, ob das, was einmal visionär war, noch bestehen kann, gerade auf der Theaterbühne. Doch die Findest-Du-mich-im-Dunkel-Stehrummchen-Regie von Herbert von Karajan, die will man lieber nicht neu machen, und auch Christian Thielemann will nicht in seinem Geiste die Seiten wechseln.

Dafür wurde die längst CT-gegerbte Vera Nemirova engagiert, die sich – wie auch der Set-Bauer Jens Kilian – bereits mit ihrem Frankfurter „Ring“ im Kochplattengeistes Wieland Wagners zeitsparend für eine solche Aufgabe empfohlen hat. Neu sind immerhin die Sänger (wäre das nicht aber nochmals auch einen Auftritt von Plácido Domingo als Siegmund wert gewesen?). Und kleines Besetzungsdetail am Rande: Als Salzburger Brünnhilde ist Christian Thielemann Anja Kampe offenbar gut genug, wenngleich sie ihm als Bayreuther Isolde nichts taugte…

Doch nicht nur Salzburg schaut beherzt rückwärts. In Lyon machen sie an der agilen Opera National gleich ein ganzes Festival namens „Mémoires“ aus dem vehementen Blick ins Operngestern. Der pfiffige Intendant Serge Dorny ist in den Inszenierungskeller der Erinnerung gestiegen und hat für ein Restaging wert befunden: Ruth Berghaus’ Dresdner „Elektra“ von 1986, zuletzt 2009 zu sehen, wo sie das Riesenorchester wegen des damals noch zu kleinen Grabens der rekonstruierten Semperoper auf der Bühne platziert hatte. Außerdem, beide sind übrigens auch auf DVD vorhanden,  Heiner Müllers auratisch glühenden Bayreuther „Tristan“ von 1993 (bis 1999 gespielt) sowie Monteverdis „Krönung der Poppea“ in der als Freilichtsichtweise konzipierten Regie von Klaus Michael Grüber für das Festival von Aix-en-Provence aus dem Jahr 1999, die im folgenden Sommer auch bei den Wiener Festwochen gastierte. Davon wären sogar noch die meisten Sänger verfüg- und einsetzbar. Aber Dorny setzt gerade beim neuesten Revival auf Opernstudio-Jugend.

Und für die  jüngeren Operfans ist solches natürlich eine willkommene Gelegenheit, Mythen von gestern und vorgestern live zu überprüfen. Die wohlmöglich dann alt und älter aussehen. Auch Südkorea, so hört man, hätte man soooo gern den letzten „Parsifal“ von Wolfgang Wagner wieder….Eher als Verlegenheitslösung mutet hingegen an, dass die hochpreisigen Festtage Berlin nächstes Jahr die bereits 2012 in Mailand und 2014 in London gezeigte, wohlmöglich das dafür viel zu kleine Schiller Theater zu Explosion bringende  “Frau ohne Schatten” in der Sichtweise von Claus Guth und mit dem nun beim Maggio Musciale Fiorentino arbeitslos gewordenen Barenboim-Freund Zubin Metha anbieten. Nicht immer ist retro eben auch wirklich schick.

Der Beitrag Salzburg und Lyon im Retro-Schick erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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