Drei Monate war der Jonas krank, jetzt singt er wieder, Gott sei Dank! So mögen manchen der vielen in der Berliner Philharmonie anwesenden älteren Damen gestoßseufzt haben, angesichts ihres schmalen, graubärtigen, aber lachenden Idols da auf dem Podium. Denn schenkt man der sonst so akribisch geführten unoffiziellen Fanwebseite Glauben, dann hat Jonas Kaufmann, der derzeit meistgeschätzte Tenor seit 20. Dezember zumindest offiziell keinen Ton mehr gesungen. Bis zu seinem freundlich aufgenommenen Prager Puccini-Konzert am 16. März. Wegen einer nicht näher spezifizierten Krankheit hatte er seinen diesjährigen Met-Aufenthalt für einen „Manon Lescaut“-Premiere samt Kinoübertragung abgesagt (wie schon im letzten Jahr, im nächsten gibt es dort erst mal gar keinen).
Bei den diesjährigen Berliner Festtagen war der Tenorissimo jetzt erstmals – nach einer Kammerversion-Tour im Mai 2014) mit Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ mit großem Orchester zu hören. Und wie war’s? Seltsam, um nicht zu sagen befremdlich. Daniel Barenboims Interpretationshaltung zeichnete sich vor allem durch sehr, sehr langsame Tempi und ein hochkulturviertes Piano von Seiten der herrlich klingenden, ihm im Blindflug folgenden Staatskapelle aus. Doch wirkte Mahler so ungebührlich sentimentalisiert und als Kitsch weinende Trantüte ausgestellt.
Von Joans Kaufmann waren hingegen erstmals im zweiten Lied, am Ende der ersten Strophe, bei „Wie mir doch die Welt gefällt!“ so etwas wie Tenortöne zu hören. Davor bewegte er sich in fast tonloser, dunkel-gaumiger Baritonlage, für die die Stimme aber nicht die Tiefensubstanz mitbringt. Die folgenden Höhen wurden nicht selten im Falsett angesteuert, klangen gaumig, kipplig, matt und glanzlos. Ein eher gequälter denn begeisternder Vortrag. Kaufmann versuchte dies mit einer intensiven, zum Zuhören zwingender Wortbehandlung auszugleichen, es gelangen ihm auch intensive, zwingenden Passagen, aber eigentlich immer nur, wenn die Stimme nicht gefordert war, sich in einer bequemen, tragfähigen Mittellagen bewegen konnte.
Viel Zeit also, darüber nachzudenken, wie dieser Künstler in Kürze sein szenisches Debüt als Wagners Walter von Stolzing (ab 16. Mai in München) durchstehen will, gleich beide Gesangspartien im superfordernden „Lied von der Erde“ bewältigen soll; von den angekündigten Debüts als auch nicht eben einfacher Offenbach-Hoffmann in Paris und Verdis Otello in London ganz zu schweigen…
Das unkonzentrierte Publikum, gala-unkundig, hustend, fotografierend, Bonbonpapier knisternd, plappernd, dazwischenklatschend, mit seinen übersteuerten Hörgeräten quietschend und sogar nach dem dritten Lied Bravo-rufend, war trotzdem begeistert. Und als hier unpassende Zugabe folgte noch eine offenbar in die Ewigkeit gedehnte, in ihrem schlichten Erzählduktus schöne Fassung von „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Was wir Jonas Kaufmann auf keinen Fall wünschen. Daniel Barenboim hingegen ging in der zweiten Programmhälfte zum Konzertalltag über: Es gab die von ihm vielgespielte, in Berlin zuletzt beim Musikfest im September aufgeführt 1. Sinfonie Edward Elgar. Mit klangfeiner, besonders in den Übergängen souverän durchgestalteter Routine.
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