Ja,ja. Die diesjährige offizielle Eröffnung des Musikfest Berlin (diverse, schwerst verknüpfte Motti: Schönberg, Mahler, Nielsen, Streichquartett, usw.) war mit Daniel Barenboim und seiner Staatskapelle. Aber nicht jeder hat Lust auf den üblichen Honoratioren-Silbersee, trockene Käsehäppchen und einen monothematischen Abend mit dem gereckten Schönberg-Pädagogenfinger. Daniel Barenboim und die Seinen spielen Verklärte Nacht, die Fünf Orchesterstücke op. 16 und die Variationen op. 31 auch gern übers Konzertejahr verteilt. Und was soll so exklusiv sein an einer Festival-Inauguration mit einem Orchester, das (mit teils abgewandeltem Programm) die zwei folgenden Tage auch gleich noch das Bonner Beethovenfest und das Echternach Festival eröffnet?
Dann lieber zum Pre-Opening, wie es heute so schick heißt. Das wurde im Kammermusiksaal gegeben, mit dem Ensemble Modern unter Brad Lubman und einem minimalistischen, aber vieltonigen Bouquet von John Adams-Gebinden und Vokalblüten von Steve-Reich (nächstes Jahrs schon Achtzig!). Was sich wunderbar mit dem zweiten Musikfest-Konzert, dem des San Francisco Symphony Orchestra und seinem nun auch schon seit 20 Jahren dort amtierenden Chef Michel Tilson Thomas verbinden ließ – ohne dass der US-Minimalismus als besonderes Thema ausgewiesen worden wäre. Aber Chefplaner Winrich Hopp mag eben auch die verborgenden Linien und Seitenpfade.
Zumal auch sogar die Schönberg-Linie gewahrt wurde: John Adams hat nicht umsonst seine hektisch-lyrische Chamber Symphony (1992) nach den beiden von Schönberg so genannt, immer wieder hört man heraus, dass sein Wirken in Kalifornien eben doch akustische Spuren hinterlassen hat, auch wenn sich diese Generation bewusst von seine Dogmen frei zu machen suchte. Traumwandlerisch und rhythmisch sicher spielt die Frankfurter Formation Adams’ Shaker Loops (1978/83) mit ihren unmerklichen flächigen Verschiebungen, transparent und transzendent. Und auch das auf alttestamentarischen Psalmentexten fußende Tehillim (1981) von Steve Reich betört durch seine aparte Mischung aus meditativer Repetition und mikrofoneinheitslautem Frauenquartett-Singsang (makellos: Synergy Vocals). Da ist es nur ein schmaler, nie überschrittener Grad zwischen zum Schweben gebracht Werden und Genervtsein.
John Adams gehört ebenfalls untrennbar zur Erfolgsformel MTT & SFO. Deshalb hatte man dessen Auftragswerk zum 100. Orchestergeburtstag „Absolute Jest“ (2011) im Tourneegepäck. Und ein echter Spaß ist es wirklich, zu hören, wie vergnüglich und virtuos das St. Lawrence String Quartet Motivfetzen aus berühmten Beethoven-Scherzi (u.a. 7., 8. und 9. Sinfonie) anreißt und dann zur Verdauung für das Orchester freigibt; was dieses mit breiten, aber auch rasant schnellen Kaubewegungen vollzieht. Vorangegangen waren dem Schönbergs spätere Variationen (1944) ursprünglich für Brassband gedacht, dann für Orchester geschrieben, amerikanischer, optimistischer, tonaler – von Michael Tilson Thomas absolut durchsichtig und strukturklar dirigiert.
Das bestens klingende Westküstenorchester, das wieder einmal klar machte, dass zu den angeblichen Big Five der US-Klangkörper mindestens noch die von Los Angeles, San Francisco und Pittsburgh hinzuzuzählen sind, schlägt den Beethoven-Bogen auch über die Pause, hin zur Eroica: auch diese einst einem „großen Mann“ gewidmet und dann doch dem Europa-Umpflüger Napoleon wieder namentlich entzogen. In solcher modernistisch-minimalistischer Umgebung wird das vorgeblich Heroische plötzlich vor allem energetisch ,aber mehr sehnig als protzend. Der 1. Satz wirbelt fast zu leichtgewichtig und flexibel vorbei, der Trauermarsch bleibt dezent, von fein ausschwingende Agogik durchpendelt, das Scherzo und sas Finale leiden minimal unter Tourneemüdigkeit in der Intonation; was wettgemacht wird durch einen sehr kultivierten „Spirit“ und eine optimistisch-helle Nonchalance im Ausdruck. Keine Verfinsterung: ein heiter-lyrischer, ja nobler Beethoven – auch im heldischen Posieren unter kalifornischer Sonne.
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