„Ahch, Ahch“. Ein gequältes Frauenherz macht sich so Luft, eine zutiefst verzweifelte Seele schafft sich zunächst einmal Raum und Klang. Dann erst setzt die eigentliche Arie ein, das Lamento „Addio, Roma“ der Octavia, der verstoßenen Frau Neros. Die dieser aus Rom verbannt, weil er ihre Nachfolgerin Poppea heiraten will – woran die jetzt Klagende freilich nicht ganz unschuldig ist. Denn Intriganten sind sie alle. Das wusste schon der alte Claudio Monteverdi, der hier 1642 in seiner letzten Oper „Die Krönung der Poppea“ einen antiken „Denver Clan“ mit viel Sex & Crime komponiert hatte. Und der dies doch in die schönste, in ihrer Komprimiertheit expressivste Musik umzusetzen wusste.
Die auf ihrer jüngsten CD, besonders prägnant begleitet von einem plastisch gezeichneten Gamben-Continuostimme, jetzt Magdalena Kožená anstimmt. Und man hört schon bei diesem Beginn sofort: Barockmusik und ein Studiomikrophon, das ist – so wie auch die Sphäre des spätromantischen Kunstlieds – die perfekte Entfaltungswelt für die tschechische Mezzosopranistin. Nirgendwo ist sie, die – wie ihre bisweilen milde gesagt: exzentrische Konzertgarderobe nahelegt – das Verkleiden und das Maskenspiel liebt, so sehr zu Hause, so sehr bei sich. Ein Teil der CD ist auch Bestand ihres gegenwärtigen Konzertprogramms, das sie bei Residenzen in Berlin, London, Paris, Frankfurt, Luxemburg und Prag zeigt.
Man kann jetzt tiefenpsychologisch gründeln: So wie wieder einmal auch das fotografische CD-Artwork der verlorenen Softsex-Unschuld à la „Bilitis“ eines weichzeichnenden David-Hamilton-Ambientes hinterhertrauert, so scheint hier eine sich selbst nicht sichere Person in solchem Mummenschanz Trost und Schutz zu suchen. Was in der nach wie vor seltsam angeschminkten Rolle der Lady Rattle gipfelt, die sich vor dem Orchester ihres Mannes in allen möglichen und unmöglichen Sängerinnen-Facetten wie –posen produzieren möchte – oder glaubt, solches zu müssen. Der aber weder die outrierte Carmen noch mehr die überzeichnete Mélisande, geschweige denn der „Rosenkavalier“-Octavian passte, welche dauernd in den Klangfluten der opernungewohnten Berliner Philharmoniker unterzugehen drohten. Und die wohlmöglich als liebende Mutter und souveräne Dirigenten-Gefährtin ihre private Rolle gefunden hat. So wie schon ihre professionelle in der Jugend auf dem Barock-Pfad, den sie nicht wirklich hätte verlassen sollen.
Hier, in den kleinen, madrigalesken, oft tänzerisch durchpulsten, sich bisweilen zur veritablen Gesangszene („Lamento della Ninfa“)entfaltenden Vokalpreziosen Monteverdis offenbart diese herber gewordene, aber immer noch ihren rauchig-drängenden Duktus kreativ vorführende Stimme einen kostbaren Nuancenreichtum. Wie eine Blüte gehen diese Töne auf, senden ihren starken, individuellen Duft in einen virtuellen Klangraum. Hier kann Magdalena Kožená spielen und improvisieren, ein ihr wirklich entsprechendes verschrecktes Naturwesen sein, ein Luftgeist, eine rettungslos Liebende, eine vom Leben Enttäuschte, eine seinsvergessene Schäferin.
Hier nämlich klingt dieser an sich kleine, intensive Mezzo unangestrengt, entspannt. Nichts muss übertrieben werden, es ist die überlegene, variantenreiche Sprachbehandlung dieser Künstlerin, die sofort wieder fesselt, das Wissen um die Ausdrucksmöglichkeiten und –Freiheiten, die diese nur minimalistisch notierte Musik ihren Interpreten lässt. Welche die Kožená und das ihr bestens vertraute Ensemble La Cetra unter dem ihr wohl neben ihrem Mann dirigentisch am Nächsten stehenden Andrea Macon bis zur Neige auf das Schönste auszukosten vermögen. Schnell und langsam, sinnvoll und sinnlich, drängend und spielerisch, tragisch und schmetterlingshaft mit den Noten flirtend.
Fantastisch abwechslungsreich ist diese CD komponiert, die berühmten Monteverdi-Stücke werden abgelöst von zeitgenössischen Instrumental-Intermezzi längst Vergessener wie Marco Ucellini, Tarquinio Merula oder Biagio Marini. Und gipfeln im ambitiösen, aber erfolgreichen Experiment, das dramatische Madrigal „Il Combattimento di Tancredi e Clorinda“ nicht drei, sondern nur einer Stimme anzuvertrauen. Was Magdalena Kožená als Meisterin des Recitar cantando großartig gelingt. Spontan wirkt das, aus dem Augenblick heraus scheinbar improvisiert, auf Vertrauen zu ihren Instrumentalunterstützern gründend. Im Konzert spielt sie die drei Rollen, unterstützt vom Barockregisseur Ondřej Havelka, auch szenisch.
Mit der ebenfalls leicht verhangenen, nur Nuancen helleren Sopranstimme Anna Prohaskas verbindet sich ihr Timbre ebenfalls vollkommen; etwa im CD-Auftakt mit dem Scherzo musicale „Zefiro torna, e di soavi accenti“. Die locker swingende, von Zink-Girlanden umwickelte, schellenbeklimperte Liebesode an den Westwind findet schließlich in der Silberscheiben-Apotheose ihre sensitiv-lockende, glücksprühende Entsprechung: Im wohl gar nicht von Monteverdi stammenden, trotzdem göttlich schönen Liebesduett-Finale „Pur ti miro“, ebenfalls aus der „Poppea“. Was gleich doppelt wie ein Memento zum Abschied wirkt: Gerade noch Octavia (auch in deren zweiter großer Nummer, der Einführungsarie als akustisches Selbstportrait „Disprezzata Regina“), schlüpft die Kožená jetzt in die Rolle ihres Gatten Nero. Und ihnen beiden, von der Nachwelt als selbstsüchtig verkommene Monster verdammt, gehören hier die ambivalent idealen letzten Töne.
Magdalena Kožená: Monteverdi (Deutsche Grammophon)
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