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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Maria und ihr blutendes Herz: Spontinis „La Vestale“ erweist am Theater an der Wien ihre vitale Zweitklassigkeit – dank einer perfekten Besetzung und einer unterhaltsamen Regie

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Schon mit dem ersten Ton, klar, viril, in feinstem Französisch gesungen, tut Michael Spyres im Theater an der Wien souverän und szenebeherrschend kund: Diese Oper soll nicht nur auf ewig ein Callas-Vehikel bleiben. Sie ist, zumindest wenn dieser Ausnahmetenor singt, der höhensichere Expansionsfähigkeit, Koloratur und ein angenehm klingendes Baritonfundament in einer Stimme vereint, auch die Oper des Leading Man. Licinius heißt er, römischer Soldat ist er. Der hier Unerhörtes vollbringt, nicht nur vokal. Maria Callas war es freilich, die 1954 als Julia gemeinsam mit Luchino Visconti in dessen erster Opernregie Gaspare Spontinis „La Vestale“ an der Mailänder Scala wieder ins Rampenlicht rückte. Zwischen Glucks Reformbemühen und den effektvollen Standbildern der späteren Grand Opéra ist diese von Kaiserin Joséphine geförderte und 1807 in Paris uraufgeführte Hochfeier des Klassizismus das tönende Bindeglied, in dem der napoleonische Hof seiner als Empire-Stil wiedererstandenen Sehnsucht nach einem neuen Römertum frönen konnte. Harmonische Grandeur und große Chorszenen verblenden sich mit italienisch schmeichelnden Melodien und anrührender Charakterzeichnung. Beethovens Freiheitpathos ist zumindest zu ahnen – obwohl sich diese Musik in herzhafter, aber hörenswerter Zweitklassigkeit nie dessen olympischen Höhen nähert.

Fotos: Werner Kmetisch

Aber sogar Richard Wagner liebte – später deutlich hörbar – die schlichte Beispielhaftigkeit der vom Soldaten, Politiker und Librettisten Étienne de Jouy auf drei Akte gestreckten Geschichte einer Vesta-Priesterin, die während eines Rendezvous mit ihrem geliebten General Licinius das heilige Feuer ausgehen lässt, später allerdings von der Göttin selbst vor dem dafür drohenden Todesurteil gerettet wird. Als schwächelnde „Norma“ mit gutem Ausgang gilt das Stück deshalb heute in der Opernwelt.

Vor allem lobte für das Kunstwerk der Zukunft kämpfende Wagner die hier am Ende vorgeführte Trennung von Kirche und Staat, die im nachrevolutionären Frankreich besonders propagiert wurde. In seiner Funktion als Sächsischer Generalmusikdirektor lud Wagner übrigens 1844 den damaligen Preußischen Generalmusikdirektor Spontini zu seiner eigenen „Vestalin“-Premiere nach Dresden ein. Dieser orchestrierte einiges eigens neu und zeigte sich zudem hocherfreut von Wagners Lieblingssängerin Wilhelmine Schröder-Devrient in der Titelrolle.

In Wien muss jetzt Elza van den Heever diese sehr großen Vorgängerinnen-Sandalen tragen. Sie macht das mehr als nur sopranordentlich, mit einer von der satten Tiefe bis zu den kraftvoll attackierten Höhen gut durchgebildeten Stimme, sie hat Persönlichkeit und Charakterbiss, diese an sich eindimensionale Figur aufzuwerten. Was ebenso für den außerordentlichen Michael Spyres als Licinius gilt, der mit der lyrisch-kraftvollen Zwischenfachlage der Partie ganz wunderbar zurechtkommt.

Die Partitur, so simpel wie schön sie orchestriert ist, sich stellenweise auf die Faszination weniger (bitte gut gespielter!) Solonistrumente verlässt, sie hat Längen, gefährliche Längen. Was fast nicht auffällt, wenn ein liebevoller Könner und aufmerksamer Stilist wie Bertrand de Billy am Dirigierpult wirkt. Der animiert die gut aufgelegten, aufmerksam intonierenden Wiener Symphoniker zu einer beweglichen, abwechslungsreichen Kontrastdramaturgie.

Die vielen Tänze atmen sprühende Beweglichkeit, ganz lassen sich zeremoniale Steifheit und simple Harmoniewechsel nicht aus den Noten blasen, aber hier wird oftmals veredelt und verstärkt, was eine interessante Musik des Übergangs darstellt. De Billy hält die Musiker immer wieder mit kraftvoller Direktheit zu kompakter, Pathos herauskitzelnder Kraftentladung an. So scheint sinnfällig auf, was Wagner an diesem Werk einst jubeln ließ.

Das Vokale bleibt hier das Opernmaß aller Dinge – das gilt auch für die „zweiten“ Rollen, hier drei an der Zahl, sowie die ausladende Chorpartie, die Erwin Ortners Arnold Schoenberg-Truppe mit Verve und unmittelbarem Berührtsein souverän und voluminös meistert. Gleich Zu Anfang, sein Lebenszweck ist der Turnsaal und die körperliche Fitness mehr als die emotionale Durchdringung des Geschehens, kann der französische hohe Tenor Sébastian Guèze, als Freund Cinna des Feldherren punkten, wie auch am Turnpferd und beim Liegestütz. Claudia Mahnke ist eine aufbegehrende, eifersüchtige Obervestalin, der diesmal als mieser Manipulator aus seiner Vaterfiguren-Komfortzone gelockte Franz-Josef Selig gibt basssatt als grabschender Hohepriester den Hüter des Kultes.

Wobei hier Inszenator Johannes Erath der doch sehr eindimensional-blässlichen Handlung mit gepflegtem Trash und durchaus platten, aber unterhaltsamen Psychologsimen vehement regietheaternd entgegensteuert. Erath hat ein Faible für Tingeltangel und Entertainment, dem frönt er neuerlich. So setzt er auf eine zweiten, einrahmenden Handlungsebene die Kleruskaste und Julia zur Familienaufstellung an einen rosa Tisch und auf altmodische Plüschsessel, die einen als Eltern, die andere als rebellische Tochter im Trainingsschlabberlook. Aus diesem, meist am Rand der Drehbühne platzierten Unterschicht-TV-Ambiente switchen sie dann immer wieder in die Haupthandlung. Nur  Licinius und Cinna bleiben, wo sie sind. Die keuschen Vestalinnen, die in der Unterbühne barmen, häuten sich hingegen zum von Jorge Jara staffierten, pailettenglitzernden Partyvolk unter der Discokugel.

Den Vesta-Kult transferiert Johannes Erath nämlich in eine schon hysterische, südländisch weltliche Marienverehrung, die mit der Kleinstatue auf dem Teenager-Schminktisch beginnt und bei der Monstermadonna unter zuckenden Lichterketten endet, die im zweiten Teil statt eines weißen Kubus’ die jetzt wassergeflutete Bühne von Katrin Connan füllt. Da auch noch einige tierische Metaphern in Gestalt von Raubvögeln durch die Szene geistern, werden die Ebenen nicht immer trennungsklar und konsequent geschieden. Am Ende hat Maria jedenfalls ihr Vesta-Feuer in Gestalt eines rotglühenden Herzens wieder – und alle sind glücklich. Fast: Denn die Spießerhölle, aus der sich Mama final zumindest mit einem symbolischen Vatermord befreien wollte, nehmen nun die glücklich vereinten Jungen ein.

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Brugs Beste 2019 – ein CD-Adventskalender: I. Mit Humperdinck von der Kinderseele träumen

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Im Hause Humperdinck muss es heiter vergnügt und sehr liebevoll gegenüber den Kindern seiner Schwester zugegangen sein. Frucht dieser vor allem weihnachtlichen Zuwendung war das ironisch „Kinderstubenweihfestspiel“ genannte „Hänsel und Gretel“, in seiner späteren, wagnerisch aufgeblasenen Fassung (uraufgeführt am 23. Dezember 1893 unter Richard Strauss in Weimar) nicht mehr unbedingt so kindertauglich wie Tradition und Gewohnheit es scheinen lassen. Und dann gibt es da noch ein zweites Stück. Das freilich von einem Verleger zielgerecht bestellt und sehr monströs mit 500 Schülern und 200 weiteren Frauen im Berliner Zirkus Busch 1906 erstmals zu hören war, obwohl noch intimer angelegt: „Bübchens Weihnachtstraum“. Das nennt sich „ein melodramatisches Krippenspiel“ für Schule und Haus“. Textlieferant Gustav Falke imaginierte sich einen weihnachtsbegeisterten Knaben, der bei den Vorbereitungen für Heiligen Abend auf dem Schoß der Mutter einschläft und sich in ein Winterwunderand mit Engeln, Heiligen Drei Königen, Hiten und natürlich der Heiligen Familie träumt. Und Humperdinck komponierte um seine Arrangements bekannter Weihnachtslieder weitere eigene hinzu, ein paar Soli gibt es zudem. Leicht, anrührend, stimmig ist das, mit nostalgisch anmutendem Tannenduftflair von früher. Blitzsauber singt das der MDR-Kinderchor mit dem MDR-Sinfonieorchester unter Alexander Schmitt. Axel Thielmann spricht den von ihm bearbeiteten putzigen Text. Dazu gibt es zusätzliche populäre Weihnachtsweisen in neuzeitlicheren Arrangements plus zwei DDR-Kinderklassiker, unter anderem vom Chorgründer Hans Sandig. Man soll ruhig riechen dürfen, woher diese schöne Produktion herkommt. Die bereits zum 1. Advent Weihnachtslaune macht.

Humperdinck: Bübchens Weihnachtsraum (genuin)

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Brugs Beste 2019 – ein CD-Adventskalender: II. Mit Jakub Józef Orlinski der barocken Opernliebe ins Gesicht sehen

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Sinnlichkeit. Verlockung, und trotzdem auch noch einen Hauch von Unschuld. Das zeichnete schon Jakub Józef Orlinskis erstes Soloalbum „Anima Sacra“ aus. Wobei es hier eigentlich um geistliche Genüsse, Glaubenshalt durch die Musik ging. Doch die nicht eben unterschwellige Erotik barocker Klänge schwang schon dabei sehr deutlich mit. Von der optischen Visualisierung durch Schleier auf nackter Haut ganz zu schweigen, die für die Coverfotos die gern mit marmornen Tüchern bedeckten Steinskulpturen in neapolitanischen Kirchen zitieren. Doch der in New York ausgebildete polnische Countertenor, der auch eine Model-Vergangenheit und eine Breakdance-Gegenwart hat, kann sich das leisten. Das Erato-Album wurde ein Riesenerfolg, gleich zwei Plattenpreise in einer Woche, der neue Opus Klassik und der Grammophone Award, waren der Lohn. Und nun folgt, mit den gleichen Beteiligten, die opernhafte Fortsetzung: „Facca d’Amore“. Jetzt also geht es in weit äußerlicheren Musiktheaterarien ganz unverfälscht um die „Gesichter“ und die Aggregatszustände der Liebe. Wieder sind für die Recherche der Musikforscher Yannis François (sieben Weltpremieren hat er gefunden) und für die hinreißend vitale und spontane instrumentale Unterstützung Il Pomo d’Oro unter dem expressiven Maxim Emelyanychev mit dabei. Und wieder fasziniert und begeistert Jakub Józef Orlinski in Arien von Cavalli, Boretti, Bonocini, Scaratti, Händel, Orlandini, Predieri, Mattei, Conti und Hasse mit der schillernden Palette seiner fein lasierten Farben und seinen geläufigen Koloraturen. Immer ist da ein opak porzellanhafter Schimmer auf seiner Mezzostimme, nie wird er schrill oder aggressiv, nicht einmal in der Wahnsinnsszene des Händelschen Orlando. Es ist ein orphisches Singen – und so passt es, dass der hinreißende Arienparcours mit der verinnerlichten, für Farinelli komponierten Virtuosität des Hasseschen „Orfeo“ endet.

Jakub Jozef Orlinski: Facce d’Amore (Erato)

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Brugs Beste 2019 – ein klingender Adventskalender: III. Mit Mariss Jansons in die wahre, doch falsche Strauss-Seligkeit

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Die Nachrufe sind eben gedruckt, da wendet man sich, sonst bleibt ja nichts, dem Erbe des Mariss Jansons zu, das zum Glück ein klingendes ist. Unter den Neunveröffentlichungen des hauseigenen BR Klassik-Label, das eben – auch wegen und mit Jansons als Zugpferd – sein zehnjähriges Jubiläum feiern konnte, sind Schostakowitsch-Sinfonien. Musik, die ihm schon biografisch nahe war und der er sich immer wieder zuwandte, nie müde wurde, sie stets aufs Neue zu durchpflügen, zu analysieren, einfach Ton werden zu lassen. Und eine Richard-Strauss-CD gibt es. Auch die umfasst – wenig spektakulär – drei Werke, die Mariss Jansons stets Herzensangelegenheit waren: die „Vier letzten Lieder“, das emblematische Werk vom Weltabschied neben Mahlers „Lied von der Erde“, das er so oft interpretiert hat. Diana Damrau sang sie schwer erkältet bei seinem allerletzten Konzert in der New Yorker Carnegie Hall. Auf der Platte ist es, verhalten, tastend, nie wirklich jubilierend, gedeckt, zweifelnd, Anja Harteros. Dem folgt der „Till Eulenspiegel“ mit plastischem Witz, wunderbarer Orchestrierungsfinesse, ostentativ frechem Tempo und doch auch grüblerisch innehaltend. Herzstück der CD scheint aber die fast halbe „Rosenkavalier“-Stunde in Gestalt der Suite, die der Dirigent Artur Rodzinski erstellte. Wenn Mariss Jansons schon nie die ganze Oper aufgeführt hat, so vermittelt doch diese clever kompilierte Inhaltsangabe nach Noten seinen Geist der Anverwandlung dieses kunstvoll erfundenen Theresianischen Wiens samt seinen ahistorischen Walzer. Ähnlich wie in seinen drei Neujahrkonzerten nimmt Mariss Jansons das mit Schwung, Brillanz, Leuchtkraft, aber auch mit ortstypisch g’schlamperten Rubati als ausgefeiltem Agogik-Gerüst. Im nur von Geigen intonierten Leiblied des Ochs glimmt eine keusche Zartheit, die dieser derben Person fast zu viel des Guten widerfahren lässt. Die Musiker des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks schwelgen und schmachten, nie aber ist das Schmalz und Kitsch, nur zupackende Lebensfreude, Überschwang, warme Transparenz und im Finaltrio wie -duett fast überirdischer Geigenhelligkeit. „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“, so denkt man immer noch über die Präsenz dieses so vielgeliebten Dirigenten, der nun nicht mehr ist. Nächstes Jahr in Salzburg hätte er die „Rosenkavalier“-Suite wieder auf den Pulten der Wiener Philharmoniker zu liegen gehabt. Jetzt bleibt nur die Münchner Tonkonserve von 2006. Die uns aber an Worte erinnert, die Jansons’ dortiger Kollege Sergiu Celibidache einst sagte: „Musik ist nicht schön, sondern wahr. Die Schönheit ist nur der Köder.“

Mariss Jansons: Richard Strauss (BR Klassik)

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Brugs Beste 2019: IV. Mit Philippe Jordan repräsentativ Wienerische Beethoven-Sinfonien erleben

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Ein Duell der Giganten? Nein, das dann doch nicht. Aber das 250. Beethoven-Jubiläumsjahr hat ein kurioses Wettrennen an der blauen Donau ausgelöst. Quasi zeitgleich haben die beiden großen dortigen Orchester, die Wiener Philharmoniker und die Wiener Symphoniker, neue Aufnahmen-Zyklen der Sinfonien gestartet. Die Symphoniker sind unter ihrem dynamischen, leider schon wieder scheidenden Chef Philippe Jordan erstmals seit 20 Jahren mit der kompletten Folge angetreten, konzentriert wurden alle Neune schon 2017 live mitgeschnitten und in regelmäßiger Folge veröffentlicht. Bis jetzt die Neunte das spritzig-kontemplative Finale setzte. Bevor die Symphoniker das Erspielte der fünf als Komplettbox beim Eigenlabel bündelten, folgte jetzt die Konkurrenz mit ihrer über zwei Jahre aufgenommenen Kiste bei der Deutschen Grammophon. Die Philharmoniker haben sich als Gast den vielgefragten Andris Nelsons geliehen. Sie spielen diese Benchmark circa alle zehn Jahre neu ein, nach Simon Rattle und Christian Thielemann steht jetzt mit dem Letten einer der Generation Vierzig am Pult des Traditionsorchesters. Doch der gemeinsame Nenner ist eigentlich nur der Singverein für beider „Götterfunken“. Denn der 44-jährige Jordan legt einen überlegen disponierten Zyklus vor, entspannt, fein ausgehört. Historisch informiert, aber auch mit Wiener Schmäh, beweglich, aber sich immer wieder auch Zeit lassend. Ein Traditionsorchester schlägt hier Funken, überdenkt Überkommenes, findet zwanglos organisch einen neuen, schlanken, aber nicht schlichten Beethoven-Ansatz. Ganz anders hingegen die de-Luxe-Konkurrenz. Während Nelsons gleichzeitig einen sanglich-schlichten Bruckner-Zyklus mit seinem Leipziger Gewandhausorchester einspielt und alle Schostakowitsch-Sinfonien mit dem Boston Symphony, dem er ebenfalls vorsteht, kann er als Gast der Wiener nicht wirklich überzeugen. Die Wahl der Tempi wirkt kurios, die Übergänge tönen oft verhetzt, vor allem was die die Streicher-Bläser-Balance anlangt. Es mangelt an Dramatik und Unmittelbarkeit des Ausdrucks. Spannungsarm, wenig brillant fließt da zu vieles. Es fehlt an Tiefe und melodischer Eleganz. Krampfig klingt das, am ehesten gelungen sind noch die ersten beiden Sinfonien.

Philippe Jordan/Andris Nelsons : Beethoven-Sinfonien (Sony/Deutsche Grammophon)

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Brugs Beste – ein tönender Adventskalender: V. Mit Reynaldo Hahns Liedern lassen sich mehr als vier exquisite Stunden genießen

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„L’heure exquise“ – die sehr besondere Stunde“. So heißen die berühmtesten Minuten, die der Komponist Reynaldo Hahn geschaffen hat. Ein Kunstlied, eine französische mélodie. Mehr nicht. Als Tonsetzer ist Hahn weitgehend eine Fußnote in der Musikgeschichte, dabei hat er so viel mehr komponiert, abgesehen von seinem schillernden Leben. Weit über vier exquisite Stunden, vieles davon bisher unveröffentlicht. sind jetzt in einer schönen CD-Kassette auf vier CDs versammelt, mit denen – einmal mehr – die Stiftung Palazzetto Bru Zane den Schleier von einem hörenswerten Oeuvre des 19. Jahrhunderts ziehen möchte. Reynaldo Hahn (1874-1947) war viel mehr als nur der Liebhaber von Marcel Proust, als der er in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Geboren in Caracas als Sohn eines deutschen Juden und einer Venezolanerin baskischer Abstammung, war er Pianist und Komponist (schon der Elfjährige studierte bei Jules Massenet), ein geschätzter Mozart-Dirigent und sogar-Sänger. Er schrieb Bücher und Kritiken, 1945 wurde er Chef der Pariser Oper. Unter anderem komponierte er 100 Lieder, von denen höchsten drei bis vier heute nicht populär sind. Der weiche, schmiegsame, aber auch farbenschillernde Bariton Tassis Christoyannis – eine feste Bru-Zane-Größe – und der Pianist Jeff Cohen lassen jetzt die Genießer in kostbare Belle-Époque-Stunden tauchen; wobei man die in kleinen Dosen genießen sollte, sonst besteht bei aller Vielfalt die Gefahr der Gleichförmigkeit. Und trotzdem: der Hörhunger kommt beim Hahn-Essen. Er begeistert und verzaubert immer wieder aufs Neue, wie er in wenigen Momenten Stimmungen zaubern kann, wie subtil er mit den Worten umgeht, wie er abgeschlossenen Klanggeschichten entstehen lässt.

Reynaldo Hahn: Sämtliche Lieder (Bru Zane)

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Brugs Beste 2019 – ein CD-Adventskalender: VI. Mit Ermonela Jaho Puccinis Erstling „Le Willis“ traumhaft schön soprandurchleiden

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Erst einmal wurde diese Erstfassung von Giacomo Puccinis 1884 uraufgeführter Debütoper „Le Willis“, die später zu „Le Villi“ mutierten, bisher eingespielt. Das ist schon wieder 64 (!) Jahre her. Außerdem ist inzwischen bei Ricordi eine neue, kritische Ausgabe des Einakters erschienen, der seinen deutschen Sagenstoff um jungfräulich gestorbene Bräute, die ihre Verlobten als Geister verfolgen, von dem berühmten romantischen Ballett „Giselle“ übernommen hat. Insofern ist ein Label wie Opera Rara nicht verkehrt, um jetzt erneut den späteren Zweiakter in seiner radikaleren Urversion zu präsentieren. Bei der immer wieder an einigen Stellen bereits der später so typische Puccini-Tonfall durchschimmert. Mark Elder animiert das Philharmonia Orchestra zu klangfarbenprächtigem Spiel. Legitimiert ist diese Werkwahl aber auch durch die anrührend gefühlvolle Albanerin Ermonela Jaho, die sich dank ihres so raffiniert wie kontrollierten Vibratoeinsatzes, der feinen Höhe und differenziert-zartfühlender Gestaltungkraft neuerlich als echte Verismo-Primadonna unsere Zeit erweist. Neben ihr lässt der dunkel gefärbte, vom Bariton zu Tenorhöhen aufgestiegene Armenier Arsen Soghomonyan als ihr Liebhaber Robert sehr positiv aufhorchen. Und auch Brian Mulligan ist ein glaubwürdig intensiver Vater Guglielmo Gulf, der seine  Preghiera „Angiol di Dio“ mit vibrantem Baritontimbre gestaltet. Ein Appendix mit drei Bruchstücken aus der Zweitfassung, darunter die schmerzlich-drängende Tenor-Scena drammatica „Torna ai felici dì“, zeugt wieder einmal von der sorgfältigen Opera-Rara-Detailarbeit. Und trotzdem ist diese glutvolle Talentprobe nur 65 Minuten kurz/lang.

Puccini: Le Willis (Opera Rara)

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Plötzlich pretty Pelly-Prinzessin in Pink: An der Dutch National Opera tanzen vergnüglich die Rossini-Puppen, vor allem weil Daniele Rustioni den „Cenerentola“-Takt schlägt

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Lustig! Ausgerechnet „La Cenerentola“, eine der meistgespielten komischen Opern überhaupt, seit 200 Jahren nicht aus dem Repertoire verschwunden wie viele andere Rossini-Raritäten, hat Lustbarkeits-Triebtäter Laurent Pelly noch nie inszeniert. Dafür aber Jules Massenets Märchen-Variante „Cendrillon“, die wie viele seiner so intelligenten wie gefälligen Produktionen, den Weg über den Musiktheaterglobus fanden. Natürlich auch dank seiner hingebungsvollen Starprotagonistin Joyce DiDonato. Nun aber wurde auch die italienische Opernfassung des „Aschenbrödel“, das auf Niederländisch „Assepoester“ heißt von Pelly an der Dutch National Opera, wo er zum dritten Mal gastierte. Das Plakat freilich führt in die Irre: Auch wenn da ein herausfordern lockendes Mann/Frau-Wesen zu sehen ist, um Genderfluidität und Queerness, inzwischen auch äußerst angesagte, wenngleich seit dem Barock verhandelte Opernthemen, ging es so gar nicht. Obwohl zumindest als optische Teilzeit-Motto sehr farblaut und schrill „Think Pink!“ ausgegeben worden war, um die verhuschte Angelina plötzlich Koloraturenprinzessin werden zu lassen. Doch der Rest dieses offenbar immer mehr als Weihnachtspremiere angesagten Trällermärchens erweist sich als hübsch harmloses, routiniertes Pelly-Vergnügen. Der magische Funken, den hier etwa der göttliche Beistand in Gestalt des als Fee-Ersatz fungierenden „Philosophen“ Alcindoro (der erstaunlich basskoloraturbewegliche Roberto Tagliavini) als fuchtelnder Dirigent beschwört, er gelingt immerhin im Graben dem DNO-Debütanten Daniele Rustioni.

Fotos: Baus

Der sich am Pult des beweglich-spritzigen Het Nederlands Kamerorkest wieder einmal als einer der spannendsten italienischen Maestri erweist. Der streichelt schon in den Anfangstacken die Ouvertüre so zärtlich, entlockt ihr so viel feinen Witz und fruchtige Farbe, das man gleich weiß: Das wird richtig. Wild und doch präzise komisch cerscendiert das auf seine Explosionsstretta hin. Und in der Tat gluckert und gluckst es im Graben wie allerbester Prosecco, den ganzen Rossini-Abend lang.

Pelly hat sich von Chantal Thomas ein breites, zunächst kahles Kulissenzimmer mit grauhängender Tapete bauen lassen, in der Mitte schwebt eine Tür. Und ganz allein steht dazwischen eine Putzfrau. Man hätte sie kaum erkannt, ist Isabel Leonard doch sonst eine der feinsten Singing Beauties der Opernwelt. Hier muss sie das Mauerblümchen spielen, damit sie umso strahlender glimmern kann, wenn sie zum ersten Finale in der weißen Chiffon-Abendrobe à la Pelly einherschreitet. Die freilich noch am Mieder ihre Ascheherkunft zeigt (bei Pellys Cendrillon, war es umgekehrt, da hing die Asche noch im Saum; kleine Selbstreferenz). Nur stimmlich kann sie nicht ganz mit der Optik mithalten, da fehlt es etwas an tiefe, man spürt die Verzierungsmühe.

Der leere Märchen(t)raum. Dahinein schieben sich aus den Seiten insgesamt 14 unterschiedlich hohe Podeste mit dem ganzen angegammelten Hausrat des klammen Don-Magnifico-Schlosses. Das schwenk rein und raus, erlaubt verschiedene Mobiliar-Stilleben vom Bad, über die diversen Schlafzimmer, Windfang, Waschküche, Studierstube, Küche, Esszimmer und Salon. Und auf einem 15. Podest posieren die Menschen oftmals wie Püppchen. Beim Prinzen Ramiro ist später alles rosarot, aber Kutsche, Lüster und kostbares Inventar sind nur tiefgezogene, rauf- und runterfahrende Stoffsilhouetten: Also auch alles Lüge?

Pelly, zeigt, bewegt, übersetzt die Rossini-Mechanik in einem kinetischen Personenkreislauf, aber so gut und originell wie Ponnelle oder Herheim ist er nicht. Und im zweiten At geht ihm die Puste aus, da wird dann nur noch die Repeat-Taste gedrückt.

So muss der Buffa-Laden durch das hier vielgeforderte Ensemble bewegt werden, was auch gelingt. Lawrence Brownlee als überall immer noch gern gebuchter Rossini-Prinz ist stimmlich wie optisch die Kirsche auf der Torte, sämig und geschmackvoll hüpfen bei ihm die Triller, flattern die Rossini-Schmetterlinge im Tenorbauch. Der pfundige Nicola Alaimo beweist unerwartete Motorik als Magnifico, fängt beim Buffo-Plappern gern das Bellen an, aber fühlt sich in der dankbaren Böse-Vater-Rolle basbaritonpudelwohl. Dem neuen DNO-Studio stellen Julietta Aleksanyan und Polly Leech als eher schräge denn fiese Stiefschwestern ein bestes Klangzeugnis aus. Die Chorherren haben stelzend Spaß. Und Alessio Arduini als Prinz-Ersatz und Kammerdiener Dandini schwänzelt mit gefälliger Stimme wie propere Optik ansehnlich im Rokoko-Ornat.

Am Ende, da freilich ist Laurent Pelly, eher mitleidlos: Aschenbrödel bleibt Aschenbrödel, und Putzfrau wird wieder Putzfrau.

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Brugs Beste 2019 – ein CD-Adventskalender: VII. Mit Erich Wolfgang Korngolds „Wunder der Heliane“ auf einem wohligen Tonschwall schweben

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Das Blankziehen als Akt der Nächstenliebe, es ist ein zentraler Moment in Erich Wolfgang Korngolds scheinheilig-hysterischer Oper „Das Wunder der Heliane“. An der Deutschen Oper Berlin ist es 2018 wohl zum ersten Mal wirklich so passiert in der kurzen Rezeptionsgeschichte dieses kitschigen, faszinierenden Werkes. Bei der mutig gleißenden Sängerin Sara Jakubiak hat Nacktheit als subversiver Akt gar nichts Peinliches. Aus der depressiven, von ihrem frigiden Mann ungeliebten Königin wird Eva, Venus, sinnlich und wärmend, aber auch eine keusche, mütterliche Maria. Eingehüllt, umschmeichelt, klangbekleidet von schwülstig bitonalem, wohlig waberndem Tonschwall, der, animiert vom famosen Marc Albrecht, sich aufschwingt, strahlt, glüht und verweht. So muss man diesen wahnwitzigen, ziemlich geilen Korngold singen und spielen. Für die eigentlich unspielbare „Heliane“ ist das eine glanzvolle Rehabilitierung. Die wundersam, ja süchtig machend aufgeht, obwohl die professionell nüchterne Regie von Christof Loy wenig unter die Oberfläche dringt. Und die glücklicherweise in einer Schnellaktion auch für DVD aufgezeichnet werden konnte. Zu sehen ist eine Art Opernvariation von „Zeugin der Anklage“. Die Jakubiak ist eine gleißend geheimnisvolle Zeugin. Bassbariton Josef Wagner, der sich glorios aufschwingt, dem gefühlsversteinerten König drängende Statur gibt, er könnte ein etwas zerstreuter Staatsanwalt sein. Und der über erstaunliche Tenorreserven und leider ein monochromes Timbre verfügende Brian Jagde als Fremder sitzt auf dem Delinquentenstuhl. Aber sie alle, inklusive der als eifersüchtige Schreibkraft altsatten Okka von der Damerau (Botin und Ex-Geliebte des Königs), sie sind kaum zu unterscheiden und sozial zuzuordnen. Weil Christof Loy keine Menschen inszeniert, sondern nur Fallstudien, ort- und zeitlos. Aber egal, es ist Korngolds sich langsam wieder Gehör schaffende Wunderpartitur, die zählt.

Korngold: Das Wunder der Heliane (Naxos) 

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Brugs Beste 2019 – ein CD-Adventskalender: VIII. Mit Stile Antico in ein Goldenes Zeitalter spanischer Weihnachtsmusik entschwinden

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Schaut man auf die beeindruckende CD- und Themenreihe die das 2001 gegründete englische A-capella-Ensemble Stile Antico inzwischen bei harmonia mundi vorgelegt hat, man könnte es einem fast so vorkommen, als seien diese begnadeten Sänger hauptsächlich zur Weihnachtszeit aktiv. Stimmt natürlich nicht, aber die polyphone Kirchenmusik mit ihrem Entschleunigungsmodus, ihrem sanften, sphärischen Klang tönt schon immer ein wenig nach Jahresendzeit. Und natürlich wurde auch zu Christi Geburt viel zu diesem Thema komponiert. Adaptiert und parodiert, wie es hieß, wenn einfach weltliche Texte auf geistlich umgemodelt wurden. Die Melodie passte trotzdem, klang weiter unschuldsvoll engelhaft, wie aus einer anderen Welt – vor allem unter gotischen Kirchenbögen. Die lassen sich heute prima durch Hall erzeugen, Archivarbeit muss aber weiterhin geleistet werden. Und so ist Stile Antico für die diesjährige Weihnachts-CD bei den immer noch vielfach unerschlossenen Schätzen des spanischen Goldenen Zeitalters fündig geworden und lädt – passend zum 2. Advent – auf gut international zur „Spanish Nativiy“ in Silberscheibenlänge. Schließlich wurde damals dort – analog zur wachsenden Bedeutung der politischen Nation – in Klöstern und Kirchen jede Menge Musik gesungen und komponiert. Zentriert haben die ohne Dirigenten auskommenden 12 Sänger ihre hinreißende Sammlung um Alonso Lobos „Missa Beata Dei genitrix Maria“, die sie mit anderen Kompositionen unterbrechen. Schon im Kyrie ziehen sie einen hinein in ihrer fragile Tonalität, die Klarheit ihres Singen, während sich besonders im trefflichen Agnus Dei die elegante Expressivität und die ungetrübt sichere Artikulation dieses sehr besonderen Vokalensembles entfaltet. Immer ist diese Singen kontrolliert, dabei Generös und es offenbar wunderfeine, dabei teilweise mit folkloristischen Anspielungen aufwartende Klangwelten, auch von Komponisten wie Tomás Luis de Victoria, dem  Lobo-Lehrer Francisco Guerrero, Mateo Flecha, Pedro Rimonte und Cristóbal de Morales.

Stile Antico: A Spanish Nativity (harmonia mundi)

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Brugs Beste – ein CD-Adventskalender: IX. Mit René Jacobs’ neuer „Leonore“ in selten zu hörende „Fidelio“-Gefilde

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Keine Angst vor Beethoven! Auch René Jacobs will zum 250. Geburstagsjubeltrubel mitmischen. Der flämische Dirigent tut das auf seine Weise. Bevor zum Feierfinale Ende 2020 seine Version der Missa Solemnis erscheinen wird, kam jetzt die (bis auf wenige Finaltakte) puristisch ernst genommene „Fidelio“-Urfassung heraus. Live aufgenommen (eine Premiere für ihn) nach einer Konzerttournee in der Pariser Philharmonie. Die Sicherheit des Erprobten hört man allen Beteiligten an – ganz besonders in den frisch und glaubwürdig klingenden Dialogen. Und man muss sagen: So wie Jacobs souverän disponiert, rasche Tempi nimmt, aber gerade das Finale sehr singbar eben nicht verhetzt, so sehr gelingt ihm ein starkes Plädoyer für diese dreiaktige „Leonore“ von 1805, die gar nicht so schlecht ist; eine andres fokussierte Alternativfassung zum bekannten Zweiakter darstellt. Das beginnt schon mit der hier verwendeten 2. Leonoren-Ouvertüre, die geradlinig in Sonatenform das Geschehen vorwegnimmt, und zieht sich weiter in der hier mehr Gewicht bekommenden Marzellinen-Handlung; die Schließertochter wird zudem von Robin Johannsen mit dunklem Spielsopranton verkörpert. Vokal nicht weit von ihr entfernt ist die Koloraturlyrikerin Marlis Petersen als Leonore, die insbesondere eine längere Arie mit mehr Verzierungen als üblich zu meistern hat. Der tenorsympathische Johannes Chum erweitert das als glaubwürdiger Jacquino zum Liebesdreieck; später vervollständigt Maximilian Schmitts nobler, aber ein wenig fader Florestan solches zum Quartett. Dmitry Ivashchenko (Rocco), Johannes Weisser (Pizarro) und Tareq Nazmi (Minister) komplettieren solide die Sängerequipe. Die Zürcher Sing-Akademie klingt schlank, das farbenreiche Freiburger Barockorchester so beseelt wie engagiert. Nur Freude und Götterfunken also. Mag das Beethoven-Jahr nur kommen!

Beethoven: Leonore (harmonia mundi)

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Brugs Beste – ein klingender Adventskalender: X. Mit Henze und Peter Eötvös im „Floß der Medusa“ auf erstmals vereinten Orchesterwogen

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Das nennt man Konsequenz. Erst war Peter Eötvös einer der Unterzeichner gegen die Fusionierung des SWR Symphonieorchester Freiburg und Baden-Baden mit dem Stuttgarter Radio-Sinfonieorchester, dann dirigierte er aber, um dem neuen Klangkörper zu helfen, als erster das kombinierte SWR Symphonieorchester und nahm nun – in der Hamburger Elbphilharmonie – seine erste CD mit ihm auf. Darauf: „Das Floß der Medusa“, ein Werk des Protests, lange nicht gehört, 70 Minuten mächtig, alle Radio-Kräfte in Gestalt des plastisch klingenden Orchesters wie des vorzüglichen SWR Vokalensembles plus des WDR Rundfunkchors bündelnd. Dazu ideal wie prominent besetzt Camilla Nylund als La Mort und Peter Schöne als Jean-Charles sowie Peter Stein als reflektiert knurriger Sprecher. Der kündet von der Chronik der überlebensnotwendigen Ereignisse, welches die Schiffsbesatzungsreste auf dem Floß der havarierten „Medusa“ bündelt. Nach dem Grammophon-Mitschnitt der Hamburger Generalprobe, ist dies die erste, längst überfällige Neueinspielung des legendär kämpferischen Oratoriums von Hans Werner Henze. Der verarbeitete den Untergang der Militärfregatte „Medusa“ auf der Fahrt in den Senegal im Jahr 1816. Die reichen Passagiere bekamen Rettungsbote, 154 Köpfe niederes Volk mussten auf einem selbstgebauten Floß ausharren, wo schnell, bis hin zum Kannibalismus, der Mensch des Menschen Wolf wurde. Nur 15 überstanden das Inferno. Als solches drei Jahre später von Théodore Géricault in eine Bildikone verwandelt wurde, ging in Frankreich der Diskurs los, was aus den Idealen der Revolution geworden war. Ähnlich stritt man in den Post-68er-Jahren über Henzes Che Guevara gewidmetes Musikmanifest, Studentenrevolte und außerparlamentarische Opposition. Das fügt sich – jenseits des damaligen Zeitgeistes – zum stimmig-faszinierenden, skulpturenhaft tönenden Ganzen.

Henze: Das Floß der Medusa (SWR Classic)

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Brugs Beste – ein CD-Adventskalender: XI. Mit Igor Levit in 32 Klaviersonaten einmal mehr Beethoven als Auf- wie Abklärer erleben

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Hatte Ferruccio Busoni Recht? Er meinte einst, ein ganzes Leben reiche nicht aus, um nur eine Klaviersonate von Ludwig van Beethoven zu erfassen. Das mögen wir für übertrieben halten. Aber es ist durchaus nicht von schlechten Tasteneltern, wenn der gerade mal 32-jährige Deutschrusse Igor Levit jetzt alle 32 Sonaten auf 9-Sony-CDs vorlegt. Auch wenn er für die letzten beiden CDs schon 2013 in die längst veröffentlichte Vorlage gegangen ist. Der Output mutet immer noch mächtig an. Levit ist also 32, Beethoven würde nächste Jahr 250. Levit traut sich also was. An Mut hat es ihm nie gemangelt. Auch nicht an fordernder Frechheit wie frühreif künstlerischem Potential. Und überhaupt: Man wächst an Herausforderungen. Im Klavierrepertoire gibt es davon ja jede Menge. Und auch Alfred Brendel oder Friedrich Gulda haben „das Neue Testament des Klaviers“ (im Gegensatz, zum „Alten“, dem Wohltemperierten Klavier Bachs) in ähnlichem alter erstmals zyklisch auf Langspielplatten gebannt. Also erst recht ein Grund für Igor Levit, da vorzupreschen. Aber der Hauptgrund ist natürlich, dass ihn mit Beethovens Klangkosmos seit frühester Jugend enorm viel verbindet, und dass er schon lange eine Vielzahl der Sonaten spielt. Die Hammerklavier- oder die Waldstein-Sonate könnte man fast schon sein Morgen- und Abendgebet nennen. Betet er überhaupt? Er versucht und ihm gelingt ein abgeklärter, trotzdem aufregender Beethoven-Blick. Er ist bisweilen extrem, aber nicht mutwillig. Er walkt die Noten ordentlich durch, aber er tut ihnen nie Gewalt an. Er gibt sich nüchtern, reflektierend, emphatisch und intellektuell. Es ist ein Versuch, immer das Ganze im Blick zu haben, einen Bogen zu spannen, aber trotzdem stets aus dem Moment heraus zu musizieren. Edwin Fischer nennt Levit als fernes Vorbild, das sich auch Freiheiten herausnimmt. So gelingt ein – vorläufiges – Resümee eines trotz seiner Jugend bedeutenden Künstlers, der kämpferisch eine Meinung hat, aber sich auch ganz altmodisch mit großer, wichtiger Musik beschäftigt. Beethoven war politisch, Levit ist es auch. Aber hier wird – jenseits aller Tagsnews und Befindlichkeiten – ein Werkkorpus abstrakt analysiert, eine Lebensleistung nacherzählt, die die Geschichte des Klavier beeinflusst hat und noch heute gültig ist. So wie diese wache, intellektuelle, aber auch gefühlvolle Interpretation, die erstaunlicherweise gefestigte Balance und strenge Heiterkeit ohne jeden schnappatmenden Zeitgeist ausstrahlt. Da ist vieles sehr überlegt, manches spontan. Doch man hört hier einen anderen Igor Levit, als den, der sich deutlich auf Twitter mitteilt, kein Podium auslässt, um auch seine Botschaften jenseits der Musik zu vermitteln.

Ludwig van Beethoven: Die Klaviersonaten. Igor Levit (Sony Classical)

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Brugs Beste 2019 – ein CD-Adventskalender: XII. Mit Bartoli auf eher schwerfälligen Flügeln, mit Ann Hallberg auf auch musikwissenschaftlich spannenden Höhen des Farinelli-Gesangs

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Es kommt einem bekannt vor, akustisch wie optisch. Denn auch eine Cecilia Bartoli kann sich eben nicht unaufhörlich verändern, häuten, neuerfinden. Seit 34 Jahren singt sie nun öffentlich, doch mit 53 ist die Stimme natürlich nicht mehr frisch. Reife der Empfindung ist hinzugekommen, aber man hört auch mehr Technik, das Gluckern und Japsen in besonders langen Koloraturketten vor allem; das schon der längst selbst zu Countertenorehren gekommenen Kangmin Justin Kim als Kimtchilla Bartoli so köstlich per Youtube parodierte. Seit 1999 bringt die Bartoli zudem etwa alle zwei Jahre ein Decca-Konzeptalbum heraus. Und so wie „Vivaldi II“ eine Ergänzung zu ihrem ersten Erfolgsseller war, mit dem sie sogar die Vivaldi-Opernwelle lostrat, so kommt jetzt mit „Farinelli“ eine neuerliche Kastraten-Auseinandersetzung auf den Markt. Nichts Verwerfliches, aber von La Ceci würde man eben mehr und Originelleres erwarten.  Es ist – nach „Sacrifcium“ und „Mission“ ihre dritte Sammlung, auf der sie mit einer Männerrolle spielt, diesmal ist das wenig originelle Cover Make-Up-mäßig an den Salzburger „Ariodante“-Gendertrip vor zwei Jahren angelehnt. Und mit ihrer Hommage an den eigentlich Carlo Maria Michelangelo Nicola Broschi (1705-82) geheißenen barocken Opernsuperstar reiht sie sich jetzt nur in einer längere Folge von Countertenören, die ihrem Urvater ebenfalls Respekt zollten. Wenig überraschend gibt es Arien von dessen Lehrer Porpora, seinem ihm in die vor allem für ihre langsamen Bravournummern berühmte Kehle komponierenden Bruder Riccardo Broschi, von Hasse (in dessen „Marc’Antonio e Cleopatra“ sang Farinelli die weibliche Titelrolle), Caldara, Giacomelli. Bewährt begleitet Giovanni Antonini mit seinem Giardino Armonico. Einige Weltpremieren wurden noch ausgegraben. Am frischsten klingt aber der schon vor zwei Jahren eingespielte „Alto Giove“. Nichts Neues also unter der Bartoli-Sonne – in ihrem Abendschein.

Viel spannender geraten ist da freilich eine andere Farinellaria: die schwedische Mezzowuchtbrumme Ann Hallenberg, die mit dem Starkastraten auch schon mindestens ein CD-Flirt verbindet, hat nun jene berühmte Ariensammlung eingespielt, die 1753 Farinelli höchstselbst als Auswahl der von ihm am spanischen Hof gesungenen Gustostücke in einem besonders prachtvoll gestalteten Manuskript an Kaiserin Maria Theresia nach Wien geschickt hat. Heute wird diese Melomanen-Inkunabel in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt. Nach heutigen Zuschreibungen stammen die acht Werke aus der Feder von in Madrid tätigen Musikern: Niccolo Conforto, Giovanni Battista Mele und Farinelli selbst. Auch Stücke bedeutender italienischer Komponisten dieser Zeit wie Gaetano Latilla und Geminiano Giacomelli sind darunter. Diese spezifischen Glanznummern ermöglichen uns vor allem durch die von Farinelli selbst ausgeschriebenen Verzierungen der Dacapo-Teile, einen Eindruck von seiner legendären Gesangskunst zu gewinnen. Die teilweise halsbrecherischen Koloraturläufe singt Ann Hallenberg in fast leicht anmutendem Kraxelschritt, ihr sinnlich-männliches Timbre passt besser als die Bartoli-Manierismen. Begleitet wird sie von dem italienischen Ensemble Stile Galante unter der Leitung von Stefano Aresi. Da geht die alte Fürstin Ceci, wird es hingegen wohl bald in Monaco heißen, wo sie jetzt immerhin als Intendantin an der Opernschmuckschachtel von Monte-Carlo ab 2026 als Intendantin angedockt und für die Rente ausgesorgt hat.

Farinelli. Cecilia Bartoli, Il Giardino Armonico, Les Musiciens du Prince-Monaco, Giovanni Antonini, Gianluca Capuano (Decca); The Farinelli Manuscript. Ann Hallenberg, Stile Galante, Stefano Aresi (Glossa)

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Brugs Beste 2019 – ein CD-Adventskalender: XIII. Mit Arcadi Volodos Franz Schuberts gefasste Todesgewissheit begreifen

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„Fragen Sie mich nach einem absoluten Lieblingskomponisten, so würde ich ohne lange zu zögern, Franz Schubert sagen.“ Ein deutliches Bekenntnis von einem von dem man das wohl nicht unbedingt erwartet hätte. Gilt doch der russische Meisterpianist Arcadi Volodos für gemeinhin immer noch als einer, der furchtlos die Finger wirbeln lässt, der einen dämonischen Sog der Virtuosität zu entfesseln vermag, der mit Liszt und Prokofjew, Skrjabin und Rachmaninow auf Du und Du ist. Stimmt, der heute 47-Jährige kann diesem Klischee des russischen Pianisten alter Schule entsprechen. Mühelos ist sein Anschlag, fast transzendent muten seine Fähigkeiten an. Aber das ist nur die eine Seite dieses universellen Künstlers. „Aber immer schon interessierte mich die menschliche Stimme, und die höre ich instrumentalisiert in ihrer reinsten Form bei Franz Schubert.“ Ihm hat Arcadi Volodos schon 2002 eine CD mit kleineren Stücken gewidmet. Und da findet man bereits – wie in der jüngsten Schubert-Veröffentlichung  – einen tastenden, sensiblen und sensitiven Umgang, ein erstaunlich leises, kostbares Hineinhorchen in das Notenmaterial, und trotzdem auch den eigenwilligen, deutlichen, technisch determinierten Volodos-Zugriff. Da nimmt sich jemand zurück, macht sich zum Medium, versucht ohne Manier, sich ganz dem Inhalt dieser Musik zu verschreiben: „Mich fasziniert an diesem Komponisten immer die Traurigkeit, die Gefasstheit und diese bescheidene Ungeheuerlichkeit. Was er in seinen letzten Lebensmonaten komponiert hat – und ich bin mir sicher er wusste, dass er sterben muss – das ist völlig einzigartig, ohne Beispiel.“ Ein reifes, gefasstes Wissen. Deswegen stellt er der großen, meisterlichen A-Dur-Sonate D959 drei Menuette bei, die Volodos als imaginären Zyklus begreift und die deutlich machen, wie sehr Schubert diesen Tonfall auch in diesen scheinbaren Kleinigkeiten beibehält. Aber dieser Pianist macht auch klar, Schubert ist nicht automatisch ein leiser Komponist. Der kennt durchaus die große, auftrumpfende Geste, das Trotzige. Aber das tritt immer nur ganz kurz auf, muss sehr gut vorbereitet und dann schnell wieder zurückgenommen werden. So wie es Arcadi Volodos ziemlich meisterhaft vorführt.

Franz Schubert: Sonate D959, drei Menuette. Arcadi Voldos (Sony Classical)

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Brugs Beste – ein CD-Adventskalender: XIV. Mit Asmik Grigorians Salome heißkalte Salzburger Strauss-Kitzel erfahren

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In jedem Moment zeigt das im weißen Stoff steckende Wesen, Kindfrau, Hure, Fee, eine andere grauenvoll-faszinierende Facette seiner selbst. Die Stimme gleißt und schimmert dazu, schreit schroff, schimmert seidig, flüstert, verführt. Romeo Castellucci hat 2018 bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule die als Uropas Skandalnudel ältliche, längst kulinarisch dekadent verkostete „Salome“ in all ihrer Angriffslustigkeit präsentiert. Freilich um des Preises willen, dass von der eigentlichen Oper als Drama kaum etwas übrig bleibt. Der Regisseur installiert völlig eigenwillig eine symbolversperrte Fantasie. Aber wie! Der honigstimmige Naraboth des Julien Prégardien, der angriffslustige Herodes von John Dazak, die als Alma-Mahler-Matrone aufgeputzte Herodias (Anna Maria Chiuri), der als verschmierter Schamane staffierte Jochanaan des weichen Gábor Bretz, – sie sind Edelstatisten in einem jede Musiktheaterkonvention negierenden Arrangement. Das Raum gibt für Salome. Die gesungen, verkörpert, ja sich einverleibt wird von Asmik Grigorian. Man wird Zeuge einer dieser zum Glück so raren, weil hochrisikobehafteten Momente, wo ein Sängerin total mit ihrer Rolle verschmilzt. Das kann nur gut gehen, weil sie in Franz-Welser Möst einen großartigen, ihr Temperament eben noch im Zaum haltenden Partitur-Superviser im Graben hat. Der lässt die Wiener Philharmoniker in kalter Strauss-Glut sich aufbäumen, mit Schaum vor den Mündern, kraftstrotzend, aber geschmeidig, ganz domestizierte Energie. Auch auf DVD ein Seh- und Klangerlebnis.

Richard Straus: Salome (cMajor)

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„Pénélope“ in Frankfurt, „Rusalka“ in Antwerpen: Wo mit Joana Mallwitz und Giedrė Šlekytė die Frauen zumindest im Graben den Takt angeben

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Nein, Odysseus-Gattin Penelope und Wassernixe Rusalka machen nicht wirklich gute Frauenfigur. Beide verzehren sich nach ihren Männern, das Fischwesen sogar nach einem mit Menschenbeinen. Penelope immerhin ist verheiratet, wartet treu auf ihre erst mit dem Trojanischen Krieg, dann mit diversen Irrfahrten beschäftigten Gatten – zwanzig Jahre lang. Rusalka wird zwar selbst aktiv, um ihrer Kerl zu kriegen, opfert aber dafür ihre feuchte Identität, wird mit Hexenhilfe eine trockene, noch dazu stumme Landflechte. Und steht so zwischen den Welten, ausgestoßen vom Teichgrund, nicht angekommen und anerkannt bei den Menschen. Penelope erhält ihren Mann wieder, der aber muss erst ein Gemetzel unter den auf sie, ihre Krone und ihr Reich lauernden Freiern veranstalten. Sie hingegen ist in der Einsamkeit vergilbt, die Liebe längst erloschen. Rusalka aber küsst ihren grausamen Prinzen zu Tode, alle Schmerzen und Leiden haben nichts genützt. An der Oper Frankfurt inszeniert die einzige Oper des zwar mit Schauspielmusiken erfahrenen, aber spät musiktheaterberufenen Gabriel Fauré auch eine Frau, Corinna Tetzel, das aber analytisch böse und mitleidlos, an der Opera Vlaanderen Antwerpen debütiert der stark wie stimmig den Tanz miteinbeziehende Choreograf Alan Lucien Øynen als Opernregisseur und gibt Antonín Dvořáks gerade an Weihnachten immer beliebterem, herrlich spätromantisch waldwebendem, dabei rabenschwarzem Kunstmärchen einen atmosphärisch zeitlosen Anstrich. Und in beiden Produktionen stehen sehr gestaltungswillige Frauen am Pult, erobern den Abend jeweils immer mehr klanglich-konsequent für sich – Joana Mallwitz am Main und Giedrė Šlekytė an der Schelde.

Fotos: Barbara Aumüller

Großen Spaß macht es, beide präzise konzipierte Aufführungen zu erleben, fast mehr noch den Fauré, statisch und klanglich feinverästelt, sein typisches, stark holzbläsergetragenes Idiom ist auch hier zu hören. Erst 2002 war die 1913 in Monte-Carlo uraufgeführte „Pénélope“ in Chemnitz erstmals in Deutschland zu sehen, zuletzt gab es sie 2015 in Straßburg. Dabei gelingt hier, handlungsmäßig reduziert, sogar Sohn Telemach wird unterschlagen, ein weiteres einfühlsames Fin-du-Siècle-Frauenporträt. Obwohl die zurückgelassene, pflichtschuldige Gattin kein Symbolwesen ist, sondern beständig erklärt, rechtfertig und von ihren Gefühlen erzählt.

Nicht nur die anfängliche Mägde-Szene erinnert an die Straussche „Elektra“, auch hier muss eine warten, und erkennt das Objekt ihres Ausharrens zunächst nicht. Zu viel Zeit ist vergangen, Gefühle haben sich verändert, bei beiden Partnern. Der da jetzt da ist, scheint nicht mehr der, auf den Penelope gewartet hat. Insofern ist der der zurückhaltend-sensitive Fauré sehr modern, weil hier am Ende eben kein Beethoven-Hohelied der Gattenliebe steht.

Corinna Tetzel geht freilich noch weiter, und lässt Penelope wie traumatisiert, einer erstarrten Giorgio-de-Chirico-Figur gleich, metaphysisch entrückt und abgewandt auf einem Mäuerchen sitzend erstarren während Odysseus in einem sich auftuenden Mauerspalt verschwindet. Diese Ehe ist, obwohl wiedervereint, ganz offenbar am bitteren Ende. Und für diese Penelope, für deren banges Warten, aber fast schon ergebenes Resignieren, passt der ein wenig unruhige Mezzo von Paula Murrihy sehr gut. Zudem muss er sich immer ein wenig größenmäßig nach der Decke des eben doch spätromantisch aufrauschenden Orchester strecken. Obwohl das von Joana Mallwitz bestens, dabei fein sich verästelnd in Zucht und Zaum gehalten wird.

Der straffe Zugriff erlaubt freilich kitschfreies Parfüm, beherzt gleitet die Partitur fluide voran, besonders schön spinnen sich die bukolischen Holzbläser-Melismen des Vorspiels zum zweiten Akt. Die Dirigentin ist freilich immer sehr da und präsent, selbst wenn der sogar mit Leitmotiven spielende Komponist sich klein macht. So haben diese zwei Stunden Spielzeiten einen starke Präsenz, einen schönen Flow, auch weil die nüchterne Inszenierung überraschungsfrei bleibt. Die findet auf einer natursteinverkleideten Dachterrasse von Rifail Ajdarpasic statt. Ithaka ist nach wie vor ein lieblicher, aber – siehe rostige Satellitenschüssel – verwahrlosender Ort. Hinten stehen immergrüne Bäume, nur der seltsame Ausguck nach draußen ins Nichts des weißen Rauschens verweist auf eine schwarze Gruft, in der das alles angesiedelt sein könnte. Das nach oben entschwebende Dach erinnert fast an das der neuen griechischen Nationaloper. Auf ein paar Schleiern gemahnen Videostills von Penelope und Odysseus an das hier Abgehandelte. Nur langsam setzt sich das Licht der Erkenntnis durch Erkennen durch.

Eine heutige Partygesellschaft in schwarzen Anzug geben die verbliebenen fünf namentlich bekannten Freier, die immer mehr die modernistische Einrichtung verwüsten. Schick gelb sind die Dienerinnen, schwarz und verhärmt, ebenfalls im Anzug Penelope und ihr Gefolge, darunter die pastose Joanna Matulewicz als Amme Euryclée; grauhaarig und -kleidrig schließlich schlurfen die aschig erloschenen Männer heran, der vertraute Hirte Eumée (Bozidar Smiljanic) wie Odysseus, ein Opfer des Krieges und Moderns auch er. Dem freilich Eric Laporte kräftig tenorale, dabei schlanke Durchschlagkraft verleiht. Am Ende ist das Morden in ein tieferes Geschoss verlegt, dafür gab es zum Anfang des zweiten Aktes noch ein Hoffnung machendes Intermezzo mit dem jugendlichen Hirten als rächendem Amor, der bereitgestellte Flaschen mit Pfeilen oder Blumen zu füllen waren. Die Blumen überwogen, am Ende aber die Pfeile.

Frische, Elan und Leidenschaft verbreitet sich auch im Graben der Vlaaamse Opera in Antwerpen, wo die erst 30-jährige Litauerin Giedrė Šlekytė eine fantastisch farbenreiche, temperamentvolle und spannungssatte „Rusalka“ hinlegt. Das leuchtet und wogt, das hat Knall und Klasse, da wird jede Facette dieser überreich üppigen, aber auch traumverlorenen Dvořák-Partitur ausgeleuchtet. Ein enormes Dirigiertalent!

Fotos: Filip Van Roe

Auf der Bühne versucht sich mit Lust und Liebe erstmals der norwegische Choreograf Alan Lucien Øyen an einer Operninszenierung. Die Geschichte lässt er unangetastet, er verlegt sie aber in eine naturhaft schillernde Zeitlosigkeit, intensiviert sie durch den Tanz. Die prachtvoll singenden drei Nymphen und der wuchtig bassstark wie -stolze Wassermann des düsteren Goderdzi Janelidze  werden von einem weiblichen wie männlichen Trio verstärkt, in ihren Emotionen wie fluiden Bewegungen vergrößert. Rusalka, Wassermann und Prinz haben zudem Doubles, die ihr Tun spiegeln, aber oft auch mit dem Original interagieren, mehr aber noch mit den anderen Gegenübern.

So entsteht ein immer mehr sich verdichtendes Netz von Beziehungen, von Richtungen und Gefühlen. Weil sich zudem das geniale Einheitsset von Åsmund Færavaag im grandios minimalistisch-atmosphärischen Licht von Martin Flack auf zwei gegeneinander verfahrbare, geschwungene und organisch weich verformte Lamellenwände reduziert, stehen hier stets  die Figuren, ihr Interagieren als Abstoßen und sich Anziehen im Mittelpunkt. Die zwei negativen weiblichen Gegenfiguren, die Hexe Jezibaba (mit Lust am Bösen: Maria Riccarda Wesseling) und die auftrumpfend sopranstrake fremde Prinzessin von Karen Vermeiren verstärken das. Gelungen in der Farbauswahl auch die einfachen, gut charakterisierenden Kostümen von Stine Sjøgren.

Waldteich und Palast mit nur zwei weiteren Tanzpaaren, Hexenhöhle und Naturödnis, alles wird auf dieser einfachen Bühne sinnhaft und sinnlich, so wie auch die vergebliche Liebe der schwer greifbaren Rusalka und ihres eigentlich unsympathischen, glatten Prinzen packt. Øyen braucht keinen geschändete Natur, keinen #MeToo-Wassermann, auch nicht die komplexen Lokalbezüge, mit denen Stefan Herheim in Brüssel seine „Rusalka“ aufpeppte, er kann sich auf diese Parabel der Vergeblichkeit einen packenden Opernabend lang verlassen. Der szenisch wie musikalisch die Schönheit, die Kraft, die Vielschichtigkeit der „Rusalka“ leuchten lässt. Was hier überstrahlt wird durch den sehrend temperamentvollen Gesang von  

Pumeza Matshikizas Rusalka im sehnsuchtsvollen Mondlied wie in der mollschweren Verlorenheit des dritten Aktes. Als aufmerksam agierender Prinz mit großem, metallischen, aber nie stählernem Tenor überragt an ihre Seite Kyungho Kim viel anderen Sänger dieses ungeliebt schweren Rolle.

Und obwohl Penelope wie Rusalka am jeweiligen Opernende nicht zu helfen ist, haben wir gern und enthusiastisch mit ihnen gelitten!

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Brugs Beste – ein CD-Adventskalender: XV. Mit Vladimir Jurowskis kalorienreichem, aber leichtfüßigem „Nussknacker“ Tschaikowsky zum Tanzen bringen

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Man sollte meinen, zu diesem Thema sei alles gesagt und eingespielt. An Aufnahmen von Peter Tschaikowskys ballettösen Weihnachtsklassiker „Der Nussknacker“ besteht wirklich kein Mangel, sei es in Suitenform oder als Komplett-Zweiakter mit und ohne Kinderchor. Doch es macht mehr als nur Sinn, dass Vladimir Jurowski jetzt am Pult seines Staatlichen Akademischen Sinfonieorchesters „Evgeny Svetlanov“ jetzt ebendiesen eingespielt hat. Erstens liebt er Ballett, das hat er von seinem Vater Mikhail, der auch schon gern bei Tanzpartituren am Pult stand und steht. Zweitens atmet er organisch mit, führt diese kostbare Musik mit erstklassiger Aufmerksamkeit ebenfalls live mit seinen jeweiligen Orchestern auf. Den „Nussknacker“ hat Vladimir Jurowski so beispielsweise auch schon 2017 mit seinem Radio-Sinfonieorchester Berlin im Konzert zum Schweben und Glitzern gebracht. Und drittens vollendet der in Deutschland längst naturalisierte Russe so seine exzeptionelle Tschaikowsky-Balletttrilogie bei Pentatone. Basierend auf der fantastischen Erzählung „Nussknacker und Mausekönig“ von E.T.A. Hoffmann, in der am Weihnachtsabend ein Nussknacker lebendig wird, schuf Tschaikowsky eine Komposition, die der schillernden Phantasie ihrer Vorlage in nichts nachsteht. Tanzende Zuckerfeen, eine siebenköpfige Maus, kämpfende Spielzeugsoldaten oder ein See aus Mandelmilch, in den ein Limonadenstrom mündet – der Vorstellungskraft sind beim Zuhören keine Grenzen gesetzt, wenn die heißgeliebten Melodien Tschaikowskys in ihrer ganzen instrumentatorischen Farbenpracht die Weihnachten einläuten. Und in der Moskauer-Audiovariante schwelgt es im  Streicherklang, wohlig warm tönen die Holzbläser und überhaupt ist eine lässige  Orchestervirtuosität zu bewundern, die einfach nur Freude macht. Tanz- wie Orchesterfreude.

Peter Tschaikowsky: Der Nussknacker. Staatliches Akademisches Sinfonieorchester „Evgeny Svetlanov“, Vladimir Jurowski (Pentatone)

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Brugs Beste – ein CD-Adventskalender: XVI. Mit der Urfassung von Charles Gounods „Faust“ wieder das Opernlachen lernen

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Man soll es nicht glauben: Selbst Charles Gounods populäre „Faust“-Oper kennt heute kein Musiktheaterfan mehr in der Urfassung von 1859, sondern nur in der zehn Jahre jüngeren, rezitativischen Grand-Opéra-Version mit Ballett. Dabei ist das Original witziger, wendiger, weniger fett. Michel Plasson hat 1990 seiner „Faust“-CD-Aufnahme als Appendix Teile der Urfassung angehängt, doch 2018 waren die, im Rahmen des Pariser Palazzetto-Bru-Zane-Festivals für Gounods 200. Geburtstag erstmals als organische Fassung im Rahmen einer konzertanten Aufführung zu hören. Rund und flexibel klingen die schmal besetzten Les Talens Lyriques unter ihrem Chef Christophe Rousset sowie der Chor des flämischen Rundfunks. Dies ist ein „Faust“ in vier Akten, mit gesprochenen Dialogen, die nachkomponierte Valentin-Arie erscheint nur als Thema in der Ouvertüre. Zum ersten Mal erklingt wieder im Prolog ein Terzett, ein Zwiegesang von Wagner und Siebel, im zweiten Akt ein Duett zwischen Valentin und Marguerite, ein anderes Chanson des Méphistophélès statt des Rondos vom Goldenen Kalb, eine Romanze des Siebel und einige mélodrames. Nicht alle sind Verbesserungen gegenüber der späteren Fassung, aber gut, sie einmal im Kontext gehört zu haben. Und man stellt fest: vor allem die Nebenfiguren bekommen durch die Dialoge mehr Profil, und Mephisto erweist sich als zynischer Bonvivant, den der hellstimmige Andrew Foster-Williams auch so singt. Véronique Gens’ Stimme ist arg dunkel für die Marguerite, aber sie tönt voll Wärme, Melancholie und Zartheit. Wonniglich klar, mit perfekter Diktion singt Benjamin Bernheim den Faust als Durschnittseele, aber mit verzaubernder voix mixte. Jean-Sébastian Bou ist ein lyrischer Valentin, Juliette Mars ein kecker Siebel, Ingrid Perruche eine ältlich-geile, verklatschte Marthe.

Charles Gounod: Faust. Benjamin Bernheim, Véronique Gens, Andrew Foster-Williams, Jean-Sébastian Bou, Juliette Mars, Ingrid Perruche, Chor des flämischen Rundfunks, Les talens lyriques, Chrisophe Rousset (Bru Zane)

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Menschen im polnischen Hotel: Das Theater an der Wien zeigt Stanisław Moniuszkos tragisch-tranige Nationaloper „Halka“ mit Piotr Beczała

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Die Polen können einem schon leidtun. Die politische Geschichte hat es nicht eben gut mit ihnen gemeint. Sie zappeln immer noch im Klammergriff eines sehr konservativen Katholizismus und auch opernmäßig haben sie nichts zum Weltrepertoire beigetragen. Das ändert sich gerade immerhin im Fall von Karol Szymanowskis ganz wunderbar schrägem, orgiastischen „König Roger“, der immer öfter auf den Spielplänen steht. Der trägt sich freilich im normannischen Palermo zu und wurde zudem von einem Schwulen komponiert. Besser stünde man freilich mit Stanisław Moniuszko da, dessen beide rustikale Opern „Halka“ (1858) und das „Gespensterschloss“ (1865) jenseits der Oder und Weichsel durchaus Kultstatus genießen. Aber eben nur da. Denn die Qualität, die Melodienfülle, den Witz und die Tragik, mit denen etwa die Tschechen mindestens mit Smetanas „Verkaufter Braut“, Dvořáks „Rusalka“ oder Janáčeks „Jenufa“ weltweit in den Opernhäusern vorkommen, die sucht man hier vergebens. Moniuszko bleibt ein wackerer Nationalhandwerker, aber zu mehr langt es bei dieser kurzatmig epigonalen, selbst in den Bauerntänzen kaum mehr als kraftvolles Rhythmuswirbeln erzeugenden Stücken einfach nicht. Nett, sie ab und an mal zu sehen, eine Erweiterung des Opernguckerhorizontes nach Osten, aber bleibenden Eindruck hinterlassen sie kaum. Wie auch jetzt beim hochlöblichen, bestens besetzten jüngsten Versuch des Theater an der Wien in Koproduktion mit dem Teatr Wielki in Warschau. Angesichts des absurd-schrägen Aufgebots polnischer Medien und Honoratioren samt schickgemachter, schlauchbootbelippter Gattinnen wähnte man sich bei der Premiere fast in einem Teatr Maly. Und das alles, weil sich für dieses Stück Tenorstar Piotr Beczała die landsmännische Ehre gegeben hatte.

Fotos: Monika Rittershaus

Das Hautproblem von „Halka“. Trotz der Kompaktheit von in zwei Stunden und 15 Minuten Musik gequetschten vier Akten: Es passiert einfach nix! Halka, ursprünglich eine Leibeigene, wird von einem reichen Junker geschwängert. Sie liebt ihn aber weiterhin, obwohl er eine andere aus seiner Schicht heiratet. Und Halkas Freund Jontek, der wiederum vergeblich in sie verknallt ist, muss trösten. Am Ende geht sie dann trotzdem ins Wasser.

Mariusz Treliński, dem regieführenden Künstlerischen Leiter des Tear Wielki, langt das nicht. Wie er das schon öfters und ähnlich gezeigt hat, spitzt er die nicht vorhandene Aktion als Film-Noir-Rückblende zeitgenössisch zu. Handlungsort ist jetzt ein Hotel, wo der miese Janusz Zimmermädchen Halka zur Mutter gemacht hat. Jontek ist hier Kellner. Zeit: die schwarzschweißschrillen Seventies, wo alle Perücken, Koteletten, Schlaghosen und Blockabsätze tragen. Das funktioniert als Nostalgikum beim ältlichen Publikum immer.

Aber warum im Kommunismus (der nicht thematisiert wird) in einer damals eigentlich gar nicht vorhandenen Privatherberge eine ledige Mutter so viel Leid tragen muss, das bleibt völlig unscharf; so wie mit Ausnahme der Move & Shake-Tänze von Tomasz Wygoda (die trotzdem im dritten Akt ein paar Angehörige der ethnischen Minderheit der Goralen aufbieten), alles auch im sozial weit schärfer kritisierten 19. Jahrhundert spielen könnte.

Immerhin sieht die Glas- und Stahl-Hotelkonstruktion von Boris Kudlička auf der Drehbühne schick aus, ebenso Dorothée Roqueplos Flower-Power-Kostüme, die an eine Dorfdisco erinnern. Anfangs findet zur dröge anhebenden Ouvertüre eine Ermittlung in slow motion statt, gerne regnet es. Verbrannte Klischee-Birkenstämme dürfen nicht fehlen und kreiseln; in der Mitte fletscht ein Eisbär die Zähne.

Die sind eher stumpft bei Tomasz Konieczny, der das alles als Rückblende erlebt. Mächtig wagnersatt dröhnt sein Bariton, zu laut für das trockene Haus; aber auch er bleibt eine passive Bösewichtnatur. Ähnlich pauschal dröhnt Alexey Tikhomirov als Hoteleigner Stolnik im Silberanzug. Tussihaft schrill, auch vokal, gibt sich Natalia Kawałek als seine Tochter und Hippiebraut Zofia. Corinne Winters, einzige Nichtslawin in der Besetzung, ist von Anfang an das angstgekrümmte Opfer, ein regenfeuchtes, gellendes Elendshäufchen, das engagiert singt, aber völlig überagiert. So gleitet ihre Darstellung immer wieder ab ins albern Kolportagehafte. Moniuszko hat ihr hübsch melancholische, slawisch abfallende Melodien geschrieben, schwachbrüstig schwingen sie sich aber nie zum Hit auf.

Das Gleiche muss man leider von den knapp 20 Minuten Musik sagen, die dem Jontek vorbehalten sind, überhaupt die uninteressanteste Protagonisten-Figur. Erst nach einer Stunde Oper darf der meist mit den Händen in der Tasche abwartende, ungebührlich in den PR-Vordergrund gerückte Piotr Beczała endlich singen. Er liefert aber mit drängender Phrasierung, schön flutenden Höhen und genau gestalteten Legato-Linien die erwartete Starperformance ab. Schön, dass er sich so als Patriot bewährt, aber eigentlich Etikettenschwindel.

Mariusz Treliński zeigt das edle Vorderhaus, aber auch die Kartoffelschälerküche, die Figuren drehen sich im Kreis, alles geht immer wieder von vorn los. Da werden der Herr Jesus und die Madonna von Tschenstochau beschworen, dunkle Tannen eines Polens, das man damals auf der Landkarte nur mit der Seele suchte. Halka fühlt sich als Fisch in der Weichsel und herzt später ihre hier hinzugedichtete Fehlgeburt ausgiebig, bevor sie den Fötus verscharrt, von Harmonium und Harfe begleitet; und sich schließlich ersäuft. Der Arnold Schoenberg Chor spielt und singt mit Verve. Am Pult des ORF Radio-Symphonieorchester macht Łukasz Borowicz viel Krach, dirigiert handfest, beschwingt und metiersicher. Aber er kann auch nicht darüber hinweghelfen, dass diese „Halka“ eine allzu brave, lokal bedeutsame Oper aus der zweiten Reihe ist und bleibt. Menschen im polnischen Hotel, in tranig-tragischer Emotion verfangen. Gesehen – und gut ist es.

Der Beitrag Menschen im polnischen Hotel: Das Theater an der Wien zeigt Stanisław Moniuszkos tragisch-tranige Nationaloper „Halka“ mit Piotr Beczała erschien zuerst auf Brugs Klassiker.

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