Erst Emmerich Kálmán. Dann Paul Abraham. Jetzt Jaromir Weinberger. Dazwischen jiddische Lieder. Und der Broadway-Kurt-Weill. „Anatevka“ sowieso. Bald „Ich wollt’, ich wär ein Huhn“ mit dem zur Diseuse mutierten Mezzoaltstar Anne Sofie von Otter. Unter der Intendanz von Barry Kosky ist die Komische Oper, dieses dritte, irgendwie andere Musiktheater Berlins, auch zu einem Refugium der Weimarer Zeit und ihrer späteren Exilkomponisten geworden. Der jüdischen im Besonderen. Doch die brutalen Zeitumstände, Flucht, Vertreibung „Ausmerzung“ einer blühenden, frechen, frivolen, auch sentimentalen und eben oft jüdischen Unterhaltungskultur, das hat sich, bis auf wenige, melancholisch eingetrübte Momente, niemals als didaktischer Mehltau auf die Inszenierungen und semikonzertanten Aufführungen des Haus gelegt. Hier wurde und wird vor allem geglänzt und geglimmert, Frohsinn wie Schwachsinn arios verfertigt, gesteppt und frivol mit der Hüfte gewackelt auf Kosky-komm-raus. Auch und ganz besonders bei einem so außergewöhnlich geschichtsträchtigen Unternehmen, das jetzt – sinnig gequetscht zwischen die dritte Serienstaffel „Babylon Berlin“ und den 75. Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz – im Haus an der Behrenstraße seine umjubelte Premiere feierte: die Rekonstruktion der letzten jüdischen Operette der Weimarer Republik.
Fotos: Iko Freese
„Frühlingsstürme“ kam am 20. Januar 1933 im als eines der wenigen, später den Krieg überlebt habenden Vergnügungsetablissements und heute noch bespielten Admiralspalast heraus. So wie am gleichen Abend ein neuer „Faust II“ mit Werner Krauß und Gustaf Gründgens im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Im Großen Schauspielhaus, später der Friedrichstadtpalast der DDR, begeisterte seit Weihnachten 1932 Paul Abrahams jazziger „Ball im Savoy“. Und an der Staatsoper hatte, die Ehrungen zum 50. Todestag Richard Wagner standen an, dessen Jugendwerk „Das Liebesverbot“. Premiere. Marcel Wittrisch sang, Erich Kleiber dirigierte. Das war Berlin!
Während im Admiralspalst in der damals so angesagt
exotischen Operetten-Mandschurei, wo unter Russen, Japanern und Chinesen jeder
jeden ausspioniert, sich „Jasmin“ auf „Mandarin“ reimt und im Duett „Nimm mich
nach China mit“ gefordert wurde, marschierten zehn Tage später draußen die
Nazis mit Fackeln durchs Brandenburger Tor, um ihrem neuen Reichskanzler Adolf
Hitler zu huldigen. Und am 27. Februar, auch da war Vorstellung, brannte der
Reichstag. Am 12 März wurde das Erfolgsstück schließlich rüde abgesetzt. Und es
war Schluss mit lustig. Eine Nachkriegsaufführung der „Frühlingstürme“ im
mährischen Ostrava ist nachgewiesen, doch die Partitur musste jetzt von Norbert
Biermann aus den Orchesterstimmen neugeschrieben werden. Ein paar zusätzliche
Tanzjuxnummer inklusive.
Komponiert hat dieses routiniert-animierte, keineswegs Gattungsgrenzen sprengende, ja auch nicht mal antastende Unterhaltungsopus Jaromir Weinberger. Ihn, 1896 in Prag geboren, 1967 vergessen in Florida durch Suizid aus dem Leben geschieden. kennt man heute noch vor allem als Komponist der zündenden Volksoper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ (1927), die dann gleich als nächstes an der Komischen Oper folgt. Und an die „Frühlingsstürme“ erinnern sich Vokal-Nostalgiker gern, weil ihre berühmtesten Nummern sofort nicht nur in Tango- und anderen Instrumentalversionen mit dem aus dem Hotel Esplanade bekannten Salonorchester des Barnabás von Géczy auf Schelllackplatten eingespielt worden waren, sondern auf konkurrierenden Firmen vor allem von den beiden damals gefeierten Stars in den Hauptrollen: Richard Tauber und Jarmila Novotná.
Solche Sterne der Oper gibt es in der Komischen nicht zu hören. Aber der fein flötende Tansel Akzeybek (Offizier Ito) und die divenhaft gespreizte, soprancremige Vera-Lotte Boecker (Lydia Pavlovska) machen ihre Singsache in dem immer wieder Ernst werdenden Verkleidungsulk auch sehr patent. Er ist eigentlich ein Männchen, das trotzdem die Primadonna betört – und sich am Ende mit einer anderen getröstet hat. Dieses Konstellation wird dann nicht mehr aufgebrochen; Verzicht regiert. Das so zart ins Falsett gezogene „Du wärst für mich die Frau gewesen“, das sonst für gewöhnlich den zweiten Akt schmückende Tauber-Zauber-Lied als der große, gern wiederholte Tenorhit, es folgt hier erst als Fünf-Vor-Zwölf-Nummer. Und steht im Konjunktiv.
Es sollte ja keinen weiteren Tauber-Erfolg in Deutschland mehr geben. Als ob die Beteiligten es geahnt hätten. Und wohl deshalb lassen Barrie Kosky und sein Bühnenbildner Klaus Grünberg alles in einer großen und kleinen Kiste spielen. Immer abreisebereit, mit kleinem Ausstattungsgepäck, so wie sich das Original-Ensemble, der Zeitumstände wegen, bald zerstreut hatte. Das klappt auf und um, dreht wie wendet sich. Ein Vorhang mit Bambusmotiven, ein paar rote Laternen und Sitzpuffs müssen als fernöstliches Lokalkolorit reichen.
Aus der kleinen Kiste steigt sogar das China Doll Ballett. Sparsam, aber effektvoll über die drei chorlosen Spielstunden verteilt sind die Tanznummern; nur mit Damen; mal kreischig im Mantel; mal madamig wie die kommende braune Ufa-Unterhaltung; mal als neckische Fächernummer auf der Revuetreppe. Ein paar Kirschblütenblätter fallen als Gipfel der Extravaganz: Otto Pichlers clevere Choreografie versagt sich diesmal sogar ihr Markenzeichen, die Männerknackhintern. Dafür gibt es als Zwischenaktknalleffekt sogar ein grandioses Indoor Feuerwerk.
Schließlich sind diese „Frühlingstürme“ auch – ganz wider dem damaligen erotisierend foxtrottenden Zeitgeist – eine sich opernhaft plusternde Operette im semitragischen Lehár-Stil. Für die pfiffige Komik aber sorgen als rustikal röhrende Soubrette die kerlige Alma Sadé, die ihren General-Papsi Katschalow dauernd auf Zornstufe Rot einpendelt. Den wiederum gibt der Schauspieler Stefan Kurt mit aasiger, gar nicht ungefährlicher Trottelhaftigkeit. Während sich Dominik Köninger als kleidermäßig versatiler, deutscher Kriegsberichterstatter Roderich in irrwitzige Baritonbuffonik treiben lässt.
Kalaschnikow und Champagner sind hier keine Gegensätze, und Jordan de Souza treibt das Orchester mit flotter Thermik durch die „Frühlingsstürme“, mal sentimental, mal flott. Bis am Ende die Drehtür im San-Remo-Hotel swingt und der Verkleidungsulk selbst hinter der Zimmeragave noch seine Fortsetzung findet. Doch am stärksten bleiben die Mollnoten hängen. So schafft dieser grandios ausbalancierte Abend den Tanz auf dem Operettenseil als Tauber-Schwips von Klangopium zwischen Angerührtsein und Ablachen. Das macht gegenwärtig Barrie Kosky kaum einer nach.
Das war sicherlich das kurioseste „Rollendebüt“ seit Jahren. Anna Netrebko, sonst eigentlich – bei aller Last-Minute-Lernfaulheit –mit einem gesunden Opernappetit auf Neues gesegnet, singt ausgerechnet eine der kürzesten Titelpartien des ganzen Repertoires in vier Etappen erstmals. Zuerst war da 2016 ihr Album „Veriosmo“, auf dem sie als ziemlich zerrupfte Turandot titelposierte. Abgesehen davon, dass Puccinis pentatonischer Schwanengesang das nun gerade nicht ist, eben Verismo, sondern eher was mit Schönberg gemein hat: Auf der CD offerierte sie, als sei sie sich selbst noch nicht ganz sicher, sowohl die Solostellen der Liù wie der eisumgürteten Prinzessin. Es folgten dann diverse Liveauftritte mit „In questa reggia“, der schrägste sicherlich 2017 bei ihrem sommerlichen Berliner Waldbühnenkonzert, blondiert in fuchsiafarbener Fantasierobe und Silbercape die große Treppe im Publikum herabschreitend. In der Silvestergala 2019 der New Yorker Metropolitan Opera gab es schließlich den zweiten Akt (im ersten Akt hat das böse Biest ja nur einen stummen Auftritt bei der Hinrichtung des persischen Prinzen) in der ollen Zeffirelli-Blingbling-Inszenierung. In München folgte jetzt (samt Aufzeichnung) das „offizielle“ Debüt, auch wenn sie hier nur zehn Halbsätze dazulernen musste. Denn die acht Jahre alte, albern ausstaffierte, mit längst läppischen 3D-Raschelbrillen-Effekten aufwartende La-Fura-dels-Baus-Nichtinszenierung der von Puccini nicht fertig komponierten Oper endet, wie einst von Toscanini in der Uraufführung verfügt, nach dem Tod der Liù. Im ersten Akt wird Turandot zudem nur gedoubelt. Und das Schlussduett, das wird dann erst bei den kompletten Met-Aufführungen in der nächsten Spielzeit nachgeliefert.
Spitzenpreise bis zu 340 Euro waren trotzdem für die drei Münchner Aufführungen zu zahlen. Für noch nicht einmal zwanzig Minuten Netrebko-Vokalarbeit. War es das wert? Auffällig war das stark abfallende, eigentlich so nicht Bayerische-Staatsoper-würdige Umfeld. Sicher, da gab es drei ordentliche Minister, den herausragenden Alexander Tsymbaluk (hier immer noch in Erinnerung als sinistrer Boris Godunow) als bassbalsamischen, aber wenig wichtigen Timur. Und die fast am meisten Applaus einheimsende Ensemblesopranistin Selene Zanetti in der stets dankbaren Partie als zerbrechlich anrührende Liù; die mit 31 Jahren aber freilich schon ein anschwellendes Vibrato hören ließ.
Fotos: Wilfried Hösl
Aber der junge Italienische Dirigent Giacomo Sagripanti, in Pesaro durchaus als animierender Rossini-Administrator aufgefallen, quirrlte eine träge suppende, undifferenziert laute, schwülstige und schwerfällige Puccini-Sauce, die einem solchen Haus einfach nicht ansteht. Der erschlug die Sänger mit Knalleffekten, ließ es knirschen und krachen, von der modern-expressive Struktur des kalt glitzernden Werkes bliebt nur ein fettlebiges, eigentlich ungenießbares Blubbern, in dem jeder Vokalwohlklang ertrank.
Und dann war da natürlich noch der unvermeidliche Anna-Gatte Yusif Eyvazov, des Spiels wie der Differenzierung unfähig. Der blökte vor allem seine Spitzentöne am Ende der Rätselszene mit tumber Kraft als eitle Audioausstellung; dabei wurde das sowieso hässlich flache Timbre gleich noch platter und vulgärer. Sein „Nessun dorma“ sang er auf höchst provinziellem Niveau. Da haben die Jahre des penetranten Mitgeschleifwerdens durch die Ehefrau nichts optimiert – und dafür bedankte er sich dann noch mit läppisch eitlen Triumphalgesten. Der Applaus für ihn war sehr endenwollend.
Und die Anna? Die ist eine glaubhafte, in der gleißenden Geisha-Maske mit dem stacheligen Russkratzer-Kopfputz ungewöhnlich lyrische Turandot. Schade, dass sie hier um eine figürliche Entwicklung gebracht wird, da der nachkomponierte Alfano-Schluss fehlt. „In questa regia“ singt sie anfangs noch etwas blechern bemüht, doch die Stimme ist schnell im Fokus, das dunkle Timbre und ihr Metall helfen dem Spinto-Volumen, gut durchzukommen. So wirkt die eindimensionale Parabel-Figur schnell menschlich, in der Rätselszene leistet sie sich wirklich selten so fein in den Piani zu hörende Momente. Aber wie gesagt: im Akt drei sind da nur noch ein paar maue Einwürfe und viel Herumstehen. So bleibt der Eindruck einer „Turandot“ interrupta. Irgendwie fühlt man sich ums Komplettvergnügen gebracht. Und musste drumherum den Netrebko-Kollateralschaden ertragen. Da freuen wir uns doch schon auf Mai und die Dresdner Verdi-Elisabetta. Die hat wenigstens viel und schön zu singen. Auch wenn da wieder bereits Yusif-Carlo in der Kulisse lauert…
Ein Kindergesicht. Löckchen. Ein weicher Mund. Man könnte meinen, Liam Scarlett, der Wonderboy des britischen Ballett, sei mit 33 Jahren immer noch so jungenhaft verwundert, wie wohl mit 23 Jahren, als er emporschoss wie in diesem Metier dort seit langem kein anderen. „Der neue Kenneth MacMillan“, so hat man ihn gern genannt, und ihm natürlich damit auch einen Mühlstein um den zarten Hals gehängt. Er durfte als jüngster Choreograf des Royal Ballett dort einen Abendfüller wuppen („Frankenstein“, 2016). Schon 2012 wurde er zum ersten Artist in Residence ernannt, ein Posten, den Ballettdirektor Kevin O’Hare extra für ihn geschaffen hat. 2018 dann der Ritterschlag: Man bestellte bei ihm eine Neuinterpretation des sakrosankten „Schwanensee“, der vom Royal Ballet aus via der Sergeyev-Aufzeichnungen den westeuropäischen Tanzboden eroberte. Und jetzt das: Die Zeitungen spekulieren bereits darüber, ob das Federvieh à la Scarlett ab März wieder auf die Zuschauer losgelassen werden darf. Denn eben wurde bekannt: Liam Scarlett ist bereits seit August beim Royal Ballet suspendiert. Er soll sich ungebührlich verhalten haben. Und während sich die diskrete Institution noch prüde zurückhält, sickern dreckige Detail über den Boulevard nach draußen.
Liam Scarlett, der bisher zu allem schweigt, soll, obwohl er
dort kein Lehrer ist, männliche Schüler der Royal Ballet School dazu
aufgefordert haben, ihm Nacktfotos zu senden. Er soll kaum 18-Jährige
unangemessen berührt haben sowie während des Umziehens in ihre Garderoben spaziert
zu sein. Außerdem habe er sich mit ihnen per Telefon sexuell ausgetauscht und
habe gemeinsam mit ihnen Kokain konsumiert, berichtete die „Times“ Eine interne
Untersuchung dauere derzeit noch an. Das unangemessene Verhalten, dazu kämen
Zornausbrüche, die einige Solisten davon abgehalten hätten, weiter mit ihm zu
arbeiten, soll angeblich schon seit zehn Jahren andauern. „Er mochte, es wenn
man Angst vor ihm hatte“, wird ein Tänzer zitiert.
Scarlett galt in Großbritanniens Ballettszene als ausgemachter Star, als Gans, die goldene Eier legte und die Zuschauer zum Kartenkaufen verführte. Er kam 2006 als Tänzer zum Royal Ballet, ab 2012 konzentrierte er sich auf Choreografie. In England wurde gegen ihn freilich offiziell noch nichts unternommen. Als Reaktion auf die Vorwürfe sagte hingegen das australische Queensland Ballet, wo man ihn auch mit einem Titel ausgestattet hat, eine Gastspielserie seiner jüngsten Tanzadaption von. Deren passender Titel? „Dangerous Liaisons“. Und auch das San Francisco Ballet hat von geplanten „Frankenstein“-Aufführungen Abstand genommen. Beim Texas Ballet wurden alle Planungen für einen neuen „Sommernachtstraum“ mit ihm gestoppt.
Irrlicht, Taugenichts, freier Hundling, Schattenboxer, Glücksmatrose, Kapriolendandy. So nennt sich André Heller, der Schluri, das Sparifankerl, auf seiner neuesten CD, der ersten, schönen, tiefsinnigen, textgustiösen seit über 30 Jahren. Ein Amateur, ein Dilettant, ein Liebender, zwischen „Luna-Luna“, Flic-Flac“, „Afrika, Afrika“ traumtänzelnd und zündend, Weltmeisterschaften, Gärten und Fata Morganas ausrichtend, im Daseinsspagat zwischen Wien und Marokko. Und jetzt, nach drei musiktheatralischen specialevents für seine schwarze Göttin Jessye Norman, auch Opernregisseur – mit 73 Jahren. Nur ein einziges Opus kam dafür in Betracht, „Der Rosenkavalier“, vor allem wegen der Devotion für seinen Hausheiligen aus Internatskindheitstagen, Hugo von Hofmannsthal, beerdigt nicht weit weg vom Lyzeum auf dem Friedhof in Rodaun. Danach soll, muss nix mehr sein. Dafür hat sich André Heller nun – neben diversen Assistenten – zweier besonderer Mitarbeiter versichert: Xenia Hausner, längst realistische Menschenmalerin, hat er nach über 30 Jahren aus der Bühnenbild-Retraite geholt und den Wiener Modemacher Arthur Arbesser für die Kostüme engagiert. Seine Stückzeit, 1917, mitten im Krieg, aber nichts davon zeigend, dafür statt ahistorischem Walzer-Rokoko Jugendstil Wiener Werkstätte, Reformkleider in exotischer Verkleidung. Tout Opern-Wien inklusive Salzburger Wurmfortsatz samt Journaille ist dafür ins stürmisch-mürrische Berlin gekommen, wo man sich an der Barenboim-Glanzoper mit DDR-Rokoko und großen Namen schmückt. Vorher gab es, quasi als Lever, eine Hausner-Vernissage im nahen PalaisPopulaire. Zum sternflammenden Finale, nach fast fünf Stunden, waren dann aber alle erschöpft, so mancher Minister verschwunden, die Reihen schütter, der mit Buhs gewürzte Applaus endenwollend.
Fotos: Ruth Waltz
Vielleicht hätte André Heller mit diesem geschmäcklerisch-klugen „Rosenkavalier“ besser den staubig-verschlissenen Otto-Schenk-Inszenierungsrest an der Wiener Staatsoper ersetzen sollen. So akribisch und detailfreudig ist das. In Berlin, wo er eine steife Nicolas-Brieger-Inszenierung aus den Neunzigern ersetzt, kommt sein nostalgischer Reigen im Geist des „Schwierigen“ nicht wirklich an. Man hat hier die strenge, mit den Zeiten spielende Homoki-Variante an der Komischen Oper zu bieten. Zudem, falls sie überhaupt noch angesetzt wird, die in der Harms-Zeit nochmals kulissentechnisch aufgemöbelte, intelligente Spiegel-Version Götz Friedrichs von 1993. Die war, nach ihrer Stuttgarter Urfassung, einer der ersten Versuche, aus der ewigen Rokoko-Modellinszenierung Reinhardts mit der Alfred-Roller-Ausstattung auszubrechen.
André Heller versucht das ebenfalls: in einem japonistischen
Loos-Salon als Schlafgemach der Marschallin, mit einem rotblau schillernden Reispapierparavanthalbrund;
blau, mit goldenen Fensteraugen klappen auch Wände in den Zuschauersaal auf. Der
neureiche Herr Faninal residiert in der Wiener Secession samt Klimtschem
Beethoven-Fries; der Künstler im Kittel stapft auch – Emilie Flöge im Gefolge –
als Statist herum; geht aber, wie die vielen anderen Herumsteher, einfach nicht
mehr ab. Statt zum gemeinen Beisl, dem Mariandl wohlbekannt, wird dieses im
dritten Akt vom Ochs ins Palmenhaus samt marokkanischem Zelt gebeten, aber arg
klamm verführt.
Doch es kommt nirgends wirklich Atmosphäre auf. Ob Lever samt Papierartisten, Clown-Vogelhändler, weiblichem Friseur und rotsamtenem Varietésänger (tenorwacker: Atalla Ayan) oder wimmelbildwuselige Rosenüberreichung – alles wirkt steif gestellt, leblos. Wie aus dem Museum. Heller hat sich feine Details ausgedacht, der Taschentuchschluss des sehr erwachsen, wissenden, genießenden Mohamed (Bruno Sandow) zum Beispiel. Aber die Figuren wirken wie cleane Kleiderpuppen zwischen musealen Accessoires. Im dritten, wohl nicht fertig gewordenen Akt kommt gar keine Bewegung auf, selten standen Kinder und Intriganten so hölzern herum, wenn der endlich haarlose Ochs mit den Schatten von Spinnen und Nosferatu gefoppt wird. Man bewegt sich in einen totgesagten Opernpark, wo nichts mehr atmet, über die lange Spielzeit nur wie in der Vitrine ausgestellt wirkt.
Mit schuld dran hat freilich auch der greise Zubin Mehta. Fast der ganze erste Akt bleibt ohne Zwischentönen und Nuancen, breitgepinselt, streif und öde. Nur in der letzten Viertelstunde wird es dichter, morbider, zärtlicher, so wie in alle Aktfinali die klangprächtige Staatskapelle triumphiert. Dem zweiten mangelt es an Glanz und Delikatesse, dem dritten an aggressive Rumpelei und Walzerdelirium.
Solches legt sich wie Mehltau über die Sängerleistungen. Auf ganzer Linie siegt hier einmal mehr der fleischig-fiese, diesmal auch fletschige Ochs des zupackenden Günther Groissböck. Ein mieser #MeToo-Grabscher, dann aber wieder rührend in der Rüpelhaftigkeit des Ignoranten. Der legt sich seine bewährte Rolleninterpretation noch einmal tiefenschärfend zurecht, in jedem Taktmoment bei Bewusstsein wie Stimme. Das ist Stritzi-Weltklasse, auch wenn er bei Harry Kupfer noch faunhafter und gleichzeitig verletzlicher rüberkam.
Camilla Nylund ist ein nordisch-matronenhafte Frau-Direktoren-Marschallin mit strenger, sonorer Diktion, im ersten Akt schwarzweiße Augarten-Porzellantasse im Josef-Hoffmann-Look, die die verrinnende Resi-Zeit dann doch weichmacht. Schließlich als herablassende Elisabeth-Schwarzkopf-Kopie samt Hutschiffchen im Haar, die sicher ihren Octavian bald wieder im Bett hat. Der kanadische Mezzo Michèle Losier, Ersatz für Marianne Crebassa, spielt den Vetter Taferl etwas steifleinern; für das fade Kleidchen im dritten At kann sie nichts. Ihr geradliniges Timbre erinnert an Frederica von Stade; die aber hatte mehr opak warmen Höhenglanz, bei Losier tönt es allzu neutral. Sehr amerikanisch schnippisch die Sophie der am Hause viel beschäftigten Nadine Sierra, mit piepsigen Spitzen und müde im Terzett.
Sehr ordentlich die wendige Annina von Katherina
Kammerloher, noch Octavian im Vorgänger „Rosenkavalier“. Auch auf den Notar von
Jaka Mihelac hört man, weniger auf die Stimmreste Roman Trekels (Faninal) und
Florian Hoffmanns (Marschallin-Haushofmeister), den schlechten
Faninal-Kollegen, den dürftige Polizeikommissar, die schartige Leitmetzerin
(Anna Samuil) und den neutralen Valzcchi (Karl-Michael Ebner).
Rausch und Schönheit wollte ein enthusiasmierter André
Heller. Er hat allerdings nur flaue Routine und sich schnell genügende,
konfekttaugliche Bilder gefunden. Schade.
Händels „Tolomeo“, 1728 als letzte für die von der „Beggar’s Opera“ in die Pleite getriebene Royal Academy of Music komponierte Premiere, ist eine harte Theaternuss. Es musste schnell gehen, Flöten und Oboe, keine Bläser, teilweise sehr ausgedünnter Streichersatz ergeben eine ziemlich gleichförmige, meist traurige Musikbegleitung mit vielen Lamenti, wenigen, meist kommoden Racheausbrüchen. Im mediterranen Zypern angesiedelt, ergeht man sich in viel Naturmetaphorik, denn sonst passiert fast gar nichts: Cleopatra (eine Urahnin der Cäsar-Geliebten) hat ihren Erstgeborenen Tolomeo vertrieben, der – wie am selben Ort auch seine tot geglaubte Braut Seleuce – als Hirte sein Dasein fristet. Fast zwei Akte lang irren die Liebenden aneinander vorbei oder erkennen sich nicht. Tolomeos jüngerer Bruder Alessandro schlägt – Opernlibrettologik – ebenfalls schiffsbrüchig am Gestade auf und verliebt sich sofort in die dortige Herrscherschwester Elisa, die wiederum Tolomeo liebt. Und hinter Seleuce ist deren Bruder, König Arsape her, der wiederum auf den enttarnten Tolomeo tödlich eifersüchtig ist. Das muss man, obwohl mit einer Spieldauer von unter drei Stunden eher kurz gehalten, irgendwie szenisch aufpeppen. Was zum Auftakt der diesjährigen Karlsruher Händel-Festspiele gar nicht gelungen ist. Und obwohl hier letztmalig die Starkombination Senesino-Francesca Cuzzoni-Faustina Bordoni musikalisch virtuose Vokaltriumphe feierte, war es auch sängerisch nicht auf dem üblichen Karlsruhe-Niveau.
Fotos: Falk von Traubenberg
Zwei Schattierungen von Grau, damit kommt das einfallslose Einheitsbühnenbild
eines flachen, breitgezogenen Salon-Paravents mit elf Fenstern von Adeline
Caron aus. Dahinter gibt es Video-Wolken und zunehmend stürmische –Wogen. Sieht
das Libretto einen Wald vor, scheint auch dieser auf dem Meeresboden
angesiedelt, samt 35 sich als seltsame Lichtquellen herabsenkenden Quallen (!).
In der Mitte liegt ein Bassin, drei Pflanzenkübel samt Inhalt haben sich
ebenfalls für die Loriot-Farbe Steingrau entschieden. Anfangs gibt es noch
Möbel, weiße Rosen und irgendwelche Schälchen werden drapiert, zudem stehen ein
paar Statisten sinnlos dekorativ herum.
Benjamin Lazars einzige Regieidee ermüdet schon schnell während der ersten zwei, pausenlos gegebenen Akte: Alle fünf Protagonisten sind fast immer anwesend, sie sollen irgendwie traumtänzerisch und somnambul, weil schwer psychotisch gestört über die Szene wandeln. Was höchstens manieriert und albern wirkt. Ohne jede Spannung dödelt das schlaffig dahin, fade und uninspiriert sind auch die ausgesprochen hässlichen Kostüme. Gut, es kann nicht immer so komisch und flamboyant zugehen, wie im von Max Emanuel Cencic als schräge, doch auch anrührenden Las-Vegas-Klamotte inszenierten „Serse“, dem dieses Jahr wieder aufgenommenem Erfolgsknaller von 2019. Aber muss es gleich so nach ödem Schwarzbrot mümmeln?
Das rettet sich nämlich leider auch musikalisch nicht. Obwohl der hier erstmals die frisch und subtil musizierenden Deutschen Händel-Solisten anleitende Francesco Maria Sardelli eine breite Varianz sentimentaler wie nachdenklicher Stimmungen auffächert. Aber es fehlen, bei aller Köstlichkeit der zart larmoyanten Affekte, der Partitur einfach die Kontraste. Das lähmt selbst eine vokale Spitzenleistung wie die von Jakub Jozef Orlinski in der Titelrolle. Dessen Tolomeo brilliert in sechs Arien und zwei Duetten (eines mit feinsinnigen Echoeffekten) mit Kraft und Finesse seines virilen vollen Altus-Timbres; zu dem freilich hier sich steigernde Durchschlagskraft und sichere Attacke kommen. Schön, zu verfolgen, wie sich dieses Talent kontinuierlich entwickelt und auch als Darsteller steigert. Und in Karlsruhe, dem deutschen Hotspot frisch entschlüpfter Contertenöre, wurde er als jüngste Entdeckung auf dem hier üblichen Silbertablett serviert.
Doch als Solonummer ist selbst das nicht den ganzen Opernabend durchzuhalten. Louise Keménys Seleuce bleibt neben ihm eine ewig jammernde Sopransalzsäule, blässlich und eindimensional, Eléonore Pancrazy (Eliza), mit einem tantigen Glitzerfummel bestraft, spreizt sich schrill aus und macht so gar keine Hörfreude. Solide der mit wenigen Soli bedachte chinesische Counter Meili Li als Alessandro, dem die Regie so gar keine Spielanregung liefert. Einzige szenischer Widerpart für den sehr alleingelassenen, weitgehend mit sich selbst ringenden Orlinski, ist so der solid versatile, koloratursichere Bassbariton Morgan Pearse; dessen Stimme freilich etwas monochrom tönt. Nächstes Jahr geht es in Karlsruhe ebenfalls eher konzentriert und klein weiter: Mit dem dramatischen Oratorium „Hercules“, das einmal mehr Floris Visser inszeniert. Lars Ulrik Mortensen dirigiert, und Ann Hallenberg ist als Dejanira aufgeboten. Hoffen wir also auf 2021.
Es muss nicht immer „Cavalleria Rusticana“ sein! Es gibt doch noch 15 weitere Opern von Pietro Mascagni, die freilich alle in Berlin wie auch im übrigen Deutschland ziemlich vernachlässigt werden. Zum Beispiel das wunderliche, aber herrlich sonniglich aufrauschende „Melodramma“ in drei Akten „Iris“, welches 1898 im römischen Teatro Costanzi uraufgeführt wurde. Jetzt hat sich die höchst verdienstvolle Berliner Operngruppe unter Felix Krieger dieser Rarität im Berliner Konzerthaus angenommen. 2007 konnte man sie bereits szenisch in Chemnitz genießen (der damalige Regisseur Jakob Peters-Messer war anwesend), 2016 gab es eine verkleinerte, umgedeutete Fassung an der Neuköllner Oper. So ist dieses begeistert aufgenommene semiszenische Vorstellung jetzt als Berliner Erstaufführung zu verbuchen.
Viel Schönes gab es da vor allem zu hören: Angefangen vom
Sonnenchor samt singenden Blumen, die dieses experimentell-symbolistische,
schon sechs Jahre vor Puccinis „Madama Butterfly“ in einem freilich ganz
anderen, mystischen Japan angesiedelte Werk bereithält, Obwohl auch Pentatonik
erklingt, wird hier tonal in einem exotisch härteren Ambiente gearbeitet.
Das naive Mädchen Iris wird vom bösen Tenor-Osaka samt Bariton-Bordellbetreiber
Kyoto erspäht und mittels eines Puppenspiels von seinem Vater entführt. In der
Stadt verweigert sie sich, Osaka lässt sie fallen, Kyoto nützt sie als
Lockvogel. Ihr Vater kommt und verflucht sie. Iris wirft sich aus dem Fenster
auf eine Müllkippe. Im dritten Akt stirbt sie, während die Menschen sie weiter
unbarmherzig fleddern und die Sonne verklärend Klangtrost spendet.
Ein herrlicher Kitsch, anderseits aber auch um Themen wie Kindsverführung,
Menschenhandel, Herzlosigkeit und ein Sterben im Elend sehr deutlich kreiselnd.
Das ist knapp und parabelhaft erzählt, Mascagnis so üppig wie pikant
schillernde Musik bekommt viel Raum, und zu deren Glanzunterstützung gehen dann
bei den Sonnengesängen immer auch noch im Saal die Kronleuchter an. Früher war
eben doch mehr Klanglametta!
Dieses so seltsame wie sinnliche Rarität hat jetzt Felix Krieger mit seinem Projektorchester und –Chor (unter Steffen Schubert) sehr feinsinnig aufpoliert. Eine enormer Qualitätssprung für diese wackere, immer um Ausgefallenes bemühte Truppe, die sich so ein würdiges Geschenk zum 10. Geburtstag bereitet hat. Was als treue Sponsoren wieder maßgeblich von Nikolaus von Oppenheim wie Bertelsmann finanziert wurde; letztere haben ja in ihrem vorbildlich gepflegten und der Öffentlichkeit zugänglichen historischen Ricordi-Archiv in Mailand alle wesentlichen „Iris“-Dokumente liegen – inklusive der jugendstilig-japanischen Originalausstattung-Entwürfe Adolph Hohensteins. Und noch 3000 weitere, kaum gespielte Opern liegen hier zum Studium bereit….
Ganz entscheidend für den Berliner Erfolg war freilich auch die Besetzung der dominanten Titelrolle mit der wunderbar gezielt auf geschmackvoll veristische Effekte zielenden Karine Babajanyan. Die wechselte nicht nur divenhaft zweimal die Garderobe und machte auch im Kimono bella figura. Statt hier nie einlösbarer Kindlichkeit war eine reife, gekonnt mit ihrem Vibrato als Stilmittel spielende Sopranistin zu hören, die die raffinierte Charakterisierungskunst dieser Partie sehr schön und üppig umsetzte, mit aufblühender Höhe und üppig-opaker Mittellage. Etwas gepresst gab Samuele Simonici den unsympathischen Osaka, während Ernesto Petti als ebenfalls widerwärtiger Kyoto mit einem virilen, bissfesten, in den Spitzentönen freien Baritontimbre aufwartete. Satt bassdüster David Ostrek als blinder Vater und sopranhell Nina Clausen als lockende Geisha.
Isabel Ostermann hat das bewährt sparsam szenisch eingerichtet, mit Plastikbonsai und Barhockergruppe, Goldfolie und drei stummen Masken mit Blütenlarve, Totenkopf und Vampirgebiss. Durchaus ein Werk also, für das man sich eine zeitgenössische Visualisierung an einem der drei, gerne mit Standarddoubletten glänzenden Berliner Opernhäuser vorstellen könnte…
Back with beloved Bambergians. Hört sich auf Englisch einfach besser an. Also, ich war wieder mal mit den auf der Dauerwolke des Hrůša-Glücks schwebenden Bamberger Symphonikern unterwegs. Vier intensive Tage Spanien. Ja, Jakub Hrůša, der immer noch erst 38-jährige tschechische Chefdirigent, schreibt nicht nur durch seine Brünner Herkunft das historische Narrativ des einst als Deutsche Philharmonie Prag berühmten, in den Nachkriegswirren zu großen Teilen im Fränkischen gestrandeten Orchester weiter. Hrůša ist heute schon einer der gefragtesten Taktgeber überhaupt. Eben hat er sein sowieso geplantes Debüt bei den Wiener Philharmonikern absolviert, als Einspringer für Mariss Jansons, der dann noch während der Konzertserie verstarb. Die Wiedereinladung ist längst ausgesprochen, wie auch bei den Berliner Philharmonikern und eigentlich überall, wo sich dieser grundsolide, herrlich musikalische und dabei menschlich überaus nette Profi vorstellte. Mit dem Concertgebouw Orchest spielt er im Sommer erstmals Oper beim Holland Festival in Amsterdam, so wie auch nächste Saison an der Met – mit seinem Leibstück: Dvořáks „Rusalka“; intern heißt das Nixen-Musiktheater nur noch „Hrůšalka“. Bald kehrt er zum Chicago Symphony Orchestra zurück, mit dem Cleveland Orchestra verbindet ihn genauso eine intensive Zusammenarbeit wie mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks oder dem Orchestra dell’Accademia di Santa Cecilia. Und beim Pittsburgh Symphony steht eines seiner letzten wichtigen Debüts an. Zur rechten Zeit für ihn wie für die Bamberger hat er sich freilich für entscheidend formende Jahre der kontinuierlichen Reife für die Bayerische Staatsphilharmonie entschieden. Seine vierte Saison geht jetzt zu Ende, und klugerweise hat man – einmalig bei diesem Orchester – schon vor zwei Jahren den Vertrag bis 2026 verlängert. Es ist also noch nicht einmal Halbzeit an der Regnitz. Wo Hrůša jedes Konzert meist mehrere Male spielen kann – und nicht selten damit auch noch nationale und internationale Präsenz hat. Jetzt war man auch an spanischen Flüssen: dem Ebro, dem umgeleiteten Turia und dem Manzanares, will sagen in Saragossa, Valencia und Madrid.
Dem waren freilich schon vier Konzerte in Nürnberg, Bamberg
und Regensburg vorausgegangen. Ich stoße in Saragossa dazu. Unter dem Flieger
bereitet sich die kaum besiedelte aragonische Mondhügellandschaft aus, schon
von oben sind die beiden wichtigsten Sehenswürdigkeiten der knapp 700.000 Einwohnerstadt
zu sehen: die noch von den Mauren als Moschee begonnene Kathedrale de la Seo
mit ihren fünf Schiffen in schönstem gotischen Maßwerk und dem einen Barockturm.
Vor allem aber das Monsterwerk des größten spanischen Barockbaus,
Wallfahrtskirche für die Nationalheilige Madonna del Pilar: Die steht als kleine,
angeblich dem Apostel Jakobus erschienene Skulptur auf einer wundertätigen
Säule, die man von hinter dem freistehenden Altar küssen und berühren darf. Drumherum
aber türmt sich bombastisch katholische Glaubenshegemonie, nicht wirklich
schön, aber monumental, so wie auch der Platz vor der Kirche.
Weiter weg, fast mitten in der Neustadt, neben dem Stadium von Real Saragossa, aber liegt das Auditorio. Seit 25 Jahren schon, ein halb versenkter Bau aus Ziegel und Beton, im hochfliegenden Foyer mit Moscheeanklängen, innen nüchtern hellhölzern und vieleckig. Durchaus an die Philharmonie erinnernd, mit eine transparenten, hellstimmigen Akustik, die als die beste der neuen Konzertsäle Spaniens gilt.
Vor zehn Jahren waren die Bamberger zuletzt da, insgesamt ist das ihre 18. Spanientour. Mitgebucht sind zwei Solistinnen, Sol Gabetta und Julia Fischer, die erst später wieder dazustößt. Zunächst beginnt das mit einer leichten, schnittigen, nie titanisch sich aufplusternden „Egmont“-Ouvertüre mit schlanker Schlusssteigerung. Beethoven als sehnigen Klassiker gedeutet.
Dann spielt die Argentinierin mit Schweizer Wohnsitz, die in Europa zunächst in Spanien andockte, dort zwar populär ist, sich aber immer ein wenig komisch fühlt, weil sie eigentlich mehr mit den Italienern gemein hat, das erste Cellokonzert von Camille Saint-Saëns: konzentriert, fokussiert, mit nicht zu großem, aber sehr hellem Ton. Kurz, aber intensiv ist dieser Trip in einem, aber dreigeteilten Satz. Angriffslustig tauschen sich Solistin und Orchester aus, Jakub Hrůša ist immer mehr als nur Begleiter, der Klangkörper ernstgenommener Partner; vor allem im zart konturierten Menuett-Mittelteil. Und auch die hier so passende Zugabe, Pablo Casals „Gesang der Vögel“ spielt Sol Gabetta in der zumindest noch sechs weitere Cellokollegen involvierenden Bearbeitung.
Dann folgt als orchestrales Hauptwerk die 1. Sinfonie von Johannes Brahms. Wieder einmal fällt auf, wie musikalisch und intelligent Jakub Hrůša das oft gespielte Riesenwerk gliedert, wie er durchaus neue, farbschimmernde Details entdeckt, ohne mutwillig den instrumentalen Fluss zu stören, zum Stocken zu bringen oder gar allzu eigenwillig umzulenken. Da wirkt einer als souveräner Anwalt der Musik und der Komponisten, sein Handwerk beherrschend, durchaus mit einer Vision, mit Eigensinn und individueller Klangvorstellung.
Schon das von der Pauke vorgegebene Tempo hält Hrůša atmend
in Bewegung, ohne Monotonie, alles fächert sich aus den Mittelstimmen heraus
nach außen. Herrlich blühen Oboe und Flöte auf, organischer eingebunden sind
besonders die Hörner. Und immer ist da dieser warme, durchaus tschechisch
jubelnde, sonore Sound der Celli und Kontrabässe. Mit schöner, nie verhetzter
Schlussapotheose geht es ins Finale.
Große Begeisterung beim bunt durchmischten Publikum, das den
2000-Plätze-Saal auch an einem Montag fast füllt. Als Zugabe gibt es deshalb
auch beide vorbreitete Sätze aus der Tschechischen Suite von Antonín Dvořák, die
Romanze und den Furiant.
Geschichtsträchtig gibt sich ebenfalls das, wie stets in
Spanien, mit Süßigkeiten an der Rezeption aufwartende, sonst modern-kühle
Hotel. Es heißt nach der Königin Peronila, die um die erste Jahrtausendwende durch
ihrer Vereinigung von Aragon und Katalonien den Grundstein für die spätere
Macht der beiden christlichen Könige legte, die schließlich die Personalunion
vollzogen.
Am nächsten Morgen geht es mit drei Bussen weiter nach
Valencia. Die Bamberger sind stoisch tourneeerprobt, schalten automatisch in
Stand-By-Modus. Dreieinhalb Stunden Fahrt durch eine weiterhin sehr leere,
durchaus poetische Landschaft im Morgennebel, der im Süden satter Sonne weicht.
18 Grad hat es im modernistisch-geschäftigen Valencia, auch hier sieht man
keine Altstadt, die Kulturbauten liegen neben und im Flussbett des nach einer
Überschwemmung in den Sechzigern umgeleiteten Turia.
Da im Palau dela Musica die Decke des Kammermusiksaales infolge von Baupfusch wieder herunterkam, wird dort gerade komplett renoviert. Deshalb treten die Bamberger Symphoniker erstmals im großmäuligen Palau des les Arts Reina Sofia auf. Das 15 Jahre alte Angebergebäude des heimischen Wow-Architekten Santiago Calatrava präsentiert sich inzwischen nicht nur ohne die abzufallen drohenden Kacheln auf der Außenhaut. Auch sonst ist der Protzputz ziemlich perdu, die teuren Zeiten von Maazel, Mehta und Chailly sind längst Vergangenheit.
Und so spektakulär sich das alles präsentiert, es ist immer
noch unpraktisch. Das beginnt mit dem nur schwer zu erreichenden Eingang und
dem Stau vor den Liften für den 8. Stock, wo über dem Opernsaal das Konzertauditorium
für ebenso 1400 Zuhörer liegt. Der ist breit, hat ein impressives Spantendach,
und ein Möchtegern-Matisse-Mosaik auf der Rückwand. Obwohl das Podium akustisch
gut hinterfangen scheint, klingt es dumpf, hohl, ohne jede Spannkraft.
Da kann es selbst ein jede Art von Saal gewöhntes Orchester
wie die Bamberger nur bedingt richten. Der Beethoven wird etwas knalliger und
stählern genommen. Sol Gabetta schaltet ebenfalls eine Stufe hoch, da bleiben
aber Nuancen auf der Strecke. In die Zugabe klatscht das anfangs noch unruhige
Publikum schon wieder herein, so wie es auch einen Besserwisser-Bravo-Schreier
gibt, der den Brahmsschluss ruiniert. Dafür ist der auch anwesende Opernchef
Jesus Iglesias Noriega ehrlich begeistert; vorher Casting-Chef an der Dutch
National Opera, wo er die Hrůša-„Rusalka“ noch miteingetütet hat, hat er hier
keinen leichten Job. Nach wie vor gibt sich diese Verwaltungsmetropole dem
Besucher eher abweisend.
Mit einem der wirklich rapiden spanischen Schnellzüge reisen wir am nächsten Morgen von Valencia in knapp zwei Stunden nach Madrid weiter. Die allmächtige Agentur Ibermusica, die auch diese Tournee organisiert hat, präsentiert die durchaus stolzen Bamberger in gleich zwei Konzerten im Rahmen ihrer 50. Jubiläumssaison im Auditorio Nacional de Música. Beide Abende sind ausverkauft, es gibt lange, dankbare Ovationen. Zwar hat sich das Konzertleben in Spanien nach der großen Finanzkrise wieder einigermaßen normalisiert, aber das deutsche Orchester ist fast der einzige internationale Klangkörper, der hier im Februar gastiert. Und man muss bis zu 157 Euro bezahlen, während das Orchestra Nacional de España höchstens 38 (subventionierte) Euro verlangt.
Das Auditorio ist ebenfalls ein nüchterner Ziegelbau an der Peripherie der nebelig sonnenlosen, hier auch grauen Stadt. So konzentriert sich alles aufs Arbeiten, auch weil es direkt vom Atocha-Bahnhof mit dem Bus in die Halle geht. Draußen steht schon eine Schlange treuer Abonnenten, die als Jubiläums-Goodie in die Probe darf. Der Brahms wird nur kurz angeteasert, ein paar Übergänge sind zu optimieren. Man spielt sich eigentlich nur warm, um mit Julia Fischer im Dvořák-Violinkonzert zu brillieren. Deutlich vertraut und fast wortlos ist die Übereinstimmung zwischen Solistin und Jakub Hrůša; da finden sich zwei verwandte Geister im klugen Musikmachen. Und wo sie zu kopfig sachlich bleibt, da lockt er sie als Musikant aus der Temperamentsreserve.
Das merkt man gleich beim abendlichen Konzerternstfall.
Immer ist Julia Fischer auf der Lauer, schließlich ist das gar nicht so oft
gespielte Dvořák-Konzert ein wirklich harter Brocken, aber es klickt, läuft
wunderbar und steigert sich gewaltig. Diese Geigerin hat die Nerven, die
Energie und auch die Attacke bis zum verflixten Finale. Hier gibt es kein
Pardon, niemand schenkt dem Partner etwas, doch dabei geht es nie um die
Demonstration von Überlegenheit, sondern stets um herzliche Verbundenheit: Alle
wollen sich von ihrer besten Seite zeigen, alle kämpfen für Dvořák, jeder mit
seinen Mitteln. Und dem jubelnden Publikum wird noch ein Ysaÿe-Solosatz
beigegeben.
Wie immer setzt sich Jakub Hrůša dazu in eine hintere Reihe,
nicht nur aus Höflichkeit, sondern aus ehrlichem Interesse. So wie Julia
Fischer, das macht sie regelmäßig, bei den zweiten Geigen die Brahms-Sinfonie
mitspielt. Runterkommen, verbunden sein, Musik erleben und genießen, spontan
und echt, so wichtig, gerade damit keine ungute Tournee-Routine aufkommt.
Und dieser Brahms, es ist die sechste und letzte Aufführung,
wird dann wirklich zur generös sich steigernden Sternstunde. Jakub Hrůša
spricht selbst am nächsten Tag noch begeistert davon. Alle wissen, wo sie noch
nachlegen, noch plastischer werden müssen. Rund fließt es, die Zäsuren sind
schön eingebunden, jeder Instrumentengruppe ist richtig ausbalanciert, und doch
heben sich die Soli sorgenfrei und klangelegant ab. Dynamik und Rhythmik haben sich
verschwistert, der Dirigent ist kaum spürbar, kann es laufen lassen und formt
doch nachhaltig. Ein Orchester und sein Chef in seligem Einssein. Heute nur
Furiant-Zugabe. So ist dieser Brahms jetzt bestens präpariert für die
abschließende CD-Einspielung, jeweils mit Dvořák-Sinfonien kombiniert, von
denen schon zwei Folgen unter großem Kritikerapplaus erschienen sind.
Und Jakub Hrůša hat für den nächsten Tag, der geht so ausgeruht wie ereignislos vorüber, ein paar Musiker büchsen ins Zentrum von Madrid aus, obwohl sich das trübe Winterwetter auch heute nicht lichtet, schon die nächste Herausforderung bereit. Nach Beethoven und Saint-Saëns (Sol Gabetta spielt diesmal „Gramata Cellam“ ein mitzusingendes Peteris-Vasks-Solo als Zugabe) steht nach einer Woche, mit nur ein paar Minuten Anspielzeit, Dvořáks 7. Sinfonie wieder auf dem Programm, kleinteilig, intrikat, komplex und wendig. Doch die Bamberger Symphoniker meistern das mit links. Zu vertraut ist ihnen dieses böhmische Idiom, ganz genau wissen sie, was ihr Chefdirigent will. Und so geht auch diese Tournee hochgestimmt zu Ende.
Fast 30 CDs weist inzwischen übrigens auch die stattliche Veröffentlichungsliste von Jakub Hrůša auf; für die jüngste Veröffentlichung mit den Bambergern, das flott swingende Dvořák-Klavierkonzert plus das 4. von Boheslav Martinu mit dem so stimmungsstarken wie fingerfertige Ivo Kahánek bei Supraphon, kann man noch beim BBC Music Magazine abstimmen. Und mit dem BR-Symphonieorchester kommt bald bei dessen Hauslabel Suks Asrael-Sinfonie heraus. So lässt sich wunderbar die Zeit bis zum nächsten Hrůša-Auftritt überbrücken. Und wir wundern uns auch nicht mehr, dass im Abba-Tourhotel noch nicht mal bei der Abreise „Thank you for the music“ gespielt wird….
Lucky Laura. An der Staatsoper Hannover ist Intendantin Laura Berman im Anfängerglück. 93 Prozent Auslastung im an sich lausigen Januar, fünf Opern- und eben die dritte Tanzpremiere bestens über die Bühne gebracht. Das kann sich sehen und hören lassen. Wie gerade eben auch „3 Generationen“, der jüngsten triple bill-Tanzabend, der zwei Uraufführungen präsentiert: „Rise“ des in Finnland lebenden, 30 Jahre alten Türken Emrecan Tanis sowie als erste Neukreation an der Leine vom 47-jährigen Ballettchef Marco Goecke „Kiss a Crow“ – und in die Mitte wird der 87 Jahre junge Altmeister Hans van Manen mit seinem kostbaren „Concertante“ geehrt. Der, für Goecke ein wichtiger Fixpunkt, lässt es sich nicht nehmen, seine Verbeugung persönlich entgegenzunehmen. Und so scheint klar zu sein: Der durchaus schwierige, sich gern hinter Sonnenbrille, Pelzkragen und Hund versteckende Goecke ist hier angekommen – nach einem ersten Dreiteiler „Beginning“ mit Übernahmen (Andonis Foniadakis, Medhi Walerski und ihm selbst) und seinem Abendfüller-Hit „Nijinski“, diesmal erweitert und mit Orchester. Die ganz große Herausforderung steigt freilich im April mit seinem fünften neuen Abendfüller „Der Liebhaber“ nach Marguerite Duras.
Und so markierte der höchst beifällig aufgenommene Abend
jetzt einen sehr guten Zwischenstand. Die 28-köpfige Truppe, zehn, acht und
neun waren in den drei Werken zu sehen, wirkt energetisch und divers, kraftvoll
wie geschmeidig, individuell und doch als Kompagnie.
Brust und Beine. Emrecan Tanis zeigt, während sein
Elektrosundtrack wummert, gleich, um was es im Tanz heute nicht selten geht.
Ein Macker, den Oberkörper nur mit einem Transparentstoff mehr ent- als
verhüllt, fährt im Scheinwerferspot aus dem Orchestergraben, in Pose von Anfang
an. Von oben senken sich mehrere Damenbeine, der Oberkörper bleibt verborgen. Projektionspixel
zerstieben, einer rennt sich langsam verjüngende Räume lang. Die Perspektive
wechselt. Auf der Bühne ist jetzt die komplette Truppe als kompakte Kompanie
unterwegs, marschierend, die Arme schmeißend, den Rumpf beugend. Wie Kampfsport
wirkt das.
Neuerlich Szenenwechsel. Eine gekanntete weiße Wand schiebt
sich nach vorn, dort ergehen sich der Macker (Maurus Gauthier), ein Mann und
zwei Frauen, fast wie Apoll mit seinen drei Musen; die anderen sechs sind als Lemuren
unter Scheinwerfer ruhiggestellt. Es gehe ihm um das Prinzip des Anführers, der
andere verführt, hat Tanis verlautet. Und hier zeigt er, was daraus erfolgt. Die
links sind bewegungslos, rechts wird die Aufmerksamkeit willkürlich verteilt,
irgendwann krabbelt der Boss über aus der Wand sich herausschiebende Stufen und
verschwindet hinter einer Klappe. Kinderspiele? Könnte auch ernster sein. Das
Sextett wird vom Alphatier im Trench motiviert, doch plötzlich löst der sich zu
geistlichen Klängen in Rauch auf und versinkt. Ein Paar tanzt innig ein letztes
Duo zu einer Geigenmelodie, dann sind alle allein und verlassen. Aus dem Uptempo
wurde Stillstand. Eine atmosphäresatte Fallstudie.
Fotos: Bettina Stöß
Einfach nur schön und elegant: die stets von rechts und
links zwischen Keso Dekkers geschlitzten Hängern reich und raus wuschenden vier
Paare in Hans van Manens „Concertante“. Zur bisweilen schrill neoklassischen
Petite Symphonie Frank Martins (leider nur vom Band) formt der grandiose
Niederländer in seinem 1994 uraufgeführten Stück ganz locker und zwanglos seine
immer neuen Konstellationen gemischter Akteure in grünen und blauen
Streifenanzügen. Frauen und Männer bedienen sich hier oftmals des gleichen
schlackenlos klaren Bewegungsmaterials, Hierarchien und Erwartungshaltungen
scheinen aufgehoben, alles ist sanftmütig und hochästhetisch im Fluss. Das muss
nichts mehr bewiesen werden, neugierig bastelt van Manen an immer neuen
Variablen kinetischen Möglichkeiten.
Entspannt kommt dann auch der neue Goecke als ebenfalls kreischig bejubeltes Finale daher: fünf dunkle, aber auch intensiv melodischen Balladen von Kate Bush mit Fiddle und großem Klangarrangement. Es raucht unablässig, zwei Türen schlagen am Anfang und am Ende zu, aber zwischendurch hellt das Zwielicht auf. So wie sich die anfangs isoliert und zwanghaft eng aus der Körpermitte heraus bewegungsflatternden Akteure in übergroß schwarzen Anzügen mählich entspannen, erst ist es nur einer, weitere kommen peu á peu dazu. Schließlich markiert der albinoblonde, hemdlose Adam Rusell-Jones so etwas wie das Zentrum der Konstellationen. Um ihn scharen sich die anderen, er freilich agiert mit großen Armattitüden, entspannt, locker, langsam.
Das Tempo ist deutlich gesetzter als sonst bei Marco Goecke, die vertrillerte Jodel-Bardin Kate Bush singt vom Abschiednehmen und einem Blick in den Spiegel, um Erkenntnis, die im Schoß sitzt, perkussiv vorangetrieben, sie träumt von Schafen, fällt und tanzt sinnlich wie eine Schneeflocke, und verlangt schließlich „Get Out of my House“. Goecke hat die Songs , aus den Achzigern, aber auch einer von 2011, in der Plattensammlung seiner Schwester gefunden. Familiäres mischt sich mit Sentimentalem, irgendwann tragen alle sang swingende Fransenhosen. Wir schauen dem typischen Goecke Touch in seiner x-ten-Varianz und Verformung genießerisch zu. Denn so viele Chreographen sind es ja nicht, die eine sofortige Erkennungsmarke besitzen. Hannover hat jetzt jedenfalls einen davon.
Nicht schlecht für einen Achtziger! Eben dirigierte der Wahl-Pariser Christoph Eschenbach in Athen ein Benefizkonzert. Seinen Geburtstag am 20. Februar verbrachte er spielend mit den Wiener Philharmonikern und seiner einstigen Entdeckung Midori spielend im Musikverein. Am Montag stand er vor seinem Orchestre de Paris, das er ebenfalls heute und morgen in Berlin mit Lang Lang und Ray Chen als Solisten leitet. Dann folgt wieder seine neueste Errungenschaft, das Konzerthausorchester, diesmal mit einem anderen alten Musizierfreund, Tzimon Barto. Und über den sowie Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ parliert er dann montags in einer Folge der Gesprächs-Reihe „Christoph Eschenbachs Schlüsselwerke“. Und gestern fand im Kleinen Saal des Konzerthauses das Berliner Geburtstagsfest für Christoph Eschenbach statt. Natürlich als Kammerkonzert unter Freunden.
Eine weitere Möglichkeit, seine zurückhaltende, doch fordernde Persönlichkeit, den Kosmos Eschenbach kennenzulernen war das. Und eine sehr persönliche Hommage. „Mit Menschen, die ich mitentdeckt habe“, wie Christoph Eschenbach selbst stolz sagt. Nach einem Sektempfang ging es los. Zunächst begrüßte Intendant Sebastian Nordmann, einst Eschenbachs Fahrer beim Schleswig Holstein Musik Festival, wo er sich seit langem des Festivalorchesters annimmt. Caroline Bestehorn vom Vorstand des Konzerthausorchesters fand richtige und warme Worte, da scheint schon in wenigen Wochen etwas gewachsen zu sein. Das Blechbläserensemble samt Schlagwerkunterstützung intonierte zum Auftakt eine vom Trompeter Stephan Stadtfeld komponierte Fanfare über das Thema Eschenbach (natürlich ohne „n“).
Frei formuliert erzählte SHMF-Chef Christian Kuhnt als launige Festrede en minature von versalzenem Teewasser, viel Lachen und heiligem Ernst gegenüber der Musik. Christopher Park flocht in seine hurtige Haydn-Sonate ein kurzes „Happy Birthday“, und Marisol Montalvo stiegt mit gleich vier Cellisten und Harfe trittsicher in die süße Sopranstratosphäre von Hans Werner Henzes irisierender Rimbaud-Kantate „Being Beauteous“ empor. Cellonachswuchstar Kian Soltani und Harfenistin Ronith Mues verloren sich traumschön im Schubert-Dämmer von „Nacht und Träume“.
Nach der Pause setzten Midori und Nils Mönkemeyer mit Mozarts so selten zu hörendem Duo für Violine und Viola KV 423 einen spielerisch freien Höhepunkt. Samy Moussa, vorher auch als Dirigent dabei, komponierte für Matthias Goerne (Eschenbach-Liedpartner in Crime seit mehr als zwei Jahrzehnten) eine neoromantische Blake-Etüde „The Lilly“, die Teil eines Blumen-Zyklus werden soll; Goerne schickte so generös wie passend mit seinem Piano-Partner Alexander Schmalcz Beethovens „Der Liebende“ beziehungsvoll hinterher.
Auch wenn Renée Fleming keine Zeit hatte, Hanna-Elisabeth Müller ersetzte sie feinsinnig und goldglänzend mit einem schimmernden Bündel von Strauss-Liedern. „Stumm werden wir uns in die Augen schauen, Und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen“ hieß es da am Ende des von Eschenbach so geschätzten „Morgen!“ Und dann gab es Sekt für alle.
Dabei müssen offen zugeben: Am Anfang der jünsgten Causa
Eschenbach war da eine gewissen Skepsis. Die Berliner Orchesterlandschaft ist
ein üppig blühender Kunstgarten, aber auch ein schnappschnelles Haifischbecken.
Hier geht viel, bei vier Sinfonie- und drei Opernorchester, die selbstredend
auch ihre Konzertambitionen haben. Hier wird man gehört und wahrgenommen. Hier
hat man das Glück, viel Ausgefallenes aufführen zu können, weil es eben nicht
immer nur das Kernrepertoire sein muss. Hier ist aber auch die Konkurrenz groß
und wach.
Und in diese Gemengelange kam nun, neu seit dieser Spielzeit,
beim Konzerthausorchester Christoph Eschenbach an. Ist der der Richtige für
diesen 1952 als Berliner Sinfonie-Orchester gegründeten Klangkörper, der sich
inzwischen auch namentlich an das Haus gebunden hat, in dem er residiert? Das
BSO war einst eine lupenreine DDR-Institution, so wie das 1984 wiedereröffnete,
zum Konzertsaal umgewidmete Schauspielhaus Karl Friedrich Schinkels. Drinnen
ist alles Imitation, aber die Besucher lieben das Gediegene, und als einziges
Berliner Orchester neben den Philharmonikern hat man einen eigenen Konzertsaal,
der natürlich prägt und gleichzeitig Identität verleiht.
Und man liebt die älteren Dirigenten, die Souveränen, aber
auch die Arbeitssamen, die gern am Klang feilen. So wie es zuletzt seit 2012
Iván Fischer übernommen hat. Und an den sich jetzt Christoph Eschenbach nahtlos
anschließt. Mit überraschend schnellem, allgemeinem Erfolg. Gekonnt ist eben
gekonnt. Schon mit der 8. Mahler-Sinfonie im Konzertschaufenster des Musikfest
gab es eine Ouvertüre wie ein Erdbeben. Von allem Kräften souverän bewältigt.
Geboren am 20. Februar 1940 in Breslau, kam Christoph
Eschenbach als traumatisierter Kriegsweise nach schlimmen Irrfahrten 1946 nach
Holstein zu einer Cousine seiner Mutter, deren Namen er annahm. Seine
Pflegemutter, selbst Pianistin, unterrichtete ihn im Klavierspiel. Nach seinem
Studium in Köln und Hamburg (dort auch Dirigieren bei Wilhelm
Brückner-Rüggeberg), gewann er 1965 den Concours Clara Haskil in Luzern und begann
seine internationale Karriere. Eine nachhaltige Zusammenarbeit verband ihn
sowohl mit Herbert von Karajan als auch mit George Szell.
Schon 1972 hatte er als Dirigent in Hamburg debütiert.
Seither hat er diese Tätigkeit sehr ernst genommen, sich immer stärker darauf
konzentriert: So war Eschenbach 1979-81 Generalmusikdirektor der
Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und von 1982-85 Chefdirigent des Tonhalle
Orchester Zürich. 1988 ging er zum Houston Symphony Orchestra, wo er elf Jahre
bliebt. Von 1995 bis 2003 war er Direktor des Ravinia Festivals, der
Sommerresidenz des Chicago Symphony Orchestra. Von 1998 bis 2004 hatte er die
Leitung des NDR Sinfonieorchesters inne; von 1999 bis 2002 war er zudem
Künstlerischer Leiter des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Anschließend
übernahm er 2003-08 die Leitung des Philadelphia Orchestra und war zeitgleich
von 2000-10 in gleicher Position beim Orchestre de Paris tätig.
Dann kam noch das National Orchestra in Washington, von
2012-17. Anschließend wollte Eschenbach, der nur noch ausgewählt solistisch
auftritt, als Sängerbegleiter oder Kammermusikpartner „es so langsam auslaufen
lassen“, wie er gut gelaunt erzählt. „Ich hatte vor, mich auf meine
Lieblingsorchester zu konzentrieren, etwa die Wiener Philharmoniker und das Gotenborg
Symphony sowie meine Ehrenposten in Houston und Bamberg.“ Aber das
Konzerthausorchester, auch Intendant Sebastian Nordmann, der nun ebenfalls
verlängert hat und den er lange kennt, haben ihn dann doch noch einmal in ein
Amt verführt. Zumal er in Paris seinen Lebensmittelpunkt hat, der Weg ist also
nicht weit.
Der Weg – er ist ihm auch programmatisch Bekenntnis. Eine
Brahms- und einen Schostakowitsch-Zyklus plant er – auch für CD: beides
identitätsstiftend, schließlich war der Schostakowitsch-Kenner Kurt Sanderling
hier Gründungschefdirigent. Mit einem Sofia-Gubaidulina-Schwerpunkt setzt
Christoph Eschenbach seinen deutlichen Zeitgenossen-Stempel. Er geht es
entspannt an, „es ist eine sehr schöne Berliner Rückkehr“. Schließlich hat er
hier auch viel mit den Philharmonikern, der Staatskapelle wie dem DSO
gearbeitet.
Ein Fazit nach wenigen Monaten? „Ich habe mich beim
Konzerthausorchester sofort wohl gefühlt, es herrscht hier eine freundliche
Atmosphäre. Dieses Orchester ist ein musikantisches, eines das auch etwas riskiert,
mit dem Musikmachen nicht zur Routine verkommt. Sie sind sehr offen für
Austausch, für wiedergeborene Ideen, agieren kammermusikalisch durchsichtig.
Ich will nicht im Klang wühlen, sondern Klang gemeinsam formen. Mir gefiel
Berlin, die Herausforderung, die Tradition des Hauses, die Geschichte des
Orchesters. All das berührt mich jetzt noch mehr. 2022 werden wir natürlich
auch 200 Jahre ,Freischütz’-Uraufführung feiern. Ich bin sehr glücklich. Es für
mich wie eine europäische Heimkehr, aber keine deutsche. Das ist mir zu eng.“
Das Filmstudio. Im Setzkasten der Regietheaterklischees haben das langsam an Glanz verlierende Duo Jossi Wieler/Sergio Morabito dieses öde Narrativ noch nicht bedient. Aber jetzt, am Grând Théâtre de Genève, wo der neue Intendant Aviel Cahn ganz richtig erkannt hat, dass in der Stadt Calvins Meyerbeers bombastisches Historienspektakel „Les Huguenots“ seit 1927 nicht mehr gespielt wurde. Dafür nun also – nebst eigens gebrautem Bier! –(mit zwei Pausen) fast fünf Stunden lang in beinahe ungestrichener epischer Grand-Opéra-Breite! Und das muss auch so sein, damit die architektonische Struktur des ganz plakativ auf theatralische Wirkung setzenden Schaustücks wirkt. Zwar saß im Publikum mit Joan-Sutherland-Witwer Richard Bonynge vermutlich der Dirigent im sich in den Pausen immer mehr verlierenden Publikum, der das Werk in der Neuzeit am häufigsten dirigiert hat, aber eben nie so komplett, wie das Marc Minkowski schon 2011 in Brüssel vollbracht hat. Diese Fassung vollführt er (mit wenigen anderen Öffnungen wie Streichungen) jetzt auch meisterlich am Pult des Orchestre de la Suisse Romande.
Fotos: Magali Dougados
Minkowski, der trotz seiner barocken Ursprünge schon lange
ein Faible für das französische Repertoire des 19. Jahrhunderts hat, sagt, er
liebe Meyerbeer genauso wie „Lawrence von Arabien“, „Ben Hur“ oder vom „Winde
verweht“ – als buntglühendes, raffiniert gebautes Unterhaltungsspektakel, das
er reuelos genieße. Und so dirigiert er mit Gusto, Intelligenz, Liebe und
Finesse. In Brüssel freilich dunkel, dräuend, knallig hart, von der Ouvertüre
an, die verspielt wie düster dröhnend den Luther-Choral „Ein feste Burg
ist unser Gott“ erst in einen Militärmarsch und dann in Schlachtenlärm wandelt.
In Genf eher als prachtvoll ausgepinseltes Klanggemälde, plastisch volltönend,
aber auch mehr repräsentativ.
Da prallen instrumental wuchtig die Kontraste aufeinander,
hier die Männerwelt des Hugenotten Raoul und seines glaubensstarken Dieners
Marcel sowie die ausartende Spaßgesellschaft der Katholiken im ersten Akt, da
im folgenden Bild die sinnlich süße, erotisch prickelnde Aura der Damenrunde um
die Königin Marguerite. Die will in den Glaubenskämpfen schlichten und heiratet
deshalb auf Wunsch ihrer Mutter Katharina von Medici den Protestanten Heinrich
von Navarra, den späteren Henry IV. Ein paar Tage nach ihrer Vermählung, am 24.
August 1572, kommt es dann zu jenem berüchtigten Massaker an den Hugenotten,
das als Pariser Bartholomäusnacht blutige Berühmtheit erlangen und Frankreichs
Geschichte dramatisch prägen wird.
Die übrigen Figuren, Raoul und die Katholikin Valentine, die
nie zueinander zu kommen scheinen, die erst nach vier Stunden und 15 Minuten „Je
t’aime“ singen und bereits eine dreiviertel Stunden später gemeinsam sterben,
deren fanatische Väter und Freunde, die durchaus flirtbereite Königin, deren
frecher Page Urbain – sie alle rühren und berühren, auch weil sie so
unkonventionell durch das Stück geführt werden. Nach den ersten, kontrastiv
unterhaltenden Bildern explodiert die Musik förmlich im dritten Akt.
Der ist dann Grand Opéra pur, opulentes, abwechslungsreich
sich steigerndes Tableau mit Soldatenchören, Nonnengesängen und tanzenden
Zigeunerinnen, alles gleichzeitig, mit Verfluchung und Verzückung, Zufall und
Zuspitzung. Leider nur musikalisch.
In dem vagen, unsinnlichen Versatzstückraum von Anna Viebrock, graue Wände, zwei in Cinecittà ausgeliehen Transformatorentürme, gotische Säulen aus dem Genfer Dom, Stufen, eine holzgedrechselte Balustrade, kommt nur wenig Atmosphäre auf. Weil Wieler/Morabito ziemlich unlustig zwar ein Hollywood der immer noch goldenen Dreißiger behaupten, aber nur Abstruses herzeigen, Handlung nicht wirklich erzählen, alles im Vagen lassen zwischen großer Oper und aufgebauschtem Kostümdrama. Zudem wollen sie irgendwie dauernd komisch sein. Was Meyerbeer sicher ganz gut tut. Aber auf Dauer als groteske silent movie jokes nur anödet. Vor allem indem sie den Tenor-Lieber Raoul als mickrigen Stummfilm-Komiker im Marx-Brother/Chaplin-Look vorführen, der auch noch einen krakeelenden Sidekick mit Kreissäge hat. Irgendwie muss auch eine Standleitung zur in der Oper gar nicht auftretenden Katharina von Medici existieren, die eine alberne Statistin als dauertelefonierende Matrone im Renaissanceornat vorführt, welche forsch ihre katholischen Verschwörer (hier wohl Filmmogule, die aber in realiter in der Mehrzahl jüdisch waren…) an die Strippe ruft.
Für dieses Personal kommt so gar kein Interesse auf, von Sympathie ganz zu schweigen. Der Comte de Saint-Bris (der füllige Laurent Alvaro), Kurzzeit-Verlobter von Valentine, und deren neuer Bräutigam Comte de Nevers (immer trockener: Alexandre Duhamel) sind eindimensional fiese Bösewichte in Nadelstreifen und Smoking, anfangs auch beim Tennisspiel. Valentine, die erst im dritten Akt singen darf, ist eine blonde Tussi-Sirene, die sich gerne umzieht, aber dank der sopranüppigen Rachel Willis-Sørensen vokal an Statur gewinnt. Raouls alter, aggressiv lutherische Choräle leiernder Diener hat zwar in dem idiomatisch wenig standfesten Michele Pertusi einen optisch zauselig-starken Darsteller im Mantel-und-Degen-Outfit, aber sein Bass ist nur noch ein rauer Rest von früher. Und auch Ana Durlovskis Rolle als Königin Marguerite de Valois bleibt unklar. Mal spielt sie, wie immer stark, mit rötlicher Mähne die Marlene Dietrich hinter der Kamera oder im Spotlight, dann wieder barmt sie in historisierender Gewandung. Und vokal maunzt sich das sehr angreifbar durch die endlosen Koloraturschleifen.
Bleiben als wirklich strahlende Stimmhelden, der spritzige Page Urbain der beide Arien mit Peng und Mezzofinesse singen dürfenden Lea Desandre, die auch das Scripgirl mimt.Und natürlich John Osborn, der topfit höhentrittsichere Raoul schon in Brüssel, als Schauspieler noch stärker, verzierungsperfekt in seinem Auftrittschanson mit Viola d’amore und anrührend grandios in seiner Solo-Tour de force im fünften Akt, bevor das große, allzu schnelle Sterben beginnt.
Das startet hier schon am Anfang, wenn sich ein
Bewegungschor als dauerzuckende Zombies erhebt und eigentlich alle Akte als blutbeflecktes
Memento mori durchwackelt. Auch Raoul separiert sich mit rotbeschmiertem Hemd
von denen. Später wird nie klar, wer Katholik ist, wer Protestant, aus dem Schoß
des mal wuselnden, mal starren, sehr guten Chores entspringen sie alle.
Einen wirklich starken Moment freilich gibt es: wenn im
vierte Akt der gut gekleidete Chor, die Frauen mit Lippenstift verschmierte
Vampiermündern, sich langsam nach vorn um die zur Schwerterweihe versammelten
Brutalos gruppiert. Diese mythische Mördernummer, ein ikonographisches Glanzstück
der französischen Oper, gewinnt so nochmals an Suspense.
Aber am Ende lautet in Genf, trotz der großartigen musikalischen Regieführung: Klappe zu, Meyerbeer-Opernfilm tot. Darauf noch ein Calvinus!
Was sind „persönliche Gründe“? Alles und gar nix. Aus ebendiesen aber sagte letzten Freitag der hochgeschätzte, aber überbeschäftige Yannick Nézet-Séguin bei den Berliner Philharmonikern ab, wo er diese Woche dreimal Mahlers 3. Sinfonie plus das Mammutwerk bei einem Gastkonzert später im April in Baden-Baden dirigieren sollte. Nézet-Séguin hat zum dritten Mal in Berlin gecancelt. Einfach so. Gleichzeit aber dirigierte er noch Mahlers 5. Sinfonie am Tag nach der Absage in Baden-Baden und einen Tag später in Rotterdam Strauss‘ „Frau ohne Schatten“. So wie er das schon davor mit insgesamt viermal Mahler und dreimal „FroSch“ in acht Tagen exerziert hat. Ein bisschen viel? Die Frage stellt sich bei dem umworbenen Kandier schon öfter. Und wenn er überbucht oder überfordert oder wirklich ausgelaugt ist, dann wird eben gekniffen. Er ist so nachgefragt, da kann man offenbar ruhig Verträge brechen; zähneknirschend machten sich selbst die Philharmoniker auf Ersatzsuche. Und fanden die, nach einigen Absagen, im mutigen Debüt des 29-jährigen Lorenzo Viotti. Der kommt aus einer besonders musikalischen Familie: der leider früh verstorbene Vater Marcello war ein ebenfalls hochbeliebter Dirigent, die Mutter Marie-Laure Geigerin, und er hat drei ebenfalls professionell arbeitende Geschwister. Milena ist Hornistin im Bayerischen Staatsorchester, Alessandro spielt das gleiche Instrument an der Opéra de Lyon, Marina ist ein gefragter Mezzosopran.
Und der smarte Lorenzo in seinem bestsitzend dunkellila Frack, der beim gleichen Wiener Schneider arbeiten lässt, wie sein best buddy, Philis-Klarinettenstar Andreas Ottensamer (im Saal, aber nicht auf dem Podium), macht selbst gerade ziemlich rasant Karriere. Studiert hat er Klavier, Gesang und Schlagzeug in Wien und Lyon, sein Dirigierrüstzeug holte er sich in Weimar. 2015 gewann er den Salzburger Festspiel-Dirigierwettbewerb, weitere Preise folgten. Längst hat er seine Debüts beim Concertgebouw Orchest, dem BBC Philharmonic Orchestra, dem Orchestre National de France, den Staatskapellen in Berlin und Dresden sowie beim Leipziger Gewandhausorchester absolviert. Auch die Münchner Philharmoniker, das Cleveland Orchestra und das Orchestre Symphonique de Montréal sind schon abgehakt. Selbst bei den Berlinern stand er sicherlich auf der Short List. Feste Positionen hat Lorenzo Viotti beim Gulbenkian Orchestra in Lissabon und ab 2021/22 als Chef der Dutsch National Opera wie des Netherlands Phiharmonic Orchestra.
Doch ein schick vernähter Frackschoß ist das eine, Lorenzo Viotti gelang aber auch diese monumentale Dritte ausnehmend gut. Natürlich spielt die ein solches Orchester fast wie im Schlaf, doch schon von den ersten, ruhigen, unaufgeregt artikulierten Taktschlägen an, wurden da vom Dirigierpult eigene Akzente gesetzt. Da stand ein Wille zur Form im Raum, dem die Musiker bereits in der schrägen Marschcollage mit ihren harten Aufschwüngen gern nachkamen. Sehr direkt erfolgten die Einsätze, immer wieder holte sich Viotti ganz eigenwillige Klangfarben der Solisten, sei es die Posaune im gemessen dahinschreitenden 1. Satz, oder Albrecht Mayer grelles, doch feines, schalmeienartiges Oboenklagen im 2. Satz.
Angenehm artikuliert auch die Untermalung von Elina Garancas „O Mensch“-Reflexion. Nornengleich in Schwarz, als kunstblonde Überarierin verkündete die Lettin mit mattschimmerndem, fokussierten Mezzo ihre Nietzsche-Worte; zunächst im Sitzen. Und die Lust wollte traumverloren Ewigkeit. Um abgelöst zu werden von bewusst fröhlichem Kinder-Bimbam und Frauen-Singsang, Domchorknaben und der weibliche Rundfunkchor (von Rückkehrer Simon Halsey bestens präpariert) leisteten Vorzügliches.
Spuk-, doch wesenhaft waren vorher das Menuett und das Wunderhorn-tirilierende Scherzando vorübergehuscht, freilich immer mit schönem Klangkörper, sehr souverän modelliert, aufmerksam meisterlich musiziert. Sehr lyrisch und pantheistisch mit innigem Naturlaut erklang das Posthornsolo von Guillaume Jehl. Das steigerte sich herrlich im auf- und abschwellenden Finale. Das wirklich war „Langsam. Ruhevoll. Empfunden. Man hatte das Gefühl einer Wanderung mit einem jungen Bergführer, der alle Klippen kannte, der durchaus die Transzendenz in der Höhe suchte, der sehnig und kraftvoll stieg, aber auch sensibel und emotionsreich auslotete und innehielt. Natürlich sind da, noch mehr Abgründe zu entdecken. Aber das Zerrissensein kann Lorenzo Viotti getrost noch den Älteren überlassen. Ein erstaunlich reifes, hymnisches Geben und Nehmen über 105 Minuten lang gelang ihm auch so.
Und am Ende war eigentlich Yanick Nézet-Séguins Absage
vergessen…
Operettöses Elefantentreffen im Namen Offenbachs in Dresden. Noch dazu mit zwei Österreichern am Regiepult. Die Sachsen hoben an der Staatsoperette„Les brigands“ auf die Bühne (inklusive Elefantenschnitzel!), am nächsten Abend folgte an der Semperoper„La Grande-Duchesse de Gerolstein“. Beides auf Deutsch freilich. Die Räuberpistole inszenierte mit dekonstruktivistischem Knalleffekt der junge Valentin Schwarz. Alle Wege führen nach Weimar, zumindest ans Nationaltheater. Denn ein Schuss ins Schwarze war die Verpflichtung ihres ehemaligen Assistenten auch für die neue Staatsoperetten-Intendantin (und damalige Dramaturgin) Kathrin Kondaurov: wurde doch Schwarz in der Zwischenzeit von Katharina Wagner als Überraschungsei und Inszenator für den neuen „Ring“ in diesem Sommer bei den Bayreuther Festspielen aus dem Sack gelassen. Von Offenbach directement zu Wagner, von der Staatsoperette auf den Grünen Hügel, das ist als Musikwahl wie Karrieresprung so außergewöhnlich wie unorthodox. So wie aber auch schon die Dresdner Verpflichtung von Schwarz an sich – gerade im Vergleich zur der muffigen Offenbach-Verrichtung mit „Orpheus in der Unterwelt“ als erster Premiere im neuen Haus Kraftwerk Mitte. Viel mehr auf Touristen-Nummer sicher (die hier zudem samt einem nervigen Fremdenführer an Stelle eines Feindes auf der Bühne gefangen werden) ging hingegen mal wieder die Semperoper. Dort durfte sich der Operettenroutinier Josef Köpplinger vom Münchner Gärtnerplatztheater in Offenbachs bramarbasierende Militärgroteske verbeißen – herauskam eine zahnlose Harmlosunterhaltung mit einer völlig verkorksten Hauptdarstellerin, die wohl zum Lachen eher in den Keller geht. Eins zu Null also für Staatsoperette, auch wenn es dort – zu Recht – einigermaßen kontrovers zuging.
Fotos: Pavel Sosnowski
„Die Banditen“, leider 1869 kurz vor dem
deutsch/französischen Krieg uraufgeführt, der ihnen kein langes Bühnenleben
beschied, wurden nie wirklich bekannt. Obwohl vom Offenbach-Advokaten Karls
Kraus geliebt, übersetzt und rezitiert, mit viel wertvoll spritziger Musik
inklusive. Valentin Schwarz aber verwandelt die im 19. Jahrhundert so beliebte
Operettenmär vom guten Räuber und den bösen Potentaten („Frau Diavolo“, „Gasparone“,
„Banditenstreiche“) in fröhlichen Trash: Hier sind alle supermariodoof. Er lädt
statt an die absurde, weil gar nicht existente italienisch-spanische Grenze
samt Fata-Morgana-Mantua in einen sich verschwenkenden, einigermaßen dürren Karl-May-Palisadenzaun
samt dörrigem Grünzeug (smarte Bühne; Andrea Cozzi).
Albernes Personal wie Hauptmann Falsacappa (plärrig: Hauke Möller), seine Tochter Fiorella (sopranfrech: Annika Gerhards) und ihre Verlobte Fragoletto (kerlig mit Auftrittsrap: Laila Salome Fischer) fackeln da eine „megageile Banditenshow“ à la Buffalo Bill in einem kreisch-künstlichen Westen ab, der von Otto Krauses campigen Kostümen knallig behübscht wird. Die kann man glatt noch für eine „Annie Get Your Gun“ verwenden.
„Exzess und Trauma“ will die Regie, durchaus auch als „Schlag
ins Gesicht der Erwartungshaltung“ im Shawschen wie Brechtschen Sinne. Alles
ist Spaß und Spiel, nichts Ernst zu nehmen. Valentin Schwarz braucht freilich vor
lauter lastenden Theaterthesen die erste Dreiviertelstunde, bis das Tritt fasst
und Rhythmus bekommt. Es wuselt allzu konfus dahin, das Mastermind will viel und
alles gleichzeitig. Da verliert der Chef die Stimme und schnarrt von der
Platte, Damen werden skalpiert, Tote stehen wieder auf. Dauernd werden die
Perspektiven gewechselt, ein Assistent hat viel Aufräumarbeit zu leisten. Da
wird zur Berliner Volksbühne geschielt, aber so virtuos hat es die Regie dann
eben doch noch nicht drauf, auch wenn das Riesenensemble mit viel Spaß bei der
Sache ist.
Da gibt Andreas Sauerzapf in breitem Wiener Schmäh den kakanischen Trapper Pietro, und der präzise Pointen setzende Komiker Tom Pauls steht im Finale als korrupter Finanzminister Antonio mit leeren Unterhosen und properer Gauland-Krawatte da: „Wollte ihre die totale Operette“, kreischt er kampflustig. Die Ballettpolizei trappelt zum „Botten“-Ohrwurm auf Sandwichsohlen sächselnd wie immer zu spät einher und schließt erstmal die Bühne; was alle auf die Passerelle vor dem Orchestergraben treibt, wo der zweite Akt samt „Asterix“-Fressalien zitierendem Gelage und Kidnapping in der Broiler-Bude sich drangvoll aber virtuos drängelt. Und zum Höhepunkt kommt es, als die Diva des Hauses, Ingeborg Schöpf, mit Elisabeth-Schwarzkopf-Perücke im Rollstuhl als geriatrische Prinzessin von Granada einherfährt und nicht nur ihren grandios senilen Pagen (Dietrich Seydlitz) samt Totenkopfbrigade, sondern auf rotem Kissen im Schoß auch einen goldenen Dildo präsentiert.
Das ist platt und zotig, zugegeben, aber Valentin Schwarz will einfach nur spielen, den losgelassenen Operetten-Kollektiven postdramatischen Operettenzucker geben. Das vergaloppiert sich, schießt mit bisweilen zu viel Theorieüberfrachtung und einer religiösen Choralapotheose in der Sauna zum Finale über das Klasseziel hinaus, ist aber oft originell und lebendig. Und führt das agile Ensemble weit und lustvoll aus seiner Komfortzone heraus, reißt krachend die vierte Wand ein. Das gefällt nicht jedem, es gibt ein paar Zwischenrufe, auch einige Buher am Ende. Aber weil auch das kraftvoll zupackende Orchester unter dem bewährten Andreas Schüller einen robusten, aber spritzigen Offenbach aus dem Goldenen Osten musiziert, mach der vitale Abend Spaß. Und ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Modernisierung des Hauses.
Was man von der „Geroldstein“ in der Semperoper nicht sagen kann. Das beginnt schon beim dröge-plüschigen Dirigat des kaum operttenaffinen Jonathan Darlington und setzte sich in der keimfreien, witzlosen Fernsehoperetten-Anmutung in einem Allerweltbühnenbild zwischen zerschossen Schlachtenschinken und einem halbnackten Mars fort. Wenn Josef Köpplinger nicht mehr einfällt, und das ist sehr oft, dann lässt er einfach Soldaten im Tütü tanzen. Da wird zwar auch nicht gelacht, aber das Karnevalsverkaterte Publikum goutiert es.
Fotos: Ludwig Olaf
Die Choreografie (Adam Cooper) kommt von der Stange, aber natürlich kriegt das schmissige Militär-Ballett zum Dritten-Akt-Auftakt den meisten Applaus – wie eben in jeder schlechten „Gerolstein“. Keiner kann wirklich sprechen, gesungen wird medioker. Martin Winkler als tattriger General Bumm, der doch eigentlich ein gefährlicher GröFaZ sein müsste, ist eine olle Knallcharge. Nur noch übertroffen von der bärbeißigen Siegried Hauser (Eurusine), die ihre übliche Alte-Betschwester-Nummer abspult.
Die Holzenten hinterherziehende Wanda (Katerina von Bennigsen) ist ein nettes Marketenderl, ein ebenso harmloses Pepperl gibt der schlaksig spielende und singende Maximilian Meyer als Fritz. Bei Daniel Prohaskas rosagewandetem Prinz Paul langt es nicht mal zur überzeugenden Tunte (dafür darf er als einziger ein paar tagesaktuelle Pegida-Scherze machen).
Am Schlimmsten ist aber die Leerstelle, die sich mit Anne
Schwanewilms als männergeile, alkoholtrunkene Herzogin auftut. In einer Männerfresser-Glanzrolle,
in der auch Operndiven von Régine Crespin bis Felicity Lott Maßstäbe gesetzt
haben, ist sie witzelos, stimmschwach (bis auf ein paar zittrig hohe Töne), impotent.
Sie kann nicht spielen und hat null Charisma. Eine komplette Fehlbesetzung,
dabei auch alleingelassen von der Regie.
Ein spießig gestriger Offenbach-Rohrkrepierer der allerschlimmsten Sorte. Dort, wo einst Peter Konwitschny die Csardasfürstin in den Krieg jagte! An der Staatsoperette, früher Dresdens Beinchenschmeiß- und Schunkelschwofbaude, da aber wird das Frohsinnsgewerbe wieder aggressiv und modern ernstgenommen. Gut so!!
„Natürlich habe ich gehofft, dass Jiří Bělohlávek noch viele weitere fruchtbare Jahre bei der Tschechischen Philharmonie haben würde, aber es hat nicht sollen sein. Jetzt sitze ich hier – gegen meine Intentionen, nach meiner Chefzeit in Köln frei zu sein und zu bleiben, in diesem traditionsgesättigten Zimmer als Chef der dieses wunderbaren Orchesters. Aber es war eine Verpflichtung. Die Musiker haben mich eine Woche nach Jiřís Tod gefragt, ja gebeten, was sollte ich machen? ,Sie holen das Beste aus uns heraus, und wir genießen es so sehr, mit ihnen Musik zu machen. Wir wollen, dass sie unser Papa sind‘, das haben Sie gesagt. Was also sollt ich machen, wenn das 120 Menschen sich erbitten, die sich als Waisen verstehen? Es war eine freundliche Nötigung. Aber ich habe sie gern angenommen.“ Sagt Semyon Bychkov so reflektiert wie zufrieden nach einer erfolgreichen Probe im Rudolfinum mit Blick auf die Moldau und Hradschin in der Nachmittagssonne. Und man kann den inzwischen 67-jährigen Russen verstehen. Seit Oktober 2017 amtiert er nun hier, gerade hat er auch einen guten Lauf in Bayreuth, wo ihm Katharina Wagner nach der Übernahme des „Parsifal“ für die nächsten Jahre sogar eine Premiere angeboten hat. Aber die Tschechische Philharmonie, die dieser Tage wieder mal auf Deutschland-Tournee ist, sie nimmt doch einen sehr besonderen Platz für diesen erfahrenen Dirigenten ein.
„Prag ist Schönheit, so wie auch St. Petersburg, wo ich
geboren bin“, sinniert Bychkov. „Ich bin sensibel dafür. Ich habe das Orchester
nur einmal 1990 dirigiert. Zu Dvorak habe ich natürlich immer eine enge
Beziehung gehabt, und ich erinnere mich auch noch, als ich mit 15 Jahren aus
meinen Sommerferien aus der Krim heimkam, da erschien auf den elektronischen
Wandzeitungen eine Nachricht, dass die tschechoslowakischen Brüder die UdSSR um
„bewaffnete Hilfe“ gebeten hätten. Das hat sich mir sehr eingeprägt. Auch die
traurigen Augen einer Lehrerin, die darüber nur Scham empfand. Ich habe dieses
kleine Land, das immer von anderen Großen und Mächtigen regiert wurde, bis auf jene
20 Jahre nach 1918, im Rahmen meines Tschaikowsky-Projekt immer besser kennengelernt.
Ich habe aber auch musikalisch mit diesem Orchester viel
wiederentdeckt und in Detail neu vermessen bei unseren Tschaikowsky-Projekt,
das auch als CD-Box viel Furore gemacht hat. Die Tschechische Philharmonie ist
ein neue Ausdrucksinstrument für mich. Das ich gern nutze. Denn wie hat
Harnoncourt gesagt: Ohne die Musiker bin ich nur ein bisschen Staub. Die
Tschechen sind sowohl Slawen auch sehr nach Westeuropa zugeneigt. Genau das
zeichnet Tschaikowskys Musik aus und deshalb wird er hier so geliebt. Und
dieses Orchester ist auch deshalb so gut, weil es so gute nationale Musik gibt.“
Seymon Bchkov erzählt, dass er oft viel mehr probt, besonders wenn bisher in Prag kaum oder selten aufgeführte Musik auf dem Programm steht. Immer öfter nämlich. So wie kürzlich Luciano Berios Rendering. Oder zuletzt eine komplexe „Double Tripple Bill“: erst das funkensprühende Konzert für zwei Streichorchester und Klavier von Boheslav Martinu in dem Tschechiens bester Pianist Ivo Kahánek brilliert; dann – es gibt kaum tschechische Klavierduos – das selbst hier selten zu hörende Martinu-Konzert für zwei Klaviere, ein kraftvoll dynamisches Stück, das Bychkovs Frau Marielle Labèque mit Schwester Katja freilich in gewohnter Eleganz vorträgt.
Und nach der zweiten Pause (es gibt viele Umbauten auf dem Podium)
folgt, erstmals in dem akustisch wunderfeinen Badwannensaal des Rudolfinums die
zweite Sinfonie von Henri Dutilleux „Le Double“, die auch zwei
Orchestereinheiten aufbietet. Sensitiv reagiert dieses Spitzenorchester auf
dessen französischen Esprit, bleibt leicht auch wenn es kompliziert wird, immer
klingt es glorios, satt und doch transparent. Fein, wie Bychkov hier dem
Signaturton der Tschechen neue Elemente hinzufügt. Und neues Repertoire, tönende
Frischzellenkur, als nächstes steht Detlef Glanert an.
„Ja, es ist ein gutes Team hier“, lobt der Weltgewandte sein
Orchester. „Aber wir wollen mehr, müssen den Horizont erweitern. Wir haben 14
Uraufführungen bestellt, elf davon bei tschechischen Komponisten. In Tschechien
ist viel Kreativität. Und ich möchte auch einige Komponisten der bleiern kommunistischen
Nachkriegszeit wiederentdecken, zum Beispiel Miloslav Kabeláč, Viktor Kalabis
oder Luboš Fišer.
Wir machen jetzt nach dem Tschaikowsy-Projekt einen Mahler-Zyklus
für die Decca. Die 2. Sinfonie ist schon aufgenommen. Der letzte Zyklus wurde
unter Vaclav Neumann für Supraphon eingespielt. Schließlich ist Gustav Mahler in
diesem Land geboren, dieses Orchester hat die 7. Sinfonie unter ihm
uraufgeführt.
Ich habe Gespräche über Kooperationen mit dem Nationaltheater geführt, und wir müssen mehr Oper spielen, das ist immens wichtig wegen der Stilistik und der Flexibilität. Deswegen ist es schön, dass jetzt „Káťa Kabanová“ konzertant kommt und auch in Hamburg zu hören ist. Die dirigiert, wie auch die aktuelle Tournee, Jakub Hrůša, für den ich nur höchsten Respekt habe, er ist so ein natürlicher Musiker. Ich will hier nur die besten Kollegen. Deshalb ist es wunderbar, dass er und Tomáš Netopil als Erste Gastdirigenten verpflichtet sind. Ich will das Orchester im bestmöglichen Zustand meinem Nachfolger hinterlassen.
Ich will zudem, dass sich das Orchester mit
unterschiedlicher Musik anders anhört, so wie mein Freund Daniel Day-Lewis in
jeder Rolle sich komplett verändert. Mein Vertrag läuft auf fünf Jahre, aber ich sehe das ganz locker. Denn ich
wurde nicht ernannt, sondern erwählt.“
Aber schon Jiří Bělohlávek hatte seit seiner Rückkehr 2012 in
Prag ganze Arbeit geleistet. Das zerrissene und vernachlässigte Orchester wurde
von ihm bereinigt und glanzpoliert. Es konnte wieder an den Ruhm der großen,
diesen besonderen Klangkörper prägenden Namen von Karel Ančerl, Rafael Kubelík
und Václav Talich anknüpfen. Bělohlávek handelte zudem einen erstaunlichen
Plattenvertrag mit der Decca aus und legte gleich zu Anfang seiner Amtszeit mit
einer Acht-CD-Box ein Herzstück des Repertoires in neuer, klangfeiner,
packender, beifällig aufgenommener, natürlich im schimmernd klingenden
Rudolfinum produzierter Interpretation vor: alle neun Dvorak-Sinfonien plus die
Konzerte. Das war mutig, aber erfolgreich. Plötzlich war die Tschechische
Philharmonie wieder ein Schmuckstück.
Und inzwischen tourt man wieder verstärkt, regional,
national, international. In Wien hat man eine Residenz im Musikverein, vor
Weihnachten wurde dort der Tschaikowsky-Zyklus unter Bychkov bewundert, inzwischen
spielt man auch wieder in der New Yorker Carnegie Hall. Und besonders in
England liebt man die Tschechische Philharmonie.
Aktuelle Tour der
Tschechischen Philharmonie: 3. März Frankfurt, 4. Köln, 6. Stuttgart, 7.
Friedrichhafen, 8. Freiburg. Jakub Hrůša dirigiert Josef Suk, Leoš Janáček sowie
Antonín Dvořáks Cellokonzert mit Sol Gabetta. Am 20. und 21. April gastiert er
mit dem Orchester in der Hamburger Elbphilharmonie, zunächst mit dem März-Programm
(Solist: Daniel Müller-Schott), zudem mit einer konzertanten „Káťa Kabanová“
von Leoš Janáček. Es singen Kateřina Kněžíková, Aleš Briscein, Jaroslav Březina,
Eva Urbanová.
Sie tanzte noch nicht einmal eine Saison, das dürfte die sicher kürzeste Ballettintendanz in Berlin überhaupt sein! Zumindest diesen Rekord kann Sasha Waltz auf diesem Trampolinposten aufstellen. Sonst hat es leider nicht zu sehr viel gelangt. Sie war nie da, sie hatte sich kein Training angeschaut, sie hatte keine Ahnung von der Materie, die sie – auf Drängen des längst vergessenen Staatsekretärs und Popheinis Tim Renner (SPD) – mit ihrer üblichen, lange schon von keinem Erfolg mehr gekrönten Hybris übernommen hatte. Und sie hat es sich offenbar auch noch mit ihrem Wunschpartner Johannes Öhman als teuer bezahltes, letztlich überflüssiges Balletttandem verscherzt. Denn entweder ist ihr der Schwede, der im letzten Jahr schon für den abzischenden Nacho Duato vorfristig übernehmen musste, mit dem Rotbart-Dolch in den Rücken gefallen, oder sie hatte ihn bereits so rasch vergrätzt, dass er mit wehenden Fahnen ins heimische Stockholm als Tanzhaus-Leiter abhaut. Das wollte er eigentlich schon Ende März, aber Kultursenator Klaus Lederer (die Linke) wollte beide wenigstens bis Ende des Jahres an der Ballettstange belassen, um einigermaßen für einen geordneten Rückzug zu sorgen. Aber der peinsame Auftritt beider bei der panisch einberufenen Pressekonferenz dürfte ihn eines Besseren belehrt haben. Zumal die Waltz, die sich erst überfahren glaubte, dann zurückrudern wollte, und allen Ernstes noch an eine Zukunft mit einem weiteren Himmelfahrtskandidaten aus der Klassik glaubte. Spätestens da muss jedem klar geworden sein, dass sie für diesen Posten und für solche Strukturen wahrlich nicht geboren ist. Das endgültige Ende wurde jetzt per Mail bekannt gegeben, nachdem beide – nicht zum ersten Mal – feige ihre Spielplanpressekonferenz kurzfristig abgesagt hatten. Sasha Waltz aber hat gut weiter zu tun, darf auch gleich – der Nepotismus hat schließlich Methode – bei ihrem Mann Jochen Sandig dessen Ludwigsburger Schlossfestspiele mit altem Kram neueröffnen.
Was aber in Berlin bleibt, das ist ein kulturpolitischer und personeller Scherbenhaufen. Deutschlands größte Tanzkompanie als führungslos dahinschlingernde, verunsicherte Tänzermasse. In der 20 von Waltz hinzuengagierte, völlig unterbeschäftigte Moderne-Performer keine Klassik und nicht auf Spitzenschuhen tanzen können; stattdessen müssen beständig Ballettschülerinnen der Ballettschule missbraucht werden, um die großen Klassiker überhaupt aufführen zu können. Nicht zuletzt auch eines der aktuellen Probleme dort. Anderseits hält man Graben zwischen Klassik und Moderne künstlich auf, die gar keine sind. Denn das komplette bisherige Repertoire (inklusive der schlechtest besuchten Performance von Jefta van Dinther an der Komischen Oper) hätte problemlos auch von den bisherigen Tänzern exekutiert werden können.
Denn entgegen allen anderen Behauptungen hat sich kaum etwas bei der Kompagnie verändert, man ist, wie vergleichsweise Institutionen auch, nur ein wenig mit der Zeit gegangen. Schauen wir uns doch die Novitäten der nächsten Saison an: das aus finanzgründen verschobene Haydée-„Dornröschen“ als einzige Klassikerproduktion; dazu einer Uraufführung des angesagten Norwegers Alan Lucien Øen in der Komischen Oper, ein Doppelabend mit Werken von David Dawson und Wayne McGregor (um die schon Vladimir Malakhov geworben hatte) und ein Mats-Ek-Abend. Alles komplett von einer normalen Klassikkompanie wie Stuttgart, München oder Dresden bewältigbar. Und selbst die nun unter schlechtes möglichen Umständen entstehenden neue Waltz-Kreation soll ja dezidiert für die ganze Kompanie sein. Außerdem soll mit Stefan Kaegi von Rimini Protokoll gearbeitet werden und es gibt ein Gastspiel des Wuppertaler Tanztheaters mit „Nelken“. Alles Tanzbusiness wie gewöhnlich, so wie es auch vor diesen aufgewühlten Zeiten in Berlin stattfand und möglich war.
Vorher aber ist es mit den unglückseligen Duo Sasha Waltz und Johannes Öhman aber schon am 31. Juli vorbei. Die Nachfolge solle „personell und inhaltlich von einem beratenden Expertengremium begleitet“ werden, heißt es in einer Mitteilung der Senantverwaltung für Kultur. Auch das Ballett-Ensemble solle in dem Prozess der Neubesetzung Gehör finden. Und natürlich wird – so wie hier bereits schon vorausgesagt – Stellvertreterin Christiane Theobald die Geschicke der Kompanie interimistisch übernehmen. Und weil sie diese grauenvolle Entwicklung letztlich auch mit herbeigeführt hat, sollte man sie eigentlich im „Dornröschen“ die böse Fee Carabosse mimen lassen.
Alles auf Los, zurück auf Anfang. Geht das? Barrie Kosky, der Vielinszenierer (mindestens sechs Novitäten pro Jahr), er versucht es immer wieder mal. Will, das Strenge, die Reduktion, die völlig auf sich gerichtete Geschichte. So hat er mit Teodor Currentzis in Zürich einen atemlos rabenschwarzen „Macbeth“ in völligem Verdi-Dunkel herausgebracht, in Berlin Debussys metaphernmystisches „Pelléas et Mélisande“ auf einer kleinen Drehreifenbühne auf eine psychiatrische Fallstudie eingekocht und jetzt an der Oper Frankfurt die Strausssche „Salome“ nicht als verworfen lüsterne Kindsfrau oder als missbrauchtes Girlie auf die Bühne gebracht, sondern einfach als verliebtes Mädel in einen Schweinwerferspot gestellt. Und nicht nur das. Davon und dazwischen hat er in Frankfurt und Dessau in dem Liederabend „Farges mikh nit – »Vergiss mich nicht“ Alma Sadé und Helene Schneiderman am Klavier in ihren jiddischen Operettentiteln begleitet. Und nur fünf Tage nach der Frankfurter Premiere hob sich an Berlins Komischer Oper schon wieder der Vorhang über der nächsten, längst vorgeprobten, aber verschobenen Kosky-Novität. Bei „Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn“ mit Mozzoaltstar Anne Sofie von Otter und „Tatort“-Kommissar Wolfram Koch fungiert der ubiquitäre Regisseur-Irrwisch nur als „Einrichter“. Und dann wurde noch verkündet, dass er ab 2023 am Londoner Royal Opera House nach Essen und Hannover seinen zweieinviertelten „Ring“ inszenieren wird. Wo er doch Wagner gar nicht mag!
Fotos: Monika Rittershaus
Doch zunächst: Wie schön war die Prinzessin Salome? Schön und ungewöhnlich. Denn erst ist nur Vogelflügelschlag im Dunkeln zu hören, der sich ausnimmt wie rotierende Hubschrauberblätter. Dazu posiert Ambur Breid als eine Art verblühte Pusteblume in sandfarbenem Faltenkleid und überdimensionalem Fluffhut, der ihren Kopf wie einen Kokon umhüllt. Stumm steht sie da, herausfordernd wie schutzbedürftig. Salome, ein schönes, elegantes Neutrum, ganz anders als es das Opernklischee in der einen wie anderen Richtung verlangt.
Die Kanadierin singt im Weiteren gleißend und gellend, hat
die tiefen Töne, wie die bisweilen schrillen Höhen der Partie durchaus in der
Kehle, offeriert eine breite Mittellage, ist kindlich und grausam und spielt
zudem faszinierend, fesselnd, den Betrachter ansaugend. Denn sonst ist hier –
Dunkel (Nicht-Bühnenbild und Kostüme: Katrin Lea Tag). Nur wo Salome agiert, in
wechselnden Roben, silbrig, glitzerschwarz, zyklamherausfordernd, antrazithberuhigend,
schwarzdurchsichtig, da ist Licht und Leben.
Der tenorklar attackierende Naraboth (Gerard Schneider) und
sein dämmriggutturaler Page (Katharina Magiera) sind immerhin noch als
Schwarzuniformierte in diesem harten Mondlichtspot zu sehen. Die fünf Juden
wallen in altertümlichen Tüchern, aber mit verhängtem Gesicht vorbei, die
Soldaten und Nazarener haben lediglich die soliden Stimmen des für solche
bekannten Frankfurter Ensembles. Manchmal sieht man Köpfe, Hände, Silhouetten, oftmals
gar nichts.
Denn sie alle haben keine Identität, sind nur Platzhalter, erfüllen vokal ihre von Richard Strauss komponierten Rollen. Herodes (ein spießiger Zweireiher-Träger, stimmlich auftrumpfend: AJ Glueckert) und Herodias (satter Mezzo im schillerndem Chanel-Kostümchen: Claudia Mahnke) scharren sich wie die Eltern-Motten um ihr (Stief-)Kind im Licht. Und dann ist da noch der Prophet Jochaanan. Christopher Maltman lässt mit kompaktem Bariton, Schlabberunterhose und verdrecktem Schwabbelbauch verblühte Sixpack-Sexyness sehen und hören, die Jungfrau Salome aber macht er trotzdem kirre. Er darf ins kalte, grelle Helle, wird begafft, betatscht, belutscht, in die Brustwarzen gezwickt, ein ganz neues Objekt nicht mehr frühkindlicher Begierde. Vor allem sein Haar hat es ihr angetan. Nicht nur textlich: Statt eines Tanzes zieht sich die starr dasitzende und trotzdem immer mehr in Ekstase geratene Salome einen unendlich aschblondenen Jochanaan-Lockenstrom aus der Vagina – wahrlich ein verstörendes, ganz neues Bild eines biblischen Fetischs.
Weil auch Joana Mallwitz am Pult diesen Strauss des Schauens und Starrens nicht zelebriert, sondern mit klangfeinem Krimi-Suspense auflädt, selten laut wird, eigentlich nie spätromantisch schwelgend, orgiastisch exotisch lüstern sülzend, sondern durchaus kompakt, dabei leichtfüßig den Musikstrom vorantreibt, ohne die Exzentrizitäten allzu sehr auszustellendeshalb kann diese „Salome“ in Frankfurt wieder zum Schocker werden. Man hört das wirklich im Dunkel verbleibenden Intermezzo nach der Zisternenschließung wie auch den statischen Tanz viel analytischer, lässt sich weniger tragen. „Salome“ nicht als perverses Kulinarikum, sondern wirklich als spannende Versuchsanordnung ihrer im überwältigenden Reichtum dieser Partitur gefangenen Protagonisten, für die es kein Entrinnen aus ihrer dysfunktionalen Familienaufstellung gibt. Jochanaans Kopf ist da nur der am Schluss an einem Fleischerhaken blutig und krass baumelnde Katalysator.
„Man töte dieses Weib“, nicht einmal mehr dieser Herodes-Befehl
ist hier mehr nötig. In Salome ist schon alles tot. Deshalb verharrt sie stumpf
starrend, sich das tote Haupt überstülpend, sich mit Jochanaan endgültig
vereinend. Bis endlich das Licht verlischt. Ein letztes Mal. Selten folgerichtig
und minimalistisch hat Barrie Kosky das inszeniert. Ohne rätselhafte
Installation wie Romeo Castellucci in Salzburg, ohne neues Nazi-Narativ wie Krzysztof
Warlikowski in München, ohne Puppenspiele wie Nikolaus Habjan in Wien. Einfach
nur radikalstmöglich reduziert, nacktschwarz und grausamknapp. Und wie sagt er
doch so schön über diese einstmalige Oscar-Wilde-Unmöglichkeit: „Des einen
Dekadenz ist des anderen Normalität“.
Dagegen wirkt der Berliner Liederabend nur wie eine sehr
flüchtige Fingerübung. Ein weitere von diesen Sänger-auf-dem-Seitensprung-Events
mit nostalgischen Liedern vor dem eisernen Vorhang. Ein nettes Füllsel. Das die
lange schon mit Weill-, Offenbach-, Elvis-Costello-, Abba-, Barbara-Songs
bewährte, Marthaler-erfahrene Anti-Diva Anne Sofie von Otter mit inzwischen
raspelig trockener Seniorinnenstimme und in schwarzer Probenkleidung lässig in
Beschlag nimmt.
Links die Sieben-Mann-und-eine-Frau (mit singender Säge)-Combo, angeleitet am Klavier vom nimmermüden, stilsicheren, für die Werkwahl zuständigen Songenzyklopädist Adam Benzwi. Rechts Kleiderstange und Requisitentisch, das meiste wird nicht gebraucht, die Boa, kürzlich noch von Zazie de Paris, operettengewürdigt, schon. Und auch die Baskenmütze, das Gummihuhn, der Plastikfisch. Vor allem aber der Otter-Sidekick, Schauspieler und „Tatort“-Star Wolfram Koch.
Koch nämlich emanzipiert sich schnell, hat erstaunlich viel
Stimme und spielt die Otter faktisch an die Wand, ganz besonders lispelnd als
Otto Reuters „Suschen“. Die Lied-Auswahl dünkt bekannt, oft aber auch
überraschend, es wird dankenswerterweise kein Unterschied zwischen Exilanten und
Nazi-Mitläufern unter den Autoren gemacht. So bleibt der 90-Minuten-Abend ohne
Zeigefinger, aber auch ohne echten Höhepunkt oder irre Überraschung. Die Otter
ist kühl auf dem Rücken in Heymanns „Die Kälte“, gurrt Zarah Leander und macht
im Frack als gern und verboten die Frauen küssender Lehár-Paganini beste #MeToo-Transgender-Figur.
Koch greint wunderbar als Badewannenkapitän und kann sogar einen sprechenden
Koffer. Beide glänzen mit Brecht.
Aber irgendwie bleibt dieses fein vergackerte „Ich wollt‘,
ich wär‘ ein Huhn“ zu untierisch, es hebt nie ab, verlässt die glänzende
Routine. Obwohl die Band gar köstlich Gorillas und sündige Liebe beschwört, das
ganze Berlin Bestiarium eben. Mit „Musik! Musik! Musik!“ geht es Kreudernd ins
Finale und Weill wie Leander gibt es als Zugabe. Kannste nich meckern.
Im Wald, da sind die Räuber. Im Regietheater-Inszenierungsforst, den Johannes Erath in der Bayerischen Staatsoper für Giuseppe Verdis reichlich grobes, rohes Frühwerk nach Schiller „I masnadieri“ aufgepflanzt hat, da wuchern vor allem die Symbole und Metaphern. Und das ist auch gut so, denn mit Realismus oder gar politischer Agitation kommt man diesem typischen Produkt seiner Galeerenjahre von 1847 nicht nahe. Von Schillers sturmdrängendem Banden-Furor bleibt hier nur ein angenehm gruseliges Chorsäuseln brutaler Brandschatzer im Hintergrund. Das ist alles nicht sonderlich kohärent oder gar logisch miteinander verbunden. Verdi, damals selbst am Pult stehend, hat das deutsche Drama einem italienischen Melodramma übergestülpt, zwei Männer lieben die gleiche Frau, einer macht den anderen bei Papi schlecht, darauf läuft es in kaum mehr als zwei Stunden Spielzeit, vier Akten und diversen Schauplatzwechseln hinaus. Der Komponist wollte einen internationalen Erfolg in London, hat dem Cellovirtuosen des Orchesters eine große Solokantilene für die Ouvertüre komponiert und auch dem Vokalstar, der „schwedischen Nachtigall“ Jenny Lind, genau und gustiös in die goldene Kehle komponiert. Das muss man heute nicht mehr machen, in München gab es diese Nicht-„Räuber“ vor 12 Jahren erstmals am Gärtnerplatztheater. Wenn schon früher Verdi, dann hätte dem Nationaltheater ein „Ernani“ bedeutend besser angestanden, oder für Jonas Kaufmann, den nun doch alternden Herzenstenor des Hauses, das Priesterdrama „Stiffelio“. Aber mit einer wirklich guten Cast und einem idiomatisch versierten Dirigenten am Pult des motivierten Staatsorchester wurden diese „Masnadieri“ nun ein opulent wie intelligent bebildertes Belcanto-Fest.
Fotos: Wilfried Hösl
Hollywood an der Isar. Wie ein im 19. Jahrhundert spielender MGM-Kostümschinken für, sagen wir, Olivia de Havilland (immer noch 103-jährig unter uns) sieht sich das an, mit ein wenig surrealen Universal-Horror-Untertönen, aber ohne jede Gangster-Sozialkritik à la Warner Brothers. Ausstatter Kaspar Glarner hat das geschickt als nostalgischen Kinotop in Schwarzweiß-Optik verfremdet. Da gibt es eine bedrohliche, perspektivisch bogenförmig verzerrte klassizistische Wohnhalle als Einheitsraum, hinten Treppe, rechts und links nur gemalte Fluchten. Darin kreiselt immer wieder die gleiche Esstafel für eine schräge Familienaufstellung. Ein Dinner for four ist das, denn der Stuhl der cellospielenden toten Mutter bleibt leer; dafür spielen ihr Instrument samt Kasten, Erinnerungsbild und Kleid eine heftig herumgetragene Rolle.
Rechts davon reihen sie sich auf, mal als Säuglinge, mal als Kinder, mal als singenden Erwachsene: der zum nicht mehr edlen Räuber gewordene Carlo, Cousine Amalia, von ihm geliebt wie auch vom bösen Bruder Francesco, und Vater Massimiliano, der nichts versteht, aber tief hasst. Butler Arminio wechselt liebesdienerisch die Seiten. Der weiße Sarg des bald vermeintlich verröchelnden Erzeugers spielt eine optisch bedeutende Rolle, der Christbaum wächst sich später zum Gaunerwald aus, ein paar Tierchen auf dem Servierwagen werden im Finale zur weißen Hirschherde, zwischen der sich alle, diffus dämmrig geleuchteten Verwicklungen offenbaren.
Hier glimmt die Cavatine und lodert die Cabaletta, immer und dauernd, der Chor schwingt und das Orchester tanzt. Verdi hält sich freilich schon nicht mehr an die routinierten Opernformeln, verkürzt, bricht aus, widerspricht der Erwartungshaltung. Besser wird das Opus freilich so nicht, und mit dem geliebten Schiller musste er nach „Giovanna d’Arco“ (1845) und über „Luisa Miller“ (1849) hinaus weiter ringen, bis er sich mit ihm 1867 in Paris bei „Don Carlos“ wirklich auf Augenhöhe akustisch messen konnte. Und auch den Widerhaken memorabler Melodien hat er hier noch nicht nachhaltig implantiert. Er macht Anläufe, aber das Material bleibt zu kurzatmig, ist noch schablonenhaft auswechselbar. Man hat es mit wie ferngesteuerten Opern-Avataren zu tun, noch nicht mit individuellen Klangcharakteren.
Und genau das führt Joannes Erath musikalisch dicht und spannungsvoll vor. Sein Metakommentar funktioniert vor allem auf der bildlichen Ebene, stapelt ein Klischee aufs Nächste, damit diese so in ihrer Hohlheit deutlich werden – und bietet doch dem Zuhörer eine schöne, bei aller Schicksalsschauerhaftigkeit augenzwinkernde Schauzeit.
Für die die Staatsoper ihr Silbertablett exquisit bestückt hat. Für Diana Damrau ist die Amelia eine gute Gelegenheit, ein wenig ab vom Pfad ihrer populären Rollen zu schweifen. Man hört nicht so deutlich, dass die Stimme in der Höhe dünner, so manche Passage schriller geworden ist. Im Furor der versierten Darstellerin, die eben doch eine Koloratursopranistin bleibt, spielt sich das weg. Es bleibt enorme Könnerschaft und ausgelassenen Emotion; auch wenn hier Verdi noch nicht wirklich authentische, nur ihm eigene Gefühlsregungen gelingen.
Charles Castronovo (Carlo) zeigt wieder mal die bestdefinierte Tenorbrust und singt angstfrei mit Attacke und Geläufigkeit. Was ihm an unverwechselbarem Timbre abgeht, kompensiert er mit Affektagilität und Emphase; eine erstklassige Leistung in einer zweitklassigen Rolle. Das gilt auch für den dunklen, fleischigen Bariton von Igor Golovatenko, der Cantante-Wärme hat, aber dem Schurken Francesco auch kultiviert aufraut. Mika Kares als Vater klingt fast zu jung, aber schön fest und schwarzbassig. Auch Kevin Conners (Arminio), Callum Thorpe als auftrumpfender Pfarrer Moser und Dean Power als frecher Räuber Rolla setzen da zusätzliche Tupfer im düsteren Singgemälde, das sich tableauxhaft ausstellt.
Belebt und befeuert wird es allerdings unermüdlich und liebevoll, mit Brio und schön ausbalancierten Begleitfiguren von Michele Mariotti. Der kennt diesen Italo-Tonfall, weiß ihn schlank, aber durchaus auch mit Fortissimo-Vehemenz und trockener Geschmeidigkeit biegsam zu vermitteln. Wie gesagt: Man muss die „Masnadieri“ nicht machen. Aber so munden sie.
Ein tierischer Singspaß. Wir kennen Aubers „Das bronzene Pferd“, Offenbachs neuerdings wieder hündisch bellenden „Barkouf“, den „Gestiefelten Kater“ als Kinderoper von César Cui und Xavier Montsalvatge und „Die Vögel“ von Walter Braunfels, die in einem Chinarestaurant spielende Peter Eötvös-Oper „Der goldene Drache“ und natürlich die bestialisch-menschliche Menagerie in Leos Janaceks „Schlauem Füchslein“. Aber „Die heilige Ente“? 1933 war dieser 20 Mal seit der Düsseldorfer Uraufführung 1923 nachgespielte Sensationserfolg des Wieners Hans Gál letztmalig zu sehen. Jetzt brachte ihn das gern im Raren gründelnden Theater Heidelberg wieder heraus. Immerhin hatte sich sogar Richard Strauss für das tragikomische Libretto von Karl Michael von Levetzow (Nachfahre von Goethes letzte Liebe Ulrike) interessiert, und bei der Weltpremiere stand Gals Studienfreund George Szell am Pult. Gál, der erst 1987 mit 97 Jahren in Edinburgh gestorben ist, war Komponist, Lehrer und Musikschriftsteller. Er studierte bei einem Brahms-Schüler. 1929 wurde er Direktor des Konservatoriums der Stadt Mainz, musste als Jude aber 1933 wieder nach Österreich zurückkehren und emigrierte 1938 nach England. 1965 an der Hochschule in Edinburgh verrentet, schrieb er anschließend viel beachtete Bücher u. a. über Brahms, Wagner, Verdi und Schubert. Seine tonalen, spätromantischen, ohne die Klangexzesse eines Strauss, Korngold oder Schreker auskommenden Werke aber wurden vergessen. Von Hans Gáls vier Opern wurde erstmals 2017 in Osnabrück wieder die in einem mythisch-mittelalterlichen Sizilien spielende „dramatischen Ballade“ mit dem Titel „Das Lied der Nacht“ beifällig aufgeführt und von jpc als CD herausgebracht. Ebenfalls begeisterten Applaus gab es jetzt am Neckar für „Die heilige Ente“.
Fotos: Susanne Reichardt
Das titelgebende Federvieh quakt zwar, aber ist nie zu komplett zu sehen. Denn die junge Regisseurin Sonja Trebes zeigt nur einen verhängten oder leeren Käfig, Federn, zwei schlackernde Schwimmhautfüße in einem Kinderwagen, oder den in der Sommernachtstraum-Verwirrnis des zweiten Aktes als Entenkopf-Mutanten auftretenden Chor. Und ganz am Ende, da gibt es noch ein vom Himmel gefallenes goldenes Entenei. Das nämlich darf der zum Entenbonzen erhoben Kuli Yang als sein Statuszeichen bewachen.
Vorher freilich hat er bei einem unerlaubten Blick auf Li,
die Gattin des Mandarins, die zu dessen rituellem Verzehr bestimmten Ente an
ein räudiges Paar verloren, er Gaukler, sie Tänzerin. Yang soll dafür geköpft
werden, da gehen aber die drei sich langweilenden Götter dazwischen und
vertauschen im allgemeinen Opiumrausch des Vergessens die Häupter von Kuli und
Mandarin, um etwas Unruhe zu stiften. So rettet sich Yang, kann sogar Li
verführen, die ihn vorher zurückgewiesen hatte. Nach einer Nacht voller
Seligkeit, ist dann allerdings alles wieder beim Alten, aber die neuen
Verhältnisse der Figuren mit ihren ungewöhnlichen Erfahrungen müssen frisch sortiert
werden. Wofür eine hier als Katalysator dienende Ente nicht alles gut ist.
In Heidelberg werden freilich auch die in China populären, aus
ihrer naturalistischen Statuenhaftigkeit gerissenen drei unsterblichen Götter Fu,
Lu und Shou (Björn Beyer, Lars Conrad, Han Kim) erst derangiert, dann in
Müllsäcken entsorgt. Nur sparsam freilich ist in Dirk Beckers aufgeräumter
Bühne und in Jula Reindells politbürobeigen, maoblaugrauen oder straßenkehrerorangen
Kostümen das Reich der Mitte präsent, wie es Anfang der Jahrhundertwende
exotisch-erotischen Touch hatte, von Mahlers „Lied von der Erde“ über Puccini bis
Lehárs „Land des Lächelns“ und noch 1943 nachklingend in Bert Brechts
Politparabel „Der gute Mensch von Sezuan“.
Im grau aufgeschnittenen Einheitsraum baumeln zeitweise rote
Laternen, meist steht da aber nur ein bald leeres Denkmalpodest, das auch als
Ofen dient. Am Anfang des wie ein Alptraum sich entfaltenden Dämmers der
verwandelten Identitäten scheinen alle geschrumpft, tollen, toben und lieben
zwischen monströsen Grashalmen und Mohnblüten. Doch immer mehr wird vor allem
dem von den Göttern manipulierten Hauptrollen-Trio klar, dass sich jeder nach
anderem, Größerem, Schönerem sehnt.
Der plötzlich mit dem gelben Mandarin-Haarkranz aufwachende
Yang (voluminös, aber auch vibratostark: Winfrid Mikus) kann sich endlich
seiner Liebe zu Li hingeben. Die (Carly Owen singt sie mit durchdringendem, in
den schlagkräftigen Höhen klirrendem Sopran) wirkt wie wachgeküsst, lässt sich,
im Glauben, ihr Mann verführe sie, endlich gehen, ohne an Stand und Sitte zu
denken. Dem zum Kuli abgestiegene Mandarin (baritonrau: Ipca Ramanovic) wird
klar, dass seine Stellung seine Gefühle gefesselt hat, dass er emotional
amputiert „zwischen goldenen Gitterstäben“ durchs Leben ging.
Aber auch wenn am guten Ende die sozialen Verhältnisse scheinbar
wiederhergestellt sind: Yang darf Li nicht weiter begehren, muss sich jetzt
selbst mit einem Amt und einer gesellschaftlichen Position trösten. Und ob das
hohe Paar durch Erkenntnis zusammenkommt, ob es überhaupt noch liebesfähig ist?
Dagegen tröstet sich ganz pragmatisch und doch passend wie Yin und Yang, als polar
einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene duale Kräfte, das
niedere Paar – hier Aggro-Rocker James Homann (der zwischenzeitlich auch seinen
Kopf an dem zum Polizisten mutierten Bonzen Wilfried Stabler verloren hat) und
die schrille Schminkschlampe Hye-Sung Na.
Sonja Trebes‘ muntere Inszenierung entfaltet das aufgeräumt
unaufgeregt, eher sachlich, sparsam mit exotischem Kolorit umgehend, gern ein
wenig Chaos veranstaltend, aus dem dann der Haushofmeister Joao Terleira unter
seiner Kochmütze nach der Ente greint. Und mit offenem Ende, denn die traditionellen
Götter sind offenbar nachhaltig gestürzt.
Unter der souveränen Stabführung von Heidelbergs stellvertretendem Generalmusikdirektor Dietger Holm entfaltet sich diese reizvolle Partitur als „Spiel mit Göttern und Menschen“ so poetisch wie farbenprächtig. Gern zwischen Komik und Groteske oszillierend, dabei wohllautend und ohne viel pentatonisches Kolorit. Hans Gál spinnt melodischen Bögen und er flutet mit der reichen Polyphonie seiner Orchestersprache, die Chöre klingen durchaus auch mal nach Bach. In der magischen Sommernacht beflügelt Gál die Liebe sogar zu spätromantisch schwülstigem Duettsingen. Und zur Ente kommt schließlich auch noch ein Papierdrachen.
Opernaufführungen und Orchesterprogramme als
Live-Darbietungen per Internet und Geisterkonzert im leeren Saal, die
voranschreitenden Corona-Einschränkungen lassen keine Ansammlungen mehr zu, die
Theater mussten alle sogar ihren Probenbetrieb einstellen. Jetzt schlägt die
Stunde des Konserven-Streamings. Und der Minigruppen-Initiative, sprich: der
Kammermusik. Neben einer Unzahl von Künstlern, die auf Twitter oder Facebook
für Spontandarbietungen online gehen, haben viele Klassik-Institutionen
gegenwärtig ihre Archive und Streamsammlungen kostenfrei geöffnet. Manche
senden täglich, andere ausgewählt. Hier eine aktualisierte Übersicht lohnender Gratis-Portale,
weitere Häuser, wie das vidoeaffine Royal Opera House Covent Garden werden
folgen, sobald Rechte abgeklärt sind. Stramme Live-Streamer, wie etwa die
Hamburger Elbphilharmonie oder Londons Kammermusikmekka Wigmore Hall, haben freilich
gegenwärtig zu wenig Content, frischer wird auch kaum hinzukommen. Andere haben
eben nur sich selbst, wie etwa das Gotenborg oder das Detroit Symphony
Orchestra, da ist manches interessant, anderes nicht.
Die universellste Plattform, Beat oder Beethoven, Oper oder
Olala, alles ist da, für jede Geschmack, immer und gleichzeitig. Da werden
Avantgarde-Freaks Futter finden, aber auch konservative Stargenießer. Es gibt
aktuelle Konzerte und alte Aufzeichnungen. Gerade ganz besonders viel zum 250.
Ludwig-van-Geburtstag, der natürlich auch hier als audiovisueller Höhepunkt
gefeiert werden sollte. Endlich einmal kann man hier in die Untiefen des
Archivs hinabsteigen und sein schlechtes Gewissen beschwichtigen, weil man
früher nie Zeit dafür hatte. Und es lassen sich sicherlich erstaunliche
Entdeckungen machen – dank unserer Rundfunkgebühren. Man hat sogar noch neue
Inhalt eingepflegt: So gibt es am 13. April abends den gerade noch aus
Probenmitschnitten zusammenmontierten „Fidelio“ in der Beethovenschen
Zweitfassung von 1806 aus dem Theater an der Wien bei dem Oscar-Preisträger
Christoph Waltz Regie führt und Manfred Honeck dirigiert.
Auch die Berliner Philharmoniker haben ihre Hausaufgaben
gemacht und inzwischen in über zehn Jahren ein Archiv aus 600 Konzerten
angesammelt. Da gibt es die kompletten letzten Spielzeiten in HD und 4K,
professionell gefilmt und ausgesteuert. Dazu ältere Dokumente und aufgekaufter
Inhalt, Stunden von Interviews und einige Dokumentationen. Da kann der
Thielemann-Tiger und der Petrenko-Panter, die Rattle-Rennmaus, die Abbado-Gottesanbeterin,
die Karajan-Königskobra und der Haiting-Haflinger rollig futtersatt werden.
Früher kostenpflichtig, ist hier zunächst für einen knappen Monat alles frei –
wenn man sich bis zum 31. März anmeldet.
Immerhin, das Mariinsky Theater in St. Petersburg des
wahrscheinlich immer noch in seinem Privatjet um den Globus kurvenden Valery
Gergiev streamt auch schon. Schließlich hat man ein eigenes Plattenstudio und
Label. Und wie stets in Russland, eine Spielplan gibt es nur kürzestfristig.
Angefangen hat man mit Ballett. Am 21. März gibt es Rodion Shchedrin „Anna
Karenina“ in der Choreografie von Alexei Ratmansky. Nur live, immer ab 19 Uhr.
In Wien wäre am 21. März Rossinis „La Cenerentola“ auf dem Spielplan gestanden, gibt es auch so, ab 19.30 Uhr auf dem Computer. Denn die Wiener Staatsoper ist zwar geschlossen, spielt aber täglich online umsonst und meist sogar dass, was regulär angesetzt gewesen wäre, in diversen Besetzungen. Denn seit einer Dekade ist auch diese altmodische Institution ein Streaming-Vorreiter mit Opern- und Ballettaufzeichnungen. Bei den Konserven sind faule Eier dabei und grandiose Vokalsträuße, so wie im echten Opernleben. Spielplan bereits bis zum 2. April. Anfang stets um halb acht (Wagner um fünf). Einfache Anmeldung, Untertitel in acht Sprachen. Für 24 Stunden verfügbar. Aktueller Tipps: 28. März „Götterdämmerung“ mit Stephen Gould, Iréne Theorin (Brünnhilde) und Waltraud Meier. 29. März 2020: „Roméo et Juliette“ von Gounod mit Aida Garifullina und Juan Diego Flórez. 31. März „L’elisir d’amore“ mit Aida Garifullina und Benjamin Bernheim. 1. „Die Frau ohne Schatten“ unter Christian Thielemann mit Stephen Gould, Camilla Nylund, Evelyn Herlitzius, Wolfgang Koch und Nina Stemme.
Das größte Theater Amerikas hat ebenfalls sein Archiv aus
TV-Aufzeichnungen und Kinoübertragungen weit aufgemacht, und sendet – wie bei
den Oscars – jede Nacht ab halb zwei Uhr mitteleuropäischer Zeit für lau eine
Musiktheaterpreziose. Manche kitschig, andere atemraubend, mit allen Big Names
des Business. Man kann freilich auch beruhigt ausschlafen, alles steht 20
Stunden zur Verfügung. Warum also nicht am 22. zum Brunch „Lucia di Lammermoor”
mit Anna Netrebko und Piotr Beczała? Spät nachts gäbe es dann einen
atmosphärischen „Eugen Onegin“ mit Renée Fleming, Ramón Vargas, und Dmitri
Hvorostovsky. Und ab 23. März ist Wagner Week.
„Intermission“ nennt der Berliner Pierre Boulez Saal seinen ab 21. März abrufbaren digitalem Spielplan mit Konzertaufzeichnungen als kostenloses Online-Angebot. Der Spielplan wird wöchentlich bekanntgegeben und beinhaltet zum Teil unveröffentlichte Videoaufnahmen. Zu sehen sind Klassik, Jazz und Arabische Musik, Lectures, Konzerte und Workshops. Das wechselnde Angebot ist immer ab 18 Uhr und jeweils bis zum folgenden Konzert unter www.boulezsaal.de/de/intermission abrufbar. Im Spielplan der ersten Woche: 21. März: Daniel Barenboim, Emanuel Pahud, Kian Soltani, Marianne Crebassa u.a. mit Werken von Claude Debussy. 23. März: Belcea Quartet mit Werken von Joseph Haydn, György Ligeti, Antonín Dvořák. 25. März: Daniel Barenboim mit Klaviersonaten von Franz Schubert (1 & 2). 28. März:: András Schiff mit Bachs Goldberg-Variationen. Lecture-Konzert in englischer Sprache. 29. März: Jörg Widmann: „Schöne Stellen“. Über Musik-Momente der Vergangenheit und Gegenwart. Lecture mit Klavierbeispielen. Ebenfalls 29. März: Jörg Widmann & Goldmund Quartett mit Carl Maria von Weber. Lecture-Konzert.
Die Oper Rom wechselt alle drei Tage die Streams auf ihrem
Youtube-Kanal. Gegenwärtig kann man noch sehen, was älter aussieht: die „Tosca“
in der rekonstruierten Ausstattung der Uraufführung 1900 im Teatro Costanzi
oder die 58 Jahre jüngere „Tosca“ der legendären Margareta-Wallmann an der
Wiener Staatsoper, die dort online gezeigt wird. Noch ein skurriler Vergleich: Sowohl
auf Opervision gibt es Henzes „Bassriden“ zu sehen und ab 24. März auch an der
Web-Opera di Roma. Außerdem sehenswert: ab 25. März eine „Orfeo ed
Euridice“-Inszenierung von Robert Carsen und ab 26. März „Madama Butterfly“ aus
den Caracalla Termen mit Asmik Grigorian.
Dort zeigt man seit dem 21. März als virtuelle Weltpremiere Willem
Jeths’ Oper „Ritratto“, die anlässlich der fünften Ausgabe des „Opera Forward
Festival“ am 13. März ihre Uraufführung erlebt hätte. Die Generalprobe konnte
gerade noch mitgeschnitten werden. Weitere Opern und Ballette werden folgen.
Théâtre des Champs-Elysées
Beim Glyndebourne Opera Festival werden Francis Poulencs “Dialogues des Carmélites” höchstens konzertant zu sehen sein, doch das Pariser Théâtre des Champs-Elysées hat eine sehr atmosphärisch dichte Olivier-Py-Produktion des Werkes aus dem Jahr 2013 neuerlich ab 20. März für eine Woche auf arte/concert freigeschaltet. Jérémie Rhorer dirigiert das Philharmonia Orchestra, es singen Patricia Petibon, Sophie Koch, Véronique Gens, Sandrine Piau und Rosalind Plowright. Genau die richtige, besinnliche Oper für die gegenwärtige Stimmung.
Auch im Berner Oberland hat man in den letzten Jahren
fleißig aufgezeichnet. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und stöbern Sie auf
Gstaad Digital Festival. Machen Sie es sich bequem und schauen sich einen
Konzertfilm von einer der letzten Festivalausgaben an – sei es ein Konzert mit
dem Gstaad Festival Orchestra und Jaap van Zweden, mit Cellistin Sol Gabetta,
mit Cembalist Jean Rondeau, mit Sopranistin Nuria Rial oder mit Pianist Fazil
Say. Lassen Sie die Gedanken ins sommerliche Saanenland schweifen, in die
unverwechselbaren Kirchen und freuen Sie sich darauf, das nächste Mal wieder
live vor Ort dabei zu sein. Es ist keine Selbstverständlichkeit, wie wir jetzt
wissen.
Corona-TV Unter den Linden Berlins. Nachdem man, wie
eigentlich geplant, die aktuellen Premieren im leeren Saal nicht mehr streamen
darf, hat die Staatsoper in ihrem, natürlich um Daniel Barenboim zentrierten
Opern- und Konzertarchiv gekramt. Auch hier versucht man – mit Wiederholungen –
seit 16. März den Spielplan abzubilden, hat aber weit weniger Content als Wien.
Jeweils um 12 Uhr mittags wechselt das naturgemäß 24 Stunden zugängliche Stück –
Oper Sinfoniekonzert, Ballett. Unter den Streams befinden sich ab 21. März der
eben erst aufgezeichnete „Der Rosenkavalier“ von André Heller und Zubin Mehta
(gibt es auch auf 3sat), aber auch Hardcore-Avantgarde wie Beat Furrers „Violetter
Schnee“. Oder der Brahms-Zyklus der Staatskapelle aus Buenos Aires.
Auch das Hamburg Ballett steigt mit exklusiven
Video-Inhalten ein. Am 22. März um 14.30 Uhr gibt es „Junge Choreografen“ als
Video-Compilation. Am 23. März um 16.30 Uhr wird ein virtuelles
Ballett-Training von Lloyd Riggins mit Madoka Sugai von zu Hause für zu Hause,
zum Mitmachen, Nachmachen und Fithalten veranstaltet. Am 24. März um 16.30 Uhr
heißt es: Junge Choreografen – Outtake-Compilation. Die lustigsten Momente im
Kreationsprozess für Junge Choreografen. Und als besonders Schmankerl gibt es
am 26./28./29. März, jeweils um 16.30 Uhr „Die Glasmenagerie – Einblicke in den
Entstehungsprozess“. Exklusive und unveröffentlichte Einblicke in Bild und Ton
über die Kreation von John Neumeiers jüngstem Ballett.
Oper trotz Corona: Die Staatsoper Stuttgart setzt ihr digitales On-Demand-Programm mit Prokofjews „Die Liebe zu drei Orangen“ und Wagners „Lohengrin“ fort. Opernspaß für alle bieten die „Orangen“ in der skurrilen, an ein altes Videospiel erinnernden Inszenierung von Axel Ranisch seit 20. März. Die ungekürzte Aufführung in deutscher Sprache ist mit Untertiteln versehen und wird eine Woche lang on demand auf staatsoper-stuttgart.de gezeigt. Ab 27. März folgt ab 17 Uhr „Lohengrin“ in der Inszenierung von Árpád Schilling. Generalmusikdirektor Cornelius Meister steht am Pult des Staatsorchesters. Flankiert wird dieses Programm in den kommenden Wochen mit Online-Aktivitäten und kleinen zusätzlichen Überraschungs-Videoclips aus dem Opernhaus oder aus dem Wohnzimmer. Aber hallo, Stuttgarter Ballett, Ihr habt doch auch Aufzeichnungen….
Die Pariser Oper fing am 17. März um 19.30 Uhr unter dem Hashtag #LOPERACHEZTOI mit dem Streaming an. Man startete mit der der Aufzeichnung, der eigentlich für die an diesem Tag vorgesehenen brandneuen Massenet-„Manon“ mit Pretty Yende und Benjamin Bernheim. Die wird sieben Tage zugänglich sein, freilich teilweise geogeblockt (über die Facebook-Seite den Zugang suchen), dann folgt die nächste Oper, vermutlich der relativ frische „Don Giovanni“. Bis Mai sind zudem die Aufzeichnungen der absolut sehenswerten Rameau-Oper „Les Indes galantes“, des Balletts „Gisèlle“ sowie ein Tschaikowsky-Zyklus des Orchesters unter Philippe Jordan ständig zugänglich. Und es gibt weiterhin die Videoplattform 3e Scène mit schrägen und experimentellen, eigenproduzierten Videoclips um Oper und Tanz.
In München wollte man mutig livestreamen und wurde ebenfalls
von den verschärften Maßnahmen überrollt. Die Jahrespressekonferenz und ein zum
Kammerabend geschrumpftes 5. Akademiekonzert gingen noch vor leerem Haus über
die Bühne, jetzt musste man auf ein sehr überschaubares, aber qualitätsvolles,
jeweils zwei Wochen abrufbares Angebot aus alten Livestreams reduzieren: Dabei
sind die vorletzte Premiere mit dem Bartók-Doppelabend, „Lucia di Kammermoor“
unter Kirill Petrenko mit Diana Damrau, „Der Troubadour“ mit Jonas Kaufmann und
Anja Harteros sowie das Balanchine-Ballett „Jewels“. Und nach dem Erfolg des
ersten Montagskonzert mit Christian Gerharher und Igor Levit und 90.000
Live-Zuschauern geht es nun jede Woche ab 20.15 Uhr live und kostenlos weiter:
Das Programm der Montagskonzerte wird sich aus Liedgesang,
Solo-Instrumentalisten sowie kammermusikalischen und tänzerischen Darbietungen
zusammensetzen. Mit dabei sind Musiker des Bayerischen Staatsorchesters, Tänzer
des Bayerischen Staatsballetts sowie der Staatsoper eng verbundene Künstler wie
Julia Fischer, Hanna-Elisabeth Müller, Christian Gerhaher, Gerold Huber, Jonas
Kaufmann, Michael Nagy und Tareq Nazmi.
Budapest Festival Orchestra bfz.hu
Hat man sich durch einen traurig stimmenden Clip des als Chef des Budapest Festival Orchester zur melancholischen Untätigkeit verdammten Gründers Iván Fischer gearbeitet, dann offeriert der ungarische Eliteklangkörper jeden Abend um19:45 Uhr live gestreamte Kammerkonzerte unter dem Titel „Quarantine soirées“. Denn: „Wir brauchen Musik jetzt mehr als jemals.“
Auf der von der EU geförderten Videoplattform sind 29 Partnerhäuser
und -Festivals aus 17 Ländern vereint. Und die bieten – mit dreisprachigen
Untertiteln – gegenwärtig 21 Opern an. Da findet der Gourmet seine Spezereien
und auch der Raritätenschnüffler Trüffel wie Moniuszkus polnische Nationaloper
„Halka“ aus Warschau, Erich Wolfgang Korngolds rarer Venedig-Einakter
„Violanta“ aus Turin, eine grandiose Dvorak-„Rusalka“ aus Antwerpen oder die
Barry-Kosky-Inszenierungen von Henzes „Bassariden“ und Weinbergs „Frühlingsstürme“
aus der Komischen Oper Berlin. Und sogar absolut Schräges wie Ivan Zajcs
patriotische Kroatenoper „Nikola Šubić Zrinjski’“ aus Zagreb wird offeriert.
Wer immer schon mal seine Bildungslücken schließen wollte
und jetzt viel Zeit hat: Anlässlich des Jubiläums der nun abgesagten 100.
Händelfestspiele, die eigentlich ab Mitte Mai in Göttingen steigen sollen, bietet
NDR Kultur bis zum 30. September zehn unbekannte Opern aus den Jahren 2009 bis
2019 als Stream an. Etwa „Lotario“, Imeneo“, „Faramondo“ – mal zeitgenössisch,
mal historistisch. Zusammen mit der Unitel zeigt hingegen das Rossini Opera
Festival Pesaro gegenwärtig für jeweils 24 Stunden unter dem Logo „Soirées
musicales“ Rossini-Rarissimia: 21. März „Sigismondo“, 24. März „Adelaide di
Borgogna“ usw. Wer immer noch nicht genug hat: Das Teatro Regio Torino bietet unter dem Hashtag #operaonthesofa
jeden Tag einen mit einer einzigen Kamera in der Totalen abgefilmten
Generalprobenakt, der dann auch weiterhin zu sehen ist – wie schon Verdis
kompletter „Carmen“, „Nabucco“ und Cimarosas „Die heimliche Ehe“.
La saison virtuelle heißt es auch auf der Webseite des Théâtre
de la Monnaie – zunächst bis zum Ende der Osterferien im wöchentlichen Wechsel.
Gegenwärtig zu sehen ist (auch auf der Seite der Pariser Opéra-Comique) die
spannende Pascal-Dusapin-Uraufführung „Macbeth Underworld“ mit Magdalena Kozena
und Georg Nigl sowie ab 21. statt der ausgefallenen Mozart/da Ponte-Trilogie Mozarts
Jugendoper „Lucio Silla“ in der Inszenierung von Tobias Kratzer (die gibt es ab
24. März auch bei Operavison).
Weiterhin werden gestreamt: „Aida“ (Alain Altinoglu , Stathis Livathinos),
„Tristan und Isolde“ (Alain Altinoglu, Ralf Pleger/Alexander Polzin), die tolle
„La Gioconda“ (Paolo Carignani ,Olivier
Py) und das grandiose „Märchen vom Zaren
Saltan“ (Alain Altinoglu, Dmitri Tcherniakov). Außerdem die
eindrückliche Uraufführung „Frankenstein“
von Mark Grey (Bassem Akiki, Àlex Ollé) ist im Programm.
Jan Vogler, der in New York lebende Cellist und Intendant
der Dresdner Musikfestspiele, hat einen
24-stündigen Musik-Livestream-Marathon für den 27. März um 23:00 Berlin Zeit:
#musicveversleepsNYC. Nach Gesprächen mit seinen in New York ansässigen
Freunden und Kollegen habe er realisiert, dass alle mehr denn je bestrebt
seien, ihre Musik mit anderen zu teilen. Diese Freunde und Kollegen hätten sich
bereit erklärt, außergewöhnliche Konzerte unter www.musicneversleepsnyc.com und
auf dem entsprechenden Youtube-Kanal zu spielen. Unter anderem sind neben
Vogler dabei: das Brentano Quartet, Anthony Roth Costanzo, Bela Fleck, The
Knights, Midori, Nico Muhly, Gil Shaham. Weitere Künstler werden in den
kommenden Tagen bekannt gegeben. Jan Vogler schreibt: „Wir hoffen, andere
Künstler in Städten auf der ganzen Welt zu inspirieren, sich
zusammenzuschließen und Music Never Sleeps NYC in ihrer eigenen Stadt zu
verwirklichen. Wir wollen ein globales Pastiche des künstlerischen Ausdrucks
schaffen, indem sich andere Städte unserer Initiative anschließen, z.B.
#musicneversleepsLA, #musicneversleepsBerlin, #musicneversleepsTokio, usw.“
Sehr übersichtlich ist das Streaming-Programm der Deutschen
Oper, die lediglich drei DVD-Auswertungen anzubieten hat und dafür eine Woche
Klärungszeit brauchte. Jeweils am 15 Uhr können Sie jeweils für 48 Stunden über
deren Website folgende Aufzeichnungen kostenlos anschauen: noch bis 21. März:
Janáceks „Jenufa“ unter der musikalischen Leitung von Donald Runnicles und in
der Regie von Christof Loy. Von 21. bis 23. März gibt es Wagners „Rienzi“
RIENZI, in einer Inszenierung von Philipp Stölzl, Dirigent: Sebastian
Lang-Lessing. 23. bis 25. März sind Wagners „Meistersinger“ von Altmeister Götz
Friedrich und mit Rafael Frühbeck de Burgos am Pult zu erleben. Weiteres folgt.
Und für Kinder gibt es bis zum 24. März „Die Schneekönigin“ von Samuel
Penderbayne nach Hans Christian Andersen als fesselndes Musiktheater für alle
ab 8 Jahren.
Auch die Bamberger Symphoniker möchten sich mit ihrem Publikum an die Höhepunkte der jüngsten Vergangenheit erinnern, die filmisch dokumentiert wurden. Auf ihrer Youtube-Seite kann man in diesen Wochen einige Konzerte und Dokumentationen kostenfrei ansehen. Da gibt es eine tschechische Dokumentation über die bisherige Zusammenarbeit mit Chefdirigent Jakub Hrůša, weitere Aufnahmen und Konzertmitschnitte mit ihm, aber auch mit Ehrendirigent Herbert Blomstedt werden folgen. Am 22. März um 18 Uhr zeigen auch die Bamberger Symphoniker in der Aktion „Musiker*Innen für Deutschland“ und #keepplaying Flagge und spielen Beethovens „An die Freude“. Gemeinsam einsam haben die Musiker sich zu Hause aufgenommen – gleiche Noten, gleiches Tempo und gleiche Intention: Etwas zu schaffen, dass die Solidarität der Kulturszene mit den Menschen in Deutschland, Europa und der Welt zeigt. Gleichzeitig werden deutschlandweit Musiker und Orchester an ihren Fenstern spielen. Das Projekt zeigt, dass es auch unter diesen extremen Bedingungen möglich ist, einen Austausch zu schaffen, eine Kommunikation über Musik.
Und wer schließlich nach soviel geballter Hochkultur Lust
auf ein paar arg abgeschrabbelte Drag Queens und Trümmertransen hat: Auch die
wilden Weiber von Neukölln streamen jetzt: Am 28. März, 20:30 Uhr sind Ades
Zabel, Biggy van Blond, Bob Schneider & Roman Shamov on Air. Sie werden das
Publikum in Zeiten von Corona mit der dringend notwendigen Portion Kultur
versorgen und zaubern eine kleine Show aus dem Hut – dabei sein ist alles, wenn
auch nur am Bildschirm
Und natürlich Igor Levits Hauskonzert. Jedem Abend. 19 Uhr
auf Twitter
I’m still here. Es war am 4. April 1971, da hatte im Winter Garden am Broadway „Follies“ Premiere. Eine bitterböse Abrechnung mit der alten, glamourösen, längst nostalgischen Musical-Welt. In einer Zeit, in der Pop und Rock die Shows und Filmmusiken als Vorreiter des Populären abgelöst hatten, Musical und Vaudeville in die zweite Reihe traten – auch weil George Gershwin und Cole Porter, Kurt Weill und Jerome Kern schon tot waren, Richard Rodgers überholt und Irvin Berlin in Rente –, da kamen sie noch einmal zusammen: die „Follies“, die Revuegirls des großen Ziegfeld, der Inbegriff von Schönheit, Aura und dem Willen zur Kunst. Da standen sie in ihrem ehemaligen Theater, zu alten Schabracken gewandelte beautiful girls im unansehnlich gewordenen Bühnenkasten, der einem Parkhaus weichen wird, und sangen trotzig: „Wir sind noch da!“ 49 Jahre später, an seinem 90. Geburtstag, ist Stephen Sondheim, der „Follies“-Komponist wie -Textautor, der hier den Abgesang einer Ära inszeniert hat, selbst in der seltsamen Lage zu sagen: „I’m still here.“ Er tut das wehmutsvoll, enttäuscht und nur wenig trotzig. Und gelassen. Und auch wenn gerade infolge des Corona-Virus selbst der Broadway dunkel daliegt, nicht spielt. Er ist noch da, auch wenn er lange schon keinen Hit mehr hatte. Es gibt nach dem Ende des unermüdlichen Duo John Kander und Fred Ebb („Cabaret“, „Chicago“, „Kiss of the Spiderwoman“, „Besuch der alten Dame“) keinen Komponisten mehr, der eine so lange Reihe von Werken für New Yorks Vergnügungsmeile geschrieben hat, der in fast jedem seiner 16 eigenständigen Bühnenstücke das Musical neu erfunden, ihm Komplexität, Frische, Tiefe, Relevanz gegeben hat.
Die junge Komponisten-Generation fasst heute schwer Fuß,
sieht sich im Würgegriff zwischen durch immer höheren bühnentechnischen Aufwand
explodierenden Produktionskosten für Novitäten und dem Willen zu gut
abgesicherten Revivals meist konventioneller Erfolgsstücke oder dem Biografischen
wie Jukebox-Musical, das nur große Songkataloge von Abba bis Supremes, Beatles
bis Michael Jackson ausschlachtet. So entsteht keine Kontinuität, so reißt
Geschichte ab. Geschichte, die vielleicht beendet ist. Kein Wunder, dass sogar
ein Leuchtturm wie Sondheim in seinem biblischen Alter melancholisch wird und länger
schon nur noch resignativ funzelt.
Dabei kann er, der lange nur ein geistvoller Musiktheaterspaß für die Eingeweihten war, heute auf doch weitreichendere Erfolge verweisen. Seine Stücke werden weltweit immer beliebter, „Sweeny Todd“ oder „A little Night Music“ sind längst in den Opernhäusern angekommen, werden mit und für Stars wie Bryn Terfel oder Dagmar Manzel inszeniert, und immer hin wurde die blutige Barbier-Geschichte auch von Tim Burton verfilmt. Und sein ironisches Märchengewusel „Into the Woods“ hat Disney mit Meryl Streep als Fantasy-Musical in die Kinos gebracht. Selbst in Europa gehören die abgründigen, abgefeimten Sondheim-Klassiker inzwischen zum Musical-Stammrepertoire der Stadttheater. Erst kürzlich gab es an der Staatsoperette Dresden sogar eine so glamouröse wie klug eingeostete Neuinsznierung von „Follies“, die ganz wunderbar funktionierte und sich auf ihre Art nicht hinter dem herrlichen Revial am Londoner National Theatre verstecken brauchte.
The little things you do together. Das war einmal anders. In
jenem Winter Garden, in dem bald – die „Follies“ sind längst der Staub von
vorgestern – nach 18 Jahren und 7.400 Vorstellungen Andrew Lloyd Webbers „Cats“
zum letzten Mal die Krallen zeigen, begann die Weltkarriere des Stephen Sondheim,
am 22. März 1930 in New York als Sohn jüdischer Eltern geboren, die beide in
der Modebranche arbeiteten und sich trennten, als ihr einziger Sohn zehn Jahre
alt war. Zu Ersatzeltern wurden ihm Dorothy und Oscar Hammerstein. Der
versierte Texter, der „Showboat“ und die späten Richard-Rodgers-Erfolge auf
seinem Habenkonto verzeichnete, brachte Sondheim bei, was er wissen musste, und
er vermittelte den Kontakt zu Leonard Bernstein, Jerome Robbins und dem, was
später als „West Side Story“ trotz bescheidener 732 Vorstellungen von 1957 an
im Winter Garden seinen Siegeszug um die Bühnen der Welt antrat.
Stephen Sondheim hatte damals die witzigen, einprägsamen
Texte geschrieben, ähnlich wie er es auch später noch für Jule Stynes immer
wieder gern von reiferen Stars gebrachtes Ethel-Merman-Vehikel „Gipsy“, für
Rodgers‘ „Do I hear a waltz?“ und für eine der Neufassungen von „Candide“,
Bernsteins Schmerzenskind nach Voltaire, tat. Doch natürlich lag sein Ehrgeiz
bei eigenen Shows, für die er, gemäß dem Vorbild Cole Porter, immer als
Textdichter und Komponist zeichnete. Worte und Klänge, für ihn ist das eine
untrennbare Einheit, die seine Musik so unverwechselbar macht. Und deshalb ist es
das Dümmste, wenn man diesen Universalisten heute gern erstmal als „West Side
Story“-Texter bezeichnet. Deren Broadway-Revival von Ivo van Hove und Anne
Teresa de Keersmaeker gerade auch brach liegt.
Und doch hat Chita Riviera, für die er 1957 als Anita „America“ schrieb, über seine Songs gesagt: „Sie sind wie ein fantastisches Steak.“ Die schrill-klamaukige, dabei intelligente Römerparodie nach Plautus „A Funny Thing Happend On the Way To the Forum“ (1962) markierte einen ersten Schritt zum Ruhm und gehört heute zu seinen meistgespielten Stücken, die Politsatire „Anyone Can Whistle“ (1964) war dagegen ein herber Rückschlag. „Evening Primrose“ (1966) wurde ein Fernsehmusical mit Anthony Perkins über eine geheime Vereinigung von Leuten, die in einem Kaufhaus leben.
Dann kam 1970,
gemeinsam mit seinem Produzenten, Regisseur und Choreografen Harold Prince (der
die meisten seiner Shows betreute, doch 1981, nach einem Krach, ausgerechnet zu
Lloyd Webber überlief), der Durchbruch mit „Company“: Singende Großstadtneurotiker,
Ehepaare im Geschlechterkrieg, wie bei Edward Albee. Die Geburt des „Konzept-Musicals“,
bei dem alles einer Idee untergeordnet ist. In “Company”, mit seiner seltsam
uneindeutig metrosexuellen Hauptfigur, die für jüngste Wiederaufnahmen sogar
erfolgreich weiblich gegendert wurde, finden sich dann so wunderbare – böse … Verse wie: “The concerts you enjoy
together / neighbours you annoy together / children you destroy together.” Er
selbst hatte übrigens erst mit 40 Jahren sein Coming Out. Sein Lebensgefährte
war zeitweilig der Dramatiker Peter Jones.
Putting it together.
Viele Sondheim-Songs klingen wie desillusionistische Lyrik der feinsten Sorte.
Kritiker mögen solches kalt und zu sophisticated nennen, nie aber erlaubte sich
Stephen Sondheim das oberflächlich rosa Gewölk, das für gemeinhin als Musical
gilt und doch nur eine schwächelnde Schwester der Operette vorstellt. Das aber
war und ist auch sein Problem: Obwohl vielfach ausgezeichnet, vom „Oscar“ über
den Tony bis hin zum Pulitzer Preis, musste Stephen Sondheim damit leben, dass
seine Stücke von musical-desinteressierten Intellektuellen nicht wahrgenommen
und vom gewöhnlichen Publikum als zu schwer und zu verwirrend empfunden werden.
Was ihn nicht davon abhielt, trotz einigen Flops, immer neue Anläufe zu unternehmen,
das Genre zu revolutionieren, vom Ruch des nur Geläufigen zu befreien. „A
little Night Music“ (1973) nach Ingmar Bergmans Film „Das Lächeln einer
Sommernacht“ wurde zur Apotheose des Valse triste und Wiedergeburt der
Operette, „Pacific Ouvertures“ (1976), das die von den Amerikanern erzwungene
Öffnung Japans zur Welt zum Thema hat, spielt mit den Mittel des
Kabuki-Theaters.
„Sweeny Todd“ (1979), die böse Geschichte des dämonischen
Barbiers aus der Fleet Street, der mit dem Rasiermesser metzelt und seine Opfer
von seiner Komplizin zu Fleischpasteten verarbeiten lässt, ist ein wildes
Kaleidoskop aus epischem Theater, Jakobinertragödie, Burleske, Märchen,
viktorianischem Vaudeville, Weill, Berg und Britten. „Merrily We Roll Along“
(1981) rollt seine Handlung von rückwärts ab, „Sunday In the Park With George“
(1984) lässt George Seurrat in sein pointilistisches Bild „Ein
Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte“ treten. „Into the Woods“
(1986) bringt Grimms Märchen als Bettelheim-Kommentar auf die Bühne, bis
Rotkäppchen Amok läuft.
„Assassins“ (1991), Sondheims persönlicher Favorit, führt amerikanische Präsidentenmörder auf einem Rummelplatz vor: „Autor John Weidman und ich wussten, was wir machen wollten und haben es getan. So bewerte ich Stücke“, sagte Sondheim. „Ich schaue mir ,Assassins‘ an und es erfüllt mit wenigen Ausnahmen alle meine Erwartungen.“ Das melancholisch kammerspielartige „Passion“ (1994), hat einen von Ettore Scola verfilmten Briefroman um eine große, unerfüllte Liebe zum Vorbild.
There won’t be Trumpets. Diese letzten beiden Stücke liefen nur noch Off-Broadway, kein Produzent wollte mehr – abgesehen von den alten Krachern sowie dem aufgewärmten Uni-Ulk nach Aristophanes „The Frogs“ von 1974 – einen neuen Sondheim am echten Broadway wagen. Weil er kaum Hits schreibt, so meist das Totschlag-Argument. Doch was sind Hits? Die klebrige Musiksoße eines Lloyd Webber, die meist schamlos geklaut ist und dann stundenlang wiedergekäut wird? Bei Sondheim regiert vor allem Harmonie, nicht Rhythmus. Der Schüler des Zwölftoners Milton Babbitt arbeitet mit vielfachen Versatzstücken, kombiniert neu, erinnert sich, setzt anders zusammen, verschachtelt, lässt Motive sich in ständigen Ostinati überlappen. Seine Stücke sind große Puzzles –Sondheim selbst ist ein passionierter Spielesammler –, in denen man selten ein Teil, einen Hit, einen Schlager isolieren kann. Und er ist keiner, dem das Komponieren leicht fällt: „Jedes Mal ist es, als ob man Zahnpaste aus einer leeren Tube drücken will.“
Send in the Clowns. Und doch hat Stephen Sondheim nicht nur diesen einen Evergreen komponiert. Frank Sinatra und Liza Minnelli, Shirley Bassey und Barbra Streisand singen seine nicht unkomplizierten Lieder. Selbst Madonna brauchte einen Monat, bis sie die trickreichen Songs für den Film „Dick Tracy“ konnte. Und heute wird auch er, Stephen Sondheim, der Clown, immer wieder und öfter hereingeschickt. Man ist sich seinen Rang und Namen bewusst. Er wurde mit Grammys, Tonys, Oscars, dem Pulitzer Preis und 2014 mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet.
Comedy, tonight. Ein Abgesang? Man hat in London und New York „Saturday Night“ gespielt – Sondheims erste, wegen des Todes des Produzenten nie aufgeführte Show von 1954. Sein theatralischer Schwanengesang wurde schließlich ein Musical über Addison Mizner und seinen Bruder Wilson, zwei Abenteurer vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die vom Klondike Goldrausch bis zum Hausbau-Boom im Florida der Zwanziger ihr Unwesen trieben. 2003 kam es als „Bounce“ heraus, 2008 noch einmal als „Road Show“ – und schaffte es doch wieder nur bis Off-Broadway. Stattdessen wurden die englischen Original-Namen der „Desperate Housewives“-Folgen größtenteils nach seinen Songtiteln benannt.
Trotzdem bosselte Stephen Sondheim bis ins hohe Alter an
Projekten. „Ich bin ein Kollaborations-Tier“, sagte der überzeugte New Yorker,
der nach wie vor in einem Townhouse in Manhattan lebt, jüngst der „New York
Times“. „Meine Ideen entstehen oft aus dem Zusammenarbeiten mit anderen
Menschen, sonst würde ich Konzertmusik komponieren. Ich schreibe, weil ich die
Menschen zum Lachen, Weinen und Denken bringen will. Und ich will so viel
Publikum wie möglich.“ Schließlich muss die Show weitergehen, schließlich ist „Komödie,
jeden Abend“. Heute wird Stephen Sondheim, einer der bedeutendsten lebenden
Komponisten, 90 Jahre alt.
Und auch das ist in diesen Zeiten noch möglich: Eine Opernuraufführung. Wenn auch nur als Retrospektive einer schon am 12. März mitgeschnittenen Generalprobe. Am 13. hätte die Weltpremiere in Amsterdam beim Opera Forward Festival der Dutch National Opera sein sollen. Jetzt kam aber „Ritratto“ – das italienische Wort für „Porträt“, erst am Wochenende als virtuelle Kreation auf dem Youtube-Kanal der DNO heraus. Da ist es in sehr guter Bild- und Tonqualität auch noch zu sehen, ebenso auf deren Webseite. Der neunzigminütige Einakter von Willem Jeths, dem ersten niederländischen Komponisten des Vaderlands, handelte von Luisa Casati, einer der durchgeknalltesten Society- und Kunstgestalten am Anfang des letzten Jahrhunderts. Der Look dieses It-Girls der Kreativen: Smokey Eyes. Die trägt sie auch auf den vielen Gemälden, die von ihr angefertigt wurden, eines davon war für Jeths der Auslöser zur Komposition.
Fotos Ruth Walz
Luisa Casati Stampa di Soncino, Marchesa di Roma (1881-1957) war eine italienische Muse, Kunstmäzen, Modeikone und High Society Lady. Sie war die jüngste Tochter eines wohlhabenden Textilfabrikanten. Ihre Kindheit drehte sich um perfektes Benehmen und die gesellschaftliche Repräsentation, sie galt als frühreif und ausgesprochen intelligent. Der frühe Tod ihrer Eltern machte Luisa und ihre Schwester zu den wohlhabendsten Erbinnen in Italien. 1900 heiratete Luisa Amman den Aristokraten Camillo Casati Stampa di Soncino, Marchese di Roma (1877–1946). 1903 lernte sie den Schriftsteller Gabriele D’Annunzio kennen und hatte eine langjährige Affäre mit ihm. In dieser Zeit reiste sie viel und fand schnell Kontakt zur europäischen Society. Ihre Bankette, Tanzbälle, Gartenparties, Dinners, Fuchsjagden, Tanzabende und Kostümfeste waren berühmt und füllten die Gesellschaftsspalten der Zeitungen. Je extravaganter und skandalöser ihre Lebens- und Liebesgeschichten waren, desto größer wurde die Faszination, die von ihr ausging. 1910 kaufte sie in Venedig den Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande und ließ ihn aufwendig renovieren. Die von Casati dort veranstalteten Feste waren außergewöhnlich und phantasievoll – so wurde die Einweihungsfeier im September 1913 mit einem Kostümball im Stil des 18. Jahrhunderts gefeiert. Heute residiert hier die Peggy Gugenheim Foundation.
In Porträts, Skulpturen und Fotografien zahlreicher Künstler verewigt, wurde Luisa Casati als meistgemalte Frau Italiens berühmt. Mit vielen Künstlern war sie persönlich befreundet, unter anderem mit Giovanni Boldini, Kees van Dongen, Romaine Brooks, Ignacio Zuloaga, Giacomo Balla, Jacob Epstein, Man Ray, Cecil Beaton und Adolphe de Meyer. Ihre Roben und Kostüme wurden von Léon Bakst, Paul Poiret, Mariano Fortuny und Erté entworfen. Wo immer sie war, setzte sie Trends. Doch in den 1930er Jahren musste Casati verarmt nach London fliehen, wo sie, unterstützt von Freunden, bis zu ihrem Tod lebte.
Gabriele D’Annunzio schuf 1910 mit der Figur der Isabella in
dem Roman „Vielleicht, vielleicht auch nicht“ ein dichterisches Denkmal. Tennessee Williams machte sie 1963
zur Protagonistin in „The Milk Train Doesn’t Stop Here Anymore“. Ihr
Mythos wurde in Theaterstücken und Kinofilmen thematisiert, gespielt wurde sie
dabei von Theda Bara, Vivien Leigh, Tallulah Bankhead, Valentina Cortese und
Ingrid Bergman. Ihre Lebensweise und ihr Modestil inspiriert noch heute Designer
wie John Galliano, Yves Saint Laurent und Tom Ford.
Über diese gelangweilte wie leidenschaftliche Dame als Kunstfigur wie Inspiration für Künstler hat nun von Willem Jeths seine süffige Oper geschrieben, bei der als Vorbild durchaus „Powder her Face“ durchschimmert, das Musiktheater-Portrait einer skandalösen englischen Adeligen, mit dem 1995 Thoms Adès berühmt wurde. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges hinterfragt Librettist Frank Siera die Bedeutung der Kunst. Bei einem Fest von Casati bringt Siera alle Arten von Künstlern zusammen, vor allem die Futuristen, die mit ihrer Kunst den Weg für den Faschismus ebneten. Casati beschäftigt sich nicht mit weltlichen Problemen und konzentriert sich auf ihre Leidenschaft. In der Oper geht sie noch weiter als im wirklichen Leben; Indem sie nicht sieht, versucht sie, selbst gesehen zu werden. Denn sie wird am Ende selbst zum Bild und Kunstwerk – und opfert für das Artefakt der lesbischen Malerin Romaine Brooks ihr Augenlicht.
Mit vielen Zitaten von Strauss bis Ravel macht Willem Jeths sein Werk in sieben Szenen zu einem sinnlichen Parcours durch die damalige Klanggeschichte, am Ende aber wird er ganz melancholisch und düster. Die Inszenierung von Marcel Sijm ist ein Designfest mit deutlich transgenderndem LGBTQ-Einschlag. Marc Warning lässt Plastikblasen als Perlenketten auf der leeren Szene hängen, die aber füllt Jan Taminiau, der den berühmten blauen Umhang entworfen hat, den Königin Máxima bei der Krönung von Willem-Alexander trug, mit schrillschrägen Kleidermodellen. Man wähnt sich bisweilen zwischen Voguing und Modenschau, nicht das Schlechteste für eine Oper, bevor es wieder kunstphilosophisch ernster wird.
Pose ist hier alles, nur Gutaussehen zählt unter diesen Selbstdarstellern, auch Kees van Dongen, Jacob Epstein, Man Ray, Serge Diaghilev und Filippo Marinetti sind anwesend. Geoffrey Paterson dirigiert mit Verve die Amsterdam Sinfonietta. Und auch für die jungen Sänger des erst seit einem Jahr bestehenden DNO-Opernstudios ist dieses Werk eine wunderbare Gelegenheit. Vor allem Verity Wingate ist eine eindrücklich zwiespältige Luisa.
Polly Leech gibt Romaine Brooks als sonore Dyke. Paride Cataldo ist Gabriele D’Annunzio, erst mit Flitter im Schambeutel, dann als lustiger Flatterflügelpilot. Und Martin Mkhize mimt den gar nicht so stummen Diener Garbi als nubischen Legionär, der eben nicht nur servant ist, sondern observant. Und hoffentlich bald auch wieder einmal in einem richtigen Opernhaus.